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Wie mich Helmut Schmidt desillusionierte

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Vor kurzem sah ich einen Film über die sogenannte Spiegelaffäre, Dokufiction, sagt man wohl heute, ein Wort, das ja auch mehr oder weniger gut beschreibt, was ich hier tue. Formidabel, dachte ich, es geht um eine Reihe vortrefflicher Persönlichkeiten, Rudolf Augstein, Maria Carlsson, vielleicht um Adenauer, den gewitzten Greis. Aber natürlich kam dieser Film, ebenso wie andere Medien, das musste ich enttäuscht zur Kenntnis nehmen, nicht ohne Helmut Schmidt aus, einem der größten Scharlatane unserer Zeit (das sage natürlich nicht ich, sondern der ehemalige Feuilletonchef der ZEIT, Fritz Raddatz, ein ebenso gewitzter Greis wie Adenauer einer war).


Mir wurde bewusst: Trotz einiger Handicaps ist Helmut Schmidt als Zuschauerzugpferd, um nicht zu sagen -maulesel von nichts und niemandem einzuholen. Kein Redakteur kommt, auch wider besseres Wissen nicht, an Helmut Schmidt vorbei. Selbst nackte Brüste würden im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm wohl weniger gut funktionieren, beim Privatfernsehen mag das anders sein. Und sogar in diesem Text ist Helmut Schmidt geradezu omnipräsent, wenn auch nicht im O-Ton. Denn ich habe seine Nummer im Telefonbuch leider nicht gefunden. Das ist meine eigentliche Enttäuschung, die letzten Endes auch der Grund für diesen Jammeraufsatz ist.


So erkannte ich schlagartig: Helmut Schmidt gibt sich zwar als Mann des Volkes, aber wenn es darauf ankommt, ist er nicht erreichbar! Je mehr Gedanken ich darüber anstellte, desto mehr Dinge fielen mir auf, die ich für ebenso unstimmig hielt in Schmidts Selbstdarstellung. Immerzu erzählt er davon, wie ihm die Rettung der entführten Lufthansa-Maschine Landshut glückte oder wie eng er mit der später hingerichteten Widerstandskämpferin Bontjes van Beek befreundet war, die er in Interviews liebevoll Cato nennt – eine Freundschaft von Seelenverwandten, möchte man glauben. Selten erzählt er hingegen von seiner Offizierslaufbahn in der Wehrmacht, die wohl ebenso interessant gewesen sein muss, oder wie unter seiner Kuratel die Schuldenspirale in Gang kam, die doch heute ebenso große Auswirkungen auf das politische Geschäft hat wie Fragen der Flugsicherheit. Hier liegt ein Missverhältnis vor, wie mir schien.


Natürlich, ich könnte nun einfach einen anderen Helmut Schmidt aus dem Telefonbuch anrufen, um einen O-Ton zu bekommen, es gibt genug solcher Menschen mit Namen Helmut Schmidt, und ein Foto brauchen wir für diesen Text nicht unbedingt, auch wenn es besser wäre. Allerdings, das zeigt die Erfahrung, Leser haben durchaus ein feinsinniges Gespür in solchen Dingen: Die Empörung der Bevölkerung wäre mir gewiss. Wütende Amazon-Rezensionen zu einem Buch von Volker Zastrow*, der ähnlich vorgegangen ist, geben einen Vorgeschmack darauf, was mir blühen würde, befragte ich den falschen Helmut Schmidt. Um so etwas zu riskieren, liegt mir mein Bild in der Öffentlichkeit zu sehr am Herzen.





Bildquelle: Kleinschmidt / MSC


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