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Nomaden der Globalisierung: Fallbeispiel Indien (Teil II)

  1. Auswirkungen transkontinentaler Arbeitsplatzmobilität am Beispiel deutscher Arbeitnehmer in Indien.
    Fortsetzung von Teil I:

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    4.  
    Einfluß der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien auf Prozesse der Akkulturation

Einen der wahrscheinlich nachhaltigsten Einflüsse auf zentrale Grundannahmen der Akkulturation hatte in den vergangenen zehn Jahren aber zweifellos die „digitale Revolution“ in Form der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK- Technologien (Internet, email, vor allem aktuell in Form von Skype und facebook). Sie reduzieren die Notwendigkeit alternativer Vergesellschaftungsformen im Gastland geradezu drastisch, da über diese Technologien der Kontakt zur Heimat per Video, Audio und Chat in Echtzeit möglich ist. Sie stärken die Bindung zu den eigenen sozialen Primärgruppen in der Herkunftskultur und wirken vor Ort tendenziell als Verstärker von Individualisierungsprozessen. Zwar lässt sich einwenden, dass der Einsatz der neuen IuK-Technologien auch bei Konstituierung einer eher kommunikationsorientierten denn räumlich definierten „Expat community“ vor Ort als online-gestütztes Instrument kultureller Eigenvergewisserung dienen kann (z.B. in Form von facebook). Doch ignorierte eine solche Annahme doch die methodischen Besonderheiten dieser Art fragmentarischer Kommunikation (Emoticons, Chat, Kurzbotschaften), die eher das befördert, was gemeinhin als „Tratsch“ (hier der Expat-Frauen) bezeichnet wird, als das hier eine neue Form kultureller Vergemeinschaftung vor Ort stattfinden würde.


Zu beobachten war auch eine abnehmende Relevanz der expat community mit zunehmender Dauer der Entsendung, in der die online-Kontakte zu den Freunden und Verwandten eher wichtiger wurden, da z.B. die Aspekte der Rückkehr zu planen sind. Die Expat communities haben also noch am ehesten eine soziale und kulturelle Relevanz im Anfangsstadium einer Übersiedlung von Expats. Sie dienen dazu, die neu Angekommenen mit den notwendigen Informationen vor Ort zu versorgen (Behördengänge, Ärzte, Kliniken, Einkaufsmöglichkeiten u.a.) und auch dahingehend zu sondieren, inwieweit mit diesen eine engere Beziehung im Sinne einer Freundschaft möglich ist oder ob der Kontakt aufgrund unterschiedlicher Interessen eher an der Oberfläche bleibt.


Es ist jedoch bezeichnend, dass die gängigen Akkulturationstheorien entweder aus einer Zeit stammen, in der die neue IuK-Technologien sozial noch nicht wirkmächtig war oder in aktuelleren theoretischen Ausprägungen die weitreichenden Folgen dieser technologischen Innovation bislang weitestgehend ignoriert haben.


Vor dem Hintergrund der globalen Vernetzung schwindet die Notwendigkeit nicht nur der Akkulturation in eine „Fremdkultur“, sondern auch jene zur Bildung klassischer, durch kulturelle Homogenität gekennzeichnete „expat communities“ immer schneller und wird vor dem Hintergrund bereits lange zuvor erfolgter Individualisierungsprozesse in der postmodernen Herkunftskulturen heute allenfalls optional. Wie weiter oben bereits aufgezeigt, unterliegen die  früher noch durchaus üblichen homogenen „expat communities“, hier verstanden als räumlich definierte Exklusionsorte („Inseln“) gegenüber der Umgebungskultur, schon seit geraumer Zeit einem Prozess der Diffusion durch einheimische Wirtschaftseliten, die trotz aller nach wie vor bestehenden kulturellen Differenz in Lebensführung, Religionspraxis und Ernährungsweisen eine gemeinsame kapitalistische Wirtschaftsethik und Konsumkultur teilen. Es läßt sich daher sogar die Frage aufwerfen, ob eine weiter bestehende kulturelle Differenz aus der Sicht der beidseitig von ihr Betroffenen nicht bereits eher als Frage des unterschiedlichen Lebensstils gewertet wird, denn als eine Frage „fremder“ versus „eigener“ Kultur“.


Die Frage, was unter Globalisierungsbedingungen für urbane Transmigranten heute noch wirklich „fremd“ ist, stellten sich die gängigen Akkulturationstheorien bisher nicht mal in Ansätzen.  


5.   „Transnationale Identität“ oder neuer kosmopolitischer Habitus?


Mehrmonatige  Aufenthalte in Hotels und Appartements im Ausland ersetzen immer mehr die einstmaligen „expat communities“, zumal aus Kostengründen von den Firmen zunehmend jüngere, karriereorientierte Einzelpersonen statt ganze Familien mit der ihnen eigenen komplexen sozialen Struktur entsendet werden.


Die Globalisierung macht Transmigration immer mehr zum biographischen „Normalfall“, die Exklusivität im Sinne des „Besonderen“ schwindet. Die  Aufenthaltsdauer von „Expats“ wird kürzer, damit korrelierend wird der Begriff selbst zunehmend unschärfer.  Längere Entsendezeiten ohne Entsendeverträge treffen auf  kürzere mit Vertrag. Bleibt noch die Frage, ob es unter diesen drastisch veränderten sozialen Rahmenbedingungen so etwas wie eine „transnationale, hybride Identität“ durch Transmigration geben kann, wie von Kreutzer und Roth behauptet, (2005), oder ob der Begriff „Identität“ nicht anders gefasst werden sollte.  

Hier ist eher zu vermuten, dass Transmigrationsverläufe genieren keine eigenständige, neue Identität generieren, da Phasen der Transmigration meist nur noch als  „Karrierebaustein“ verstanden werden. Allenfalls ein neuer, abgeklärter Habitus des Kosmopoliten könnte sich hier ausbilden, der sich durch eine routinierte Äquidistanz gegenüber den Alltagsformen der fremden Kultur auszeichnet, keinesfalls aber eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dieser Kultur impliziert. Den Habitus eines solchen weltweit agierenden flexiblen Arbeitnehmers dürfte auszeichnen, dass er sich eher mit anderen „Pendlern der Globalisierung“ über die beste Bar oder das beste Restaurant in Mumbai oder Peking austauscht, als über kulturelle Fragen des indischen Kastensystems oder den Konfuzianismus.

Vor diesem Hintergrund scheint es vielmehr wahrscheinlich, dass latente Herausforderungen an die Identitätsbildung sogar eher wieder auf tradierte Werte wie Familie, Partnerschaft, Heimatkultur rekurrieren und sie wegen den Zumutungen der Flexibilität sogar überhöhen können. Prozesse der Separation und Segregation erfolgen ja nicht erst im Ausland, wie von den Akkulturationsthoerie suggeriert, sondern sind das Resultat bereits erfolgter Individualisierungsprozesse im Heimatland (Bourhis).


6. Zur strukturellen Dimension sozialer Ungleichheit von Expat-Frauen


Einer solchen „kulturellen Entschärfung von Transmigrationsprozessen“ stehen an anderer Stelle neue Dynamiken sozialer Ungleichheit gegenüber, die scheinbar paradox tradierte und bereits überholte Konfliktlinien aufweisen. Frauen als „follower“ geraten potentiell in eine „Expat-Falle“, die ihnen für einen unter Umständen länger andauernden Zeitraum trotz oftmals akademischer Ausbildung die Möglichkeit einer eigenen beruflicher Karriere verbaut. Sie geraten deshalb in eine strukturelle Abhängigkeit vom alleinverdienenden Partner, die umso dramatischer ausfallen kann, als diese Situation in aller Regel nicht ohne partnerschaftliche Dissonanzen abläuft.


Die heterogene soziale Herkunft und das variierende Ausbildungsniveau der weiblichen follower macht vor dem Hintergrund der beruflichen Nichtbeschäftigung alternative  institutionelle Integrationsbemühungen innerhalb einer mixed community notwendig. In Vadodara leistet das ein „Verein der Expat-Frauen“, ähnlich, wie es die Unternehmenskultur der Firma vor Ort  für den berufstätigen Mann leistet. Dazu gehören auch strikte Exklusionsmechanismen dergestalt, dass nur Frauen, sie sich in derselben Position als Expat-Hausfrau befinden, aufgenommen werden. Eine Expat-Frau, die entgegen der üblichen Rollenaufteilung vor Ort ausnahmsweise als Managerin oder Geschäftsführerin arbeitet, wird bei den Vereinstätigkeiten ebenso wenig berücksichtigt, wie ein vor Ort zeitweise nicht berufstätiger Ehemann (Rollentausch). Eine abweichende Expat-Typenbildung stellt für viele Expat-Hausfrauen nach eigener Beobachtung offenkundig geradezu eine Provokation dar, was durch die spezifischen Kommunikationsmechanismen innerhalb des Vereins, aber auch durch die ja vor Ort verfügbaren online-Netzwerke (facebook)  die Distinktionstendenzen noch verstärkt. Insofern sind analoge Vergemeinschaftungs- und Identifikationsprozesse bei den mitreisenden Expat-Hausfrauen stark selbstreferentiell. Sie schließen nicht nur tendenziell die umgebende Gastkultur aus und adaptieren diese allenfalls häppchenweise nach Bedarf (indische Tanz- und Gesangsvorführungen, Literaturlesungen, Modepräsentation, touristische Kurzreisen im Land, u.ä.), sondern auch andersartige Expat-Rollen-Konfigurationen.


Inwiefern diese auffallend traditionell ausgerichtete Geschlechterdifferenz von Expat-Männern und Expat-Frauen auf ein schon vor der Entsendung existierendes konservatives Rollenbild der Beteiligten zurückzuführen ist oder vielmehr Resultat einer eher unfreiwilligen und damit potentiell konflikthaften Entwicklung ist, können erst nachfolgende Forschungen erhellen.


7. Zusammenfassung


Die vorliegenden Ausführungen thematisierten ein neues Muster von Arbeitsplatz-Mobilität von deutschen Arbeitnehmern, die für 1 bis 3 Jahre als sogenannte Expats nach Indien entsandt wurden. Es sollte hier deutlich gemacht werden, dass die gängigen Akkulturationstheorien für diese Gruppe von neuen, gut ausgebildeten Arbeitsnomaden kaum noch zutreffen, da vielschichtige soziale, kulturelle und technologische Veränderungen im Zuge der Globalisierungsdynamiken eine erratische Verwendung des „Kultur“-Begriffs zunehmend obsolet gemacht haben. Die Zumutungen, die für einen Expat und seine Familie aus einer längeren Entsendung nach Indien entstehen, resultieren weniger aus einer Konfrontation zweier angeblich homogenen „Kulturen“, sondern spielen sich, so meine These, unterhalb und jenseits dieses Leitbegriffes ab. „Entfremdung“ ist insofern eher das Resultat von vielschichtigen Individualisierungs- und kulturellen Beschleunigungsprozessen sowie der Abwesenheit des gewohnten persönlichen Lebensumfeldes in der Heimat, als ein behauptetes Unvermögen, sich auf eine „andere Kultur“ einstellen zu können.


Insofern dienten diese Ausführungen letztendlich auch dazu, einen kleinen Beitrag zu leisten, den bis heute erst ansatzweise hinterfragten Forschungsmythos von der „Akkulturation“ von seinem rostig gewordenen Sockel zu stoßen.    


(c) Alle Rechte dieses Textes beim Autor.


Dr. rer. soc. Andreas Kleemann
88212 Ravensburg
Zeppelinstr. 11 


 


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