Als Sozialunternehmer ist er mal ausgezeichnet worden, und man merkt Michael Stenger an, dass er das damals recht komisch fand. Es ist doch eine Schule, die er aufgebaut hat, „Schlau“ nennt sie sich und ist nur für junge Flüchtlinge da. Er und Unternehmer? Er erzählt gerade noch von der Aufregung in der Schulszene, weil seine Münchner Einrichtung jetzt auch noch für den Deutschen Schulpreis nominiert war, da klingelt das Telefon. Eine Kollegin aus dem zweiten Stock. Eilig, sehr eilig. Ob sie sein Auto haben könne. Sie muss schnell zu einem Schüler. Geht ihm nicht gut. Suizidgefahr. Michael Stenger erschrickt, aber bleibt sitzen. Früher, erzählt er, wäre er bei so einem Notfall gleich selbst gestartet, er war immer und überall in der Schule, er hat sie ja auch gegründet, vor 14 Jahren war das. Sie ist nicht nur ein Lernort, Schlau ist fürs Leben da. Hilfe in Not inklusive.
Ifeanyi aus Nigeria besucht gemeinsam mit etwa 220 anderen Flüchtlingen die SchlaU-Schule.
So wie jetzt, um 16.40 Uhr. Eigentlich gleich Feierabend. Keine Frage, dass jemand zu dem Schüler fährt, keine Frage, dass der Chef sein Auto hergibt, „wir lassen ihn auf keinen Fall alleine“. Stenger fingert den Autoschlüssel von seinem Schlüsselbund, die Kollegin stürmt zur Tür herein, es ist jetzt nicht die Zeit für viele Worte. Ist es wirklich der?, fragt Stenger. Ja, der. Er kennt den Schüler und mag es gar nicht glauben, der Junge wirkte doch so stabil. Ist es wieder die Angst vor der Abschiebung? Sie muss ihn in dieses Tief gezogen haben, vermutet Stenger. Er, der große, starke Mann mit den mächtigen Haaren, spricht jetzt ganz leise.
Die Schlau-Schule ist jetzt von der Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen des Deutschen Schulpreises mit dem „Preis der Jury“ ausgezeichnet worden, auch wegen dieses sozialen Engagements. Stenger hat Schlau gegründet, weil junge Flüchtlinge, viele von ihnen ohne Eltern, sprachlos im fremden Land und oft traumatisiert, im normalen Schulbetrieb keine Chance hätten. „Schulanaloger Unterricht für junge Flüchtlinge“, so nennt sich die Schule ausgeschrieben. Klingt bürokratisch – ist aber sehr lebendig und intensiv. Weil die Klassen so klein sind, mit maximal 16 Jugendlichen, weil Lehrer und Sozialpädagogen sehr individuell mit den jungen Leuten arbeiten, die aus der ganzen Welt kommen. Und so schlägt es aufs Schulleben durch, wenn die Politik in Berlin irgendein Land in Afrika oder Asien für sicher erklärt – und abzuschieben beginnt. Aktuell nach Senegal zum Beispiel, oder nach Afghanistan. Das bringt die jungen Flüchtlinge, die sich gerade mühsam stabilisiert haben, oft völlig aus dem Tritt. Warum sollen sie sich bei diesen Aussichten eine Perspektive in Deutschland erarbeiten? Diese Zweifel fordern die Sozialpädagogen bei Schlau, allesamt Experten im Umgang mit unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen.
Wieder klingelt Stengers Telefon. Kommando zurück. Der Schüler, zu dem sie gerade aufbrechen wollten, sitzt in der S-Bahn auf dem Weg in die Schule, sie haben ihn gerade erreicht. Die größte Gefahr ist gebannt, Stenger kriegt seinen Autoschlüssel zurück. „Hätten sie die Angst vor der Abschiebung nicht, unsere Leute könnten noch viel besser lernen.“
Der Schulgründer hat sich im vergangenen Jahr aus der operativen Leitung der Schule zurückgezogen, das machen jetzt Antonia Veramendi und Melanie Weber. Stenger sieht sich inzwischen als „Flüchtlings- und Bildungslobbyist“ und sagt, er müsse aufpassen. Dass die Kollegen in den Regelschulen ihn nicht als Besserwisser wahrnehmen, wegen seiner Erfolgsquote. Etwa 95 Prozent der Schlau-Schüler schaffen den Hauptschulabschluss. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Bosch-Stiftung Schlau jetzt 25000 Euro Preisgeld zukommen lässt. Durch engagierte Begleitung der Schüler, weit über den Abschluss hinaus, schaffe es die Schule, jungen Flüchtlingen eine Perspektive zu eröffnen, schreibt die Jury. Die Lehrer, geschult im Umgang mit Deutsch als Fremdsprache, haben ihr Unterrichtsmaterial selbst erstellt; die üblichen Bücher taugen nicht für Jugendliche, die in kürzester Zeit neben dem üblichen Stoff auch die Sprache lernen müssen. Mehr als 1500 Schüler haben Schlau durchlaufen. Derzeit besuchen gut 220 Jugendliche die Einrichtung in der Münchner Innenstadt. Zwei Drittel der Lehrerkosten finanziert der Freistaat Bayern.
Nelson Osakue, 21, aus Nigeria, und Mohammad Omar Rahmatyar, 19, aus Afghanistan, sind letztes Jahr dazugekommen. Sie mussten nicht, wie viele andere, erst in eine Alphabetisierungsklasse, sie hatten schon viele Jahre in der Heimat die Schule besucht. Nach wenigen Monaten sprechen sie gut Deutsch. Und in einem Jahr wollen sie Berufe erlernen. Osakue will Bankkaufmann werden und später am liebsten Mathematik studieren, Rahmatyar will werden, was sein Vater ist: Arzt. Davor eine Ausbildung als Krankenpfleger. Osakue lebt in Olching bei München in einem Asylheim in einem Zweier-Zimmer. Optimal ist das nicht, wenn er sich zum Lernen konzentrieren muss. Und weil er nur geduldet ist in Deutschland, dürfte er im Sommer eigentlich gar nicht mitfahren mit seinen Schulkameraden. Wie jedes Jahr werden sie auf die Zugspitze wandern. Osakue darf Stadt und Landkreis München nur mit amtlicher Erlaubnis verlassen, „Residenzpflicht“ nennt sich das.
Klar, Schlau wird sich darum kümmern, wie so oft. Nelson Osakue sagt in seinem Deutsch, das von Tag zu Tag besser wird: „Ich finde Schlau-Schule wie ein Eltern.“
Von Bernd Kastner
Ifeanyi aus Nigeria besucht gemeinsam mit etwa 220 anderen Flüchtlingen die SchlaU-Schule.
So wie jetzt, um 16.40 Uhr. Eigentlich gleich Feierabend. Keine Frage, dass jemand zu dem Schüler fährt, keine Frage, dass der Chef sein Auto hergibt, „wir lassen ihn auf keinen Fall alleine“. Stenger fingert den Autoschlüssel von seinem Schlüsselbund, die Kollegin stürmt zur Tür herein, es ist jetzt nicht die Zeit für viele Worte. Ist es wirklich der?, fragt Stenger. Ja, der. Er kennt den Schüler und mag es gar nicht glauben, der Junge wirkte doch so stabil. Ist es wieder die Angst vor der Abschiebung? Sie muss ihn in dieses Tief gezogen haben, vermutet Stenger. Er, der große, starke Mann mit den mächtigen Haaren, spricht jetzt ganz leise.
Die Schlau-Schule ist jetzt von der Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen des Deutschen Schulpreises mit dem „Preis der Jury“ ausgezeichnet worden, auch wegen dieses sozialen Engagements. Stenger hat Schlau gegründet, weil junge Flüchtlinge, viele von ihnen ohne Eltern, sprachlos im fremden Land und oft traumatisiert, im normalen Schulbetrieb keine Chance hätten. „Schulanaloger Unterricht für junge Flüchtlinge“, so nennt sich die Schule ausgeschrieben. Klingt bürokratisch – ist aber sehr lebendig und intensiv. Weil die Klassen so klein sind, mit maximal 16 Jugendlichen, weil Lehrer und Sozialpädagogen sehr individuell mit den jungen Leuten arbeiten, die aus der ganzen Welt kommen. Und so schlägt es aufs Schulleben durch, wenn die Politik in Berlin irgendein Land in Afrika oder Asien für sicher erklärt – und abzuschieben beginnt. Aktuell nach Senegal zum Beispiel, oder nach Afghanistan. Das bringt die jungen Flüchtlinge, die sich gerade mühsam stabilisiert haben, oft völlig aus dem Tritt. Warum sollen sie sich bei diesen Aussichten eine Perspektive in Deutschland erarbeiten? Diese Zweifel fordern die Sozialpädagogen bei Schlau, allesamt Experten im Umgang mit unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen.
Wieder klingelt Stengers Telefon. Kommando zurück. Der Schüler, zu dem sie gerade aufbrechen wollten, sitzt in der S-Bahn auf dem Weg in die Schule, sie haben ihn gerade erreicht. Die größte Gefahr ist gebannt, Stenger kriegt seinen Autoschlüssel zurück. „Hätten sie die Angst vor der Abschiebung nicht, unsere Leute könnten noch viel besser lernen.“
Der Schulgründer hat sich im vergangenen Jahr aus der operativen Leitung der Schule zurückgezogen, das machen jetzt Antonia Veramendi und Melanie Weber. Stenger sieht sich inzwischen als „Flüchtlings- und Bildungslobbyist“ und sagt, er müsse aufpassen. Dass die Kollegen in den Regelschulen ihn nicht als Besserwisser wahrnehmen, wegen seiner Erfolgsquote. Etwa 95 Prozent der Schlau-Schüler schaffen den Hauptschulabschluss. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Bosch-Stiftung Schlau jetzt 25000 Euro Preisgeld zukommen lässt. Durch engagierte Begleitung der Schüler, weit über den Abschluss hinaus, schaffe es die Schule, jungen Flüchtlingen eine Perspektive zu eröffnen, schreibt die Jury. Die Lehrer, geschult im Umgang mit Deutsch als Fremdsprache, haben ihr Unterrichtsmaterial selbst erstellt; die üblichen Bücher taugen nicht für Jugendliche, die in kürzester Zeit neben dem üblichen Stoff auch die Sprache lernen müssen. Mehr als 1500 Schüler haben Schlau durchlaufen. Derzeit besuchen gut 220 Jugendliche die Einrichtung in der Münchner Innenstadt. Zwei Drittel der Lehrerkosten finanziert der Freistaat Bayern.
Nelson Osakue, 21, aus Nigeria, und Mohammad Omar Rahmatyar, 19, aus Afghanistan, sind letztes Jahr dazugekommen. Sie mussten nicht, wie viele andere, erst in eine Alphabetisierungsklasse, sie hatten schon viele Jahre in der Heimat die Schule besucht. Nach wenigen Monaten sprechen sie gut Deutsch. Und in einem Jahr wollen sie Berufe erlernen. Osakue will Bankkaufmann werden und später am liebsten Mathematik studieren, Rahmatyar will werden, was sein Vater ist: Arzt. Davor eine Ausbildung als Krankenpfleger. Osakue lebt in Olching bei München in einem Asylheim in einem Zweier-Zimmer. Optimal ist das nicht, wenn er sich zum Lernen konzentrieren muss. Und weil er nur geduldet ist in Deutschland, dürfte er im Sommer eigentlich gar nicht mitfahren mit seinen Schulkameraden. Wie jedes Jahr werden sie auf die Zugspitze wandern. Osakue darf Stadt und Landkreis München nur mit amtlicher Erlaubnis verlassen, „Residenzpflicht“ nennt sich das.
Klar, Schlau wird sich darum kümmern, wie so oft. Nelson Osakue sagt in seinem Deutsch, das von Tag zu Tag besser wird: „Ich finde Schlau-Schule wie ein Eltern.“
Von Bernd Kastner