Ich sitze in einer extrem abgeschrabbelten Antifa-Kneipe im tiefsten Friedrichshain. Hier geben sich Weltrevolution, Dreadlock-Mädchen und struppige Hunde fröhlich die Klinke in die Hand. Ein 0,5 Bier kostet unglaubliche 1,70€, leider hat die unvermeidlich vegane Volxküche zu. Immer wenn man die Gesellschaft ein kleines bisschen besser machen will, scheitert man unweigerlich an den eigenen Unzulänglichkeiten. In der Luft hängt der Geruch von Cannabis. Das soll gleichgültig machen – also findet der Umsturz heute wahrscheinlich nicht mehr statt. Mal am schwarzen Brett nachschauen, wann der nächste Termin passt.
Die Menschen hier geben sich einerseits sehr weltoffen (Grenzen auf für alle Flüchtlinge), andererseits werde ich misstrauisch beäugt, als ich den Laden betrete. Ich passe hier in etwa so gut rein, wie ein Schwarzer auf der Weihnachtsfeier des Ku-Klux-Klans. In Western würde jetzt der Piano-Spieler mit dem Klavier spielen aufhören. Alle Augen sind auf mich gerichtet eher abschätzig. Und das gerade von den Menschen, die sich ja eigentlich bei jeder Gelegenheit so tolerant geben. Vielleicht ist es einfach so: die Feindbilder des Spießertums sind nicht ihre Feindbilder. Ich jedoch bin eins für sie. Darum ist es mit ihrer Toleranz wahrscheinlich genau so schnell vorbei, wie bei allen anderen auch. Es gibt keine besseren Menschen, es gibt nur Menschen. Das sollte man allen Ideologien einfach mal ins Gesicht bellen. Ich hole mir an der Bar ein Bier, setze mich hin und fotografiere den Barkeeper heimlich für mein Blog screenagerliebe.. Da ich unter Beobachtung stehe, wird dies sofort registriert. „Hast du mich vielleicht gerade fotografiert?“ „Nee, der Empfang ist nur so schlecht und ich musste das Handy so komisch halten.“ Manchmal bewundere ich mich für meine extrem elegante Art lügen zu können. Ich sollte Politiker werden.
Wenige Minuten später sitzt neben mir auf dem durchgesessenen Sofa im sportiven 90er Jahre Dessin ein Mann, den ich gerade erst kennen gelernt habe und heult. Er hat Tränen in den Augen, während er mir von seinem Liebeskummer erzählt. Seine Frau hat ihn verlassen nach 15 Monaten Ehe. Er ist ein ziemlich intelligenter Typ vom Schlag: sensibel wie sau. Seine Ex gehört zu den Neo-Feministinnen und ist eine ziemlich große Nummer in dem Bereich. Wenn man hohe Twitter-Follower-Zahlen und Kolumnen in einschlägigen Blättern als große Nummer bezeichnen kann. Aber in unserer Mitteilungsbedürfnis-Gesellschaft und einer Medienlandschaft die nach Mitteilungen dürstet reicht dies ja durchaus aus. Nun ja. Er und sie wollten Kinder bekommen und weil es nicht klappte gingen sie zum Kinderwunsch-Arzt. Da bekommt man als Frau scheinbar eine Hormonspritze und dann werden die Eizellen gemessen: Eine Eizelle heißt Ficken bis der Kinderwunsch-Arzt kommt, mehrere Eizellen besser nicht ficken, wenn man nicht Drei-, Vier oder Fünflinge will. Nach oben offen. Sex als solches bekommt neben dem Bockfaktor noch eine pragmatische Reproduktionskomponente. Wird gänzlich entzaubert. Das war bei den beiden wohl auch so. Neben 1 Milliarde anderer Dinge, die sich in Langzeitbeziehungen akkumulieren.
Jetzt ist sie aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und er sitzt ebenso Seelennackt neben mir. Auf den Schreck baut er einen Joint, die Augen sind noch feucht. Später wird er eine andere Frau treffen. Fuck the Pain away nannte das Peaches mal. Ich schau die Hunde der Punker an und denke, dass Tiere einen entscheidenden Vorteil haben: sie kennen keinen Liebeskummer. Sie haben keine feuchten Augen, sondern nur feuchte Schnauzen. Das Dreadlock-Mädchen sieht aus wie die Dreadlock-Mädchen immer schon ausgesehen haben. Moment verweile doch. Vielleicht nicht unbedingt hier auf diesem Sofa, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Aber vielleicht irgendwo anders. In einer anderen, besseren Welt. Die meistens nie besser ist, außer in unseren Gedanken. Während also dieser mir ansonsten gänzlich unbekannte Mensch sein Herz ausschüttet wie ein Eimer mit Schmutzwasser in die Toilette, fällt mir ein, dass ich noch kein Valentinstag-Geschenk für meine Frau habe. Egal, wie man Liebe betrachtet, sie steckt voller Probleme.