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Im Bad der Anderen

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Klack, macht die Tür. Abschließen, oder wäre das jetzt übertrieben? Na gut, besser abschließen als nackt auf dem Klo sitzen und dieser Zwischenmieter-Typ kommt rein. Nochmal klack. Jetzt ist man also allein. Zum ersten Mal seit gefühlten 72 Stunden, nach dem großen Willkommens-Hallo und dem Küchen-Smalltalk mit den Mitbewohnern. Endlich kann man kurz alle Gesichtszüge fallen lassen, kann ein wenig da herumkratzen, wo man lieber nicht kratzt, wenn jemand zuguckt. Kann einen kleinen Flüstermonolog mit sich selbst führen, in Ruhe aufs Klo gehen, sich mal wieder ausführlich im Spiegel angucken und ein bisschen im Gesicht herumdrücken. Meist aber steht man erstmal einfach nur da und denkt: Aha, so sieht das also hier aus.

Das erste Mal allein im Badezimmer einer fremden Wohnung zu sein, egal ob morgens um elf oder nachts um zwei auf einer Hausparty, ist ein immer gleiches Gefühl. Ein leicht beklommenes Herumtappen im Intimraum fremder Menschen. Im Bad ist man ja immer mehr Eindringling als etwa in der Küche, denn das Bad ist ein seltsames Räumchen-wechsel-dich der Privatsphäre, an dem jeder Bewohner unbeobachtet seine eigenen Rituale pflegt. In der Küche essen alle zusammen, aber im Bad wird allein geduscht, allein aufs Klo gegangen, allein die Beine rasiert, alleine nackt herumgelaufen. Steht man zum ersten Mal und als WG-Fremder plötzlich mittendrin, ist das wie allein in einer verlassenen Filmkulisse herumzustehen. Nur die Requisiten, die sich im Abflussgitter verfangenenen Haare und die wie verwaist herumstehenden Kosmetikprodukte, erzählen von dem, was sich hier sonst so abspielt.

Man ist ungewollt Voyeur, denn auch wenn man sich noch sehr bemüht, entgeht einem ja doch nichts: Aha, da sind die Wattestäbchen, da ist ein Gillette-Venus-Rasierer, den hatte ich mit vierzehn auch mal, ah, hier benutzt jemand Binden statt Tampons, ah, der Typ hat wirklich dieses Anti-Hangover-Duschgel, und ich dachte immer das kauft doch eh keiner... So redet der eigene Kopf daher und interpretiert ungehemmt in der Intimsphäre der anderen herum: Wem gehört wohl was und was sagt das jetzt über die, dass die diese Kosmetik benutzen? Und was ist das denn hier eigentlich für ein komischer Miniatur-Besen im Zahnputzbecher, ist der etwa für die Zunge? Jeder Gedanke ist schon ein Faux-Pas, jeder Gedanke kommt einem unangemessen vor.




Aha, so sieht das also hier aus. Im Bad der Anderen wird man ungewollt zum Voyeur.

All das potenziert sich, wenn man nicht nur während einer Party, sondern gleich für einige Tage im fremden Haus zu Besuch ist. Es nimmt seinen Höhepunkt in der allerersten Dusche im fremden Bad. Auf das erste stille Deuten der herumstehenden Utensilien folgt dann nämlich die große Orientierung: Wie ziehe ich mich denn hier jetzt überhaupt aus? Kann ich irgendwo anstoßen, irgendwas kaputtmachen, hängt irgendwo eine Lampe, gibt's ne schräge Decke? Meist ist der fremde Boden voller fremder Haare, Staub- und anderer eher vage identifizierbarer Partikel, und man muss schon überlegen, wo und wie man seine Klamotten nach dem Ausziehen ablegt, dass sie nicht nass oder dreckig werden, und dass auch nichts kaputtgeht oder runterfällt oder in sich zusammenkracht (Regal mit Tübchen und Fläschchen, invalider, mehrmals getapter Wäscheständer).

Es schießen einem lauter "Vorsichts!" durchs Hirn, denn es gilt ja, so viele kleine Einzelschritte zu bedenken: Bloß alles sauber hinterlassenund auch nicht zu lang hier drinnen bleiben, die anderen wollen ja vielleicht auch noch duschen oder mal aufs Klo gehen, und sie haben ja Vorrecht. Weiter: Gibt es hier eigentlich ein Fenster, kann ich in Ruhe aufs Klo gehen? Wo ist Klopapiernachschub? Funktioniert die Spülung? Wo ist meine Zahnbürste? Frische Unterhose mitgenommen? Handtuch? Man weiß ja auch nie, wie groß das No-Go hier jetzt sein könnte, in der Not einfach ein da hängendes fremdes Handtuch zu benutzen. Und man will sich ja nicht später aus Verlegenheit mit dem kleinen, feuchten Handtuch neben dem Waschbecken abtupfen müssen, das eigentlich für die Hände gedacht ist und auch so aussieht und so riecht.

Dann unbeholfenes Einsteigen in die Dusche. Die erste Begegnung mit dem Duschvorhang, der nach irgendetwas zwischen Essig und Shampoo müffelt und an den unteren Rändern leicht schimmelt. Nackt und fröstelnd steht man auf dem kalten Wannenboden und muss erstmal verstehen, wie hier die Dusche funktioniert. Wo muss man hebeln oder drehen, und in welche Richtung? Wie lange dauert es, bis das Wasser warm wird, wird es überhaupt richtig warm? Oh nee, ist jetzt etwa genau heute die Heizung ausgefallen? Das wäre ein komischer Zufall. Gut, dann eben warten. Wird offenbar nicht mehr als lauwarm. Der Strahl ist auch eher ein etwas stärkerer Pinkelstrahl. Eine Duschkopfhalterung gibt es wohl nicht. Dann erst mal nass machen und zum Haare- und Körpereinschäumen das Ding zwischen die Oberschenkel klemmen, wo es natürlich sofort verrutscht und durchdreht, am Duschvorhang vorbei ins ganze Bad und die am Waschebeckenrand abgelegten Klamotten vollsprüht. Na gut, dann vielleicht einfach in die Wanne hocken. So richtig sauber wird man hier heute nicht mehr, das ahnt man schon, aber egal, man hat ja auch eine ungewohnte Härte an solchen Tagen, weder will man überhaupt zu hohe Ansprüche stellen, noch nach Hilfe rufen wie ein Kind.

Soll heißen: Kaum etwas steht so sehr für das irgendwo zu Gast sein, vielleicht auch überhaupt für das unbeholfen im Leben sein, wie diese Zeit im fremden Bad. Es steht dazu noch für das unvermeidliche menschliche Bedürfnis, sich kurz mal abzuwenden von allem. Denn das Bad ist als einziges Zimmer einer Wohnung, das man von innen verschließen darf, ohne gleich als verhaltensgestört aufzufallen, auch der ultimative Instant-Rückzugsort des Lebens. Wo einen für eine kurze Sekunde lang keiner stört und wo alles vorhanden ist, was man im Notfall so braucht: Ein Klo und fließend Trinkwasser.

Die erste Dusche in einem fremden Bad (im Gegensatz zum alleinigen aufs Klo gehen) ist aber auch das Body&Soul-Pendant zum Reisetascheablegen und fortan nur noch mit Portemonnaie aus dem Haus gehen. Ein kleines Tauf- und Reinigungsritual, mit dem man sich auf den fremden Ort einstellt. Es heißt: Ich bin angekommen, ich gehöre jetzt zu euch, denn ich habe mich schon mit euren Wassern gewaschen.

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