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Das Hemd kommt niemals in die Hose

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„George, diese Scheiße kann man vielleicht in die Schreibmaschine tippen – aber sprechen kann man das auf gar keinen Fall!“ Frühling 1976, die Elstree Filmstudios in London: Der vollkommen entnervte Jungstar Harrison Ford brüllt dem bärtigen Holzfällerhemdträger im Regiestuhl ins Gesicht, was sich jeder an diesem riesigen Set längst denkt: Die mit ironischem Dauergrinsen hantierende britische Crew, die schwitzenden Komparsen in ihren Roboterverkleidungen, die Schauspieler, die über ihre Kostüme und ihre Dialoge stolperten: Wenn dieser Unsinn ins Kino kommt, dann sind wir alle erledigt.



Einer, der das moderne Kino prägen sollte wie kein anderer: George Lucas hat Erfolgsformeln nicht nur erfunden, sondern sie immer auch den richtigen Autoren und Regisseuren anvertraut. Heute wird er 70.

Dabei muss zunächst einmal festgehalten werden, dass George Lucas diesen Unsinn – er nannte das Ganze „Star Wars“ – nie in eine Schreibmaschine getippt, sondern per Hand geschrieben hatte. Genauer gesagt mit Bleistiften der Stärke zwei auf liniertem Papier, in einem Hinterzimmer seines Hauses in der kalifornischen Kleinstadt San Anselmo. Und während sich draußen am Strand die letzten Späthippies vor den nahenden achtziger Jahren versteckten, schnippelte sich drinnen der obsessive Lucas bei jedem neuen Entwurf, der im Papierkorb landete, mit einer Schere ein Büschel Haare vom Kopf – denn Zweifel an der Publikumstauglichkeit seiner Geschichte hatte er auch ohne Harrison Ford schon genug.

Im Nachhinein betrachtet, hätte man diesen Papierkorb voller Bleistiftstummel, Manuskriptseiten und Haarbüschel vermutlich museal verwalten sollen, weil sich ein schöneres Relikt über den Gründungsmythos der modernen Unterhaltungsindustrie kaum finden lassen wird. Denn in diesen einsamen, manischen Stunden begann Lucas, noch ohne es zu wissen, die gesamte Entertainment-Branche von Grund auf zu verändern. Vor „Star Wars“ war nämlich nicht einmal den fleißigsten Hollywood-Prokuristen klar gewesen, wie viel Geld man mit einem Film und seinen Nebenprodukten wirklich verdienen kann. Und das musste ihnen ausgerechnet ein unrasierter Nerd beibringen, der partout sein Hemd nicht in die Hose stecken wollte und der nichts mehr hasste als das streng hierarchische Hollywood.

Lucas entwickelte schon als Kind eine ausgesprochen antiautoritäre Lebenseinstellung: Sein Vater, ein erzkonservativer Republikaner, der in einer Kleinstadt ein erfolgreiches Geschäft für Büromaterial betrieb, kommentierte die künstlerischen Ambitionen des Sohnes mit Hohn. So leidvoll dieser Konflikt für den jungen Lucas war, er bereitete ihn auf jene legendäre Zeit vor, als er mit seinen Kumpels vom College – Steven Spielberg, Brian De Palma, Francis Coppola – das greise amerikanische Filmbusiness aufmischte. Sie alle wurden in der Filmabteilung der University of Southern California ausgebildet, wo quasi an einem einzigen Institut jene wilde Indie-Bewegung geformt wurde, die als New Hollywood in die Filmgeschichte einging.

Die Strukturen im amerikanischen Filmbusiness waren Ende der sechziger Jahre so festgefahren und veraltet wie niemals zuvor. Als Lucas durch die Uni ein Praktikum bei Warner bekam, wo er auf den etwas älteren Coppola bei seinen ersten Regieexperimenten traf, waren die beiden auf dem gesamten Studiogelände so ziemlich die einzigen unter sechzig – und zweifellos die einzigen mit Bart. Aus dem vatermörderischen Ethos, das die junge Garde dann Anfang der siebziger Jahre entwickelte, entstanden auch Lucas’ erste Kurzfilme sowie sein dystopisches Spielfilmdebüt „THX 1138“ (1971). Das allerdings war ihm dermaßen düster geraten, dass sogar seine Mitstreiter nicht so recht wussten, was sie damit anfangen sollten.

Also überlegte der enttäuschte Lucas mitten im New Hollywood, ob nicht das klassische Old Hollywood viel mehr sein Ding sein könnte – weit weg von der Paranoia und den sexuellen Obsessionen, die der künstlerische Motor seiner Kommilitonen waren. Aus dieser Zwickmühle heraus, halb noch verhaftet den Revolutionsidealen, halb schon im geradlinigen Erzählmuster der „Star Wars“, entstand 1973 mit „American Graffiti“ Lucas’ zärtlichster Film. Eine Geschichte über das Teenagerleben nach den Regeln der amerikanischen Kleinstadt, angesiedelt in den Fifties, zwischen Cadillac-Spritztouren und Jukebox-Blues – ein autobiografischer Film. „Graffiti“ wurde ein Hit und hätte die meisten Jungregisseure sehr glücklich gemacht. Nicht aber Lucas, der spürte, dass er das Talent besaß, vollkommen konventionell erzählte Geschichten so aufregend zu verpacken, dass sie noch viel, viel mehr Zuschauer erreichen würden.

Also: „Star Wars“. Das Meisterstück. Der Fluch. Die Zweifel der Geldgeber, die Zweifel des Teams, die Zweifel seiner damaligen Frau Marcia, die Selbstzweifel – sie trieben den introvertierten Lucas in eine tiefe Krise, die während des Drehs immer schlimmer wurde. „Star Wars“ zerstörte den Regisseur George Lucas, der sich anschließend zwei Jahrzehnte weigerte, wieder Regie zu führen. Der Film brachte aber den Produzenten Lucas hervor, der das moderne Kino prägen sollte wie kein Zweiter. Er verstand es, Erfolgsformeln nicht nur zu erfinden, sondern sie stets den richtigen Autoren und Regisseuren anzuvertrauen. Er verstand es, Kino-Serien wie „Star Wars“ oder „Indiana Jones“ so erfolgreich zu machen, dass er große Hollywoodstudios zu bloßen Distributionspartnern degradieren und Kinos neue Projektionsstandards aufzwingen konnte. Lucas erfand das Kinomerchandising und etablierte die Fortsetzung als Geschäftsmodell – vor „Star Wars“ waren Sequels in Hollywood verschrien. Mit der zweiten „Star Wars“-Trilogie, die er doch wieder selbst inszenierte, trieb er die Digitalisierung des Filmemachens quasi im Alleingang voran. Und mit seiner Firma Industrial Light & Magic bereitete er das Zeitalter des digitalen Effektfilms schon vor, als die Kollegen noch Pappmaschee-Puppen bastelten.

So mancher Fan hat Lucas’ Wandlung vom Indie-Regisseur zum Filmmogul mit der seines Helden Anakin Skywalker in Darth Vader verglichen. Besonders nachdem Lucas im letzten Jahr sein Imperium an Disney verkaufte, für die J.J. Abrams gerade neue „Star Wars“ dreht. Doch während viele Weggefährten von einst die Siebziger nicht überlebt haben – künstlerisch oder wegen des Kokains – hat Lucas mit kindlicher Besessenheit stets nur seinen größten Wunsch weiterverfolgt, den er durch die Perfektionierung seiner Special Effects immer mehr Wirklichkeit werden ließ: Mit den Mitteln des Kinos die endgültige Auflösung des Realitätsblicks durch den Traumblick vorzunehmen. Heute wird Lucas, Geschäftsmann und Träumer, siebzig Jahre alt.

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