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König ohne Krone

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Madrid – Tausende rot-gelb-rote Fahnen flatterten im heißen Wind entlang der Strecke vom Parlament zum Königsschloss quer durch das Herz Madrids. Zehntausende säumten den Weg des frisch gebackenen Königspaars Felipe und Letizia in seinem Dienstwagen, einem schwer gepanzerten Großraum-Rolls-Royce. Die beiden kamen vom wichtigsten Tagesordnungspunkt, der Königsproklamation im Parlament. Die war zwar feierlich, aber nicht prächtig: Es gab keine Krone auf das Königshaupt und kein Zepter in die Herrscherhand, beides war wohl auf einem Samtkissen ausgestellt.



Trägt wie sein Vater Juan Carlos nie eine Krone: König Felipe VI.

Dabei wird es auch bleiben: Man wird Felipe VI. nie mit einer Krone auf dem Kopf sehen. Das hat sein Vater Juan Carlos auch schon so gehandhabt. Der hat sich ja gern als leutseliger Bürgerkönig gegeben und vor drei Jahrzehnten nebenbei auch einmal die Demokratie gerettet.

Große Fahnen, kleine Fähnchen, Blumengebinde in rot-gelb-rot – Jubelstimmung wollte trotzdem nicht so recht aufkommen. Am liebsten hätten viele Madrilenen die Fahnen wohl auf Halbmast gesetzt und Trauerflor an die Antenne des Rolls- Royce gebunden. Am Abend vorher hatte es schließlich ein Trauerspiel gegeben: Die Nationalmannschaft, amtierender Europa- und Weltmeister, ist nach einer bemitleidenswerten Vorstellung schon in der Vorrunde der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien ausgeschieden. Beim Untergang der einst so gefürchteten „Furia roja“, was wörtlich „rote Raserei“ heißt und anerkennend gemeint ist, litten fast 70Prozent aller Spanier vor den Fernsehgeräten mit, die Abdankung Juan Carlos‘ ein paar Stunden zuvor wollte sich dagegen nur jeder Zehnte seiner Untertanen live ansehen.

Dabei hat die kleine, frugale Zeremonie durchaus ein paar Einblicke in die königliche Familienaufstellung erlaubt. Die wie immer streng frisierte und dreinblickende Königin Sofía, die es schafft, gleichzeitig resolut und milde zu wirken, bugsierte den leicht orientierungslos wirkenden Monarchen zu seinem Sessel. Der trug an seinem letzten Arbeitstag als König nicht nur keine Krone, sondern nicht einmal eine seiner vielen Uniformen mit dicken Ordenssternen und Schärpe. Stattdessen begnügte er sich mit einem schlichten grauen Anzug und fliederfarbener Krawatte. Als er die Abdankungsurkunde unterschrieb, klatschten die Honoratioren, wobei nicht klar war, ob der Beifall seinen 39 Jahren als König galt oder der allgemeinen Erleichterung über seinen Abgang nach all den Malaisen und Kalamitäten der letzten Jahre entsprang. In Großaufnahme war zu sehen, dass die von der Herrscherarbeit müde gewordenen Augen feucht wurden; verstohlen wischte sich Juan Carlos, der einst so sehr Gemochte und zuletzt so Geschmähte, eine Träne aus dem Augenwinkel.

Dann aber kam das Fußballdebakel. Es bescherte der ganzen Stadt, die sich nach dem Champions-League-Finale zwischen den beiden Lokalrivalen Real und Atletico vor vier Wochen noch als Herz der globalen Kickerkunst gewähnt hatte, einen Anfall tiefster Schwermut. Eine Zeitung setzte über ein Foto der geknickt vom Fußballplatz schleichenden Helden die Überschrift: „Der Friedhof der Könige.“
Die Könige sind tot, es lebe der neue König Felipe VI.! Der nahm seine Arbeit am Donnerstagvormittag ohne väterlichen Beistand auf, Juan Carlos war zu Hause geblieben. Nicht, weil er sich wegen der lahmen „roten Furie“ so gegrämt hätte, sondern, so hatte er es schon vorher angekündigt: Er wolle als Altkönig der neuen Nummer eins nicht die Schau stehlen.

Die große Schau gab es im Parlament aber ohnehin nicht. Es waren ja keine anderen gekrönten Häupter da, keine Staatspräsidenten, keine Kardinäle, die ein paar Tupfer in Rot gesetzt hätten. Bescheidenheit in Zeiten der Krise und der wachsenden Kritik an der Monarchie lautet ja die Parole des neuen Königs, außerdem sagt die Verfassung: Staat und Kirche sind getrennt. Es gab nicht einmal Fanfarenstöße, Hurrarufe und wegen der Brandschutzvorschriften auch keine Ehrensalve der Garde im Parlament. Felipe, in der Uniform des Generalkapitäns, des Oberkommandierenden, schwor auf die Verfassung, dass er seinen Untertanen nur Gutes tun werde, und anschließend erklärte er lang und breit, wie er das bewerkstelligen wolle, ein guter König zu sein. „Die Krone muss die Nähe zum Bürger suchen“, sagte der 46-Jährige, das Königshaus müsse wieder zu einer „moralischen Autorität“ werden.

Seine Frau Letizia, ganz in gedecktem Weiß, die einstige Fernsehmoderatorin und Tochter eines Taxifahrers, lächelte dazu. Sonst so unnahbar, wirkte sie entspannt, als freue sie sich auf den neuen Job als Königin. Und die neue Thronfolgerin Leonor, eine Achtjährige mit großen graublauen Augen, das blonde Haar offen mit zwei neckischen Zöpfchen, rutschte dazu auf ihrem viel zu großen Sessel hin und her und wippte mit den Beinen – genauso wie ihre eineinhalb Jahre jüngere Schwester Sofía, ebenfalls blond, aber ohne Zöpfe.
Ob Leonor je ihrem Vater nachfolgen wird? In der linken Opposition hält man nichts davon, man will bis dahin eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Monarchie gewinnen. Auch gibt es noch ein Problem für die süße Leonor: Sie darf kein Brüderchen mehr bekommen. Denn das hätte nach der jetzigen Rechtslage Vorfahrt auf dem steinigen Weg zur Königsproklamation. Diese aus der Vorgenderzeit stammende Regel hat schon Felipe genutzt, der zwei ältere Schwestern hat. Die hatten auch an diesem Fronleichnamstag wieder das Nachsehen: Sie haben nämlich nicht nur reichlich Sorgenfalten wegen diverser Probleme mit Ehemann respektive Ex-Mann, sondern verlieren mit dem Karrieresprung des Jüngsten auch ihre Privilegien als Mitglied des Königshauses. Dem gehören nun nur noch die Altmajestäten Juan Carlos und Sofía sowie das neue Königspaar mit den beiden Töchterchen an.

Elena, die älteste Schwester Felipes, seit ihrer Scheidung alleinstehend, ließ sich nichts von ihrem Gram über ihren Abstieg anmerken, sondern gab den blonden Nichten die gute Tante. Die jüngere Schwester Cristina aber war erst gar nicht gekommen: Ihr Mann Iñaki Urdangarin steht wegen Urkundenfälschung und Unterschlagung öffentlicher Gelder vor Gericht. Nun gehört er nicht mehr dem Königshaus an. Sollte er hinter Gitter wandern, wäre das eine Privatsache, aber keine Staatsaffäre mehr. So erfreulich haben sich die Dinge für seinen Schwager Felipe entwickelt.

Die Frage aber war an diesem windigen Junitag, ob der Untergang der Furia roja der Schlussstrich war unter die Regierungszeit des zuletzt wenig populären Juan Carlos, der nicht den richtigen Umgang mit den Nöten seines Volkes fand. Oder war das WM-Aus eher ein schlechtes Omen für Felipe VI.? Jedenfalls meinten ein paar Kommentatoren, dass sich die Terminplaner des Königshauses verkalkuliert hatten: Diese wollten angeblich die Proklamation des neuen Königs in die allgemeine Hochstimmung des fest eingeplanten Siegeszuges der Fußballer einbetten; die Royals also in der Krisenstimmung von den Königen des grünen Rasens profitieren lassen. Diese Taktik, sollte man am Hofe so gerechnet haben, ist jedenfalls nicht aufgegangen. Felipe VI. muss sich jetzt noch mehr anstrengen, um seinen Untertanen Frohsinn zu vermitteln.

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