Anna*: sechs Monate Praktikum in einer städtischen Pressestelle, Wochenarbeitszeit: 39 Stunden, Gehalt: 430 Euro. Weil sie davon nicht leben konnte, nahm sie zusätzlich für zehn Stunden in der Woche einen Nebenjob an.
Tobias: sechs Monate in einer Werbeagentur, Wochenarbeitszeit: bis zu 60 Stunden, Gehalt: 400 Euro. Nach drei Monaten brach er wegen gesundheitlicher Probleme ab.
Sandra: zwei Monate bei einer großen Buchhandelskette, Wochenarbeitszeit: 40 Stunden, auch samstags, Gehalt: keines. Sie erledigte ausschließlich Aushilfstätigkeiten, entsorgte den Müll, füllte Regale auf und schleppte Bücherkisten ins Lager.
Von Praktikumserfahrungen wie diesen hört man oft. Wir haben in den vergangenen Wochen auf unserem Tumblr „Was Praktikanten verdienen“ anonym Praktikumserfahrungen gesammelt. (Die drei Beispiele sind Auszüge daraus.) Wir wollten wissen: Was verdienen Praktikanten? Was müssen sie dafür tun? Lernen sie dafür etwas? Oder werden sie als billige Arbeitskräfte missbraucht?
Knapp 150 ehemalige und aktuelle Praktikanten haben uns bisher ihre Erfahrungen per Email geschickt. Das ist natürlich keine repräsentative Studie, zeichnet aber ein gutes Bild der Lage von Praktikanten. Viele, die uns schrieben, haben tolle Praktika absolviert, viel gelernt und ausprobiert. Viele ersetzten aber auch Festanstellungen oder durften nur Aushilfstätigkeiten erledigen, für die sie überqualifiziert waren, und fühlten sich ausgenutzt.
Letzteres will die Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) mit dem Mindestlohnändern. 2015 wird der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt, spätestens 2017 müssen sich alle Branchen daran halten. Auch für Praktikanten soll das gelten. Ein Beispiel: Bei einer 40-Stunden-Woche und 25 Arbeitstagen im Monat wären das 1.700 Euro im Monat.
Es Unternehmen schwer bis unmöglich zu machen, Praktikanten auszunutzen, ist ein hehres Ziel. Doch von denjenigen, die die Debatte betrifft, den Praktikanten und Studenten, ist bisher der große Jubel über den Mindestlohn ausgeblieben. Warum, auch das wollten wir mit unserem Tumblr herausfinden. Haben wir auch. Jetzt zur Bilanz. Fünf Dinge, die wir auf unserem Tumblr gelernt haben:
1. Freiwillige Praktika kann nur machen, wer reiche Eltern hat
Die meisten Praktikanten, die uns schrieben, bekamen beziehungsweise bekommen kein Gehalt oder verdienten bis zu 400 Euro im Monat. Zu dem Ergebnis kam auch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2011: Derzufolge bekommen 40 Prozent der Praktikanten gar kein Geld für ihre Arbeit. Die 60 Prozent, die etwas verdienen, kriegen durchschnittlich 3,77 Euro die Stunde.
Wer nicht noch nebenbei arbeitet, von den Eltern unterstützt wird oder Bafög bekommt, kann sich ein längeres Praktikum finanziell nicht erlauben. „Während des Studiums konnte ich mir ein unbezahltes Praktikum nicht leisten, obwohl ich von meinen Eltern 400 Euro pro Monat bekam“, schrieb uns Martina (2 Monate bei einer PR-Agentur, 400 Euro), und Sabrina (3 Monate bei einem Foschungsinstitut, 100 Euro): „Praktika können nur Kinder machen, die reiche Eltern haben.“
Bei einem Vollzeit-Praktikum nichts oder so wenig zu verdienen, dass man sich kein WG-Zimmer, Lebensmittel und die U-Bahnfahrkarte leisten kann, ist unzumutbar. Und es ist unfair, wenn sich nur bestimmte Studenten ein Praktikum „leisten“ können.
2. Jahrespraktikanten sind die billigeren Aushilfskräfte
Die Unternehmen argumentieren gerne, dass sie nicht erwarten oder einplanen können, dass Praktikanten Leistungen erbringen und diese deshalb keinen Anspruch auf (mehr) Geld oder den Mindestlohn haben. Die eigentliche Idee des Praktikums ist ja ein Lern-, kein Beschäftigungsverhältnis. Für Praktikanten, die monatelang im selben Unternehmen, sogar in derselben Abteilung arbeiten, dürfte das aber nicht gelten. Laut der Studie der Hans-Böckler-Stiftung dauern die Praktika der Hochschulabsolventen nach dem Abschluss durchschnittlich vier bis fünf Monate. Es dürfte auch nicht gelten, wenn Abteilungen aus fünf Festangestellten und sieben Praktikanten bestehen – die das zum Beispiel Kunden gegenüber nicht kommunizieren dürfen. Oder wenn Praktikanten eigene Projekte für die Firma verantworten. Lisa (6 Monate bei einem Mobilfunkanbieter, 880 Euro) schrieb uns, dass sie während ihres Praktikums ein eigenes Sonderausstellungskonzept entwarf, und Nathalie (6 Monate bei einem privaten Klinikkonzern, 400 Euro): „Im Laufe der Zeit hat man mir sehr viel Eigenverantwortung übertragen und ich habe eigene Projekte betreut, die auch eine der Vollzeitkräfte hätte übernehmen können.“ Es ist zum Erfolgsmodell geworden, dass Unternehmen fertig ausgebildeten jungen Menschen und Uni-Absolventen „Jahrespraktika“ anbieten, als Einstieg, heißt es dann oft, mit der Aussicht auf, aber sicher nicht der Garantie einer Festanstellung.
3. Die Erfahrung „viel gelernt“ und „Burnout“ liegen im Praktikum nah beieinander
Die meisten Praktikanten arbeiten 40 Stunden und mehr in der Woche, einige sogar bis zu 60, auf jeden Fall so lange wie ihre Vorgesetzten. Viele Praktikanten empfinden auch ihre Aufgaben wie die von Festangestellten. Karin (7 Monate bei einem lokalen Fernsehsender, 300 Euro), schrieb, sie habe „wertvolle Arbeitsproben gesammelt“ und sich „trotz Praktikantenstatus wie eine richtige Redakteurin gefühlt“. Und Nathalie: „Natürlich könnte man das dem Unternehmen auch vorwerfen, aber ich habe richtig viel gelernt und konnte so aufgrund meiner Erfahrungen nach dem Studium ohne Startschwierigkeiten noch während meiner Masterarbeit ins Berufsleben starten.“ Die meisten freuten sich darüber, eigenständig zu arbeiten, darüber, was sie alles machen „durften“ und dass sie „nicht wie Praktikanten“ behandelt wurden. Zu diesem Ergebnis kam auch die Studie über die „Generation Praktikum“ des Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung: Dabei gaben zwei Drittel der Befragten an, dass sie die Arbeitsaufgaben im Praktikum sehr gut oder gut fanden. Einige, die uns ihre Praktikumserfahrungen schickten, fühlten sich allerdings von der Verantwortung, die man ihnen im Praktikum übertrug, überfordert. Stefanie (4 Monate bei einem Start-up im Bereich interkulturelle Weiterbildung, 400 Euro), schrieb zum Beispiel: „Es war die totale Ausbeutung, ich stand kurz vor Burn-out.“ Sie machte fast jede Woche unbezahlte Überstunden und musste auch am Wochenende arbeiten. Nach drei Monaten brach sie ihr Praktikum ab.
4. Wie eine „Redakteurin fühlen“ oder Toiletten putzen – die Definitionen eines Praktikums gehen weit auseinander.
Wenn Praktika als schlecht empfunden werden, hat das nicht immer mit der Bezahlung zu tun, sondern auch mit den Aufgaben, die Praktikanten erledigen müssen. Während die einen selbstständig arbeiten oder sogar Verantwortung übernehmen, dürfen andere ausschließlich Aushilfstätigkeiten übernehmen: kopieren und Kaffee kochen, eine Praktikantin musste regelmäßig das Auto des Chefs putzen, eine andere der kranken Ehefrau des Chefs Essen nach Hause bringen, weil dieser keine Zeit hatte. Martin (6 Monate bei einer Eventagentur, kein Gehalt) musste sogar die Toiletten putzen.
5. Praktika sind unverzichtbar
Auch wenn die meisten ihr Praktikum ungerecht entlohnt finden, die Angst, dass in der Folge des Mindestlohns keine Praktika mehr angeboten werden, überwiegt. Und das würde passieren. In geistes- und sozialwissenschaftlichen Studienfächern sind bisher meistens keine Pflichtpraktika vorgeschrieben. Praktika von maximal sechs Wochen, die ebenfalls vom Mindestlohn ausgeschlossen werden sollen, lohnen sich für die Unternehmen kaum, weil die Einarbeitungszeit dann im Verhältnis zur Praktikumsdauer zu lange dauern würde. In der Folge würden weniger Praktika angeboten werden, das befürchtet man auch bei der Hochschulrektorenkonferenz. Ein Großteil der Praktikanten, die sich auf unserem Tumblr meldeten, findet die Erfahrung, die man in Praktika macht, unverzichtbar. Die meisten geben an, dass sie viel gelernt haben, sich zum ersten Mal ausprobieren, und, speziell Studenten geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer, herausfinden konnten, ob das, was sie mit ihrem Studium anfangen wollen, auch zu ihnen passt. Franziska (6 Monate bei einer Kommunikationsagentur, 350 Euro, ab dem 3. Monat 500 Euro), schrieb zum Beispiel: „Ich finde, das Praktikum ist eine große Chance, weil es in vielen Berufen unabdinglich ist, Berufserfahrung zu haben, die man so im Studium nie sammeln kann.“
Fazit:
Es muss sich was tun für die Praktikanten. 600.000 arbeiten im Moment in Deutschland. Das sind viele, wenn auch keine „Generation Praktikum“. Laut der Studie der Hans-Böckler-Stiftung macht längst nicht jeder Hochschulabsolvent nach seinem Abschluss noch einmal ein Praktikum, sondern etwa 16 Prozent von ihnen. Der Großteil der Praktikanten geht noch zur Schule, hat sie gerade abgeschlossen, macht während des Studiums ein Pflichtpraktikum – oder ein freiwilliges Praktikum in den Semesterferien oder einem Urlaubssemester. Und dagegen ist nichts einzuwenden.
Am Donnerstag wird im Bundestag über den Mindestlohn und die Ausnahmen, unter anderem für Praktikanten, abgestimmt. Lange wollte Andrea Nahles nur Pflichtpraktika und Praktika, die nicht länger als sechs Wochen dauern, von dem Gesetz ausschließen. Inzwischen klingen immer mehr mögliche Ausnahmen durch. „Wir werden bis zur letzten Stunde dafür kämpfen, dass es keine Ausnahmen geben wird“, sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Reiner Hoffmann am Montag im ARD-Morgenmagazin.
Doch eine Frist, ab der Unternehmen an Praktikanten den Mindestlohn zahlen müssen, wäre eine Möglichkeit, die Institution der freiwilligen Praktika nicht ganz abzuschaffen und ausbeuterische Jahrespraktika trotzdem zu verbieten. Momentan ist im Bundestag eine Frist von drei Monaten im Gespräch.
Wenn man sich die Praktikumsberichte auf unserem Tumblr durchliest, merkt man: Der Mindestlohn kann die Situation von Praktikanten nicht richten. Einige fänden ihn gut, einige nicht. Bei einem Punkt sind sich alle einig: Praktika, die gar nicht oder so schlecht bezahlt sind, dass man auf Unterstützung angewiesen ist, sollten verboten werden. Das ist aber nicht alles. Praktika müssen besser definiert und ähnlich wie Ausbildungsplätze von den Industrie- und Handelskammern überwacht werden. Das ist aufwändiger als mit oder ohne Ausnahmen den Mindestlohn für Praktikanten einzuführen. Aber es lohnt sich.
* Alle Namen sind der Redaktion bekannt und wurden vor der Veröffentlichung geändert.
Mehr über die aktuellen Entwicklungen zum Thema Mindestlohn findest du hier.
Übrigens sammeln wir auf unserem Tumblr weiter Praktikumserfahrungen. Über die Suchfunktion kannst du nach Branchen und Unternehmen suchen. Hier steht, wie du selbst mitmachen kannst. Oder du schickst eine Email mit den folgenden Informationen an kathrin.hollmer@jetzt.de.
Wo: (In welchem Unternehmen und/oder in welcher Branche hast Du das Praktikum gemacht?)
Wann: (In welchem Jahr war das Praktikum und wie lange hat es gedauert?)
Praktikum Nummer: (Dein wievieltes Praktikum war das?)
Gehalt: (Wie viel hast Du dabei verdient?)
Arbeitsstunden pro Woche:
Aufgaben: (Was hast Du als Praktikant dort gemacht?)
Das war gut: (Hast Du viel gelernt? Hast Du Kontakte geknüpft? usw.)
Das war schlecht: (Hast Du dich z.B. ausgebeutet oder als billige Arbeitskraft ausgebeutet gefühlt? usw.)
Weitere Informationen: (optional)