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Tiefer geht’s nicht

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Häme ist ein beliebtes Stilmittel im Journalismus. Sie ist so einfach. Und Häme gegen einen, der auf dem Boden liegt, ist das Einfachste. Man kriegt die billigen Lacher. Jeder grinst sich eins. Und dann blättert man um.



Die Kanzlerin verkneift sich die Häme wohl lieber.

Klar, der zurückgetretene Bayern-Präsident Uli Hoeneß ist nicht unbedarft in die Medienwelt geraten. Er wurde auch sicher nicht von Weinkrämpfen geschüttelt, als er nach seinem Urteil die Schlagzeilen gelesen hat: „Der Runde muss ins Eckige“, „Uli dahoam“, „Richter macht ihn rein“ – bebildert mit Hoeneß in gestreiften Knastklamotten hinter Gitterstäben. Und Hoeneß sah garantiert die Twittereinträge nicht, die sich an ihrer eigenen Witzigkeit erfreuten. Einer lautete so: „Transferhammer!!! Hoeness wechselt für 27,2 Mio zur JVA. Er hat dort einen 3 1/2 Jahres Vertrag.“

Wie lustig. Nur dass es eben kein Witz ist, sondern ernst. Und das haben sehr viele Medien offenbar vergessen. Ihnen ging es in der Berichterstattung über das Urteil gegen Hoeneß um den guten Spruch, den coolen Witz. Und so kam es. Auf das Urteil gegen Hoeneß folgte ein Wettbewerb der Witze.

Sicher, der Mann hat selbst hart ausgeteilt, er hat den anderen in der Bundesliga stets vermittelt, dass die Bayern ganz vorn stehen und dann lange nichts kommt. Er ist der Inbegriff bayerischer Arroganz. Dennoch. Was viele Medien rund um diesen Prozess bieten, das lässt einen am eigenen Berufsstand zweifeln. Was tun wir hier eigentlich? Es hilft beim Nachdenken, wenn man im Gerichtssaal gesessen und gesehen hat, wie Hoeneß mitgenommen war durch dieses Urteil, wie seine Frau versteinerte und grau im Gesicht wurde. Und es hilft noch mehr, wenn man eine Haftanstalt schon einmal von innen gesehen hat. Das ist kein Hotel. Und es geht nicht um die Qualität des Essens, die Einheitskleidung oder darum, ob man den Sportsender Sky empfangen kann.

Es geht um etwas ganz anderes: um das Ausgeliefertsein, die Einsamkeit, den Moment, wenn sich der Schlüssel hinter einem im Schloss dreht. Und es eben bei Weitem nicht so klar ist, dass man nach ein paar Monaten wieder draußen ist oder zumindest auf Freigang. Es ist ein großer Einschnitt im Leben.

Deswegen ist es unverständlich, warum überall geschrieben und mit profundem Halbwissen getalkt wird, dass Hoeneß doch vom ersten Tag an quasi als Luxusfreigänger den Knast verlassen könne. Das mag vielleicht im Norden der Republik zutreffen, in Bayern sitzt man erst einmal. Und darf sich in der Zelle überlegen, ob man in den zwei Besuchsstunden im Monat lieber die Ehefrau, den Sohn, die Tochter oder Pep Guardiola empfängt.

Der Beginn der Haft ist ein Schock, vor allem für Menschen, die vorher noch nie Freiheitsentzug erlebt haben. Oft werden diese „Erstverbüßer“ in Zwei-Mann-Zellen gelegt, damit sie sich nichts antun. Es ist also ein ziemlich quälender Punkt im Leben. Egal, ob man Franz Mustermann heißt oder Uli Hoeneß.

Und was liefern die Medien dazu? Aufklärung? Hintergrund? Nein. Manche Medien liefern Werbung in eigener Sache. Selbstgerechtigkeit. Häme. Satire.

Die taz lässt einen rot-weißen Bayernschal aus einem vergitterten Fenster wehen und schreibt: „Mia san hier.“ Das kann man noch unter taz-eigenem Humor abbuchen. Doch dann kam, genau eine Stunde nach dem Urteil, folgender Tweet von taz-Chefin Ines Pohl: „Hilfe für #Hoeness: spenden sie ein taz-knastabo: http://www.taz.de/&ldquo ;. Irgendwann ist die Geschmacksgrenze überschritten.

Dann tritt auf der selbstgewisse Chefredakteur des Focus. Er darf in einer Talkshow sagen, Finanzminister Schäuble sei ihm noch Dank schuldig, quasi als Anerkennung für die Recherchen von Focus, der als Erster über die Hausdurchsuchung bei Hoeneß berichtet hatte: „Und ich warte heute noch auf die Kiste Champagner als Dankeschön.“ So sagte das Jörg Quoos und vergaß ganz zu erwähnen, dass zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung die Selbstanzeige von Hoeneß längst eingegangen und die Ermittlungen lange im Gange waren. Warum sollte Schäuble danken? Im Gegenteil, gegen die Informanten von Focus wird ermittelt.

Die Bild-Zeitung schwang sich als Sprachrohr eines kruden Volksempfindens auf und forderte vor dem Urteil: „Steckt Hoeneß in den Knast!“, nur um danach scheinheilig zu fragen: „Überlebt Hoeneß den Knast?“ Der verurteilte Hoeneß würde die Haft vielleicht besser überleben, wenn man ihn jetzt in Ruhe ließe: Aber die Bild-Reporter hängen in den Bäumen rund um sein Grundstück und schießen seine Familie ab, bis hin zu Tochter und Schwiegersohn. Sogar, als sich Susi Hoeneß über die Wiege des Enkelkinds beugt, wird sie geknipst. Das ist ein Verstoß gegen das Recht auf Privatsphäre, die auch ein verurteilter Straftäter hat. Aber das zählt ja nichts mehr.

Man kann darauf warten, bis die ersten Fotos von Hoeneß aus dem Knast veröffentlicht werden. In Häftlingskleidung. Es wird genügend dafür geboten werden. Und sicher findet sich wieder eine tolle Überschrift, die suggerieren wird, man drucke das Bild nur, um eine ernste Story zu bebildern. Vielleicht so: „Lebensgefahr – Wird Hoeneß im Knast gemobbt?“

Es gab am 13. März, dem Tag des Urteils, auch andere Menschen, die sich Gedanken machten, nicht nur Journalisten. Der Fußballer Christoph Metzelder zum Beispiel, der bei Dortmund, Schalke und Real Madrid spielte. Nicht unbedingt ein Bayern-Freund. Aber vielleicht einer mit Gespür für etwas, das Anstand heißt. Metzelder twitterte: „Jetzt, da Justitia gesprochen hat, könnte die Häme aufhören!“ Vermutlich hat diesen Tweet keiner gelesen, man war ja mit Witzereißen beschäftigt.

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