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Diddys Welt

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Es gab einmal eine Zeit, da schalteten die Menschen tatsächlich den Fernseher ein, wenn sie Musikvideos sehen wollten. Anfang der 1990er war das, der Musikbranche ging es prächtig, weil sie ihre Produkte auf kleinen, nur schwer kopierbaren Scheiben vertrieb und auf diesen speziellen Sendern kostenlos bewerben durfte. Der Musikproduzent Sean Combs nannte sich damals Puff Daddy, er verdiente zunächst viel Geld mit den Künstlern seines Labels Bad Boy Records. Später trat er auch als Rapper in Videos auf, in denen er etwa Godzilla anbrüllt, mit einem Motorrad über Autos springt oder einen Golfball durch die Fensterscheibe von Ben Stillers Haus jagt.



Diddy bei seiner Modenschau in Kalifornien

Diese Zeiten sind lange vorbei, auf Musiksendern sind nur noch Promi-Reality-Sendungen und Datingshows zu sehen, und der Musikbranche geht es nicht besonders gut. Combs nennt sich nach einigen skurrilen Namensänderungen mittlerweile nur noch Diddy (außer in England nach einem Rechtsstreit mit einem DJ, dort heißt er immer noch P. Diddy). Er gilt mit einem Privatvermögen von 580 Millionen Dollar als reichste Person im Hip-Hop – auch deshalb, weil er während der Krise in anderen Branchen tätig war. Ihm gehört die Modemarke Sean John, er hat ein Parfum und eine Wodkasorte entwickelt, er tritt in zahlreichen Werbefilmen auf. Doch ganz offensichtlich will Combs nicht, dass diese Zeiten vorbei sind: Bloomberg News zufolge hat er nun ein Angebot über 200 Millionen Dollar für den Musiksender Fuse TV abgegeben.

Der wurde im Jahr 2003 gegründet, gehört der Madison Square Garden Company (MSG) und ist in 74 Millionen Haushalten zu sehen. Auch auf der Webseite, einem Video-on-demand-Service und auf mobilen Plattformen sind Inhalte des Senders und Musikvideos zu sehen. Bereits im September vergangenen Jahres hatte es zahlreiche Angebote für Fuse TV gegeben, MSG heuerte deshalb die Bank JP Morgan an, um die Möglichkeiten eines Verkaufs auszuloten. Laut Brancheninsidern dürfte Fuse TV zwischen 200 und 250 Millionen Dollar wert sein, womöglich gar mehr. Combs wollte sich bislang nicht zu den Berichten äußern, von MSG gab es nur ein knappes Statement: „Wir loten gerade die strategischen Alternativen für Fuse aus, wir werden während des laufenden Prozesses keinen weiteren Kommentar abgeben.“

Allerdings: Combs besitzt bereits einen Musiksender, er hat ihn sogar selbst gegründet. Im Oktober vergangenen Jahres ging Revolt TV auf Sendung, zum Start nannte sich Combs wieder Puff Daddy und sagte: „An all die Träumer da draußen und all jene, die an etwas glauben, all die Menschen, die Musik verändern wollen: Die Zeit ist gekommen!“ Nicht wenige Menschen hielten Combs für einen Träumer. Ein Sender, der tatsächlich Musikvideos zeigt und Nachrichten aus der Branche präsentiert – das klingt ein wenig wie eine Utopie aus einer längst vergangenen Zeit. Die jungen Menschen, so die Kritik, würden heutzutage nicht mehr warten, bis ihr Lieblingssong im Radio oder im Fernsehen gespielt wird, sie hören ihn auf Streamingportalen wie Spotify oder sehen sich das Video auf Plattformen wie Youtube an.

Doch genau das will Sean Combs ändern, er sagte kürzlich: „Wir brauchen eine Plattform, die über Musik mit journalistischer Integrität berichtet.“ Dazu fehlen ihm bei Revolt TV noch die Zuschauer. Durch den Kauf von Fuse TV und einem Zusammenschluss mit Revolt TV könnte Combs an Reichweite und Relevanz gewinnen. Und so lange Musiksender wie MTV und VH-1 nur C-Promis beim Nägelmachen zeigen, hat Sean Combs immerhin keine Konkurrenz bei seinem Versuch, die Menschen wieder dazu zu bewegen, für Musikvideos den Fernseher einzuschalten. Jürgen Schmieder

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