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Der Flug des toten Vogels

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Gore Verbinskis "Lone Ranger" mit Johnny Depp ist ein Wunderwerk der Reanimation. Sie zeigt, wie die Disney-Maschine sich ihren Weg bahnt

Wenn wir Johnny Depp zum ersten Mal begegnen, können wir nicht sicher sein, ob er überhaupt noch lebt. Der Mann steht reglos da vor einem Zelt mit einem Beil in der Hand, eingesperrt in einen Guckkasten, neben gestopften Büffeln und Bären: Der Wilde Westen ist auf dem Jahrmarkt 1933 in San Francisco nur noch gut für eine tote Attraktionsgalerie. Der Junge im Cowboykostüm, der mit seiner Tüte Mandeln davorsteht, staunt aber nicht schlecht, als auf einmal das Auge des "Edlen Wilden" zuckt, dieses Indianers mit dem seltsamen toten Vogel auf dem Kopf. Der fängt bald an, sich mit ihm zu unterhalten und erzählt ihm in Flashbacks ein Abenteuer, das er, Tonto, einst mit seinem Freund "Lone Ranger" erlebt hat - einem legendären maskierten Rächer.



Johnny Depp bei der Premiere seines neuen Films "Lone Ranger"

Es ist genau diese Galerie von toten Bildern, von denen Gore Verbinski in seinem Film ausgeht - um ihnen langsam, wie ein Schamane, neues Leben einzuhauchen. Aus der kühlen Vitrine macht er plötzlich eine weite, epische Landschaft, zeigt einen rasanten Ritt des Indianers mit seinem maskierten weißen Freund in ein Dorf, wo sie einen Saloon kräftig aufmischen - bis das Bild wieder zum trostlosen Hintergrund des Guckkastens gerinnt. Damit es dann bald erst richtig losgeht.

"Lone Ranger" ist nicht die erste Zusammenarbeit zwischen Depp und Verbinski, der schon bei den ersten drei Teilen von "Fluch der Karibik" Regie geführt hatte. Auch ihre letzte Zusammenarbeit, der Animationsfilm "Rango", begann in einer Glasvitrine, die für das von Depp gesprochene Chamäleon zur Minibühne für allerlei Verkleidungsspielchen wurde, die ihm seine romantische Phantasie diktierte. Das eigentliche Chamäleon ist natürlich Johnny Depp selbst: ob als durchgeknallter Pirat mit Kajal und Dreadlocks, Animationsfigur oder Indianer mit totem Vogel auf dem Kopf - Depp ist das ewige Kind, das, in seinem Zimmer hockend, sich seine eigenen Legenden erfindet und sich in immer exzentrischeren Masken und Klamotten auf große Fahrt ins Reich der Phantasie begibt.

Ob es sich dabei nun um eine Piratenwelt oder, wie in "Rango" und "Lone Ranger", um den Wilden Westen handelt - es geht um die Reanimation vergangener Reiche. Die gleichzeitig niemals die Grenzen eines Zimmers oder eines Jahrmarkts verlassen, zu dem wir in "Lone Ranger" immer wieder zurückkehren. Um es mit dem Namen des produzierenden Studios zu sagen: Wir sind in Disneyland.

Schon der vor Kurzem gelaufene Disneyfilm "Die fantastische Welt von Oz", eine Neuauflage des Klassikers von 1939, hatte mit einer Zaubershow auf einem alten Jahrmarkt begonnen. Die Naivität, die sowohl "Oz" wie "Lone Ranger" bestimmt, ist erstaunlich. In "Oz" war es das gute alte Schaustellerhandwerk des Illusionisten, mit billigen Hologrammen und Feuerwerken, das über die Magie schier allmächtiger Hexen triumphierte. Und "Lone Ranger", dieser langweilige, aufrechte, maskierte Held, bekannt aus Hörbüchern, Romanen und Comics, wird von einem Bleichgesicht wie Armie Hammer gespielt, der aussieht, als sei er in Wahrheit ein Collegestudent, der in den Ferien als Kartenabreißer im Disneyland jobbt, an den Pforten zum Präriespielplatz - und dazu eine alberne schwarze Maske aufsetzen musste.

Aber wenn hier alles offensichtlich falsch ist, dann deswegen, weil keiner mehr versucht, das zu verschleiern. Disney will niemanden mehr überzeugen oder an eine Fabel glauben lassen: Ob er die Geschichte nun glaube oder nicht, müsse er selbst entscheiden, sagt Tonto am Ende seinem jungen Zuhörer. Es geht um etwas anderes: um die Faszination für die nackte Maschine, die das Spektakel erst ermöglicht.

Die Disney-Maschine, das war in der "Karibik" ein Piratenschiff, die Blackpirl, in "Lone Ranger" ist es die Eisenbahn, um deren Bau es von Anfang an geht. "Die Zukunft ist nicht mehr weit entfernt", predigt der dubiose Bahnchef, gegen dessen Machenschaften sich der Indianer Tonto und Lone Ranger zusammentun müssen. Die Eisenbahn: Das ist die Macht über die Zukunft und über das Land, eine "Kraft, die Kaiser und Könige macht". Denn was erschließt die Eisenbahn, was liegt am Ende ihrer Strecke, im äußersten Westen? Hollywood. Die Eisenbahn, das ist letztlich das Kino selbst, die Macht des Spektakels, Disney.

Statt einer Fabel erzählt der Film eher die Geschichte seiner eigenen Entstehung. Wie im Film lässt Produzent Jerry Bruckheimer ein ganzes Schienennetz für die Zugsequenzen anlegen. Und wenn es auch um einen riesigen, aber verfluchten Silberschatz in einem Indianergebiet geht, dann deswegen, weil an dem ganzen Spaß das Finanzielle immer ein Fluch ist - entweder gewinnt man, oder aber man geht baden mit einem Budget von 250 Millionen Dollar. So wie "Lone Ranger", in Amerika einer der großen Blockbusterflops des Sommers.

Dabei bedient Gore Verbinski diese Maschine, die ihm Bruckheimer und Disney hinstellen, wirklich hervorragend. Die besten Szenen des Films spielen, wie könnte es anders sein, auf der Eisenbahn. Zu Anfang treffen sich hier Tonto und Lone Ranger zum ersten Mal und liefern sich eine halsbrecherische Jagd mit Banditen auf dem Zug in voller Fahrt - ein einziges akrobatisches Bravourstück über Dächer und Abteile. Am Ende werden sie herausgeschleudert, das dampfende Ungetüm schießt über das Ende der Gleise hinaus, schiebt sich langsam an sie heran - um einen Zentimeter vor ihren Gesichtern ganz stehen zu bleiben. Verbinski unterwirft sich nicht einfach der bestialischen Studiomaschine Disneys. Er domptiert sie wie die Eisenbahn, bis auf den letzten Zentimeter: Er stoppt sie, baut sie auseinander, setzt sie neu zusammen. Am Ende kommt es dann zu einer noch fulminanteren Verfolgungsjagd zwischen zwei Zügen.

Außerdem spickt Verbinski seinen Film mit Zitaten, die man aufgrund ihrer Melancholie hier kaum erwartet hätte: Wenn vermeintliche Indianer unter romantisch-violettem Himmel eine Siedlerfamilie überfallen, dann scheint diese Szene fast direkt aus John Fords "Der schwarze Falke" übernommen zu sein, beim Bau der Eisenbahn denkt man an Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod". Die legendäre, epische, aber längst überlebte Vergangenheit des Westerns, die hier wie in einem Freizeitpark konserviert und gleichzeitig reanimiert wird, inspiriert ihn zu einer klassischen, kontrollierten Inszenierung mit ruhigen Landschaftspanoramen, ohne sich der ungebändigten Hysterie zu unterwerfen, an der unsere heutigen, von jedem Gewicht befreiten Kameras manchmal leiden.

Das Letzte, was in dieser großen Wiederverlebendigungsmaschine noch zu reanimieren bleibt, ist der tote Vogel, den Johnny Depps Tonto stets bei sich hat und der ihn bis in den Jahrmarktsguckkasten begleitet. "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt", so hieß eine berühmte Performance von Joseph Beuys: Mit einem toten Hasen auf dem Arm ging Beuys durch eine Galerie und erklärte ihm die Bilder. Am Ende war er freilich immer noch tot. Wenn aber Verbinski seinem toten Vogel die Disney-Bilder erklärt, dann, um ihn am Ende wieder fliegen zu lassen. 250 Millionen Dollar - für einen einzigen Vogel? Diese Vorstellung ist doch nun wirklich belebend.

The Lone Ranger, USA 2013 - Regie: Gore Verbinski. Buch: Justin Haythe, Ted Elliott, Terry Rossio. Kamera: Bojan Bazelli. Musik: Hans Zimmer. Schnitt: James Haygood, Craig Wood. Mit: Johnny Depp, Armie Hammer, William Fichtner, Tom Wilkinson, Ruth Wilson, Helena Bonham Carter, James Badge Dale, Bryant Prince, Barry Pepper. Disney, 149 Min.

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