Das Referendum in der Autonomen Republik Krim der Ukraine setzt uns wieder eine Problematik auf die Tagesordnung, die spätestens seit den 1990ern existiert und zuletzt u.a. in Abchasien (Georgien/Russland, 2008) und im Kosovo (Serbien, 2008 bzw. 1998/99) eskaliert ist: Die Sache mit der Uneigenständigkeit einiger Regionen, die nicht dem Nationalstaat angehören wollen, der sie beansprucht. Die Gründe dieser Zugehörigkeit sind oftmals vielfältig, meist jedoch resultiert sie aus geopolitischen Kriegen und 'Deals', bei denen Grenzen willkürlich gezogen und verschoben wurden – von Großmächten. Die in den betroffenen Gebieten lebenden Menschen wurden, bis auf ganz wenige Ausnahmen, bis heute nicht gefragt.
Wie aber ist dieser Ungerechtigkeit beizukommen?
Die Lösung könnte sein eine Europäische bzw. Eurasische Gemeinschaft von Kultur-, Sprach-, Wirtschafts- oder wie auch immer gearteten Regionen mit Nationalstaatsstatus.
»Frieden zu Hause, Frieden in der Welt«, sagte einst der Gründer der Türkischen Republik, Mustafa Kemal 'Atatürk'. Deshalb will ich als Deutscher mein Gedankenspiel gerne am Beispiel Deutschlands aufziehen.
Ein Gedankenexperiment
Die Bundesrepublik Deutschland als souveräner Nationalstaat mit Verfassung besteht aus den bekannten sechzehn Bundesländern, welche als sog. Gliedstaaten mit eigener Verfassung jedoch eine gewisse Teilsouveränität besitzen. In diesem Gesamtverbund, der sich aus dem Norddeutschen bzw. Deutschen Bund entwickelt hat, geht es den Bürgern heute überwiegend gut, zumindest nach den bisherigen Maßstäben von Frieden, Freiheit und Wohlstand – den Versprechen der Europäischen Integration. Auch unser politisches Ansehen in der Welt ist sehr gut, aktuell wird Deutschland eine Führungsrolle in Europa zugesprochen. Da könnte man also meinen, dass kaum jemand an diesem Konstrukt rütteln oder es gar verlassen wollen würde.
Allerdings tragen drei der sechzehn Bundesländer die Bezeichnung »Freistaat«, was im weiteren Sinne auch als »Republik«, also als ein eigenständiger Staat verstanden werden kann. Träger dieser Bezeichnung sind die Bundesländer Thüringen (seit 1993), Sachsen (1992) und Bayern (1945). Eine weitere 'Abspaltungsideologie' erkennt man, wenn man sich die Parteien auf Bundesebene anschaut: Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und FDP haben allesamt 16 Landesverbände. Einzig die Union besteht aus 15 CDU-Landesverbänden und der CSU in Bayern, welche im Bundestag sogar mit eigenem Proporz vertreten ist.
Auch darüber hinaus wird in den Medien immer wieder über eine Stimmung berichtet, nach der 'die Bayern' sich abspalten wollten. Zuletzt bekräftigt durch das überhebliche Auftreten des Bayerischen Ministerpräsidenten (und CSU-Vorsitzenden) „König Horst“ Seehofer. Eine Abspaltungsideologie, die zurückreicht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich die Königreiche Bayern und Württemberg, das Großherzogtum Baden sowie das Kaiserreich Österreich vom Deutschen Bund abspalteten.
Diese Grundgedanken dienen mir als Grundlage für mein Gedankenexperiment.
Union Europäischer Regionalautonomien
Denn: Nicht alle Bayern fühlen sich als Bayern. Der Freistaat Bayern ist nämlich nur in der südlichen Hälfte tatsächlich Bayern, die nördliche Hälfte ist Franken. Und den Franken fällt es wahrlich schwer, sich mit den Bayern anzufreunden. Daher sollte es – und das ist des Pudels Kern – dort ein Referendum geben, ob die Franken weiter zu Bayern gehören oder eventuell ein eigenes Bundesland konstituieren wollen. (Nach Art. 29 GG ist dies möglich.) Weiter sollte dies in allen Bundesländern geschehen. (Schritt 1)
[seitenumbruch]Das Ziel dahinter ist, diesen neu gestalteten Ländern (in welcher territorialen Größenordnung auch immer, also beispielsweise Regierungsbezirk, Tarif-/Verkehrsverbund oder Wirtschafts-/Metropolregion) eine eigene Verfassung zu geben und den Status eines souveränen Nationalstaats anzuerkennen. Regionalautonomien sozusagen, aber (voll-) souverän. Dies sollte zudem auf dem ganzen europäischen oder gar eurasischen Kontinent geschehen. (Schritt 2)
Im weiteren Schritt sollen diese Regionalautonomien per Volksabstimmung über die Einsetzung von sog. Regionenvertretungen entscheiden. Darunter kann man sich einen Zusammenschluss wie die BeNeLux-Union oder aber (eher) den Zusammenschluss der deutschsprachigen Nationalstaaten, »D-A-CH«, vorstellen. (Schritt 3)
Das Ziel dahinter ist wiederum, dass die Regionenvertretungen – von den Bürgern der Regionalautonomien gewählt – sich zusammenschließen und eine „Union der Europäischen Regionalautonomien“ bilden. (Schritt 4)D.h. dass die ›Europäische Union‹aus einer Art »Konferenz der Regionenvertretungen« besteht, die sich mit grenzüberschreitenden Maßnahmen und Themen befassen, wie z.B. Freizügigkeit, Binnenmarkt, Zölle, Währung, Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Regionalautonomien hingegen konzentrieren sich auf nationale Aufgaben und Themen wie Infrastruktur, Gesundheit und Bildung, Arbeit und Sozialordnung, Innere Sicherheit. (Das Thema Justiz kann bei den Regionalautonomien behandelt werden, das Thema Umwelt/Natur bei den Regionenvertretungen, also der Union.)
Eine wirtschaftliche, politische und Wertegemeinschaft also.
Freiheit, Frieden, Wohlstand
Anstatt der bisherigen Dreistufigkeit aus Land, Bund und EU (deutsche Sicht) und den entsprechenden Wahlen – wobei derbürgerlichen Mitbestimmungüber die Europawahlen bisher wenig Zuspruch durch eben jene Bürger zuteil wurde – hätte es dann den Zweiklang aus Regionalautonomienund Regionenvertretung. Die Europapolitik wäre damit mehr vom Bürger bestimmt, also demokratischer und bürgernäher.
Zudem wäre den Sezessionsbestrebungen bzw. -wünschen entsprochen und den damit verbundenen Konflikten Einhalt geboten.
Darüber hinaus könnte eine Europäische Union weiter gefasst, und so die Spaltung in Ost und West endgültig aufgelöst, der Kalte Krieg endgültig beendet werden, wenn sich die Regionenvertretungen der europäischen Regionalautonomien mit denen etwaiger (nord-) asiatischer Regionalautonomien zu einer „Eurasischen Union der Regionalautonomien“ (wirtschaftliche, politische und auch Wertegemeinschaft) zusammenschließen.
Auch dadurch könnten Konflikte im Zusammenhang mit Abspaltungswünschen beseitigtwerden. Und dieVersprechen der Europäischen Integrationzumindest von Freiheit und Frieden wären endlich eingelöst. Ein Wohlstand ergäbe sich möglicherweise von selbst.
Nachsatz
Übrigens: Die einleitend genannten Beispiele stellen nur einen Teil der Konfliktterritorien dar! Weitere sind u.a. Bergkarabach (Armenien/Aserbaidschan), Südossetien (Georgien/Russland) und Transnistrien (Moldawien, Grenze zur Ukraine). Hinzu kommen die separatistischen Bewegungen/Bestrebungen in Europa (z.B. Baskenland, Katalonien, Schottland).
Erklärung/Hinweis
Dieser Text ist kein direkter Beitrag zur aktuellen Situation in der Ukraine/Krim, sondern Teil einer (fortzusetzenden) Reihe unter der Überschrift „Gedankenspiele“, in der Ideen zur Anpassung von demokratischen, sozial- und rechtsstaatlichen und anderweitigen politischen Strukturen gesammelt und diskutiert werden können. Dabei sollen die entsprechenden Verfassungen geachtet werden, allen voran das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie die Charta der Vereinten Nationen.
Die Idee hinter diesem Text stammt aus Juli 2008.