Pickel. Pickel in allen Größen und Farben, mal bis zum Bersten mit Eiter gefüllt, mal ganz jungfräulich daherkommend; ich kann das beobachten, denn ich habe Zeit: Zeit, die ich in diversen Warteschlangen verbringe in einem der Supermärkte in der Innenstadt Münchens.
Die Pickeljungs aus dem Supermarkt. Das soll gar nicht despektierlich klingen, schließlich war ich auch mal ein pickliger Schlacks von 15 Jahren und habe mir mein Taschengeld zeitweilig in einem Supermarkt verdient. Nur: Ich ging trotzdem noch zur Schule! Heute beschleicht mich der Verdacht, dass die Nachfolger JEDEN Tag zumindest körperlich anwesend sind. Und es werden immer mehr!
Denn die Pickel verteilen sich im ganzen Supermarkt: Ein Hosianna für die Fleischtheke, an welcher der vielleicht 16-Jährige Kevin beschlossen hat, die Kundschaft nach einer Zigarettenlänge wahrzunehmen. Er „bedient“ die hungrigen Mäuler mit einer Herzlichkeit, man könnte das Eis von der Thekenscheibe kratzen. Das Gesicht sagt: „Mir ist soooo langweilig….“- und man möchte antworten: „Mir auch!!!“ Denn mit einer quälerischen Langsamkeit schälen seine ungelenken Hände den Schinken aus dem Vitrine, statt hauchdünnen Scheiben werden dicke Bretter hiervon geschnitten, dilettantisch die Verpackung - Origami ist definitiv nicht Kevins Hobby -, schließlich ein gelangweilter Abschied… Ich möchte ihm einfach nur den Schinkenknollen ins dröge Gesicht schmeißen!
Und das obwohl es für Kevin eigentlich keinen Grund zur Langeweile gibt, schließlich gibt es genügend Kollegen im gleichen Alter, mit den man rumalbern kann:
„Der Flaschenautomat ist voll“ hallt es über die Sprechanlage und mit der Agilität eines 100jährigen setzt sich Abdullah in Bewegung, gleiche Altersklasse wie Kevin, Augen ebenfalls auf Halbmast. Das angestrengte Quietschen der Containerreifen entspricht phonetisch dem Grummeln, welches Abdullah in seinen Flaum brabbelt :“schdrwx“ versteht man zumeist, übersetzt: „Scheiß drecks wix!“
Kevin, grinsend: „He! Beweg dich du Opfer!
Abdullah, das Aknegsicht` vorstreckend: „Halt die Fresse du Penner!
Beide lachen, Abgang Abdullah.
Der Intendant dieser Aufführung hastet auf und an der Bühne vorbei, das Schildchen auf dem Revers besagt `Marktleitung`, nennen wir ihn Sergei, wenigstens volljährig, mehr nicht. „Nach dem Automat machst du Lager!“ Bellt er kurz in das „Gespräch“ hinein, in der Hand einen großen Schlüsselbund schwingend wie ein Dompteur- im Flohzirkus natürlich. Ein Kassenpickel nuschelte unlängst den xten „Storno“ über die Sprechanlage.
„Storno“, mich beschleicht der Gedanke, dass dies das meistgebrauchte Wort des Tages in Deutschland sein muss: „Storno StornoStorno! –aber ich schweife ab.
Denn der eigentliche Grund für diesen Storno ist die Unfähigkeit Egons, Auberginen von Zucchini zu unterscheiden. Sein teigiges, der Leser ahnt: rosinengespicktes Gesicht vermittelt mir den Eindruck, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Ich sehe ihm das nach: In seinem Alter kannte auch ich nur den Begriff „Gemüse“ – aber wenigstens konnte, durfte, ja musste ich den Fehler an der Kasse selbst korrigieren, heute kommt ein Sergei herbeigeschwitzt, volljährig, wie erwähnt, und doch scheint in seinem gestresstem Gesichtsausdruck bereits eine Art Zeitlosigkeit zu liegen: Als ob es sein Schicksal sei, auf ewig zwischen Fleischtheke, Flaschenautomat und Kasse hin- und herzuhetzen, ständig an den Pickeln nestelnd, die ihn aufzufressen drohen... der moderne Sisyphos!
Und Sergei ist beweglich, geradezu flexibel. Das muss er auch sein, denn die Kundschaft muss erstüberwunden um anschließend bedient zu werden –wie eine Mauer steht sie zwischen Sergei und der Kasse!
Sergei zieht das Tempo an: Die Innenverteidigung der Renter+Rollatoren lässt er mit einer Körpertäuschung ins Leere laufen, die anklagenden Gesichter der Außenverteidiger, heute besetzt mit zwei rollkoffergeschädigten Dürrlingen der Marke „Hipster“, ignoriert er gekonnt und er vermeidet zumindest unnötige Zweikampfhärte im Kontakt mit dem Torhüter, hier ein Dreijähriger, der ohnehin schon seit gefühlt einer Stunde nur noch schreit –„Faul!!! Faul!!! Kreischt die Mutter mit ihrer Gestik den Irrwisch an, doch mit der Unschuldsmiene eines italienischen Verteidigers passiert Sergei auch dieses Hindernis. Die Meute bleibt ruhig, denn sie alle ahnen, dass es nicht Sergei ist, der hier Foul spielt, sondern dass hier andere Kräfte am Werk sind, die solchen unnötigen Stress hervorrufen…
Einem Schlangenmensch gleich klemmt sich Sergei schließlich zwischen Kassentür/Kundschaft und Egon, nunmehr Den Einen, den „Goldenen Schlüssel“ wie eine Lanze von sich streckend, dass Schlüsselloch der Kasse anvisierend. Egons Schweinsaugen blicken empor, fast möchte man meinen: bewundernd fragend das angestrengte Gesicht Sergeis betrachtend –ein Bild wie aus der sixtinischen Kapelle. Aber es sind doch nur gelangweilte Augen.
„Zucchini. 1357.Enter. Jetzt noch mal Enter. Stopp. NEIN!!!“ Kurze Rochade der Hände an der Kasse weil Egons Wurstfinger zu dick; wunderbar, wie Sergeis Körper sich zu einem Rundbogen verformt, so dass er über Egons massigen, mit Tätowierungen verzierten Nacken die Kasse bedienen kann- Klack, Klack, Klackerdiklack, endlich! Sergei weiß alles und kann alles, Hallelujah möchte man meinen, Mission accomplished, der göttliche Funke ist übergesprungen und der Geld, Waren- und Kundenstrom kann sein gewohntes Flussbett wieder einnehmen…
Schade nur das die EC-Karte des Lemmings vor mir nicht vom Lesegerät erkannt wird -Einkaufswert: 2,49, Biokartoffeln, versteht sich, man lebt ja gesund…