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Ninjas mit Kameras

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Während auf Brasiliens Straßen Molotov-Cocktails fliegen, laufen im brasilianischen Fernsehen die Telenovelas. Eine Gruppe junger Reporter streamt deshalb von den immer noch andauernden Protesten live ins Netz. Vor kurzem wurden sie dafür verhaftet

Bevor Felipe zur Arbeit geht, setzt er sich eine Gasmaske auf oder schlingt sich ein Tuch um den Kopf mit den dunklen Locken. Der 28-Jährige schützt sich damit vor Tränengasbomben und Gummigeschossen. Felipe ist Ninja-Reporter. Sein Arbeitsplatz sind die Straßen von Sao Paulo, sein Arbeitsgerät ist ein Smartphone. In Brasilien demonstrieren die Menschen seit Wochen gegen die Korruption der Regierung, gegen die bevorstehende Fußball-WM und für bessere Krankenhäuser und Verkehrssysteme. Felipe und seine 50 jungen Kollegen vom Reporterkollektiv Midia Ninja berichten per Handy und Internet-Livestream darüber, was auf diesen Protesten in den Großstädten Brasiliens passiert.



Felipe (zweiter v.r.) mit seinen Ninja-Kollegen. Sie wollen zeigen, was etablierte Medien aussparen.

Während die Ninjas im Netz fliegende Molotov-Cocktails und Tränengasattacken zeigen,  läuft im brasilianischen Fernsehen allabendlich die Telenovela „Amor a vida“. Berichten TV-Sender doch über die Demos, dann meist regierungsfreundlich und aus sicherer Entfernung; zum Beispiel von einem Hubschrauber aus. Auch in Deutschland interessieren sich die Medien kaum noch für die Proteste in Brasilien, seit die Massen-Events Confed-Cup und Papst-Besuch vorbei sind. Dadurch wirkt es oft so, als seien die Demonstrationen vorbei. Dabei gehören die Proteste für viele junge Brasilianer mittlerweile zum Alltag.   Die Ninja-Reporter treten mit ihrer Berichterstattung im Kampf um die Meinungsmacht gegen ihre Kollegen aus den großen Medienkonzernen an: „Wir wollen das Mediensystem revolutionieren, den Zeitungen und Fernsehsendern hier kann man nicht mehr vertrauen“, sagt Felipe. Diese Unzufriedenheit mit klassischen Medien gibt es auch unter Demonstranten in anderen Ländern: Auch bei den Demonstrationen in der Türkei in diesem Sommer skandierten Protestierende „Die Medien haben sich verkauft!“ Einer der Gründe: Ein türkischer TV-Sender hatte eine Pinguin-Dokumentation gezeigt, während die Polizei Demonstranten attackierte. Auch in der Türkei verbreiten Aktivisten mittlerweile online eigene Nachrichten, vor allem per Twitter. Auf sozialen Netzwerken sind auch die Midia Ninjas sehr aktiv.



Mit dem Smartphone in der Menge. Ein Ninja-Reporter, ausnahmsweise ohne Tuch vor dem Gesicht.

Felipe ist einer der Mitgründer des Journalisten-Kollektivs und lebt mit 30 anderen Ninjas in einem Gemeinschafts-Haus in Sao Paulo. Das machen sie auch, um Geld zu sparen, denn im Moment finanzieren die Ninjas ihr Reporter-Dasein hauptsächlich durch Zweitjobs als Fotographen, Designer oder Kameraleute. Kennengelernt hat Felipe viele seiner jetzigen Kollegen in seinem Kommunikationswissenschaft-Studium. Damals organisierten sie zusammen unabhängige Musik-Festivals. Nicht alle leben in Sao Paulo; Midia Ninja hat auch Häuser in Belo Horizonte und Rio de Janeiro. Felipes Job hat keine richtige Beschreibung, er arbeitet wahlweise als Kameramann, Fahrer, Social Media Manager oder kümmert sich ums Marketing.

Traditionelle Medien werfen den Ninjas Parteilichkeit vor


Was Felipe und seine Kollegen machen, gefällt mittlerweile 157 000 Menschen auf Facebook – der brasilianischen Polizei allerdings gefällt es nicht: Undercover-Polizisten nahmen zwei der Ninja-Reporter auf einer Demo vor zwei Wochen in Rio de Janeiro fest. Begründung: "Anstiftung zur Gewalt". Da beide den gesamten Abend gefilmt und eindeutig nicht zu Gewalttaten aufgerufen hatten, musste die Polizei sie schließlich freilassen – nachdem Hunderttausende junge Brasilianer Fotos und Videos von der Festnahme im Netz verbreitet hatten und einige hundert vor dem Polizeirevier demonstrierten. Am nächsten Tag berichteten alle großen brasilianischen Medien über die Aktion. „Sogar das nationale Fernsehen hat ein Smartphone-Video von uns in den Nachrichten gezeigt, das hätten sie früher nie getan“, erzählt Felipe.   Traditionelle Medienhäuser wie die Tageszeitung „O Globo“ werfen den Ninjas aber Parteilichkeit vor. Denn die Reporter zwischen 20 und 35 filmen die Demonstrationen nicht nur, sondern protestieren auch oft selbst mit. Sie arbeiten zwischen Aktivismus und Journalismus. Felipe findet das in Ordnung: „Die traditionellen Journalisten sind auch parteiisch – sie zeigen das nur nicht offen, sondern tun so, als seien sie objektiv. Außerdem sind wir mit etlichen Kameras im Einsatz. So haben wir verschiedene Perspektiven auf die Proteste und zeigen sowohl das Verhalten der Demonstranten als auch das der Polizei.“ Mittlerweile beschäftigt sich sogar das US-amerikanische Journalismus-Labor „Niemann Lab“ mit den Ninjas. Sie loben, dass die jungen Reporter so transparent vorgehen.

Momentan arbeiten die Ninja-Reporter daran, die vielen hundert Informationen zu sortieren, die ihre Zuschauer ihnen jeden Tag senden. Sie müssen immer wieder entscheiden, was sie per Facebook und Twitter weiterverbreiten. Um die Kommunikation mit ihren Usern zu vereinfachen, bauen sie gerade eine neue Internetseite auf. Die Ninjas befinden sich in einer immerwährenden Experimentierphase. Einfluss auf die Arbeitsweise der traditionellen Medien haben sie übrigens jetzt schon genommen: Seit kurzem schicken große Medien eigene Smartphone-Reporter zu den Demonstrationen. Sie sollen den Ninja-Stil kopieren.  

Dieser Text entstand bei den Recherchen für das Journalismus-Experiment
Crowdspondent: Mission Brasilien. Bei diesem Projekt berichten Lisa Altmeier und Steffi Fetz aus Brasilien über die Themen, die ihnen ihre Leser vorschlagen.

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