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Held in Haft

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Ein seltsamer Protestmarsch zog am Mittwoch durch Culiacán, die Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaats Sinaloa. Die Region im Nordwesten des Landes ist die Heimat des mächtigsten Drogenkartells der Welt und seines vormaligen Anführers, bis zu seiner Festnahme König des Kokains: Joaquín Guzmán Loera alias „El Chapo“, der Kleine. Hunderte Demonstranten huldigten dem Bauernsohn und bedeutendsten Häftling Lateinamerikas. „Wir wollen keinen neuen Krieg, lasst den Chapo frei“, stand auf Plakaten. Oder „nein zur Auslieferung.“ Oder „Joaquín Guzmán hat Jobs geschaffen, anders als ihr korrupten Politiker“.



Demonstration für die Freilassung Guzmáns im mexikanischen Culiacan

Ihr Held ist der Gefangene Nummer 3578 des Hochsicherheitsgefängnisses Altiplano bei Mexiko-Stadt. Am Samstag hatte ihn eine Spezialeinheit der mexikanischen Marine nach fast 13 Jahren Flucht in Mazatlán bei Culiacán am Pazifik erwischt, unterstützt von der US-Antidrogenbehörde DEA. Aus einer anderen bunkerartigen Haftanstalt war Guzmán 2001 geflüchtet und dann zum internationalen Großunternehmer aufgestiegen, die Behörden standen Spalier. Erst zuletzt stießen sie offenbar auf ein Tunnelsystem unter seinen Verstecken, observierten Mitstreiter und griffen zu. Irgendwann soll nun der Großprozess gegen den Capo beginnen – aber wo?

Mexiko wäre der logische Platz für ein Verfahren, dort tobt der Krieg um Routen und Märkte vor allem. Mindestens 80000 Menschen kamen in der Schlacht ums Leben, die Lager kämpfen außer um Pulver, Pillen und Kraut auch um Entführung, Erpressung, Piraterie, Prostitution, Geldwäsche. Der meiste Stoff aber wird in die USA sowie nach Europa und Asien geliefert – die Sinaloa-Riege versorgt nordamerikanische Großstädte mit kolumbianischem, peruanischem oder bolivianischem Kokain, mexikanischem Marihuana und Heroin sowie Amphetaminen mit Chemie aus China. Deshalb wollen sich US-Gerichte den Jahrhundertdealer vornehmen.

Sieben US-Staatsanwälte haben Anklage erhoben, unter anderem in New York, Florida, Chicago, Texas und San Diego. Mexikos Justiz jedoch will ihre wichtigste Beute fürs erste nicht dem Norden überlassen.

Der Streit ist ein Klassiker. Pablo Escobar und seine Kumpanen terrorisierten einst Kolumbien, um ihrer Auslieferung zu entgehen. „Lieber ein Grab in Kolumbien als eine Zelle in den USA“, war ihr Motto. Manche wie Escobar schafften es in eine Gruft in Medellín, andere landeten dennoch hinter Gittern in Miami oder Los Angeles. Auch viele mexikanische Drogenhändler wurden in den USA verurteilt, andere wie Miguel Ángel Félix Gallardo alias El Padrino sind Nachbarn des Chapo Guzmán in Mexikos Altiplano. Es geht um die Frage, wie gut eine Gerichtsbarkeit funktioniert, mexikanische Morde zum Beispiel bleiben zu 95 Prozent ungesühnt. Es geht außerdem um Nationalstolz, Staatschef Enrique Peña Nieto und seine Revolutionspartei PRI wollen mit allerlei Reformen das Land aufräumen und das Image polieren. Peña Nieto versicherte, dass die Marine Guzmán geschnappt und die DEA nur mit Informationen geholfen habe.

Auffällig war, wie leicht es plötzlich ging. Binnen weniger Tage durchforsteten Truppen die Sinaloa-Festung Culiacán, fanden Adjutanten Guzmáns und stellten Drogen, Waffen, Autos, Häuser und Informatik sicher. Kommunikationstechnik und Logistik der Kriminellen beeindruckten die Fahnder, andererseits verriet sich der meistgesuchte Mann der Erde durch einen Anruf mit dem Satellitentelefon.

Der Coup ist eine Attraktion. Touristen fotografieren sich in Mazatlán vor dem Aparthotel Miramar, in dessen schlichtem Zimmer Nummer 401 der Gesuchte mit einem einzigen Leibwächter entdeckt wurde. Gewöhnlich bewachte ihn ein Heer. Der Musiker Gonzalo Peña widmete ihm bereits ein neues Lied, „La captura de El Chapo“ (Die Festnahme von El Chapo), diese gesungenen Elogen auf die Branche heißen Narco-Corridos. Die Mafia wird gefürchtet und verehrt. In Culiacán schufen sie sich sogar ihren eigenen Heiligen und baut sich monumentale Gräber.

Wie geht es mit dem global operierenden Familienclan weiter? Experten vermuten, dass das Sinaloa-Syndikat in mehr als 50 Staaten aktiv ist und jährlich drei Milliarden Dollar umsetzt, damit lässt sich fast alles kaufen. Guzmán reiste nach Belieben, gerne in Privatflugzeugen. „Er war Unternehmer, er wollte sein Imperium ausweiten“, sagt ein Agent. Kokain wird zum Beispiel in Peru bestellt und wenig später in Manhattan verteilt, das verlangt enorme Organisation. Guzmán könnte jeden Multi leiten, glaubt ein Spezialist. Der Analyst Edgar Buscaglia fordert seit Langem, dass endlich die verzweigten Finanzströme der Szene in Angriff genommen werden.

Rivalen wie die Zetas wittern neue Chancen, das Gefecht könnte sich verschärfen. Sinaloa muss sich möglicherweise ordnen, wobei das Kommando wohl Guzmáns Kollegen Ismael „El Mayo“ Zambada und Juan José Esparragoza alias „El Azul“ erben. Zambada, den die Marine nun auch verfolgen dürfte, empfing 2010 unbehelligt den Gründer des Politmagazins Proceso. „Der Drogenhandel bewegt Millionen“, dozierte Zambada. „Wie willst du das beherrschen? Wenn Capos eingesperrt, getötet oder ausgeliefert werden, dann sind ihre Nachfolger schon bereit.“ Peter Burghardt

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