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„Antworten, auch wenn die Haare schlecht sitzen“

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Es geschah während der Finanzkrise. Eine Bank nach der anderen brach zusammen, Lisa Kassenaar berichtete als Reporterin für die Finanznachrichten-Agentur Bloomberg von der Wall Street. Da sei ihr plötzlich aufgefallen, dass ihre Ansprechpartner nur Männer waren, erzählt sie. Und nicht nur ihr, sondern auch ihren Chefs. Seit vier Jahren darf sie sich deshalb Editor at large for global Women’s coverage nennen. Das Ziel: Frauen sollen in der Berichterstattung von Bloomberg als Quellen einen größeren Platz einnehmen.



Irene Natividad (mitte) ist die Gründerin des Global Summit. Sie schneidet allen das Wort ab, die meinen, es gäbe nicht genügend Expertinnen.

Es ist ein Phänomen, von Studien belegt: 20 Prozent oder weniger aller Befragten, die im Fernsehen, im Radio oder beispielsweise auf der Titelseite der New York Times zu Wort kommen, sind Frauen. „Die Stimmen von Frauen werden nicht gehört“, sagte Monica Smiley, Gründerin des US-Magazins Enterprising Women, das eine Million Leserinnen in aller Welt hat. Auf dem Global Summit of Women in Paris war das ein wichtiges Thema. Denn: Kommen Frauen nicht prominent vor, werden sie auch von anderen nicht um ihre Meinung gebeten. Außerdem fallen sie als Vorbilder aus.

Verstärkt wird das durch das Handtaschen-Problem: Als sie neu im Amt und auf ihrem ersten Staatsbesuch gewesen sei, hätten alle nur darüber diskutiert, ob sie eine zu große Handtasche getragen habe, erzählt Finnlands ehemalige Präsidentin Tarja Halonen. Wenn Medien über Frauen berichten, geht es tatsächlich immer noch um den Ausschnitt, die Augenringe, die Farbe der Jacke; Angela Merkel hätte dazu viel zu berichten. Dabei gibt es viele Expertinnen. Sie machen sich nur nicht ausreichend sichtbar. Das sagt auch Anne-Cécile Sarfaty, Chefredakteurin der Frauenzeitschrift Elle: „Wenn Männer ein Buch geschrieben haben, betrachten sie sich noch 15 Jahre später als Experte zu einem Thema.“ Frauen hingegen äußerten sich erst, wenn sie glaubten, wirklich alles an einer Sache zu verstehen.

Bloomberg hat für seine 2400 Mitarbeiter deshalb folgende Vorgaben entwickelt: Erstens sollen die Reporter mehr Frauen als Quellen und Zitatgeber nutzen. Zweitens sind sie verpflichtet, die wichtigsten Frauen der Branche zu kennen, über die sie berichten. Dies habe zum Beispiel einem Reporter sehr genutzt, als der Autokonzern General Motors plötzlich mit Mary Barra eine Chefin bekam. Drittens richtet Bloomberg mit hilfe seiner Leser eine Datenbank mit Expertinnen ein, um immer genug Frauen für Konferenzen aufbieten zu können. Und viertens wird darüber geschrieben, wenn Konzerne allzu männlich daherkommen. „Kollegen holen sich bei mir auch Rat“, sagt Kassenaar.

Cassandra Kelly, Gründerin und Vorstandsvorsitzende des australischen Finanzberatungskonzerns Pottinger, hat ein einfaches Mittel gefunden, um Druck auszuüben. „Wenn ich zu einer Konferenz eingeladen bin, sage ich immer, ich komme nicht, wenn keine anderen Frauen auf dem Podium sitzen“, sagt sie. Dies wirke, weil sie sehr gefragt sei.

Das beste Mittel sei aber immer noch Geld, sagt Anna Serner, Vorstandschefin des Schwedischen Film-Instituts. Als sie ihr Amt angetreten habe, sei sie entsetzt darüber gewesen, wie schlecht Frauen in Filmproduktionen repräsentiert waren. Filmförderung sei jedoch ein mächtiges Instrument. „Die Firmen finden plötzlich Frauen, weil sie unser Geld wollen“, sagt Serner. Seit dem Jahr 2000 habe sich zum Beispiel der Anteil der Filme mit Drehbuchautorinnen verdoppelt, der mit Produzentinnen sei um ein Drittel gestiegen. „Verpassen Sie niemals eine Gelegenheit, um sich sichtbar zu machen“, lautet der Ratschlag von Elle-Chefredakteurin Sarvaty. Frauen hätten oft mit Beruf und Familie so viel zu tun, dass sie glaubten, die Zeit für Interviews könnten sie sich sparen. Aber dies sei ein Fehler. Also nicht zweifeln, nicht erst noch ein weiteres Buch lesen wollen. Und auch nicht auf den Friseurtermin warten. Wie Brigitte Gresy, Mitglied der französischen Gleichstellungskommission es formuliert: „Wir müssen immer antworten, wenn die Medien anrufen, auch wenn unsere Haare gerade schlecht sitzen.“

Irene Natividad, Gründerin des Global Summit, schneidet übrigens allen das Wort ab, die meinen, es gebe schlicht nicht genügend Expertinnen. „Es gibt nicht nur genug Frauen, es gibt herausragende Frauen im Überfluss“, sagt sie.

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