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Griechenland und die Kehrwoche

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Die Troika sollte sich nicht wie ein schwäbischer Hausmeister verhalten, der auf der Treppe nach Staubkörnern sucht.

Bundeskanzlerin Merkel hat die deutsche und europäische Diskussion mit dem Bild der schwäbischen Hausfrau bereichert und geprägt. Der Kernsatz "Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben", beziehungsweise man sollte nicht mehr ausgeben als man einnimmt, ist zur Leitlinie des ambitionierten Reformprogramms geworden, das Griechenland seit 2010 durchführt. Dabei ist jedoch der Maßstab der Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit aus den Augen verloren worden. Das Reformprogramm, das im Kern das Potenzial hat, Griechenland zu erneuern, steht vor dem Scheitern schon in diesem Herbst.

Denn die Ergebnisse von drei Jahren Austeritätspolitik sind gemischt. Zwar nähert sich der Haushalt des griechischen Staates dem schwäbischen Standard. Durch massive Ausgabenkürzungen und leichte Mehreinnahmen konnte das Defizit von 15 Prozent aus 2009 auf knapp drei Prozent im Jahr 2012 gedrückt werden, in diesem Jahr wird sogar ein leichter Überschuss (vor Zinsen) erwartet. Athen hat seine Ausgaben von gut 112 Milliarden im Jahr 2009 auf etwa 96 Milliarden im Jahr 2012 reduziert, unter anderem durch die Reduzierung der Zahl der öffentlichen Angestellten um weit mehr als 100000.



Eine Gewerkschaftsdemonstration in Athen

Die Kehrseite dieser Erfolge ist die dramatische Entwicklung der griechischen Gesellschaft. Viele Menschen sind verarmt oder durch Gehaltskürzungen und Steuererhöhungen von Armut bedroht. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 27 Prozent, die Arbeitslosenunterstützung wird aber nur für zwölf Monate bezahlt. Danach sind Arbeitslose auf die Hilfe von Familien und Freunden oder Wohlfahrtseinrichtungen der Kommunen oder Kirchen angewiesen. Krankenhäuser und Schulen laufen im Sparmodus und können sich teils das Nötigste wie Verbandsmaterial und Heizöl nicht mehr leisten. Langzeitarbeitslose verlieren ihre Krankenversicherung. Für sie bleiben nur die Krankenstationen der "Ärzte ohne Grenzen" oder anderer karitativer Organisationen. Gleichzeitig blüht die Steuerhinterziehung wie in besten Zeiten, und mehrere Listen von Bankkunden in der Schweiz und in Luxemburg liegen ungenutzt in griechischen Ministerien.

Das Reformprogramm hat mit seinen Kürzungen und Steuererhöhungen bisher einseitig die Arbeitnehmer der griechischen Mittelschicht getroffen. Bei einem mit Deutschland vergleichbaren Preisniveau haben sie gut ein Drittel ihres Haushaltseinkommens verloren. Verbunden mit der hohen Arbeitslosigkeit und politischer Radikalisierung ergibt sich ein explosives soziales Gemisch.

Es ist unverständlich, warum sich die Troika aus IWF, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank angesichts dieser Entwicklungen weiterhin massiv auf die Entlassung einer kleinen Zahl von Staatsbediensteten konzentriert. Dieser Aspekt steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit der griechischen Regierung, sodass die Auszahlung der letzten Kredittranche sogar kurzfristig verweigert wurde, weil noch 80 Namen auf der Liste der zu Entlassenden fehlten. Das ist Wasser auf die Mühlen der Opposition, die lautstark gegen das aufoktroyierte Diktat der Massenentlassungen wettert und Neuwahlen fordert. Hier hat die Troika offensichtlich das Bild der schwäbischen Hausfrau missverstanden. Sie verhält sich in den Verhandlungen mit der griechischen Regierung wie ein schwäbischer Hausmeister bei der Kontrolle der Kehrwoche. Treppenstufe für Treppenstufe wird geprüft, ob auch wirklich jedes Staubkorn entfernt wurde. Gerade die Entlassung der Staatsangestellten wirkt wie das legendäre "Kehrwochensteinle", der winzige Kiesel, den der findige Hausmeister vorher platziert hat, um zu prüfen, ob die Kehrwoche eingehalten wird. Die Stabilität des Treppenhauses scheint irrelevant.

Es wird übersehen, dass das griechische Reformprogramm auf wackeligen Füßen steht. Die beiden Regierungsparteien stehen unter Druck, bald messbare Erfolge der Einschnitte vorweisen zu müssen. Positive Haushaltszahlen reichen dazu nicht aus, es muss sich eine fühlbare Verbesserung für die Bevölkerung ergeben. Gleichzeitig bleibt der Schuldenberg in schwindelerregender Höhe. Und solange die Wirtschaft weiter schrumpft, ist unklar, wie Athen dies abbezahlen soll. Daher kursiert in der griechischen Presse immer wieder die Hoffnung auf einen zweiten Schuldenschnitt nach der Wahl in Deutschland.

Sobald aber im Oktober deutlich werden wird, dass es auf absehbare Zeit keinen Schuldenerlass geben wird und die jetzige Politik der Entlassungen und Einsparungen fortgesetzt werden muss, kann das politische Fundament der Reformen wegbrechen. Das Ergebnis wären Neuwahlen mit einem wahrscheinlichen Wahlsieg der linksradikalen Partei SYRIZA. Der künftige Ministerpräsident wäre dann Alexis Tsipras, der Mann, der fordert, dass Athen aufhört, Zinsen zu bezahlen und die Schulden einseitig aufkündigt. Die aktuelle Politik der Kreditgeber könnte dazu führen, dass ihm das Land in einer solchen Situation auf dem Silbertablett überreicht wird. Den Haushaltsüberschuss, der die Vorgängerregierung den Kopf gekostet hat, könnte er für gezielte soziale Maßnahmen nutzen, gleichzeitig die Steuern für Reiche deutlich erhöhen und somit seinen Rückhalt festigen. Zudem könnte er der Troika wie angekündigt die Stirn bieten und die Kredite entweder tatsächlich aufkündigen oder zumindest bessere Konditionen für Griechenland aushandeln. Die Folgen für die Finanzmärkte und die Haushalte der Kreditgeber sind kaum absehbar.

Daher muss ein anderes politisches Signal aus Berlin und Brüssel kommen, und die Troika muss dies entsprechend umsetzen. Es reicht nicht, das Leid der griechischen Rentner aus der Ferne zu beklagen, während in Athen Entlassungen gefordert werden. Der Druck auf die griechische Regierung muss aufrechterhalten werden. Aber das vorrangige Ziel muss sein, die Steuerhinterziehung härter anzugehen und diejenigen, die ihr Geld ins Ausland geschafft haben, mit in die Verantwortung zu nehmen. So wie bislang Kürzungen durchgesetzt wurden, sollte die Regierung von ihren Partnern angehalten werden, auch die Teile der Bevölkerung unter Druck zu setzen, die kürzlich auf obszöne Art auf Mykonos gefeiert und dabei Wolfgang Schäuble verhöhnt haben.

Das entspräche viel eher der schwäbischen Hausfrau. Sie murrt hin und wieder, hat im Kern aber ein sehr ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Sie würde es nicht dulden, dass die Mieter aus dem Souterrain die Kehrwoche jeden Samstag penibel machen müssen und die Eigentümer aus der Beletage sich dazu vielleicht Ostern und Weihnachten herablassen.

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