So sieht das aus, wenn man "2048" spielt.
Es sah so gut aus. In der einen Kachel steht "1024", eine weitere mit "512" wartet bereits in der Ecke. Aber um die zweite "512"-Kachel zu bekommen, ist nicht mehr genug Platz. Noch zwei Mal die Pfeiltaste nach rechts gedrückt, schon blinkt – hämisch – der Schriftzug "Game Over" auf. Und nur die Aussicht, es gleich noch einmal zu probieren, hält einen davon ab, den Laptop aus dem Fenster zu werfen.
Wer schon mal "2048" gespielt hat, der versteht, was da gerade beschrieben wurde. Und wer Facebook oder Twitter nutzt, dem ist in den vergangenen zwei Wochen ein Name mit Sicherheit untergekommen: Gabriele Cirulli. Der 20-Jährige Italiener ist Web-Entwickler, er hat das kleine, aber fieses Zahlenspiel programmiert und sein Name ist schon in der URL präsent: Gabrielecirulli.github.io/2048. Dabei gehört der Ruhm eigentlich gar nicht ihm.
Bei "2048" muss man Kacheln mit demselben Zahlenwert zusammenschieben, die sich – hoffentlich – irgendwann auf den Wert 2048 addieren. Seit einer Weile wird es online überall herumgereicht: Screenshots mit 1024- und, ganz selten, 2048-Kacheln und Highscores werden gepostet, der Link zum Spiel mit der Warnung – "Macht voll süchtig!" – geteilt. "2048" ist so einfach wie Tetris und ähnlich frustrierend wie "Flappy Bird" und Sudoku, das ist wohl das Geheimnis des Spiels. Und ebenso oft wird es kopiert: Es gibt "2048" mit Fibonacci-Folgen (dann als 2584), als Doctor-Who-Edition, in der man Fotos von den bisherigen Doctor-Who-Darstellern zusammenschiebt, "2048" in 3D und 4D, ein 2048-Flappy-Bird-Mashup, "2048" mit Doge-Kacheln oder mit Netzpolitikern.
Gabriele hat sein Spiel unter MIT-Lizenz online gestellt, das heißt, man darf sein Spiel weiterverbreiten und abwandeln. Deswegen auch die vielen Versionen. Ihm gefällt das. "Ich versuche jede Version, die ich sehe, zu spielen", sagt er. "Es macht mich glücklich zu sehen, dass meine Arbeit ausgeweitet und auf so kreative Arten abgewandelt wird." Das muss er auch sagen. "2048" ist selbst ein Klon, eine Kopie mit kleinen Änderungen, die es vom Original unterscheidet. Eigentlich ist "2048" nicht mal ein Klon, vielmehr die Kopie eines Klons eines Klons.
Gabriele leugnet das nicht. Auf seiner Github-Seite verweist er auf die App, von der alles ausging: Threes. Und auf die App, die drei Wochen später erschien und quasi genauso funktioniert: 1024. Zwischenzeitlich warb diese App sogar mit "No need to pay for ThreesGames. This is a simple and fun gift for you, and it’s free". "Threes" kostet knapp zwei Euro, "1024" ist kostenlos. Den Klon Nummer zwei stellte der französische Programmierer "Saming" mit dem Browsergame 2048 online. Sein Spiel funktioniert wie Gabrieles "2048", nur nicht so flüssig, und es ist nicht so schön animiert. Dann erst ging Gabrieles Version online – die so gut aussieht, dass die meisten es gar nicht hinterfragen, ob sie das Original ist.
"Ich wollte '1024' und Samings '2048' aus Spaß zusammenbringen", sagt Gabriele. Und dann passierte etwas, mit dem er nie gerechnet hätte: "Einen Tag, nachdem ich es veröffentlicht hatte, sah ich, dass Tausende auf einmal mein Spiel spielen." Mehr als zehn Millionen Menschen haben bisher mehr als 50 Millionen Partien "2048" gespielt. Ein Prozent hat auch gewonnen.
Ein Grund für den Erfolg des Spiels ist, dass sich der Link auf Gabrieles Webseite viel schneller teilen lässt als eine App. Wobei trotzdem im Google-Playstore aktuell etwa 250 "2048"-Apps gelistet sind, fast alle sind kostenlos zu haben.
250 App mit verschiedenen Versionen von "2048" gibt es im Google-Playstore. Auch eine mit Doge-Kacheln.
Die Appstores werden damit von dem Problem eingeholt, dass sie nicht unbegrenzt Kopien eines Spiels zulassen können. Festzustellen, welches Spiel eine 1:1-Kopie ist und welches sich inspirieren ließ und eine Idee weitergedreht hat, macht viel Arbeit. Aber wenn ein Spiel in 250 Varianten angeboten wird, verwirrt das die meisten User.
Spiele-Klone gab es schon immer. Schon 1987. Das C64-Spiel "The Great Giana Sisters" war ein Klon von "Super Mario Bros.", das etwa ein Jahr zuvor erschienen ist. Irgendwann verschwand "The Great Giana Sisters" plötzlich vom Markt, angeblich wegen eines Rechtsstreits mit Nintendo, und wurde genau damit zum Kult. "GTA" wurde geklont, "Call Of Duty" und "Tetris" - letzteres gewann einen Rechtsstreit gegen einen der vielen Klone, weil nicht nur das Spielprinzip kopiert wurde, sondern auch die Formen und Farben der Steine. Noch nie aber wurde so schnell geklont wie heute, vor allem bei Casual Games, kleinen Spielen, die man nebenbei spielt, wie "Flappy Bird" und "Candy Crush".
Nachem der "Flappy Bird"-Entwickler im Februar sein Spiel wieder vom Markt genommen hatte, standen wenige Tage später dutzende Kopien in den verschiedenen Appstores. Aber auch ohne diese "Not" werden erfolgreiche Spiele kopiert und mal mit, mal ohne kleine oder große Änderungen online gestellt: um Aufmerksamkeit zu bekommen und oft auch um schnelles Geld zu verdienen. Gabrieles Name ist über Nacht bekannt geworden. Gerade arbeitet er an einer, wohl kostenpflichtigen, App-Version mit einigen Verbesserungen, denn er betont: "Das Original-Spiel wird kostenlos bleiben, im Open-Source-Geist."
Aber wie sehen das die Erfinder der originären Spiele? Die "Threes"-Entwickler Asher Vollmer und Greg Wohlwend sagten vor ein paar Tagen auf Techcrunch.com, dass sie für die Entwicklung ihrer App 14 Monate gebraucht haben. Nicht mal einen Monat später war bereits "1024" online und ihre App wurde als Plagiat bezeichnet. Greg Wohlwend twitterte, dass er nie mehr so ein "kleines, schönes Ding" machen wolle. "Es hat viel Arbeit gemacht, unser klitzekleines Spiel zu machen, aber nicht so viel, es zu klonen."
Der "Quizduell"-Erfinder Henrik Willstedt kennt das Problem ebenfalls. Sorgen macht er sich deswegen aber nicht. "Die Entwicklung von einem Spiel wie ‚Flappy Bird’ dauert ein bis vier Wochen, an unserem Spiel haben vier Entwickler zwei Jahre lang gearbeitet", sagt er. "Und unsere Erfahrung ist, dass das Original gewinnt. Wir haben schon viele 'Quizduell'-Kopien kommen und gehen sehen."
Bei "2048" scheint das anders zu laufen und der mehrfach geklonte Klon am Ende zu gewinnen. Die "Threes"-Erfinder können dagegen wohl nichts machen.
"Eine Idee an sich ist nicht schützbar, daran beißen sich Spiele-Entwickler vor dem Bundesgerichtshof immer wieder die Zähne aus. Das Urheberrecht schützt nie die Idee, sondern nur die konkrete Ausführung", sagt Mark Münch, Rechtsanwalt für IT-Recht. Die Schöpfungshöhe, die erforderlich ist, damit das Urheberrecht greift, sei bei solchen kleinen Spielen nicht erreicht. "Wenn der Quellcode geklaut wird, ist es meist ein Urheberrechtsverstoß, und auch, wenn die gesamte Ausführung übernommen wird", sagt er. "Die Grundentscheidung, dass Ideen nicht geschützt sind, halte ich für richtig, wir wollen ja, dass Wissen weiterentwickelt wird, so schmerzhaft das im Einzelfall ist."
Aber wo beginnt die Schöpfungshöhe? Bei 14 Monaten Arbeit für zwei Programmierer anscheinend nicht. Vielleicht noch nicht. Solange ist es mit dem Mini-Spiele-Klonen, wie wenn man beim "Scrabble" hinter das 17-Punkte-Wort "HYALIT" des Gegners noch ein "E" legt und damit 18 Punkte bekommt. Erlaubt. Aber für den, der das Wort zuerst gelegt hat, einfach scheiße.