Auswirkungen transkontinentaler Arbeitsplatzmobilität am Beispiel deutscher Arbeitnehmer in Indien.
Vorbemerkung
Der vorliegende Artikel reflektiert die komplexen Folgen zunehmender Transmigration von hochmobilen deutschen Arbeitnehmern und ihren Familien ins Ausland – sogenannten Expatriates, kurz Expats genannt - im Zuge der globalen Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen. Er basiert auf einem entsprechenden Aufenthalt des Verfassers mit seiner Familie in der nordindischen Stadt Vadodara in der Zeit von April 2009 bis Mai 2011. Theoretisch vertieft wurde dieses sozialwissenschaftlich noch wenig bearbeitete Feld der Transmigrationsforschung vom Autor dann im Zuge einer soziologischen Vorlesung an der Universität St. Gallen: „Nomaden der Globalisierung – Aktuelle Erscheinungsformen transnationaler Mobilität und Migration“ im Wintersemester 2011/2012, die zu erweiterten Forschungsfragen und perspektivischen Klärungen, aber auch ganz neuen Einblicken führte.
Forschungsmethodologisch basiert der Artikel auf einer ethnographisch-soziologischen Untersuchungsperspektive, in der die Methode teilnehmender Beobachtung zunächst in die Form umfangreicher Feldnotizen gegossen wurde. Aus diesen Feldnotizen entwickelte sich dann eine Anzahl von soziologisch-journalistischen Essays, die noch von Indien aus online publiziert wurden. In einem dritten Schritt erfolgte schließlich die Sichtung bisheriger theoretischer Ansätze und die kritische Auseinandersetzung mit ihnen vor dem Hintergrund der eigenen Feldforschung.
Der gesamte zeitliche und organisatorische Rahmen des Auslandsaufenthaltes des Verfassers und seiner Familie lag zwischen Oktober 2008 und August 2011. Grundlage des Auslandsaufenthaltes war ein sogenannter Entsendungsvertrag zwischen der Ehefrau des Autors und ihrem Arbeitgeber, eine in der Stadt Friedrichshafen angesiedelte größere mittelständische Firma für Anlagenbau. Ihre Aufgabe als Geschäftsführerin (Managing Director) sollte es sein, den Firmenstützpunkt in Indien auszubauen und den indischen Markt zu erschließen. Ein indischer Vertreter der Firma residierte dort zwar schon seit einigen Jahren in der Metropole Mumbai (früher: Bombay), doch sollte der weitere Ausbau aus unternehmerischen Gesichtspunkten nun in der nordindischen Stadt Vadodara erfolgen. Folglich gehörte das Auffinden geeigneter repräsentativer Büroräume, aber auch eines geeigneten Privathauses für die Familie in dieser Stadt zu den ersten Aufgaben der entsandten Arbeitnehmerin. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, sich zunächst für die ersten Monate allein in das völlig andersartige soziokulturelle Lebensumfeld zu begeben, um diesen beiden Aufgaben zu bewältigen.
Die Frau des Verfassers lebte dann die ersten sechs Monate in einem Hotel der gehobenen Mittelklasse in Vadodara, bis ein entsprechendes Bürogebäude sowie ein Privathaus für die nachziehende Familie gefunden wurde. Der Autor und die Kinder lebten während dieser Zeit getrennt von ihr im gemeinsamen Heimatort in Deutschland, zur Unterstützung der Familienarbeit wohnte ein Au Pair aus Burkina Faso im Haus. Ende März 2009 folgte schließlich die Übersiedlung des Autors und der zwei Kleinkinder nach Indien (damals 5 und 3 Jahre), für die dort bereits ein Platz im Kindergarten einer privaten International School reserviert worden war.
1. Zum Organisationsprofil deutscher Expats in der indischen Stadt Vadodara
Vadodara ist mit ca. 1,8 Mio. Bewohnern die zweitgrößte Stadt des indischen Bundesstaates Gujarat und seit mehreren Jahren bevorzugter Ansiedlungsort von zahlreichen deutschen und europäischen Industrieunternehmen und Konzernen. Grund dafür ist die für indische Verhältnisse äußerst wirtschaftsfreundliche Ausrichtung des Bundesstaates, dessen von der stark hindunationalistisch ausgerichteten Partei BJP (Bharatiya Janata Party) geführte Regierung mit langfristigen Steuervorteilen und vergleichsweise guter Infrastruktur seit Mitte der 90er Jahre erfolgreich investitionsbereite ausländische Firmen umwirbt. Die Stadt hat neben dem benachbarten Ahmedabad eine der höchsten Wachstumsraten an Bevölkerungszuwachs innerhalb Indiens.
Politisch gesehen gehört der Bundesstaat allerdings durch widerholte moslemisch-hinduistische Unruhen, vor allem jene von 2003, zu den unruhigsten Indiens. Der regierenden BJP und dem amtierenden Ministerpräsidenten Modi wird vorgeworfen, aus politischem Kalkül die Unruhen, bei dem seinerzeit über 3000 Moslems getötet wurden, gezielt geschürt zu haben. Gegen den Politiker wird aus diesem Grunde in Indien bereits seit Jahren vor dem Obersten Gericht ermittelt, die USA und die EU haben ein Einreiseverbot gegen ihn verhängt.
Der Umstand rasant steigender ökonomischer Prosperität im Zuge der wirtschaftlichen Liberalisierung seit Mitte der neunziger Jahre führte dazu, dass in Vadodara seitdem eine ebenfalls wachsende, mehrere Hundert Personen umfassende Gruppe von „foreigners“ lebt (der in Indien übliche Begriff für Ausländer), die für einen bestimmten Zeitraum, meist zwischen einem und drei Jahren, von ihren Firmen hierher entsendet wurden. Es handelt sich bei diesen Personen, sogenannten Expatriates, im folgenden kurz „Expats“ genannt, in der Mehrzahl um Angehörige aus verschiedenen europäischen Ländern, wobei Staatsangehörige aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und der Schweiz überwiegen. Staatsangehörige anderer europäischer Länder sind ebenfalls vertreten, aber deutlich unterrepräsentiert.
Die meisten Expats leben vor Ort in sogenannten „gated communities“ am noch relativ unverbauten westlichen Stadtrand – hierbei handelt es sich um abgeschlossene, von speziellen privaten Sicherheitsunternehmen bewachte Siedlungen unterschiedlicher Größe, wobei in Vadodara diese u.a. „Nilambers“ genannten Areale jeweils eine Anzahl von 25-30 zweistöckigen Bungalows mit jeweils eigenem kleinen Garten umfassen. Das Areal umfasst auch kleinere gemeinsame Sport- und Freizeiteinrichtungen wie swimming pool, party garden und fitness room.
Diese gated communities sind entsprechend ihres Entstehungsjahres durchnummeriert, wobei die europäischen Expats anstreben, vorzugsweise in die aktuell jeweils neuesten, modernen Siedlungen einziehen, da die (zwar erst wenige Jahre) älteren Häuser aufgrund der klimatischen Besonderheiten des Landes (Monsun) und der vorherrschenden Bauweise (minderwertiger Beton, minderwertige Ziegel und sonstige häusliche Infrastruktur) einem rasanten Verfallsprozess ausgesetzt sind. Ein fünf Jahre altes Haus gilt in Indien deshalb bereits meist als sanierungsbedürftig.
Die „gated communities“ sind auch in Vadodara entgegen der landläufigen soziologischen Auffassung keine reinen „Expat-communities“, sondern werden sowohl von Expats verschiedener europäischer Nationen wie von Indern der einkommensstarken „neuen Mittelschicht“ gleichermaßen bewohnt. Hier ist der Trend augenscheinlich, dass dieses Segment der oberen indischen Mittelklasse sich in einer offenkundigen Konkurrenzsituation mit den Expats um die jeweils aktuell „besten“ Siedlungen befindet. Hieraus lässt sich in klarer Abgrenzung zu Kreutzer und Roth (2005) die Erkenntnis ableiten, dass mit zunehmender Prosperität eines Landes die früher homogen strukturierten Expat-communities sich sukzessiv mit den ökonomisch starken Mittelschichten des Heimatlandes durchmischen, zumal im Zuge eines explosionsartigen Baubooms eine stets wachsende Vielzahl an angebotenen communities zur Verfügung steht. Auf die Besonderheiten des Innenlebens einer solchen „mixed community“ werde ich weiter unten noch eingehen.
Bei dieser also kulturell durchaus heterogenen Gruppe der europäischen Expats sind dennoch einige sozialstrukturelle Besonderheiten zu beobachten, die übergreifend stark homogene Charakteristika aufweisen, ohne deswegen im Sinne einer Vergemeinschaftung von expatriates zu wirken, denen dann eine eigene neue „transnationale Identität“ zuwachse (Kreutzer: 2005, 50-56). So sind die meisten der Expats mit ihren Familien nach Vadodara gezogen, Alleinstehende oder Paare ohne Kinder sind zwar ebenfalls vertreten, sind aber deutlich unterrepräsentiert.
In fast allen Fällen waren es die Ehemänner oder männlichen Partner, die als „leader“ vor Ort im Arbeitsprozess standen, während die Frauen als sogenannte „follower“ zu Hause bleiben und keiner Berufstätigkeit nachgehen (diese m. E. etwas antiquierte Formulierung so bei Kreutzer, 2005). Die Kinder der Expats sind meist im Alter zwischen zwei und acht Jahren und besuchen ausnahmslos eine der „besseren“ privaten International Schools im Ort, bzw. deren assoziierte Kindergärten, in denen die Unterrichtssprache Englisch ist. Der Typus der Zwei-Kind-Familie, die zum ersten Mal ins Ausland entsendet wurde, ist in diesem Kontext augenscheinlich deutlich überrepräsentiert. Den Typus „Dauer-Expats“, der zuvor schon seriell in anderen Drittländern gelebt hat und der von einem Land ins nächste zieht (im engeren Sinne wären sie als die eigentlichen „Nomaden der Globalisierung“ zu bezeichnen) , gab es zwar auch, sie bildeten aber in Vadodara die Ausnahme.
Ein weiteres herausstechendes Merkmal sozialstruktureller Homogenität innerhalb der Expat-„community“ jenseits der unterschiedlichen Staatsangehörigkeit, Sprache und Heimatkultur sind die Berufe, die die erwerbstätigen Männer ausüben. Fast ausnahmslos alle sind in zwei großen Berufsgruppen tätig: Entweder in gehobenen technischen Berufen (Ingenieur, Projektmanager) oder in Positionen des oberen oder mittleren Managements (Einkauf, Marketing, Projektabwicklung), für die zuvor in der Ausbildungsphase der Entsendeten ein Studium an einer Universität oder Fachhochschule und entsprechende Berufspraxis notwendig war. Oft verwischen sich beide Ausbildungs- und Tätigkeitsbereiche in der konkreten Berufsausübung vor Ort.
Während sich die Akkulturationsprozesse der im neuen Residenzland berufstätigen Männer (und wenigen Frauen) überwiegend innerhalb der Unternehmenskultur der Dependance der entsendenden Firma abspielen, die der begleitenden Kinder in den drei Lebenswelten der International Schools, in den Expat-Haushalten selbst sowie in den peer groups der mixed communities, verlaufen die Akkulturations- und Integrationsprozesse der gleichsam mit-entsandten und nicht berufstätigen Partnerinnen/Ehefrauen (im Ausnahmefall wie der des Verfassers auch einmal die der Partner/Ehemänner) deutlich prekärer.
2. Neue Konfliktlinien prekärer Akkulturation in „mixed communities“
Eine Entsendung als Expat bringt es mit sich, dass aus verschiedenen Gründen meistens nur einer der Partner im Ausland berufstätig ist – in der Regel der Mann, der bereits im Heimatland eine gehobene technische oder wirtschaftswissenschaftliche Qualifikation erworben hat. Gegen eine Berufsausübung der mitreisenden Ehefrauen oder Partnerinnen sprechen administrative Hindernisse im Entsendeland (kein Vorliegen einer eigenen Arbeitserlaubnis), lebensweltliche Hindernisse im Gastland (Sprachbarrieren, Mentalitätsdifferenzen, administrative Hindernisse, Unkenntnis der branchenspezifischen Vor-Ort-Situation) oder die mehr oder weniger intensive Einbindung in die Familien- und Hausarbeit vor Ort (Betreuung der Kleinkinder, Beaufsichtigung des einheimischen Hauspersonals). Das bedeutet, dass die nicht berufstätigen Partner von Expats, die in der Regel auch die Mütter der mitreisenden Kinder sind, sind auf andere Modi der Akkulturation verwiesen sind, um mit der Situation des „kulturellen Fremdseins“ klar zu kommen.
Akkulturation möchte ich hier zunächst einmal wissenschaftstheoretisch neutral verstanden wissen als einen Prozess der Veränderung, der für Personen durch einen länger währenden, direkten Kontakt mit einer andersartigen Kultur entsteht und bestimmte Folgen und Ergebnisse mit sich bringt (vgl. Weidemann, 2007,490; Berry 2002, 350, Berftz 2010,20). Die Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden verschiedenen Akkulturations-Theorien erfolgt weiter unten.
Innerhalb der mixed community verhindern zum einen die unterschiedlichen Herkunftskulturen der Bewohner wirksame und nachhaltige Identitätsbildungsprozesse innerhalb der Siedlung. Zum anderen hat die häufige Fluktuation von Expats in den mixed communities zur Folge, dass sich im Siedlungsgebiet des abgegrenzten Areals zwei Gruppen von Bewohnern differenzieren lassen, die nicht immer konfliktfrei miteinander leben: Zum einen die Angehörigen der einkommensstarken neuen indischen Mittelschicht, die sich in die Siedlung in der Regel auf längere Zeit mit ihrer Immobilie einkaufen. Zum anderen die bereits genannten „foreigners“, bei denen aus indischer Sicht ein ständiges Kommen und Gehen ist. Prozesse der beiderseitigen vorsichtigen kulturellen Annäherung und anschließenden mehr oder weniger subtilen Wieder-Entfremdung gehen hier auf dicht gedrängtem Raum meist Hand in Hand und verstärken innerhalb der mixed community die gegenseitige Segregation durch Rückzug der Teilkulturen voneinander (dort die Expats – hier die Inder). Gelegentlich gemeinsame Aktivitäten wie abendliche community-partys oder gelegentliche gegenseitige Einladungen dienen in diesem Kontext eher der Bewältigung der kulturellen Andersartigkeit sowie der Begründung möglichst konfliktfreier Nachbarschaft und widersprechen der beobachteten Tendenz zur Segregation nicht.
Es besteht allerdings unübersehbar die Tendenz, dass sich baulich ältere gated communities gleichsam automatisch im Laufe der Zeit „ethnisch-kulturell homogenisieren“, da die Expats, in einer fast wellenförmigen Bewegung bevorzugt immer in die allerneuesten (und teuersten) Siedlungen ziehen, wo sie dann jeweils immer auf die aktuell einkommensstärksten und durchaus kulturell selbstbewusstesten Vertreter der oberen indischen Mittelschicht treffen.
Die überwiegende alltägliche Kommunikation der multinationalen westlichen Expats mit Vertretern des Gastlandes findet also nicht im Rahmen der Auseinandersetzung mit einer vergleichsweise abstrakt beschriebenen „fremden Kultur“ des Gastlandes statt, wie in den älteren Prozessmodellen von Akkulturation stets behauptet wird (Oberg 1960; N. Adler 1975; C. Ward/S. Bochner/A. Furnham2001; W. Berry 1997), sondern meist in einem kleinen, überschaubaren konkreten geographisch-sozialen Raum, der einerseits mit Vertretern der neuen oberen Mittelschicht Indiens geteilt wird, die im Rahmen der ökonomischen Globalisierungsdynamik ihrerseits zu schnellem Wohlstand gekommen sind (Leitende Manager, Immobilienspekulanten, Firmeninhaber), andererseits notwendigerweise mit dem eigenen einheimischen Hauspersonal (Fahrer, Haushälterin, Köchin und Gärtner), das morgens die mixed community betritt und abends wieder verlässt. Die indischen Mittelklasse-Bewohner der mixed communities leben in der Regel in einer Drei-Generationen-Familie in ihren Häusern, während es bei den Expats wie in ihren Heimatländern auch, stets nur die Kernfamilien sind, also Eltern und ihre (oft zwei) kleinen Kinder.
3. Einwände gegen die Akkulturationstheorien
Die von den Akkulturationstheorien behauptete Abfolge, hier vor allem von Berry - Integration, Assimilation, Separation und Marginalisierung - wird jedoch neuerdings zunehmend kritisch hinterfragt. Bertz (2010, S. 77) zeigt, dass Tardiff-Williams und Fischer die allgemeingültige Grundidee von Berry’s Modell kritisieren und seine Annahme, dass es weltweit die gleichen psychologischen Prozesse seien, die die Akkulturation verschiedener kultureller Gruppen prägen. Berry und andere Forscher gehen darüber hinaus von einem essentialistischen Kulturbegriff aus, „indem sie Kultur als internes, relativ stabiles Merkmal betrachten, welches Menschen entsprechend des Landes, der Religion oder sozialen Schicht, in die sie hineingeboren wurden, definiert.“ (Bertz, 2010, S. 36).
Ein solcher reduktionistischer Kulturbegriff, der „Kultur“ fast schon monolithisch als starre Gebilde darstellt, entspricht allerdings kaum noch der Komplexität der globalisierten Welt. Er widerspricht zeitgenössischen Kulturdefinitionen und steht im Widerspruch zu der Multikulturalität moderner Gesellschaften. (Bertz, 2010, S. 78-79). Kultur ist ja nicht nur eine faktische und insofern zeitlose Größe der Differenz in Sprache, Herkunft, Religion, Sitten und Bräuchen, sondern ist ja stets auch ein Aspekt von Zuschreibung von Differenz (wie z.B. derzeit zwischen manchen Kulturen des „Westens“ und islamischen Kulturen). In den Aspekt der Zuschreibung kultureller Differenz reicht insofern immer auch eine politische Implikation, die den Aspekten der ökonomischen Integration durch Globalisierungsdynamiken oft hinterher hinken kann. Diese historisch-politische Dimension der Zuschreibung von kultureller Differenz blenden die gängigen Akkulturationstheorien bis heute durchgängig aus.
Aber auch nachhaltige sozialstrukturelle Veränderungen der Gesellschaften in den Residenz- wie den Entsendeländern werden bisher kaum berücksichtigt. Zwar lässt sich das sogenannte „Interaktive Akkulturationsmodell“ (IAM) von Bourhis, als Weiterentwicklung des bi-dimensionalen Modells von Berry darstellen. Das IAM hat zusätzlich zu den Akkulturationsstrategien nach Berry, wie Integration, Assimilation, Separation und Marginalisierung noch die Strategie der Individualisierung mit einbezogen. Bourhis geht davon aus, dass Personen, die berufsbedingt für einen gewissen Zeitraum in einen anderen Kulturkreis wechseln, meist aus „westlichen“, individualisierten Gesellschaften stammen (zum komplexen Prozess der Individualisierung moderner Gesellschaften, vgl. hierzu Ulrich Beck) und es ihnen wichtiger sei, dass diese Individualisten die ihnen vorgegebenen (ökonomischen) Ziele im Gastland erreichen, als die Frage, in welchem Wechselverhältnis nun die eigene und die fremde Kultur sei. (Bertz, 2010, S. 81-82). Doch auch diese notwendige Differenzierung reicht m.E. nicht aus.
Ein weiterer Aspekt ist, dass die Gastländer selbst immer schneller und umfassender die Elemente einer einheitlichen westlichen Konsumkultur übernehmen (lifestyle, music, film, brand), was klassische Akkulturationsprozesse nur noch partiell notwendig erscheinen lässt, zumal Transmigration meistens in große Metropolen hinein erfolgt, in denen auch die Wirtschaftsstandorte angesiedelt sind. Das was als „Kulturschock“ und Akkulturationsprozess beschriebenen wird, ist deshalb oft nur noch relativ und bezieht sich mehr auf die Protuberanzen einer hyperdynamischen urbanen Lebenswelt in riesigen Agglomerationen, etwa die damit verbundenen riesigen baulichen Verdichtungsräume (Hochhaussiedlungen), die ungewohnte Konfrontation mit Menschenmassen und Allgegenwart moderner Werbung – kurzum, rekurriert auf Urbanisierungsprozesse von Megacities, als auf den Begriffsrahmen „fremde Kultur“, die in diesen Metropolen schon längst von der westlichen Konsumkultur überlagert beziehungsweise synthetisiert wurde. Akkulturationsprozesse beziehen sich deshalb – so meine These – weniger auf kulturelle „fremde“ Inhalte, denn auf die komplexen Modiökonomischer und sozialer Modernisierung mit ihren immensen infrastrukturellen Herausforderungen in den urbanen Zentren. Ob man von Stuttgart aus für einen begrenzten Zeitraum nun in eine Megacity wie Shanghai oder Mumbai übersiedelt, stellt soziokulturell gesehen deshalb im Großen und Ganzen keinen grundlegenden Unterschied für behauptete Akkulturationsprozesse mehr dar.
Wird fortgesetzt (Teil II)