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Die Macht der Nerds

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Die Karikatur hing an unzähligen Pinnwänden deutscher Studenten-WGs. Damals in den Neunzigern. Zu sehen war darauf ein Huhn. Links daneben ein Regenwurm, an dem es zerrt. Rechts ein Ei, das es gelegt hatte. Ein Pfeil mit dem Wort „Input“ wies zum Regenwurm, einer mit dem Wort „Output“ zum Ei. Und ein dritter Pfeil zeigte aufs Huhn: „Putput“.



So sah es bei der I/O 2013 aus. Die Entwickler-Konferenz von Google läuft in diesem Jahr von heute bis morgen und ist mehr als nur ein Klassentreffen der Nerds.

I/O, Input/Output. Das ist ein Fachbegriff aus der Informatik. Und es ist der Name, den Google einer Konferenz gegeben hat, die der Konzern alljährlich für Entwickler ausrichtet. Ein großes Klassentreffen der Nerds? In Wirklichkeit wird hier daran gearbeitet, wie Google immer stärker unser Leben prägt. Der Konzern aus Kalifornien ist schon heute die Macht im Internet: Google, mit mehr als 380 Milliarden Dollar eine der wertvollsten Firmen der Welt, machte zuletzt einen Gewinn von 18,7 Milliarden Dollar im Jahr.

Gefürchtet und bewundert.

Heute bestimmt Technik den Alltag so stark wie niemals zuvor. Und so hat sich auch die Rolle von Entwicklern stark verändert. Informatiker, das sind keine sonderbaren Wesen mehr. Es sind diejenigen, die an den Schalthebeln sitzen.

Wer sollte das besser wissen als die Nerds von Google? Sergej Brin, 40, und Larry Pag, 41, etwa, die einst den Internetkonzern gründeten, buhlen bereits um die nächste Generation. 5000 Entwickler hat Google zu seiner Konferenz in San Francisco eingeladen. Es geht um Kontaktpflege und zwar weit über die Schnittstellen von Software hinaus. Denn bei Google wissen sie ganz genau, dass das Internet letztlich nichts ist ohne all die Portale, Dienste, Netzwerke – kurzum: all die Anwendungen, die Nerds entwickeln. Dass Google mit seinem mobilen Betriebssystem Android zur zentralen Schaltstelle in der Welt der Smartphones wurde, liegt auch daran, dass der Konzern den Quellcode dafür offenlegte. So machte Google es Entwicklern besonders einfach, dafür Apps zu entwickeln.

Inzwischen hat Google sich die faktische Kontrolle über viele dieser Apps zurückerobert. Und inzwischen gibt sich Google auch nicht mehr mit Smartphones zufrieden, sondern streckt seine Fühler in andere Bereiche des Alltags aus: Android treibt auch Navigationsgeräte, Kameras und elektronische Lesegeräte an. Im Mittelpunkt der am Mittwoch beginnenden I/O soll das Betriebssystem Android Wear für Uhren und andere kleine Geräte stehen. Auch dafür dürfen Entwickler nun also Apps entwickeln. Apps für die eigene Fitness oder ein vernetztes Haus folgen.

Dabei geht es nicht nur um technische Fragen, sondern auch um die Hoheit über all die Daten, die diese Apps sammeln. Es geht um die Macht von Google. Denn der große Rivale Apple bastelt an ganz ähnlichen Dingen: Für Herbst hat der Konzern seinen Dienst Health Kit angekündigt, über den sich Fitness- und Gesundheitsdaten sammeln lassen. Mit einer smarten Armbanduhr will Apple dem Vernehmen nach das Weihnachtsgeschäft aufmischen. Und auch Apple wirbt dabei um die Gunst der vielen Entwickler. Aus gutem Grund.

Seit den Neunzigerjahren, seit jenen Zeiten, als das Vokabular von Nerds noch für Karikaturen taugte und die beiden Stanford-Absolventen Brin und Page in einer Garage an einer Suchmaschine tüftelten, hat sich viel getan: Die Technologien haben sich rasant entwickelt. Software kann heute nicht nur mehr leisten als vor 20 Jahren. Software ist heute auch schneller und billiger verfügbar. Das lockt immer mehr Entwickler an. Das Tempo, in dem neue Ideen entstehen, hat sich erhöht. Und damit werden auch die Nerds immer wichtiger. Sie sind nicht mehr die pickeligen Typen, die irgendwo im Keller einer Niederlassung sitzen – und nur angerufen werden, wenn ein Computer ein paar Stockwerke höher Zicken macht. Heute zieren Nerds wie Mark Zuckerberg, Gründer von Facebook, die Titelbilder von Magazinen. Heute setzen sich selbst Politiker eine Nerdbrille auf, wenn sie dynamisch wirken wollen.

Tim Höttges, der als Chef der Deutschen Telekom ebenfalls um die Gründer mit frischen Ideen und Tatendrang wirbt, macht gar einen Paradigmenwechsel aus: Die Old Economy, so sagte er kürzlich zu Entwicklern in Berlin, funktionierte wie folgt: „Ein Manager, für gewöhnlich mit einem Abschluss in Betriebswirtschaft, hat eine Geschäftsidee. Dann sucht er nach Geld. Schließlich stellt er ein paar Techniker, die Nerds, an, um ein Produkt zu bauen.“ Heute komme das Produkt zuerst. „Und der Nerd sitzt in der vordersten Reihe. Er entwickelt die Innovation. Dann sucht er Geld, zumeist Risikokapital. Der Umsatz folgt. Und er stellt den Typen mit dem BWL-Abschluss ein.“ Innovation, betont Höttges, habe viel damit zu tun, Werkzeuge zusammenzuführen, die bereits da sind.

Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass nicht nur die Telekom, der ehemalige Staatskonzern, jene Partner braucht, die aus einer schnöden Glasfaserleitung erst ein buntes Internet machen. Auch Google braucht App-Entwickler, die aus einem schnöden Smartphone – oder in Zukunft eben aus einem schnöden Thermostaten – etwas machen, das den Einzelnen im Alltag weiterbringt. Denn der Konzern hat zwar viel Geld, aber längst nicht mehr all die frischen Ideen eines Start-ups. 16 Jahre ist Google alt. In der Technologiebranche mit ihrem hohen Takt eine Ewigkeit.

Auch deshalb rief Larry Page auf der I/O vor zwei Jahren die Entwickler dazu auf, nicht in allem einen Konkurrenzkampf zu sehen, sondern an Innovationen für eine bessere Welt zu arbeiten. Sie sollten Freiräume für Forschung schaffen, so sein Appell. Viele „aufregende Sachen“ könne man derzeit nicht ausprobieren, weil sie illegal seien. Das klang gruselig. Gerade in den Ohren von vielen Deutschen. Hier trifft Sorge um die Privatsphäre auf Technikscheu. Und immer mehr Menschen blicken mit Argwohn auf Google.

Im Alltag schätzen viele zwar die bequemen und kostenlosen Dienste von Google. Zugleich fürchten Datenschützer und Kartellwächter, dass der Konzern durch die gesammelten Daten eine enorme Macht erlangt. Schon heute nutzen neun von zehn Deutschen Google, wenn sie etwas im Internet suchen. Wenn Google die Angebote von Wettbewerbern weiter unten listet, dann macht der Konzern seine Konkurrenten faktisch unsichtbar. Brüssel prüft eine solche Beschwerde. Aber was, wenn Google erst ähnlich rüde mit den Rivalen im vernetzten Haus, im Gesundheitswesen oder in der Autobranche umgeht? Die Zeiten, in denen die Nerds nur belächelt wurden, sie sind vorbei.

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