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Zahl doch, was du willst!

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Nürnberg – Auf der Theke stehen die ersten offenen Weinflaschen, die Lichterketten sind angeschaltet, der DJ hält sich mit den Beats noch zurück und sorgt für ein unaufdringliches Hintergrundrauschen. In der Nürnberger Weinerei, einer kleinen Kellerbar am Prinzregentenufer, wartet man darauf, dass der Samstagabend beginnt. Ein paar Studenten sind bereits da, zwei Mädchen in dunklem Blazer und Blumenstrickjacke nippen an ihren Gläsern. Wie viel sie der Wein kosten wird, ist noch unklar – die Gäste werden am Ende des Abends selbst entscheiden, was sie zahlen. Denn in der Weinerei gilt das Prinzip: Pay what you want, bezahle, was du willst.



In einigen Lokalen in deutschen Großstädten, den USA, Australien oder Indien entscheiden die Kunden über die Bezahlung.

Einen Gleichgewichtspreis aus Angebot und Nachfrage wie in ökonomischen Lehrbüchern gibt es hier nicht, die Kunden haben die volle Entscheidungsmacht. In den vergangenen Jahren hat das Modell an Popularität gewonnen. Nicht nur in deutschen Großstädten, auch in den USA, Australien oder Indien setzten einige Gastronomen auf das Prinzip „Pay what you want“. Dabei verspricht das Konzept auf den ersten Blick eher wenig Erfolg: Warum sollen Menschen angemessen für etwas zahlen, wenn sie genauso gut nichts bezahlen können, oder zumindest sehr wenig?

Die Betreiber der Weinerei stellen sich diese Frage nicht mehr. Seit zwölf Jahren funktioniert für sie das Bezahlmodell, das sich ganz auf die Loyalität der Kunden verlässt. „Zwei Euro zahlt man beim Eintritt für das leere Glas an Miete, pro eingeschenktem Wein geben die meisten Gäste durchschnittlich etwa zwei bis 2,50 Euro“, erzählt Ulrich Schultze. Er ist Vorsitzender des Nürnberger Vereins „Gesellschaft zur Förderung von Kunst und Kultur in Europa“, der hinter der Weinerei steht. Mit 2,50 Euro lägen die Kunden zwar unter dem Marktpreis für ein Glas, das koste in der Innenstadt deutlich mehr. Doch es reiche, um unter dem Strich so viel einzunehmen, dass die Weinerei sich selbst trägt. Man muss dazusagen: Da der Verein gemeinnützig ist und Schultze und seine Mitarbeiter ehrenamtlich arbeiten, fallen keine Lohnkosten an.
Zwei Gehälter könne man von den Einnahmen aber sicherlich finanzieren, meint Schultze, der unter der Woche als Architekt arbeitet. Die Weinerei schreibe seit ihrer Eröffnung schwarze Zahlen, wie viel das Team genau im Jahr einnimmt, will der 47-Jährige nicht sagen. Dass jemand tatsächlich keinen Cent bezahle, passiere jedoch so gut wie nie.

Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch immer seinen eigenen Nutzen maximieren möchte, könnte man das überraschend finden. Marcus Kunter überrascht es nicht. Der Betriebswirtschaftler forscht an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen zu „partizipativen Preismodellen“ und weiß: „Wenn man einer anderen Person in die Augen sehen muss, das heißt, wenn man nicht anonym ist, trauen sich vielleicht ein bis zwei Prozent ohne Bezahlung zu gehen. Der Rest wagt das nicht, sei es aus Scham oder aus Furcht vor einem schlechten Gewissen“.

Es ist kein Zufall, dass das Modell vor allem in der Gastronomie beliebt ist. Hier reden die Menschen viel miteinander, diesen sozialen Kit braucht es. Denn wenn niemand sieht, wie wenig man zahlt, huschen die meisten eben doch schnell an der Kasse vorbei – im Internet mache es allein schon einen Unterschied, ob man seine Daten angeben müsse oder nicht, sagt Kunter: „Wer im Internet einen beliebigen Preis verlangt und volle Anonymität gewährt, fährt damit meistens schlecht“.

Wer sein Gegenüber aber direkt auffordert, sich für einen Betrag zu entscheiden, kann profitieren. Ju-Young Kim von der Goethe-Universität Frankfurt am Main hat gemeinsam mit Kollegen herausgefunden, dass „Pay what you want“ in den meisten Fällen kurzfristig zu einem höheren Umsatz führt. Nicht unbedingt, weil sich alle Kunden so fair verhalten und einen angemessenen Preis zahlen, sondern vor allem, weil die Preisfreiheit so viele neue Kunden anzieht. „Der Zustrom kompensiert, dass andere im Zweifelsfall nur wenig geben“, sagt Kim.

Die zwei Studentinnen, die gerade ihr erstes Glas Wein in der Hand halten, gehören zu letzterer Gruppe. Sie sind hergekommen, um für wenig Geld noch viel zu trinken, bevor es in den Club geht. Sie behaupten zwar, dass sie das Konzept unterstützen und immer angemessen zahlen, doch sie erwähnen im nächsten Satz, dass es für fünf Gläser Wein etwa fünf Euro sind. Ein paar Tische weiter hat gerade eine größere Gruppe Platz genommen, alle etwa um die 20 Jahre alt, alle das erste Glas Wein in der Hand. Einer von ihnen erzählt, dass er meistens mehr als in anderen Bars mit festen Preisen gebe. Er sei sich bewusst, dass die Weinerei nur so überleben könne, deswegen zahle er auch entsprechend. Ein Grund, warum das Modell bei großen Konzernen wie beispielsweise Burger King wohl weniger gut funktionieren würde – die haben es doch nicht nötig, würden sich die Kunden denken. Ein soziales Image dagegen kann die Preise nach oben treiben.

„Als sich das Konzept nach der Eröffnung in der Stadt herumsprach, kamen eine Zeit lang so viele Leute, dass es schwer war, überhaupt die Kontrolle zu behalten“, erzählt Betreiber Schultze. Mittlerweile ist der Hype etwas zurückgegangen, auf den Ledersofas mischt sich jedes Wochenende Stammpublikum mit immer wieder neuen Gästen. Ob sie alle im Schnitt heute weniger oder mehr als vor zwölf Jahren zahlen, kann Schultze nicht sicher sagen.

Studien zu „Pay-what-you-want“-Modellen sind meist auf kurze Frist angelegt, ob das Modell auch über Jahre hinweg funktioniert, ist deshalb schwer zu belegen. Betriebswirtschaftlerin Ju-Young Kim stellte zwar fest, dass in einem persischen Restaurant in Frankfurt die gezahlten Preise nach einem Jahr sogar gestiegen waren. Mittlerweile allerdings, nach acht Jahren „Pay what you want“, sind die Gäste dort zahlungsmüde geworden: „Während sie früher im Schnitt noch etwa 6,50 Euro gaben, sind es heute um die zwei Euro weniger“, erzählt der Inhaber des Restaurants Kish, Pourya Feily. Er hat dafür eine einfache Erklärung: Seine Gäste haben heute eben weniger Geld.

Markus Kunter von der Hochschule Aachen würde dagegen anders argumentieren: „Mittel- bis langfristig sinkt die Zahlungsmoral meist ab“, sagt er. Pourya Feily gewährt seinen Gästen sowieso nur mittags beim Buffet die volle Preisautonomie, abends stehen feste Preise in der Speisekarte. Die Idee: Leute, die mittags vom niedrigen Preis angezogen werden und denen das Essen schmeckt, kommen irgendwann auch abends und zahlen dann mehr. Noch funktioniert das trotz der gesunkenen Beträge am Mittag, noch will Feily sein Konzept nicht aufgeben.

Auch in der Weinerei hat man nicht vor, in Zukunft fixe Preise vorzuschreiben. Wobei man hier in all den Jahren vor allem eines gelernt hat: Viele leer getrunkene Weingläser füllen noch keine Kasse. Mit steigendem Alkoholpegel werden es meist weniger Münzen, die die Gäste aus ihrem Geldbeutel holen. Wenn weniger getrunken wird, geben die Leute im Schnitt mehr. Wohl ein wichtiger Unterschied zu anderen Bars. Denn wenn Schultze nach einer langen Nacht die Weinerei zuschließt und ein ruhiges Wochenende hinter sich lässt – dann war das für ihn nicht unbedingt ein schlechtes. In der nächsten Zeit steht allerdings ein anderes Thema im Vordergrund, denn die Weinerei verlässt im Juli das Prinzregentenufer. Die Betreiber haben woanders Räume gefunden und nehmen das zum Anlass, um in den Ausstellungsräumen „Fotos, Kram und Zeugs aus den letzen Jahren und Jahrzehnten unseres Kulturwohnzimmers“ zu zeigen, wie es auf der Homepage heißt. Und natürlich wird gefeiert. Wie viel Geld bei der Abschiedsparty wohl zusammenkommen wird?

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