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Schwarze Sonne

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Es ist Anfang März, der vergangene Herbst ist fast nahtlos in den kommenden Frühling übergegangen. Die Sonne scheint, hat ihre Kraft kaum verloren und schon fast wieder zurück gewonnen, unsere Jacken hängen achtlos über der Rückenlehne der Bank.


Wir sitzen nebeneinander, zwischen uns Schlüsselbund, Zigaretten und dampfende Kaffeetassen. Das ist unser Ding, gemeinsam Zigaretten rauchen. Wenn wir zusammen sind, dann werden es davon immer viele. Seine Füße sind wie meistens nackt, die obligatorischen Badelatschen liegen neben der Bank. Wie oft es mich schon beim Anblick seiner Füße gefroren hat. Lange haben wir uns nicht mehr gesehen, es war keine Zeit da. Wir lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen und sprechen über seine neue Arbeit, die Kollegen, Kunden und die neue Wohnung, die er endlich im Juni beziehen darf. Wir freuen uns, dass wir uns endlich einmal wieder sehen. Freuen uns, dass uns die Sonne wärmt. Es ist fast friedlich, wie wir da so sitzen. Ein paar Meter weiter spielt eine junge Frau mit ihren Kindern, quer über den Rasen sehen wir zwei kleine Jungen auf ihren Dreirädern. Und der kuriose Typ, der unermüdlich den kleinen Gehweg vor dem Haus auf und ab läuft, bringt uns zum schmunzeln.


Schon bald bekommt unsere kleine Raucherrunde ein wenig Gesellschaft. Ein Spitzbub vor dem Herrn, immer einen dummen Spruch auf den Lippen und wahnsinnig selbstironisch. Als er anfängt bairisch zu sprechen, brechen wir in schallendes Gelächter aus, so urkomisch klingt das.


Das Lachen erstirbt und das Echo klingt metallisch und schmeckt bitter auf der Zunge, als der Barfüßige und der Lustige von Griechenland erzählen. 2,5 und 1,5 Jahren waren sie dort. Ohne Papiere, mit der ständigen Angst vor einem Aufgriff durch die Polizei. Sie haben auf der Straße gelebt, als Erntehelfer für einen Hungerlohn zwölf Stunden am Tag geschuftet. Der Lustige kam unter einem LKW versteckt über Italien und Frankreich nach München. Mein barfüßiger Freund schlug sich zu Fuß über Italien, Serbien, Ungarn und Österreich hierher durch. Seit vier Jahren leben sie hier. Seit vier Jahren kämpfen sie für ein würdiges, für ein selbstbestimmtes, für ein besseres Leben. Sie sprechen beide perfekt Deutsch, haben einen Schulabschluss in der Tasche und hängen doch noch immer in ihren kargen Doppelzimmern der Unterkunft fest. Letztes Jahr im Sommer dann die Entscheidung: § 25 (3) AufenthG. - Ein Aufenthaltstitel. Und nun? Endlich am Ziel?


Szenenwechsel.


Ich sitze in einer Einrichtung der stationären Jugendhilfe. Der sanfte Riese, der noch kaum ein Wort Deutsch spricht, hat ein Vorstellungsgespräch in einer Wohngruppe. Die Atmosphäre ist angespannt und unterkühlt. Ich merke, dass er sich nicht wohl fühlt. Ich tue es auch nicht. Es ist nicht der richtige Ort für ihn. Die Dolmetscherin übersetzt: „Ich war früher ganz anders, fröhlich. Jetzt bin ich gebrochen.“


Nach dem Gespräch sitzen wir in der U-Bahn. Die Dolmetscherin ist weg. Wir versuchen uns mit Händen und Füßen zu unterhalten. Letztendlich hilft uns die App auf dem Smartphone, uns zu verständigen. Ich lasse das Handy meine Botschaft übersetzen und hoffe, dass sie bei ihm ankommt: „Du wirst ein gutes Leben haben. Das Leben hier wird besser.“ Ich reiche ihm das Handy, er liest die arabischen Schriftzeichen, die die App ausgespuckt hat. Schaut mich an und nickt. Er versteht.


Kurz bevor wir uns am Hauptbahnhof trennen, tippt er in sein Handy. Ich lese: „Du bist ein guter Mensch.“


Sie mussten auf der Flucht erwachsen werden. Haben alles zurück gelassen, ihre Heimat, ihre Freunde, ihre Familien. Familie, oder das was davon übrig blieb. In ihren Herzen und ihren Köpfen tragen sie die Bilder ihrer toten Väter, ihrer ermordeten Mütter, ihrer verschollenen Geschwister. Wegen den Bildern in ihren Köpfen können sie nachts kaum schlafen, sie sind dünn geworden, sie können sich nicht lange konzentrieren, haben chronische Bauch- und Kopfschmerzen.Und trotzdem kämpfen sie jeden Tag aufs Neue um ein Zuhause, um ein wenig Glück.Die Wahrheit ist: Es wird niemals ein Zuhause geben. In ihren Heimatländern gibt es kein Zuhause mehr. Dort gibt es niemanden mehr, der für sie ein Zuhause sein kann. Und hier in Deutschland? Hier in Deutschland werden sie immer „ein scheiß Asyl“ [sic!] bleiben. Sie werden nie zur Ruhe kommen dürfen.


Lange hab ich überlegt, wie ich diesen Text beende. Doch letztendlich hat diese Geschichte kein Ende. Es ist das, was hier jeden Tag passiert. Jeden Tag brechen Menschen auf und verlassen ihre Heimat. Jeden Tag kommen Menschen in Deutschland an, im Gepäck nichts weiter als ein wenig Hoffnung auf ein besseres Leben und ein wenig Glück.


Es ist nicht viel was bleibt. Manchmal nur eine Zigarette und eine Tasse Kaffee in der Sonne.


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