Ich sage euch tschüss und du schließt die Tür hinter mir. Ich versuche durchzuatmen. Bekomme keine Luft. So schnell ich in Zeitlupe kann, gehe ich die Treppe runter. Unten angekommen sehe ich den leichten Nebel im Licht der Laternen. Eingefroren. Es ist kalt. Einzig unsere Verabschiedung war noch mehr im Minus. Ich gehe los. Mein Puls steigt. Mein Herz weiß nicht wohin, erdrückt von dem Knoten unter meiner Brust.
Wir haben uns lange nicht gesehen. So, nur noch ein bisschen weiter entfernt, fühlt es sich auch an. Trotz allem Ungeklärten komme ich vorbei. Die bekannte distanzierte Nähe, wie erwartet. Wir reden über den Job, deine und meine Projekte. Und ihre. Ganz in Ordnung, nichts Tiefes. Wir kratzen ein bisschen an der Oberfläche, auf der wir uns gerade erst wieder gefunden haben. Ich hier und ihr da drüben, mir gegenüber.
Wie nett.
Ich konnte dir immer alles sagen. 99 von 100. Du warst vom ersten Tag an die Rettung in jeder Not. Wir vertrauen uns schon so lang und dann merke ich, dass ich jeden Bezug zu dir verloren habe und wir uns überhaupt nicht kennen. Ob wir das je taten? Nein, ich glaube ganz sicher, wahrscheinlich nicht. Du weißt nicht wer ich bin. Das muss ich heute feststellen? Ich habe irgendwann aufgehört zu fragen, wer du eigentlich bist und wer ich wirklich bin, weiß ich gerade auch nicht mehr. Wie sollst du es dann wissen?
Du trinkst jetzt also Wein. Haben wir nie. Weißweingläser stehen dir sowieso nicht. Das war schon okay. Du fragst mich, ob sie mir gefällt. Sie trägt goldene Glitzerstiefel und darunter rosa Frottee-Socken. Ihre Art ist mädchen. Wie sie dich anschaut. Ihr Lächeln wirkt leicht unecht. Meins auch. Könnte daran liegen, dass es das ist. Wenn du wüsstest, wie schwer es mir gerade fällt, meine Mundwinkel nach oben zu bewegen. Wie hart ich mir gerade jedes Lachen erkämpfe.
Sie ist okay.
Ich habe dir immer alles gesagt. Aber nie alles gezeigt. Ich habe dir nie gezeigt wer ich bin, was ich bin und warum ich es bin. Als ich sage, dass ich dann los muss, weil ich noch zu ihm fahre, guckst du mich mit dem Blick an, den du mir immer entgegen wirfst, wenn es um ihn geht. Warum er? Warum schon wieder er? Er sei nicht gut für mich. Na und? Warst du auch nie. Mit meiner Liebe zu Lösungen komme ich hier nicht weiter. Ich schlucke den Kloß zusammen mit der verpassten Chance dir zu zeigen, wie ich wäre, wenn ich Ich wäre, runter.
Er, weil du es nicht bist.
Ich freue mich auf euren Besuch. Vergesst eure Frottee-Socken nicht.