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Alles so schön bunt hier

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München – Was ist eine „normale“ Familie? Mutter – Vater – Kind? Vater – Vater – Adoptivkind? Alleinerziehende Mutter – Kind? Frau – Frau – kein Kind? Wer hat da die Hosen an? Muss man heiraten? Wer arbeitet, wer bleibt zu Hause? All diese Fragen treiben die Union seit Jahren heftig um; wie keine andere Partei ringen CSU und CDU um ein Familienleitbild. Um eine Richtlinie, eine ungefähre Umrahmung dessen, was in der Gesellschaft schon lange zum Leben gehört und das die christlich orientierten Anhänger nicht allzu sehr verstören soll. Eine Expertise, die die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung nun veröffentlicht, bricht mit so ziemlich allem, was konservativen Politikern bisher heilig war. Demnach ist alles möglich. Zwar ist das verheiratete Ehepaar mit Kindern nach wie vor der Maßstab. 100 Prozent der Befragten sehen das so. Landläufig verstehe man unter Familie aber zu fast 90 Prozent auch homosexuelle Paare, Patchworkkombinationen oder Alleinerziehende. Es sei eine „zentrale Schwäche“ der Politik, der Vielfalt des Familienlebens nicht ausreichend gerecht zu werden, so die Erkenntnis.



So kann Liebe auch aussehen: Eine homosexuelle Lebenspartnerschaft.

Auseinandersetzungen mit „Kampfbegriffen wie Rabenmutter oder Heimchen am Herd“ sollten beendet, der „Familiendiskurs sollte entideologisiert“ werden, heißt es in der Analyse mit dem Titel „Familienleitbilder in Deutschland“. Klare Worte vor dem Hintergrund, dass sich Unionspolitiker intern wie auch mit den Familienexperten anderer Parteien hinter dem Schild „Wahlfreiheit“ immer wieder bekriegen: Mal darf die Betreuung von Kleinkindern in Krippen die klassische Familie nicht ersetzen. Mal ist die Unterstützung berufstätiger Mütter Teufelszeug, weil das die traditionellen Werte verändere. Und gerne wird auf der anderen Seite der CSU-Liebling Betreuungsgeld als „Herdprämie“ geschmäht.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) beauftragt, hier für Klarheit zu sorgen. 5000 Menschen zwischen 20 und 39 Jahren wurden befragt. „Das Spektrum hat sich erweitert. Die traditionelle Rollenverteilung in der Familie, die noch um 1960, zumindest im Westen Deutschlands, selbstverständlich war, verliert an Bedeutung“, sagt Christine Henry-Huthmacher von der KAS. Beim Versuch, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, seien junge Frauen heutzutage so zerrissen wie nie zuvor. Auch Väter stünden unter steigendem Druck, weil sie einerseits mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen, wie die große Nachfrage nach der Elternzeit zeige – die Arbeitgeber zögen aber nicht wie gewünscht mit.

Weitere Thesen und Forderungen des Papiers der Konrad-Adenauer-Stiftung:

Bei der Suche nach Ursachen für die sinkenden Geburtenraten haben sich Politik und Forschung zu sehr auf die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie konzentriert. Eine große Rolle spielt jedoch auch, was in den Köpfen passiert – es gibt die kulturellen Leitbilder eines „normalen“, „richtigen“ und „guten“ Zusammenlebens als Paar oder als Familie. Und da gehen persönliches Gefühl und öffentliche Meinung stark auseinander.

„Es gibt keine positiv besetzten Familienleitbilder in Deutschland“, sagt Norbert Schneider, Direktor des BiB und Autor der Expertise. „Jedes Bild beinhaltet sofort eine Negativfolie: Nehmen Sie die klassische Mutter und Ehefrau, die sich um Haushalt, Mann und Kinder kümmert. Ihr wird vorgehalten, dass sie es sich gut gehen lasse oder dass man sie gut ausgebildet habe und sie diese volkswirtschaftlichen Kosten nun verschwende. Die berufstätige Mutter hingegen ist mit dem Gegenteil konfrontiert.“ Der Aussage „Ein Kleinkind leidet, wenn die Mutter berufstätig ist“ stimmen der Studie zufolge teils mehr als 60 Prozent der Befragten in Polen, Italien, Österreich – und Westdeutschland zu. Im Osten Deutschlands sind es nur 34 Prozent, eine Folge der als „normal“ empfundenen Berufstätigkeit von Frauen in der DDR.

Auch wenn Leitbilder im Kern stabil seien, sei ein Wandel im Lauf weniger Jahrzehnte möglich und durchaus politisch beeinflussbar, heißt es in der Studie für die Adenauer-Stiftung. BiB-Chef Norbert Schneider nennt als Klassiker die Anerkennung nicht ehelicher Lebensgemeinschaften: Bis 1972 war die Vermietung von Wohnungen an nicht verheiratete Paare ein Straftatbestand, fiel unter den Kuppeleiparagrafen. Heutzutage achtet niemand darauf, ob die Nachbarn einen Ehering tragen. In der Expertise heißt es weiter: Die derzeitige Familienpolitik sei in hohem Maße zu einseitig an der Ehe orientiert, sie biete oft keine Hilfe bei durch Brüche gekennzeichneten Familienbiografien. Das alles sei nicht mehr zeitgemäß. So profitiert etwa eine kinderlose Ehe vom Ehegattensplittung, nicht aber die nicht eheliche Stieffamilie. Nachdem lange Zeit latent das klassische Bild der Hausfrauenehe bestimmend war, müssten nun Wege gefunden werden, die Wünsche von Vätern nach mehr Familienleben und jene von Müttern nach mehr Berufstätigkeit zu fördern.
In diesen Tagen verschickt die KAS ihr Leitbild auch an die Unionsabgeordneten im Bundestag. Die werden darin Sätze wie diese lesen: Die Familienpolitik lässt keine strategische Ausrichtung erkennen. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es wenig eindeutige und teilweise widersprüchlich Signale. Die Familienpolitik ist zersplittert: „Mehr als 150Maßnahmen und unübersichtliche Zuständigkeiten erschweren die Inanspruchnahme zustehender Leistungen.“ Wirtschaftliche Interessen stehen deutlich vor denen der Familien: „Es mangelt am unbedingten Willen, die Arbeitswelt in Deutschland familienfreundlicher zu gestalten.“ Die Mahnung der Adenauer-Stiftung: Familienpolitik sollte keine Leitbilder vorgeben, sondern die Vielfalt des Familienlebens und der dahinter stehenden Leitbilder vorbehaltlos akzeptieren.

Die Sätze werden nicht allen konservativen Abgeordneten gefallen, einem aber schon: Dem CDU-Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg, der familienpolitischer Sprecher der Unionsfraktion ist und selbst eine Lebensgemeinschaft führt, die laut Umfrage inzwischen von 97 Prozent vorbehaltlos als Familie angesehen wird. Er ist nicht verheiratet mit der Mutter seines dreijährigen Sohnes. Mit der Studie gebe die Adenauer-Stiftung einen Impuls, sagt Weinberg: „Es ist wichtig, dass wir in der Familienpolitik keine Modelle des Zusammenlebens als falsch oder richtig vorschreiben. Wir sind in einem Prozess der Veränderung von Familienleitbildern.“ Darauf müsse seine Fraktion politisch reagieren – wertegebunden und ohne dem Zeitgeist hinterherlaufen zu wollen. „Die Expertise führt zu einer Tempoverschärfung in der Wahrnehmung von Einstellungen von jungen Familien“, so Weinberg. Wenn das Familienbild der CDU nicht mit dem übereinstimme, was gesellschaftlich gewollt werde, bekomme die Partei Akzeptanzprobleme.

Warum Weinberg gegen Ladenöffnungszeiten am Sonntag ankämpfen wird, begründet er so: „Da spielt nicht nur das Thema Kirche eine Rolle, wirklich. Es ist nun mal einer der wenigen Tage, an denen die Familie für sich zur Ruhe kommen kann.“

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