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Wir haben verstanden: KW 51

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Wenn nichts mehr geht, kann man immer noch eine Leberkässemmel essen.
 
Zeichen, dass du alt wirst, die Erste: die Leberkässemmel hilft nicht mehr gegen deinen Kater.
 
Zeichen, dass du alt wist, die Zweite: dein Kater dauert zwei Tage.
 
Zeichen, dass du doch nicht alt wirst: ein Wasserski fahrendes Eichhörnchen rettet dich aus deinem Kater-Loch.


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Eigentlich ist ein bisschen Abstand echt gut. Dann merkt man nämlich wieder richtig, wie gern man den Anderen mag.


Weintrauben sind das beste Obst. Sie haben Pralinengröße und performen daher ideal in Sachen Naschzwangbekämpfung ohne Zuhilfenahme von Plätzchen und Schokolade.


Männer mit sehr voluminösen Vollbärten können kleidungstechnisch alles tragen. Weil ihnen sowieso jeder nur auf das Gesichtshaar schaut. 


City-Roller fahren scheint sich als Trend unter Münchens Pendlern der Generation 40+ zu etablieren.

Das erste Mal Weihnachten kein eigenes Zimmer mehr bei den Eltern zu haben, fühlt sich wie der letzte Schritt ins schlimme Erwachsensein an.

Es sollte viel mehr geflauscht werden in dieser Welt.


Viel grünes in Weißwürsten spricht für Qualität.


Wenn der Verdacht auf eine Scheinehe besteht, dürfen Beamte auch nach dem “ersten Mal” fragen. Mit Details. 


 Lustigste Art zu arbeiten: Zu zweit an einem Google-Dokument schreiben.

Abschiede sind scheiße. Immer noch. Immer wieder. Immer immer.

Aber trotzdem auch irgendwie schön, wenn man es richtig macht!

Sich an einem Adventssamstag in der städtischen Fußgängerzone mit vier großen Tüten in der Hand anrempeln lassen (und alle anderen anrempeln): Muss man halt mal erlebt haben. Ein Mal reicht dann aber auch.

Wenn man etwa 200 Vanillekipferl in Vanille- und Puderzucker gewälzt hat, fühlt man sich, als hätte man den gesamten Vanille- und Puderzucker gegessen.

Für manche ein Grund zum Weinen, aber oft einfach einer für große Vorfreude: die Aussicht darauf, bald sehr viel Geld ausgeben zu müssen.


 Curtis Mayfield hören hilft über einiges hinweg. Hier eine unfassbar großartige Live-Version von „When Seasons Change“.


Zu wissen, dass man den besten Job seines Lebens vermutlich schon hinter sich hat, macht keinen Spaß.


Es regt sich jeden Tag jemand sehr laut über etwas auf.

So ein Holzhammer kann auch recht wohltuend sein.

Man sollte nie einer Kellnerin glauben, die behauptet, aus einer Literflasche könne man etwa 35 Schnäpse herausbekommen.

Wenn man nicht weiß, ob man ein geduldiger Mensch ist oder nicht: einfach einen Adventskalender kaufen.


Die letzte Woche 2014

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Wichtigster Tag diese Woche:
Wir steuern ja in die seltsamste Woche des Jahres. Die Gefühle sind irgendwo im Widerspruch zwischen weltpolitischem und privatem Jahresrückblick verheddert. Dazu gibt es im schlimmsten Fall Plänen für das kommende Jahr. Und wenigstens bei mir verliert die Zeit dadurch jede Unterteilung in Tage und Stunden und verwischt stattdessen zu einem einzigen Geschmier aus Besinnlichkeit (Heiligabend und danach), Stress (Heiligabend und davor), Erschöpfung, Entspannung und Zimtgebäck. Heiligabend also vermutlich, weil der 24. für mich als einziger Tag relativ problemlos identifizierbar ist.
 
Kulturelles Highlight:
Aber interessant. Weil München im ausklingenden Jahr: Auch immer ein bisschen ein Geschmier aus Weihnachts-A-Capella auf Deutsch und Englisch, musizierenden „Tatort“-Kommissaren und Max Greger (Junior auch noch). Kultur-Bankrott: Hilfsbegriff. Da tut es natürlich gut, wenn so ein Österreicher daherkommt und da ein bisschen hilft. Und du darfst eines nicht vergessen: Eine Wolf-Haas-Lesung, immer gut anzuhören. Samstag/Sonntag. „Brennerova“! Spitzenbuch! Hin!
 
Politisch interessiert mich:
Wie die Stichwahl in Tunesien ausgeht. Ich war vor sehr genau drei Jahren mit einer Journalists-Network-Gruppe dort, als gerade die verfassungsgebende Versammlung gewählt worden war. Wir hatten die Möglichkeit mit Rachid Ghannouchi, Partei-Chef der En-Nahda, und vielen Aktivisten und Intellektuellen des Landes zu sprechen. Das hallt immer noch nach in mir und jetzt will ich schon wissen, ob Beji Caid el Sebsi oder Moncef Marzouki dem Ganzen am Ende vorstehen werden.
 
Soundtrack:
D’Angelo – „Black Messiah“.
http://www.youtube.com/watch?v=EJDTZRcShcY

Irgendwann war D’Angelo dann wohl eine Art R’n’B-Axl-Rose: Alkohol, Drogen und ein schwerer Autounfall bescherten ihm eine kapitale Schreibblockade, die den Nachfolger von „Voodoo“ Jahr um Jahr verschob. 14 mal. Und dann plötzlich: zack! Ohne Vorwarnung stand „Black Messiah“ plötzlich in den Läden. Angeblich hatte D’Angelo die Veröffentlichung aus Empörung über die Rassendiskriminierung in Ferguson vorgezogen. Das kann schon auch gutes Marketing sein. Aber das Album ist ein ziemliches Brett.
 
Kinogang?
Mit (allerdings nur flüchtigem) Blick aufs Programm: Eher nicht.
 
Wochenlektüre:
Muss mich dringend noch durch die Gewinner des hostwriterPrize klicken.
 
Geht gut diese Woche: Besinnliches.
 
Keine Chance diese Woche: Stress. Und diesmal meine ich’s auch!

Auf Station

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Nikolausabend 2014 im Frankfurter Hauptbahnhof: Noch ist viel los, es riecht nach Kaffee, Bratwurst und Crêpes. Züge fahren ein und aus, Ansagen schallen über die Bahnsteige. Auf dem Weg zu Gleis 1 schaue ich in gestresste oder verwirrte Gesichter, werde angerempelt. Der Bahnhof ist ein Durchgangsort, fast jeder, der hierher kommt, steigt schnell wieder in einen Zug und reist ab. Aber es gibt auch Menschen, die hier stranden. Die keinen Ort haben und darum am Durchgangsort bleiben. Diese Menschen kommen dann zu mir.


Peter Christian Krauch, 21, studiert Politik- und Theaterwissenschaften an der Unversität Mainz. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet er als angestellter Sozialhelfer im Nachtdienst der Frankfurter Bahnhofsmission.

20.50 Uhr: Mein Dienst als Sozialhelfer im Nachtdienst der Frankfurter Bahnhofsmission, einem Schutzraum für steckengebliebene Reisende und Anlaufstelle für Menschen in Notsituationen, beginnt. Bis 7.20 Uhr am Morgen werde ich hier Tee ausschenken, zuhören, an Notübernachtungen und Ämter weitervermitteln, gegebenenfalls Deutsch, Spanisch, Englisch, und Französisch sprechen, mit der Polizei telefonieren und viel Kaffee trinken, um wach zu bleiben.

Eine Frau weiß nicht mehr, wo sie herkommt. Ich finde heraus, dass sie aus der Psychiatrie ausgebrochen ist


Der Raum der Bahnhofsmission ist in Gelbtönen gestrichen, etwa 20 Menschen finden hier Platz. Im Winter mischt sich manchmal die stickige Heizungsluft mit dem Duft von ungeduschten Körpern und eingetrockneten Rückständen an der Kleidung unserer Gäste. Ich setze mich an meinen Schreibtisch, um in dem schwarzen Übergabebuch nachzulesen, was heute los war und noch ansteht. Ein etwa 30-jähriger Rumäne ist heute Abend hergekommen. Morgen muss er mit einem Sozialamtsticket nach Rumänien fahren, weil sein Asylbegehren in Deutschland nicht genehmigt wurde. Er wird also die ganze Nacht hier an einem der mit Tannenzweigen dekorierten Tische sitzen, bis sein Zug geht. Ich biete ihm, wie allen Übernachtgästen, ein Kissen an.  

22.00 Uhr: kostenlose Teeausgabe für alle Bedürftigen. Es ist viel los, deshalb komme ich kaum dazu mit meinen Gästen zu reden, obwohl ich das sehr gerne mache. Mit einem Herrn spreche ich regelmäßig über meine Politik-Seminare an der Uni, bringe ihm ab und zu auch mal ein paar Texte mit – das fällt heute aus. Stattdessen bin ich fast eineinhalb Stunden mit einer Frau Mitte 40 beschäftigt, die ohne Papiere und nur mit Jogginghose und Oberteil bekleidet an einem Tisch sitzt und nicht mehr weiß, wo sie herkommt oder wohnt. „Ich will nur schlafen“, mehr kann sie mir nicht sagen. Ihre Haare sind zerzaust, ihr Blick weggetreten. Immerhin kann ich ihren Namen und ihr Geburtsdatum in Erfahrung bringen und verschwinde erst einmal lange ans Telefon. Über verschiedene Stellen finde ich raus, dass sie aus einer geschlossenen Anstalt ausgebrochen ist. Gemeinsam mit der Polizei wecke ich sie behutsam. Ich glaube nicht, dass sie versteht, was gerade mit ihr passiert, zumindest schaut sie genauso leer wie zuvor. Sie wird noch in der gleichen Nacht zwangsweise wieder in die Psychiatrie eingewiesen.  

Die meisten Problemfälle kommen erst ab 2 Uhr - wenn kein Zug mehr fährt und der Mc Donald's schließt


0 Uhr: Ich wünsche den letzten Gästen eine gute Nacht, putze die Tische und reiße die Fenster auf, kalte Luft strömt herein. Aus Selbstschutz ist die Haupttür nun geschlossen, über ein kleines Apothekenfenster kann ich die Leute zunächst kontrollieren, bevor ich sie reinlasse. Aber noch ist es ruhig– die meisten Reisenden und Problemfälle kommen erst ab 2 Uhr, wenn wirklich gar kein Zug mehr fährt und der McDonald’s schließt.



Was mir im Nachtdienst am meisten zu schaffen macht, ist die Gleichgültigkeit der Familien und der Freunde. Viele unserer Gäste sind alleine. Entweder haben sie keine Angehörigen mehr oder keiner von ihnen nimmt sie auf, wenn sie in Not sind. Ein Mal kam ein älterer und dementer Mann zu uns, der vor dem Hauptbahnhof ausgeraubt worden war. Er wartete auf einen Bus nach Polen, war aber leider eine Nacht zu früh an den Bahnhof gekommen. Bei dem Überfall wurde er leicht verletzt und hatte niemanden mehr, zu dem er gehen konnte. In seinem Geldbeutel hatte er ein Bild seiner verstorbenen Frau. Ich kaufte ihm ein Ticket vom Geld der Mission und setzte ihn in einen Zug nach Hause. Er bat mich, ihn mal zu besuchen, er sei so einsam. Natürlich geht das nicht – wir helfen den Menschen akut und schicken sie dann weiter auf ihre Reise.

In den zweieinhalb Jahren bei der Bahnhofsmission war ich schon Ersatzenkel, Ansprechpartner für zwei geflohene schwule Jugendliche und Beziehungsberater für von ihren Männern herausgeprügelte Frauen. Auch für herausgeworfene Männer.

Besonders hart sind die Begegnungen mit Gleichaltrigen. Einem jungen Mann musste ich neulich einen Rettungswagen rufen, weil er vom Stuhl rutschte und nicht ansprechbar war. Sein Spritzbesteck fiel ihm aus der Hose, ich habe es weggeschmissen. Er kam aus der Nähe meiner Heimatstadt, ich weiß leider nicht, wie es mit ihm weiterging. Von dem Verbleib eines Stammgastes habe ich leider nur aus dem Polizeibericht erfahren: Er hat sich vor eine S-Bahn geworfen.

0.30 Uhr: Es klingelt. Ich öffne das Fenster und ein Mittvierziger steht davor. Mit dabei hat er zwei zum Bersten gefüllte Koffer und eine Plastiktasche voller Flaschen. „Mein Zug ist mir vor der Nase weggefahren, kann ich reinkommen?“ Er hat kein Ticket und in seine Richtung fuhr der letzte Zug bereits vor einer Stunde. Ich will nicht böse sein, es ist kalt, aber wenn jemand kein Zuhause hat, dann braucht er langfristige Hilfe und Betreuung. Wir sind keine Übernachtungsstelle für Obdachlose. Ich gebe ihm noch eine Tasse heißen Tee und erkläre ihm den Weg zur Notüberwachung in der Frankfurter Hauptwache. Das Nein-Sagen ist schwer, aber manchmal angebracht.



Ich werde oft angelogen, das ist Teil des Jobs. Ich unterstelle keinem der Gäste eine böse Absicht, aber ich muss vorsichtig sein. Neben der Menschenkenntnis verlasse ich mich auf meine Sinne: Rieche ich Alkohol? Zuckt der Mann oder die Frau auffällig, hat also wahrscheinlich Drogen genommen? Wenn jemand behauptet, er sei beklaut worden, hat aber keine Bescheinigung der Polizei dabei und aus seinem Rollstuhl riecht es nach Urin und Kot – dann kann ich nicht so tun, als sei alles normal. Ich vermittle lieber richtige Hilfe; Rettungswagen, Betreuer, Polizei. Grundsätzlich nehme ich es aber keinem übel, wenn er mich anlügt – es sind ja Notlügen.

2.00 Uhr: Zwei Beamte der Bundespolizei bringen mir einen Afghanen, der Asyl beantragen möchte. Ich setze ihn zu einem Pärchen aus Erfurt, dessen Urlaubsrückflug sich verspätet hatte. Viele Reisende landen wegen so etwas bei mir. Ihr Standardsatz: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in die Bahnhofsmission müsste.“ Die Urlauber essen ihren Proviant, ohne dem Asylbewerber etwas anzubieten und beschweren sich lauthals über die Zustände in ihrem Urlaubshotel. Irgendwann muss ich was sagen: „Könnten Sie bitte etwas leiser sein, der Mann hier versucht zu schlafen und hat auch eine weite Reise hinter sich.“ Das interessiert sie aber nur bedingt.

Als ein vierjähriges Mädchen bei mir abgeholt wird, muss ich weinen. Ich schenke ich noch eine Mütze


Ich habe aufgehört zu zählen, der wievielte Asylbewerber das ist. Es sind einfach zu viele. Als vor zwei Monaten ein vierjähriges Mädchen samt Mutter bei mir abgeholt und in die JVA gebracht wurde, habe ich trotzdem geweint. Ich habe dem Mädchen noch eine pinke Mütze aus unserem Kleiderfundus mitgegeben. Ihren Namen weiß ich nicht mehr. Ich werde wahrscheinlich nie erfahren, wie es für sie weiterging. Irgendwie ist das auch befreiend, sonst trägt man jede Geschichte mit nach Hause.

2.30 Uhr: Das Telefon klingelt, Frau Sioux ist dran. In Wirklichkeit heißt sie anders, aber ich nenne sie so, sie war mal ein Jahr lang Gast bei diesem Indianerstamm, um zu sich selbst zu finden. Frau Sioux ruft seit zwei Jahren öfter an. Ich mag sie sehr, dabei habe ich sie noch nie gesehen. Oft geht es ihr nicht gut, sie kann nicht schlafen. Wir quatschen dann miteinander. Ich habe schon oft für sie gebetet, das habe ich ihr versprochen, damit sie besser schlafen kann. Heute geht es ihr gut, sie war in ihrer Selbsthilfegruppe. Neuerdings gehe ich immer mit dem Telefon vor die Tür und sage: „Frau Sioux, gehen Sie mit mir eine rauchen?“ Dann lacht sie und schmeichelt mir: „Herr Krauch, mit mir ist noch nie ein Mann eine rauchen gegangen.“

Nach dem Telefonat mache ich noch einen Rundgang und genieße die Leere des Bahnhofs, der in zwei Stunden wieder voller Leben sein wird. Man hört nur die herumfahrenden Reinigungsmaschinen und Rangierloks, ansonsten ist es ruhig, nur manchmal unterbrochen von grölenden Menschen, die von einer Party kommen. Morgens gegen 4 Uhr kommt die erste Lautsprecheransage, es ist, wie immer, die S7 nach Riedstadt-Goddelau von Gleis 2.

Als ich an dem geschlossenen McDonald’s vorbeilaufe, fällt mir ein sehr schöner Moment ein. Vor einigen Wochen wurde ich am Bahnhof von einem meiner ehemaligen Gäste angesprochen. Ich hatte ihn seit mehr als einem halben Jahr nicht gesehen. Wir haben früher oft geredet, er trank, hatte seine Frau geschlagen, Kontaktverbot zu seiner Tochter, war obdachlos. „Warum habe ich dich nicht mehr gesehen?“, fragte ich ihn. Er sagte: „Weil ich eine kleine Wohnung habe und trocken bin.“



7.20 Uhr: Dienstende. Die Kollegen bekommen eine Übergabe, übernehmen die Kasse und entlassen mich in den Tag. Ich laufe durch den überfüllten Hauptbahnhof, sehe noch den ein oder anderen Gast aus der Nacht und quetsche mich in eine S-Bahn. Ich genieße das Auftauchen der S-Bahn aus dem Bahnhofstunnel. Sie steigt aus der Erde und fährt in einem Bogen in Richtung Mainz. Ich blicke auf die im Dunkeln noch blinkende Skyline von Frankfurt, die vielen Lichter des Bahnhofs. Ein toller Anblick – und trotzdem tut es gut, wegzufahren. Zu einem Ort, an dem man dauerhaft bleiben kann, der kein Ort der Durchreise und des Ausharrens ist: nach Hause.

Tagesblog - 22. Dezember 2014

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13:51 Uhr: Es bewegt sich was! Also auf der Startseite. Da findet ihr ab sofort drei Protokolle von jungen Tunesiern. Gestern hat dort die erste direkte Präsidentschaftswahl seit fast 60 Jahren stattgefunden - doch anstatt sich zu freuen, sind Lina (bekannteste Bloggerin des Landes), Malek (erfolgreicher Rapper) und Nidhal (Projektleiterin des Goethe-Instituts in Tunis) enttäuscht und ziemlich wütend.

Die Stichwahl zwischen Béji Caid Essebsi und Moncef Marzouki sei eine Wahl zwischen Pest und Cholera gewesen, keiner der beiden symbolisiere den Aufbruch, den das Land so dringend nötig habe.

Ich finde das einen sehr spannenden Einblick in ein Land, von dem ich seit dem arabischen Frühling kaum noch etwas mitbekommen habe. War ja auch ne ganze Menge anderes los im Nahen Osten (Libyen! Syrien! Israel und Palästina!). Umso wichtiger, jetzt nochmal genau hinzuschauen und nachzufragen, was eigentlich aus der Revolution geworden ist, in die viele Menschen so große Hoffnungen gesteckt hatten.

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/590645/Die-Jugend-ist-ohne-jede-Hoffnung" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ja/jakob-biazza/text/regular/1032045.jpg"]Nidhal Chemengui, 28, Malek Khemiri, 27, Lina Ben Mhenni, 31 (v.l.n.r.)

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12:21 Uhr:
Sagt mal, die präweihnachtliche Schlappheit greift auch im jetzt-Kosmos um sich, oder? Null Kommentare für den (schönen!) Kosmoshörer, null Kommentare für die (ebenfalls schöne!) Reportage über die Bahnhofsmission (aber erstaunliche 16 Herzen - normalerweise ist das Verhältnis immer genau andersherum). Und auch hier im Tagesblog herrscht eher Kommentarflaute.







Was ist da los? Liegt's an den Texten, die man einfach nur herzen und nicht kommentieren muss? Muss ich doch wieder Katzen-Gifs posten? Oder seid ihr schon derart in besinnlicher Feiertagsstimmung, dass euch nicht mehr der Sinn nach Kosmosdiskussionen steht?

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11:30 Uhr:
Halb 12 - Kosmoshörertime! Besser gesagt: Kosmoshörerinnentime! lise_lotte hat ihre Musikwoche für euch dokumentiert, und nachdem ich mit den vergangenen Ausgaben eher wenig anfangen konnte (rein musikalisch, versteht sich!), treffen Alt-J, The Maccabees oder Chet Faker voll meinen Geschmack.

Viel tolle Musik und lauter kluge Fragebogenantworten auf der zweiten Seite. Hier entlang:

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/590641/Kosmoshoerer-Folge-44" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ch/christian-helten/text/regular/1032032.jpg"]

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11:09 Uhr:
Puuuuuh! Weil laaaaaange Konferenz. Weil weihnachtliche Themenarmut, deshalb angestrengtes Themenbrainstorming. Glücklicherweise erfolgreich. Wir sperren den Laden hier also doch noch nicht zu, sondern sorgen auch den Rest des Jahres für ein (annäherndes) Vollprogramm. Heute gibt's jedenfalls schöne Texte, das kann ich schon mal versprechen.

Eine andere Frage, die mich gerade beschäftigt: Ich habe vorhin bereits auf die Anti-Pegida-Demo hingewiesen, die heute Abend in München stattfindet. Da würde ich eigentlich gerne hingehen. Ein paar Journalistenfreunde von mir sagen aber: Journalisten müssen so objektiv wie möglich sein und sollten sich nicht aktiv politisch engagieren.

Ich finde das Quatsch. Nur, weil ich nicht zur Demo gehe, ändere ich doch meine Meinung nicht (sondern bringe sie lediglich zum Ausdruck). Wenn ich am nächsten Tag einen Text über Pegida schreibe, dann würde der so oder so kritisch ausfallen; unabhängig davon, ob ich auf einer Demo war oder nicht.

Wie seht ihr das: Inwieweit sind Journalisten ganz normale Menschen, die sich in ihrem Privatleben sozial oder politisch engagieren dürfen? Wäre es zum Beispiel okay, als Journalist Mitglied bei einer NGO wie Greenpeace zu sein, wenn man über Umweltpolitik schreibt? Darf man als politischer Journalist ein Parteibuch haben?

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09:41 Uhr:
Falls ihr am Wochenende nicht hier vorbeigeschaut habt, könnt ihr diesen skandalösen Missstand zumindest teilweise gut machen, indem ihr Peters Reportage lest. Er ist 21, arbeitet seit zwei Jahren bei der Bahnhofsmission und kümmert sich um Menschen, die keine andere Zuflucht mehr in ihrem Leben haben. Für uns hat er die Erlebnisse einer Nacht aufgeschrieben.

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/590609/Auf-Station" imagesrc="https://pbs.twimg.com/media/B5ZPo4iCQAA2xJb.jpg:large"]10 Herzen! An einem Sonntag! Und zwar völlig zurecht.

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09:23 Uhr:
Auf der Konferenz gab's - neben grandiosem Alpenpanorama aus dem 25. Stock - folgende Themen:

  • Udo Jürgens ist tot. Das weiß mittlerweile jeder. Wer sich nochmal an ihn erinnern will, dem sei dieser Nachruf empfohlen.

  • Kein Tag ohne neue Meldungen vom Angriff nordkoreanischer (?) Hacker auf Sony. Der neueste Spin: Sony will "The Interview" jetzt doch veröffentlichen.

  • Heute haben sich mal wieder Pegida-Demonstranten in Dresden angekündigt. Immerhin wurde die Demo in München mangels Teilnehmer abgesagt, außerdem gibt diverse Gegendemos, u.a. in Dresden, München, Bonn, Nürnberg und Würzburg. (Amüsante Randnotiz: RTL hat den vermeintlichen Undercover-Reporter/Demonstranten rausgeschmissen).

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7:23 Uhr
: Nachdem ich meinen letzten Tagesblog eher am Vormittag gestartet habe, begrüße ich euch heute mal wieder mit einem "Moin!", das seinen Namen auch bei unseren nordöstlichen Nachbarn verdient hätte:

[plugin imagelink link="http://de.wikipedia.org/wiki/Land_der_Fr%C3%BChaufsteher" imagesrc="https://aufgeweckt.files.wordpress.com/2014/05/hinweisschild.jpg"]Guten Morgen!

Allerdings dürfte das der letzte Eintrag für die nächsten zwei Stunden gewesen sein: Ich radle jetzt los in Richtung SZ-Hochhaus, und wenn über Nacht kein technisches Wunder geschehen ist, dann werde ich - wie jeden Montag - vor verschlossenen Bürotüren stehen (meine Karte sperrt unsere Redaktionsräume nicht auf). Deshalb setze ich mich dann erstmal in die SZ-Konferenz und melde mich im Anschluss wieder.

Bis dahin könnt ihr euch schon mal überlegen, ob ihr eher einen ernsten, politischen Tagesblog wollt (so wie letzte Woche: Da gab es kein einziges Gif und viel Pegida), oder ob euch so kurz vor Weihnachten der Sinn doch eher nach seichter Berieselung steht (Mischungen aus beidem sind natürlich auch möglich).

Konflikt um Hackerangriff eskaliert

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Der Streit über die Hackerangriffe auf die Filmfirma Sony Pictures hat über das Wochenende die obersten Regierungsebenen erreicht. US-Präsident Barack Obama sagte, es sei ein Fehler gewesen, den Film „The Interview“ zurückzuziehen. Er teile die Einschätzung des FBI, dass Nordkorea hinter den Angriffen und Drohungen stecke, betonte Obama. „Ich denke, es war ein Akt des Cybervandalismus“, sagte er. „Wir nehmen das sehr ernst.“ Die USA erwägten, Nordkorea wieder auf die Liste der Terrorhelfer-Länder zu setzen.



Barack Obama ist überzeugt, dass Nordkorea hinter den Cyberangriffen auf Sony steckt.

Das nordkoreanische Außenministerium stritt die Vorwürfe ab. Es handle sich um „Verleumdungen ohne jede Basis“. Nordkorea rief die USA auf, die Angriffe gemeinsam zu untersuchen, ansonsten drohten „ernste Konsequenzen“. Die Rede war am Sonntagabend von „Konfrontation mit den USA in allen Kriegsbereichen“. Der umstrittene Film handelt von einem Attentat auf Nordkoreas Diktator Kim Jong Un. Hacker hatten die Verhöhnung des Landes gegeißelt und mit Terror in den USA gedroht.

Bislang beruhen die Erkenntnisse des FBI nur auf Indizien. So gab das FBI an, mehrere Computer aus der nordkoreanischen Infrastruktur hätten mit Computern des Cyberangriffes kommuniziert. Auch seien die Methoden vergleichbar mit denen nordkoreanischer Angriffe auf südkoreanische Banken im vergangenen Jahr. Inzwischen werden auch ehemalige Sony-Mitarbeiter verdächtigt, für die Angriffe verantwortlich zu sein.

Obama hatte am Freitag an Nordkorea gerichtet angekündigt: „Wir werden angemessen reagieren, und zwar in einem Zeitrahmen und auf eine Weise, die wir bestimmen.“ Der Spielraum der US-Regierung ist dabei jedoch begrenzt. Eine Möglichkeit wären schärfere Wirtschaftssanktionen. Diese waren aber bislang wenig wirksam. Nordkoreas Wirtschaft ist schwach, das Land wickelt viele Geschäfte nicht über den regulären Bankensektor ab.

Da Nordkorea nur punktuell an das Internet angeschlossen ist und seine Leitungen über China laufen, sind auch Gegenangriffe im Netz fragwürdig. Nordkoreanische Hackerattacken werden oft von China aus lanciert. Die USA haben deshalb China gebeten, nordkoreanische Cyberangriffe zu blockieren. Bisher blieb eine Antwort aus Peking aus. Amerika und China führen ihrerseits einen langen Streit um Übergriffe und Industriespionage im Internet.

Die Kontroverse über die Satire „The Interview“ begann im Juni, als Sony den ersten Filmtrailer veröffentlichte. Damals bezeichnete Nordkorea den Film als „unverhohlenen Terrorakt und kriegerischen Angriff“ und drohte mit „gnadenloser“ Vergeltung, sollte er ins Kino kommen. Unabhängig vom Hacker-Streit reagierte Pjöngjang am Samstag auf die Forderung mehrerer Staaten, Nordkorea wegen Menschenrechtsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof anzuklagen. Man werde die Anstrengungen, die atomaren Waffenprogramme zu verstärken, verdoppeln. „Da nun die feindliche US-Politik offenkundig ist, in unsere Republik unter dem Deckmantel der Menschenrechte einzufallen, ist die Vorstellung einer atomwaffenfreien koreanischen Halbinsel nicht länger haltbar“, hieß es.

Tödliche Wut

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Es war keine gute Gegend, in der Wenjian Liu und Rafael Ramos am Samstag im Einsatz waren. Bedford-Stuyvesant ist eine der Ecken, in denen der New Yorker Stadtteil Brooklyn noch rau ist. Die zwei Polizisten saßen in ihrem Streifenwagen im Schatten eines Klotzes mit Sozialwohnungen. Um 14.27 Uhr trat Ismaaiyl B. an die Beifahrerseite des Autos und schoss mit seiner halb automatischen Pistole auf die beiden. Fensterglas splitterte, die Polizisten hatten keine Zeit, ihre Waffen zu ziehen. Sie waren sofort tot. Wenig später erschoss B. sich selbst auf dem Bahnsteig einer nahen U-Bahn-Station.



An dem Ort des Geschehens versammelten sich am Wochenende viele New Yorker und gedachten der getöteten Polizisten.

„Heute sind zwei von New Yorks Besten erschossen worden, ohne Warnung, ohne zu provozieren. Sie wurden, um es einfach auszudrücken, hingerichtet“, sagte New Yorks Polizeichef William Bratton. „Sie wurden zum Ziel wegen ihrer Uniform und weil sie die Verantwortung übernommen haben, für die Sicherheit der Menschen dieser Stadt zu sorgen.“

B. hat ein langes Register an Vorstrafen, in zehn Jahren ist er mehr als 15-mal verhaftet worden: Raubüberfälle, illegaler Waffenbesitz. Kurz vor dem Polizistenmord soll der 28-Jährige seiner Ex-Freundin in den Bauch geschossen haben, sagen die Ermittler. Sie hat überlebt. Danach sei B. aus Baltimore nach New York gereist – offenbar extra, um New Yorker Polizisten zu töten. Im Internet hatte er entsprechende Ankündigungen gemacht. Seine Einträge in sozialen Medien verrieten einen tiefen Hass auf Polizisten, sagte Bratton.

B. schrieb darüber, die Todesfälle zu rächen, die Amerika derzeit erschüttern: Der weiße Polizist Darren Wilson hat den schwarzen Jugendlichen Michael Brown in Ferguson im Bundesstaat Missouri erschossen; der weiße Polizist Daniel Pantaleo hat den schwarzen Mann Eric Garner in New York erwürgt – vor laufender Kamera. B. ist schwarz. Unter das Foto einer Pistole hatte er – orthografisch fehlerhaft – geschrieben: „Sie haben einen von unseren genommen......Lasst uns zwei von ihren nehmen.“ Dazu die Hashtags „#ShootThePolice #RIPErivGardner #RIPMikeBrown“. Als Polizisten in Baltimore die Einträge lasen, verständigten sie sofort ihre Kollegen in New York. Offenbar kam die Warnung um wenige Minuten zu spät.

Seit zwei Jurys in Ferguson und New York entschieden haben, die Polizisten Brown und Pantaleo noch nicht einmal vor Gericht zu stellen, gehen jeden Tag im ganzen Land Tausende auf die Straße. Bislang sind die Proteste in New York sehr friedlich. Statt zum Sitzstreik „Sit-In“ treffen sich die Menschen zum „Die-in“, bei dem sie sich gemeinsam wie tot auf den Boden fallen lassen. Sie tragen T-Shirts, auf denen „I Can’t Breathe“ steht, „Ich kann nicht atmen.“ Das waren Garners letzte Worte. „#ICantBreathe“ ist eines der am häufigsten verwendeten Schlagworte bei Twitter. In Ferguson, wo der 18-jährige Brown starb, war es im Sommer zu Krawallen gekommen. Seither fürchtet man, dass die Wut auch in New York explodiert. Die Straßen sind voller Polizisten.

„Zwei mutige Männer gehen heute Abend nicht zu ihren Liebsten nach Hause. Und dafür gibt es keine Rechtfertigung“, sagte am Sonntag US-Präsident Barack Obama. Polizisten verdienten Respekt und Dankbarkeit. „Ich fordere die Menschen auf, Gewalt abzulehnen, und auf alle Worte zu verzichten, die Leid zufügen, und stattdessen auf Worte zu setzen, die heilen: Gebete, Dialog und Mitgefühl mit den Freunden und der Familie der Gefallenen.“

Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio hat die Familien der Opfer besucht. „Es ist eine Attacke auf alle von uns, es ist eine Attacke auf alles, das uns wichtig ist“, sagte er. De Blasio hatte in den vergangenen Wochen häufig die Arbeit seiner Polizisten gelobt, aber auch betont, dass er die Rechte der Demonstranten ernst nimmt. Sie müssten ihre Wut und ihre Sorge vor der Brutalität der Polizisten ausdrücken dürfen. Seinen 17-jährigen Sohn Dante habe er gewarnt, besonders vorsichtig im Umgang mit der Polizei zu sein, sagte er. De Blasios Frau, Dantes Mutter, ist schwarz.

Polizeigewerkschafter kritisierten daraufhin, der Bürgermeister verbreite das Gefühl, dass man vor der Polizei Angst haben müsse. Ein Gewerkschaftsvertreter verstieg sich sogar zu der Aussage, es klebe Blut an den Händen aller, die unter dem Deckmantel von Demonstrationen zu Gewalt anstiften: „Das Blut auf den Händen beginnt im Büro des Bürgermeisters.“

Das Rätsel des 23. April

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Was war nur los am 23. April 2014? Im Kalenderblatt von Wikipedia, in dem so gut wie alle weltbewegenden Ereignisse eines Jahres nach Tagen geordnet sind, bleibt der Eintrag für jenen Mittwoch leer – was an sich schon außergewöhnlich genug ist. Rund herum wimmelt es von Scharmützeln in der Ostukraine, IS-Selbstmordattentaten, Staatskrisen und Naturkatastrophen. Und doch war es angeblich der 23. April, an dem sich die Menschen in diesem Jahr am schlechtesten gefühlt haben. Zumindest wenn man dem „Daily Misery Index“ Glauben schenkt.



In der sogenannten Tabelle gewichtete die Washington Post, wie oft bei Google nach Begriffen wie Depression, Angst, Stress oder Schmerz gesucht wurde.

In der sogenannten Tabelle gewichtete die Washington Post, wie oft bei Google nach Begriffen wie Depression, Angst, Stress oder Schmerz gesucht wurde. Häufigere Suchen lassen den Index ansteigen und während er sich im Jahresverlauf stabil bei plus, minus 70 Punkten bewegt, schnellt er am 23. April auf über 90.

Vor einiger Zeit haben zwei Forscher in Science die Aussagekraft eben solcher Studien und der zugrunde liegenden Daten in Frage gestellt. Diese seien oft nicht repräsentativ, verzerrt und wegen diverser Einschränkungen der Social-Media-Plattformen ungenau. Fehlt einer ganzen Wissenschaftlergeneration die nötige Grundskepsis? Soziale Medien versprechen eindeutig quantifizierbare Produktivitätssignale. Mausklicks, Tweets und Status-Updates scheinen so viel leichter zu interpretieren als verschwurbelte Antworten auf umständlich entworfene Fragebögen. Außerdem sind die Stichproben natürlich um ein Vielfaches größer, als alle Fokusgruppen, die man auf konventionellem Weg zusammentrommeln könnte. Sollte das nicht ausreichen, um eine repräsentative Auswahl zu erhalten?

Ihre Kollegen, bemängeln die Autoren in Science, vergessen angesichts des Datenschatzes jedoch, dass auch auf den einzelnen Social-Media-Plattformen durchaus diverse Zielgruppen unterwegs sind. So wird Instagram überdurchschnittlich oft von Städtern rund um die 20 benutzt. Das Wohlfühl-Bild-Portal Pinterest bevölkern dafür in der Mehrheit Frauen über 30 mit einem hohen Haushaltseinkommen. Nicht zu vergessen, die Abermillionen von Spam- und PR-Accounts, die ihre ganz eigene, undurchschaubare Agenda verfolgen.

Trotz allem erhält man auf Googles Akademiker-Portal Google Scholar für das Wort Twitter mit 4,9 Millionen Treffern beinahe doppelt so viele Ergebnisse wie für das Wort Soziologie. Was haben Wissenschaftler durch die sozialen Medien nicht alles herausfinden und beweisen können? Allein in den letzten Wochen findet man Dutzende Twitter-Studien. Sie entzifferten den Tag-Nacht-Rhythmus des angeblich niemals schlafenden New York, rechneten die spanischen Arbeitsmarktzahlen anhand der Binnen-Twitter-Aktivität hoch oder analysierten die Beziehungskrisen von 40.000 Paaren durch deren Kommunikation auf der Kurznachrichtenplattform.

An diesen Veröffentlichungen hängen nicht nur Diplom- und Doktorarbeiten. Sie machen die Welt auch ein bisschen leichter erklärbar. Soll uns das in Zukunft nun fehlen? Vielleicht sollte man zumindest noch für einige Tage an die Aussagekraft von Social-Media-Daten und den Misery Index glauben. Denn genau wie der 23. April eine Spitze nach oben darstellt, projizieren die Datenanalysten auch ein einziges Datum im Jahr, an dem die Kummer-Kurve auf unter 60 fallen wird. Es ist natürlich der Weihnachtstag.

Der teure Kampf ums Logo

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Robert Sari ist ein Jünger. Er liebt Apple seit seinem ersten Mac: „Die Rechnung von dem Macintosh SE, den ich 1993 als Abiturient gekauft habe, habe ich noch. Ich habe das Geld aus meinem Sommerjob dafür ausgegeben“, erzählt er. Umso schmerzhafter für den 40-jährigen Frankfurter, dass sein Lieblingskonzern Anwälte losschickt, um seinem Blog den Namen zu entziehen. „apfeloffice“ heißt er.



Der Konzern Apple schützt sein Markenzeichen - und seinen Namen. Er will anderen Betrieben Markennamen mit dem Wort "Apfel" verbieten.

Im Dezember 2013 meldete Sari „apfeloffice“ als Wort-Bild-Marke beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) an. Im Mai bekam er dann Post von Apples Kanzlei: Damit Besucher seiner Webseite nicht glaubten, sie seien bei Apple, solle er sie umbenennen, die Marke löschen. Sari weigerte sich, Apple ließ Widerspruch gegen seine Marke beim DPMA einlegen. Das Amt muss nun entscheiden, wer recht hat. Ein Apple-Sprecher will dazu nichts sagen – man gebe „kein Statement zu unseren Markenschutzaktivitäten und ebenfalls nicht zu Einzelfällen ab".

Das erinnert an den Versuch von Apple im vergangenen Jahr, einer Bonner Café-Betreiberin die Marke „Apfelkind“ zu verbieten. Grundsätzlich ist der Schutz der eigenen Marke rechtens, schließlich hat Apple oft mit Trittbrettfahrern zu kämpfen, die mit Apfel-Logos Geld verdienen wollen. Aber Saris Webseite hat nichts mit der von Apple zu tun, einen Apfel sieht man nirgends – und er wirbt sogar für die Produkte. Auf dem PR-Blog gibt der Mediengestalter Tipps, wie Software für Apple in Unternehmen eingesetzt werden kann: „Apple-Geräte sind mehr als bunte Bildchen und Wischen mit dem Finger.“ Buchhaltung, Rechnungserstellung, Call-Center-Software – das gebe es auch, viele wüssten es nur nicht. Sari berät auch Firmen, die Software für Macs nutzen wollen.

Im Gegensatz zur „Apfelkind“-Gastronomin hat seine Arbeit also einen Bezug zu Apple. Aber kann der Konzern ihm das Wort „Apfel“ verbieten? Und welche Chance hat ein einzelner Gründer im Streit mit einem Weltkonzern? Apple machte im vergangenen Quartal 6,6 Milliarden Euro Gewinn. Sari nimmt mit dem Blog etwa so viel Werbegeld ein wie mit einem Minijob – 450 Euro im Monat.

Das zum Teil voll automatisierte System der Markenüberwachung kann in Einzelfällen große Firmen begünstigen. Dazu Patentamtssprecher Jörg-Eckhard Dördelmann: „Ein Unternehmen in der Größe von Apple kann es sich in aller Regel leisten, in die nächste Instanz zu gehen, koste es, was es wolle. In den Verfahren besteht insofern nicht immer Waffengleichheit.“ Er verweist auf die Objektivität des Amtes – und darauf, wie die Machtverhältnisse in der Praxis eben manchmal sind: „Für uns sind alle gleich im Verfahren. Aber im Zweifelsfall verfügt ein großes Unternehmen über ganz andere personelle und finanzielle Mittel, um das Markenregister permanent zu überwachen und umgehend auf mögliche Kollisionen aufmerksam zu werden.“

Etwa 60000 Marken wurden 2013 beim Patentamt eingetragen, darunter „apfeloffice“. Die größten Anmelder sind Konzerne: Boehringer Ingelheim, Telekom, Vodafone. „Kollision“ nennen es Fachleute, wenn Inhaber einer Marke geltend machen, dass ein Eintrag ihr Recht verletzt. Dann legen sie Widerspruch ein, 2013 passierte das 4646-mal. Dazu kamen 690 Löschanträge gegen ältere Marken. Dabei geht es oft um sprachliche Feinheiten.

„’Apfel’ ist Grundwortschatz der deutschen Sprache“, sagt Sari. Außerdem sitze seine Firma im Frankfurter Apfelviertel, in dem die Straßen nach Apfelsorten benannt sind – so die Boskoopstraße. Das könne Apple ihm ja wohl nicht vorwerfen. Die Anwälte argumentieren dagegen, „dass Wortanfänge im allgemeinen stärker beachtet werden als die übrigen Markenteile.“

Die Angst vor Apple kann ansteckend wirken. 2010 ließ der Konzern die Webseite „Apfelsupport“ abmahnen, die Reparaturen von Apple-Geräten anbietet. Inhaber Till Heppner benannte die Seite in „bugsupport“ um. Über seine Stimmung beim Lesen der Abmahnung sagt er heute: „Man fühlt sich hilflos. Wenn die klagen, legen sie sicher auch den Streitwert recht hoch an. Den können wir uns als kleines Unternehmen sicher nicht leisten.“ Die Gemeinde der Apple-Experten war verunsichert. Der Gründer einer anderen Webseite namens „Apfelhilfe“ zog seine frisch angemeldete Marke zurück. Heute sagt der Mann, der anonym bleiben will: „Gegen ein Multimilliarden-Unternehmen stellt man sich dann doch nicht.“

Apple geht häufig hart gegen Gründer vor, ist aber bei weitem nicht der einzige Konzern, der dies tut. Joachim Gottwald nannte seine Unternehmensberatung in München „XGap“. Die US-Modekette Gap legte 2011 Widerspruch gegen diese Marke ein: Verwechslungsgefahr. „Ich hab’ mit Textilhandel gar nix zu tun“, sagt Gottwald. Noch erstaunlicher: Gap hatte sich 2004 aus Deutschland zurückgezogen. Gaps Anwälte ließen immer wieder Fristen verlängern, sagt Gottwald, sodass er nicht wisse, wie es weitergehe: „Ich denke seit drei Jahren: Muss ich jetzt die Marke einstampfen?“ Gap äußerte sich nicht dazu.

Selbst im sozialen Bereich gibt es Streit: Eine Münchnerin hat Ärger mit dem Schokoriegel-Hersteller Mars. Sie hilft Kindern, ihre Angst vor dem Lesen mithilfe von Hunden zu überwinden. Die Therapieform, bei der die Kinder den Tieren vorlesen, ist noch wenig erforscht – aber so begehrt, dass die Tierfuttersparte von Mars ihre philanthropischen Bemühungen darauf ausrichtet. Der Konzern will der Frau, die sich mit als Erste in Deutschland ehrenamtlich in dem Bereich engagiert hat, verbieten, den Begriff „Lesehund“ zu schützen. Mars will, dass ihn jeder verwenden kann. Die Frau wiederum sagt, sie müsse die Marke zur Sicherheit der Kinder schützen. Unqualifizierte Anbieter würden sonst dem Ruf der Therapie schaden.

Welche Marken Konzerne ins Visier nehmen, entscheiden Algorithmen mit. Firmen und Kanzleien, die Markenüberwachung anbieten, lassen Markenregister europaweit von Software überwachen. Den Anstoß für einen Widerspruch liefert oft die Maschine. „Das schlägt sofort an, wenn das Amt die Anmeldung offenlegt“, sagt Michael Klems, dessen Firma Infobroker für Unternehmen Marken überwacht. Wenn die Software Ähnlichkeiten entdeckt, schickt Klems seinen Auftraggebern „Kollisionsberichte“. Sie entscheiden dann, ob sie Widerspruch einlegen. Obwohl er selbst Geld mit Überwachung verdient, sieht Klems das Problem einer „Abmahneritis“: „Für manche Rechtsanwälte ist das eine Lizenz zum Gelddrucken. Sie haben oft kein Markenverständnis und wissen nicht, wie viel Schaden aggressive Aktionen in sozialen Medien anrichten.“ Wie im Fall „Apfelkind“. Die Café-Betreiberin war in den Augen vieler der David, der mit dem Goliath Apple stritt. Dass sie die Marke auch für Franchise-Konzepte – also Expansionspläne – angemeldet hatte, wussten viele allerdings nicht.

Nach viel schlechter Publicity zog Apple den Widerspruch zurück. Doch oft bekommen Konzerne, was sie wollen. Von Till Heppners Marke „Apfelsupport“ ist heute nicht mehr viel übrig. Im Markenregister steht unter ihrem „Aktenzustand“ nur: „Akte vernichtet“.

Recht enttäuscht

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Es gibt ja diese Theorie, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings auf der einen Seite der Welt einen Tornado auf der anderen auslösen kann. Es passiert etwas, und das hat Folgen. Dass das nicht immer der Fall ist, beklagen zurzeit die deutschen Produzenten, die ihre liebe Not mit den Sendern haben, die sich eingezwängt sehen zwischen erhöhten Ansprüchen und geschrumpften Etats. Große Hoffnungen setzten einige daher auf die aufkommenden Netzanbieter wie Netflix, Maxdome oder Watchever, fühlen sich aber inzwischen mehrheitlich enttäuscht.



Deutsche Produzenten setzten große Hoffnungen auf die neu aufkommenden Netzanbieter wie Netflix, Maxdome oder Watchever. Dieser Markt ist für sie aber auch nicht einfach.

Zum einen haben mangels entsprechender Verwertungsrechte die wenigsten etwas davon, wenn ihre Produktionen im Netz laufen. Denn der Normalfall ist immer noch, dass Produktionsfirmen die Rechte komplett an die Sender abgeben. Zum anderen kommen jene, die über Rechte verfügen, oft nicht an die neuen Anbieter heran. Weil sie zu klein sind, um mit den Großen verhandeln zu dürfen. „Wir können nicht mit jedem Produzenten sprechen“, sagt Joris Evers, der bei Netflix als Director Corporate Communications firmiert. Netflix spricht nur mit Produzenten, die mindestens ein paar Titel im Angebot haben und das auch nur dann, wenn diese Titel attraktiv erscheinen.

Fragt man Evers, was Produzenten denn bei Netflix so erlösen können, weicht er aus. So etwas gehört natürlich zu den Geschäftsgeheimnissen. In der Branche kursieren Schätzungen, denen zufolge eine Stunde Programm um die 20000 Euro bringen kann. Manchmal ist es mehr. Neun Millionen pro Stunde hat Netflix gerade für seine neue internationale Serie Marco Polo ausgegeben. Das markiert die Spitze. Manchmal sind aber auch nur 5000 Euro drin. Hängt alles davon ab, wie publikumsträchtig ein Produkt wirkt. Klar ist auf jeden Fall, dass der Markt für Produzenten kein einfacher ist.

Wenn es um Rechte geht, wird es schnell kompliziert. Dann schwirren rasch die Begriffe nur so durch den Raum. Es ist die Rede von Vollfinanzierungen, Teilfinanzierungen und Co-Produktionen, von abhängigen und von unabhängigen Produzenten. Einfache Antworten gibt es nicht. Die meisten beginnen mit „Kommt darauf an“.

Dass der Markt mit den Filmen und Serien aus dem Netz noch kein riesengroßer ist, konnte man kürzlich den Worten von Jörg Schönenborn entnehmen. „Ein erfolgreicher Tatort hat in der Mediathek vielleicht 200 000 Abrufe. Im Fernsehen sehen den acht bis zehn Millionen“, sagte er, und da er Fernsehdirektor beim WDR ist, sollte er wissen, wovon er spricht. Nun ist der Tatort immer noch eine Marke, die man bei den privaten Netzanbietern vergeblich sucht. Um den Tatort wird noch lange verhandelt werden, denn er ist hochattraktives Programm, das man erst nach einer ordentlichen Auswertung aus der Hand gibt.

„Es darf nicht sein, dass die Leute denken, sie müssten bezahlen für etwas, das sie mit ihrem Beitrag schon einmal bezahlt haben“, skizziert Schönenborn die Lage. Grundsätzlich allerdings steht er dem Auftauchen von öffentlich-rechtlichen Produkten bei neuen Anbietern nicht ablehnend gegenüber. „Ich finde das nicht schlimm, wenn das Sachen sind, die uns zuzuordnen sind“, sagt er. „Wenn wir damit die Publikumsbasis verbreitern, wäre das im Sinne unseres Auftrags.“

Nun würden an dieser Verbreiterung der Publikumsbasis aber gern auch die Produzenten teilhaben. Mangels eigener Rechte tun die sich in den Verhandlungen mit den Sendern indes schwer. „Die Lage hat sich durch die Einführung von Netflix nicht verbessert“, sagt Jens Steinbrenner. Er ist Sprecher der Produzentenallianz, die mit den Sendern über eine Erneuerung der Rechtelage verhandelt. Ein paar Erfolge hat man schon erzielt und kann auf diverse Eckpunktepapiere verweisen, die hier und da regeln, wie Rechte später vielleicht verwertet werden können und wer wie netto oder wo brutto daran beteiligt wird.

Allerdings steht Steinbrenners Vereinigung dem Phänomen gegenüber, dass die Sender im Prinzip wenig Lust zur Verhandlung haben. Sie sind stark, sie können nach der Devise „Friss oder stirb“ verfahren. Und wenn es neue Verwertungsformen gibt, dann inkludiert man die eben. So geschehen bei den zusätzlichen Rechten für die Verwertung in den Mediatheken. „Das haben die Sender dazu genommen, ohne dafür zu bezahlen“, klagt Steinbrenner.

Das haben sie natürlich manchmal gemacht, aber auch nicht immer. Denn es gibt Produzenten, die den mächtigen Sendern Paroli bieten können. Eine wie Regina Ziegler beispielsweise. Die hat schon mehr als 500 Filme produziert und gilt als starke Produzentin. „Bei 25 bis 30 Prozent davon haben wir die Rechte“, sagt sie. Fragt man sie, wie viele Rechte ein Produzent denn so braucht, gibt sie eine schnelle, eine klare Antwort: „So viele man kriegen kann.“

Ziegler weiß, wie man sich behauptet. Wenn man sie als bedeutenden Mitspieler im Rechtemonopoly bezeichnet, dürfte man nicht ganz falsch liegen. Sie hat auch vorgemacht, wie es geht. Ihre Serie Weissensee hat sie als vollfinanzierte Produktion gestartet. In der zweiten Staffel hat sie sich dann die DVD-Rechte bewahrt und die vielfach ausgezeichnete Serie, deren Fortsetzung die ARD lange liegen ließ, dann vor dem Sendestart in die Läden gebracht, was nicht alle Senderverantwortlichen gern sahen. Für die im kommenden Herbst anlaufende dritte Staffel hat sie sich weitere Rechte gesichert. Kein Wunder, dass sie die Lage für deutsche Produzenten optimistischer einschätzt als manche Kollegen. „Es gab schon viel schlechtere Zeiten.“

Auf der anderen Seite des Verhandlungstischs sitzt gelegentlich auch Michael Loeb. Er ist Geschäftsführer der WDR Mediagroup, einer Vermarktungstochter der Kölner Anstalt. Loeb handelt mit den Filmen, klärt Rechte, verkauft Lizenzen. Er warnt davor, bei den neuen Videoanbietern im Netz mit allzu großen Zahlen zu hantieren. Natürlich werde bei größeren Paketen auch schon mal um sechsstellige Summen verhandelt, aber generell rät er dazu, den Ball lieber mal flach zu halten. „Das ist ein Markt, der gerade beginnt“, sagt er.

Auch für ihn bieten die neuen Anbieter vor allem Möglichkeiten, die Publikumsbasis zu verbreitern. „Wir erreichen dort Zielgruppen, die wir sonst nicht erreichen“, sagt er und berichtet von der Serie Die Lottokönige. Die war mit der ersten Staffel bei MyVideo zu sehen, während die zweite schon im WDR Fernsehen lief. Auf einmal registrierten die öffentlich-rechtlichen Medienforscher einen messbaren Zufluss von Menschen unter 50 Jahren zur Linearausstrahlung im Fernsehen. Sehr offensichtlich waren die jüngeren Zuschauer von der Netzauswertung angelockt worden.

Trotz der großzügigen Verteilung wirkt das deutsche Angebot auf den Plattformen momentan noch eher mau. Fast überall findet man Dominik Grafs Serie Im Angesicht des Verbrechens, dazu kommen hier und da mal ein paar exklusive Auftritte. Meist aber besteht die Auslage aus abgehangenen Produkten, die die Sender selbst in ihren Digitalkanälen nicht mehr auswerten.

So verhandeln die Produzenten weiter wacker mit den mächtigen Sendern, hoffen insgeheim aber auf die Politik. Von einem Lizenzmodell wie in England, wo nach Ausstrahlung die Rechte leichter an die Produzenten zurückfallen, träumen manche. Realistisch ist das nicht. Trotzdem weiß die Politik wohl um die Nöte.

NRW-Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann macht den Produzenten zumindest Hoffnung, dass ihre Klagen bei künftigen Gesetzgebungsverfahren nicht ungehört verhallen. „Wir sind gerade in Nordrhein-Westfalen dabei, das WDR-Gesetz zu novellieren. Wichtige Punkte sind für uns Partizipation und Transparenz. Deshalb stellen wir Leitfragen des Gesetzes Anfang Februar bei einer Online-Konsultation öffentlich zur Diskussion“, sagt er und erhofft sich fruchtbaren Input. „Eine dieser Leitfragen ist, wie die Arbeit der Produzenten und Autoren gestärkt werden kann. Im Rahmen der Online-Konsultation sind wir dankbar für Anregungen in diesem Zusammenhang.“

Dankbar für Anregungen. Für Produzenten, die sich mit dem Rücken an der Wand sehen, ist das wenigstens ein bisschen was. Vielleicht ist es der sagenhafte Flügelschlag eines Schmetterlings. Ob aus dem ein Tornado wird, muss sich zeigen. Und wer dann die Rechte für die Verfilmung kriegt, ist auch noch nicht klar.

Kosmoshörer (Folge 44)

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Musik hört jeder, aber jeder macht es anders. In der Kolumne Kosmoshörer dokumentieren jetzt-User und jetzt-Redakteure jeweils eine Woche lang ihren Musikkonsum. Das hat jetzt-Userin lise_lotte vergangene Woche gehört:


Montag:

Montagmorgen. Es regnet. Es ist grau. Ich brauche Kaffee. Nein, lieber Espresso – 'nen doppelten Espresso brauche ich.
"If you've got no kind words to say,
You should say nothing more at all."
The Maccabees, ihr habt so recht. Deswegen sage ich jetzt nichts mehr, lass mich von euch berieseln, und genieße den doppelten Koffeinkick. Jetzt bin ich bereit für Kommunikation.
https://www.youtube.com/watch?v=IhmKNBBp3OU

Den Tag über begleiten mich Angus & Julia Stone mit dem gleichnamigen Album. Der perfekte Wintersound für meine Ohren.


Dienstag:
Ich denke ganzen Tag an nichts anderes, als an Mathilda aus Léon, der Profi:

https://www.youtube.com/watch?v=JvTVuMzQXTM

Abends bin ich mit Freunden im Kino, wir schauen #zeitgeist – von digitaler Nähe und analoger Entfremdung. Am meisten gefreut habe ich mich über das Wiedersehen mit Hank Schrader aus Breaking Bad. Cooler Typ. Auf dem Heimweg bin ich leicht emotional, habe das dringende Bedürfnis, in die Welt von WoW einzutauchen – nur ganz kurz – und bin den Klängen von Sea Wolf verfallen. Von der LP Old World Romance gefallen mir "Kasper", "Whirlpool"  und "Old Friend" sehr, sehr, sehr. Zu letzterem gibt es auch ein zauberhaft beschwingtes Video:

http://vimeo.com/68192608


Mittwoch:
Okay. In genau einer Woche ist Weihnachten. Jetzt wird's ernst. Ich habe Weihnachtskarten in schwarz-weiß besorgt, die ich zu Weihnachten an Freunde verschicke. Das Ding an Handgeschriebenem ist, man muss wissen, was man sagen/schreiben will – es gibt keine Entf-Taste. Aber dank Chet Faker on repeat bin ich total im Schreibflow und kann ganz locker-flockig meine Weihnachtsgrüße auf Papier bringen. Musik für immer und zwischendurch.

http://vimeo.com/58404809

https://www.youtube.com/watch?v=L-J9VEJKx0g

https://soundcloud.com/flume/chet-faker-gold-flume-re-work-1


Donnerstag:
Regen? Ja. Aber heute nur KONFETTIREGEN!

http://vimeo.com/26142166

http://vimeo.com/49610718

http://vimeo.com/101058507


Freitag:
Holy. Shit. Shopping. Bin heute auf Weihnachtsmission unterwegs. Dieses fancy Buchcover springt mir in der Buchhandlung förmlich ins Auge. Ich will es verschenken – ihr wollt doch alle Konfetti, Peace und Fitti mitm Bart – bloß fällt mir niemand ein, der sich so wirklich freuen würde. Will wer von euch? Peace.




Auf meiner Shoppingtour höre ich jedoch nicht MC Fitti, sondern diesen zarten Kerl mit der rauen Stimme:
http://vimeo.com/72067880
 

Samstag:
Ich schwebe so durch den Tag, alles fühlt sich irgendwie ganz flauschig, funkelnd, warm an.


http://vimeo.com/50390047

https://soundcloud.com/warpaintwarpaint/billie-holiday

https://soundcloud.com/tycho/tycho-awake


Sonntag:
Entspannter vierter Advent. Ausschlafen, selbstgebackenes Bananabread mit Zimt zum Frühstück, langer Spaziergang, Kaffee mit einer tollen Freundin, die ich ewig nicht mehr gesehen habe und Sanft & Sorgfältig mit Olli & Jan. Was wäre ein Sonntagnachmittag ohne Die Großen 5. Auf Platz eins der großen fünf Weihnachtsgansfüllungen von Jan: Mett! Für Mett ist immer Platz. Musikalisch untermalen würde das Olli Schulz jetzt gut mit seinem Song "Phase", aber mir ist dann doch eher nach Real Estate und MØ, der coolsten Dänin überhaupt. Say what!

https://soundcloud.com/real-estate-the-band/crime-1
   
http://open.spotify.com/track/0bKE1aUML35JRFjfUDrso8

Auf der nächsten Seite: der ausgefüllte Fragebogen über lise_lottes Musikgewohnheiten und -vorlieben.

[seitenumbruch]



Gute Musik – was ist das für dich?
Gut ist, was bewegt. Für kurz, für lang, egal. Es muss 'was' in mir bewirken, mit mir machen – im positiven Sinne.

Wie hörst du Musik: klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?
Unterwegs benutze ich MTV Music, weil ich wegen meines Mobilfunkvertrags eine Flatrate habe. Zu Hause höre ich über den Laptop - da dann meist über Spotify oder Webradios wie detektor.fm und FluxFM.

Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen?
Eigentlich immer, wenn ich von A nach B muss. Wenn ich frühstücke, koche, aufräume. Ich höre Musik vor allem, wenn ich in Bewegung bin.

Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst?
Schwierig. Es gibt nicht die eine Band oder den einen Musiker, von denen ich komplett alles höre. Es gibt aber eine Hand voll Lieblinge, Chet Faker und alt-J zum Beispiel, oder The Strokes und The Vaccines schon über Jahre hinweg.

Welche Musik magst du gar nicht und warum?
Ich bin voll kritisch. Manchmal vielleicht zu kritisch? Es gibt vieles, was ich absolut nicht mag: Metal, Country, Drum 'n' Bass, oder  einfach so richtig belanglose, austauschbare Musik – einfach, weil es sich für mich nicht gut anfühlt, zu laut, zu bunt, zu aufdringlich.

Was war deine erste eigene Platte – und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus?
Ahhh, ich weiß es noch, ich weiß es noch ganz genau: "Teenage Dirtbag" von Wheatus, da war ich 9 Jahre alt. Geht ziemlich in Ordnung als erste Platte. Dann einmal die ganze Palette durch: Angefangen mit Bravo Hits. Klassiker! Danach wurde zu, ach Quatsch, was sag ich, danach wurde mit Christina Aguilera, Justin Timberlake und Destiny's Child wild gesungen und getanzt. Coolness-bedingt hörte ich dann Hip Hop, Rap, halt so Eminem und 50 Cent. Yo!
 
Mit 17 war ich das typische Indie-Mädchen (bin ich Jahre später noch immer, irgendwie), fing an, auf Konzerte und Festivals zu gehen. Der Soundtrack von "O.C., California" hat mich damals stark beeinflusst: Death Cab For Cutie, The Killers, Modest Mouse. Indie wurde dann Berlin-Mitte-mäßig um Elektro erweitert, hin zu Indie-Elektro. Von 2010 an war ich  jeden Sommer auf dem Hamburger MS Dockville Festival, das nur zu gut meinem jetzigen Musikkosmos entspricht. Da fühl ich mich irgendwie zu Hause. Diese Art von Musik bewegt mich und macht mich glücklich.

Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt?
Oh ja, sehr gern. Gute Konzerte machen mich so verdammt happy, dieses Gefühl ist unvergleichlich. Aber lieber die kleinen, familiären.  Ich steh' generell weniger auf Menschenmassen, Gedränge und so.
Nicht die letzten Konzerte, aber die, die noch lange nachwirkten, waren die Konzerte von Sóley + Sin Fang vorigen Sommer und das Konzert der Mighty Oaks im Herbst 2012. Woah, war ich verzaubert!

Wie entdeckst du neue Musik und was ist deine neueste Entdeckung?
Ich muss gestehen, ich bin eigentlich immer auf der Suche nach neuer, guter Musik. Über Plattformen wie Pitchfork, Noisey  oder Webradios wie detektor.fm, FluxFM und ByteFM entdecke ich meist neue Musik. Im Frühjahr, nicht mehr wirklich neu, aber meine Entdeckung 2014, habe ich Sylvan Esso entdeckt. Das Duo aus North Carolina kann was. So stark und zart zugleich.

Von diesen drei Kerlen wird man mit Sicherheit 2015 auch noch öfter was hören:
https://www.youtube.com/watch?v=KG9-jSqXz4U


Verrate uns einen guten Song zum...

.... Aufwachen:
https://www.youtube.com/watch?v=nDkkK-KHjks

... Tanzen:
http://vimeo.com/30676670

... Traurig sein:
http://vimeo.com/12340590

... Sport treiben:
https://www.youtube.com/watch?v=v2go1rt23B4

"Die Jugend ist ohne jede Hoffnung!"

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Die Tunesier haben abgestimmt: Am Sonntag konnten sie in Stichwahlen erstmals seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1956 (und damit auch zum ersten Mal seit dem Sturz von Diktator Zine El Abidine Ben Ali im Jahr 2011) ihren Präsidenten direkt wählen. Ein gewaltiger Schritt für das Land, von dem aus die arabische Revolution auf die Welt übergiff - und das dem Westen noch immer als eine Art Musterschüler gilt. Beim ersten Wahlgang am 23. November 2014 konnte keiner der 27 Kandidaten eine absolute Mehrheit der Stimmen erzielen. Am Sonntag traten Béji Caid Essebsi und Moncef Marzouki zur Stichwahl an.


Der 88-jährige Essebsi diente bereits unter Staatsgründer Habib Bourguiba. Der 69-jährige Marzouki war Anfang 2012 mit Unterstützung der islamistischen Partei Ennahda zum Übergangspräsidenten gewählt worden. Der Wahlkampf war von gegenseitigen Vorwürfen geprägt. Marzouki präsentierte sich als Verteidiger der "Revolution". Essebsi wiederum warf Marzouki vor, ein "Extremist" und Vertreter der Islamisten zu sein, die das Land seit 2011 heruntergewirtschaftet hätten.

Nach Angaben der Wahlbehörde ISIE gingen lediglich 59 Prozent der 5,3 Millionen Tunesier zur Urne. Beide Stichwahl-Kandidaten reklamierten am Sonntagabend den Wahlsieg für sich. Ein amtliches Endergebnis steht noch nicht fest. Wir haben ein paar wichtige junge Stimmen Tunesiens dennoch schon mal um ihr Gefühl zur Wahl gebeten:
 

Lina Ben Mhenni, 31


ist Linguistin, politische Bloggerin und Internetaktivistin. Sie setzt sich in Tunesien für Menschenrechte ein und kämpft gegen Zensur. Sie war die erste Bloggerin, die während der tunesischen Revolution über die Grenzen des Landes hinaus Gehör fand. Lina wurde damals von internationalen Medien zur "Stimme des tunesischen Aufstandes" stilisiert.





Ich hatte gemischte Gefühle, als ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Präsidenten wählen durfte. Ich fand die Idee, nach so vielen Jahren der Diktatur endlich mehr oder weniger frei wählen zu können, natürlich sehr verlockend. Allerdings spiegeln diese Wahlen meiner Meinung nach weder den Willen des tunesischen Volkes wider, noch den Verlauf der Revolution, wie wir uns diesen gewünscht hätten. Die Tatsache, dass die meisten Ziele der Revolution in Vergessenheit geraten sind, tut mir weh und macht mich zutiefst traurig.

Wo war die Justiz während des Transitionsprozesses? Wo war die Gerichtsbarkeit, als Kriminelle die Protagonisten unserer Revolution töteten? Wo war sie, als Menschen verwundet wurden und man ihnen keine medizinische Versorgung zuteilwerden ließ? Wie kann es sein, dass Menschen, die als Symbole für die Diktatur Ben Alis stehen, ein Recht auf Straffreiheit hatten und sich sogar als Präsidentschaftskandidaten auf die Liste setzen lassen durften?

Die Wahl wurde im Vorfeld sehr stark polarisiert. Zu stark. Die Masse der Menschen erhielt den Eindruck, dass es trotz der 27 Kandidaten nur zwei reelle Auswahlmöglichkeiten gab: Entweder gegen die Islamisten wählen und damit Béji Caid Essebsi, oder gegen eine Rückkehr des alten Regimes und damit Moncef Marzouki. Man konnte sich schon vorher ungefähr ausrechnen, wozu das führen würde.

Was mir eine gewisse Hoffnung gibt, ist die Tatsache, dass sich Gegner Ben Alis wie Hamma Hamammi aufstellen lassen konnten. Die Kandidatur einer Frau, Kalthoum Kannou, macht mich geradezu stolz.
 
Dennoch blicke ich skeptisch in die Zukunft. Man darf nicht vergessen, dass die islamfreundliche Partei Ennahda noch immer zweitstärkste Kraft im Parlament ist. Wir müssen weiter sehr wachsam sein. Sonst können wir die Revolution begraben. Der Erfolg der Revolution und damit die Etablierung demokratischer Prozesse bedeuten mehr als eine Wahl.
 

Malek Khemiri, 27


ist Rapper der tunesischen Gruppe Armada Bizerta. Die Gruppe stammt aus der nordtunesischen Stadt Bizerte und sang bereits unter Ben Ali gegen die Diktatur an. Als sich mit den politischen Umstürzen des Jahres 2011 internationale Medien für Armada Bizerta, die musikalische Stimme der Revolution, zu interessieren begannen, tat dies auch die tunesische Polizei. Die Gruppe ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern und verpackte ihre Kritik am gewalttätigen Polizeiapparat und einem korrupten politischen System in ironische Texte – die in der arabischen Welt jeder versteht, der sie verstehen will. In den vergangenen vier Jahren spielten Armada Bizerta auch auf europäischen Bühnen. Ihr Augenmerk ruht jedoch weiter auf den Entwicklungen im eigenen Land. Malek studiert audiovisuelle Kommunikation, dramaturgisches Schreiben und Regie.

Die Auswahl zwischen 27 Kandidaten hat mich nicht interessiert. Und noch viel weniger die Stichwahl zwischen Marzouki und Essebsi. Ich habe diese Wahlen boykottiert. Die Jugend dieses wunderbaren Landes ist ohne jede Hoffnung auf eine Zukunft. Die ökonomische Situation wird immer schlimmer und es gibt niemanden in der Politik, der sich dessen wirklich annehmen will.
 
Unsere Aufgabe ist es, eine Gegengewalt gegen das korrupte politische System zu sein. Ich habe das Recht, mich nicht von diesen Leuten repräsentieren lassen zu wollen. Wir müssen einem neuen, demokratischen System den Weg bereiten, indem wir innerhalb des bestehenden Systems opponieren: mit den Waffen der Kunst. Genau darum geht es auch in unserem jüngsten Lied. Um die Frage, wie wir uns innerhalb des institutionalisierten politischen Prozesses enthalten und trotzdem etwas bewegen können.
 
http://soundcloud.com/katibe-5/armada-t-1m
 
Im Rahmen meines Studiums habe ich Ereignisse der jüngeren politischen Vergangenheit in einer Dokumentation aufgearbeitet, anlässlich eines Revolutions-Festivals in der Nähe von Sidi Bouzid (dem Ort, an dem sich am 17. Dezember 2010 ein junger Gemüsehändler aus Verzweiflung selbst anzündete und damit den Anstoß für die Massenproteste gab, die zum Sturz von Diktator Ben Ali führten, Anm. d. Red.).
 
Der Film heißt: ‚Sich erinnern bedeutet zu leben‘
http://www.youtube.com/watch?v=GPxFI9LpBec&feature=youtu.be

Er handelt von einem jungen Revolutionär, der eine Kugel im Bein trägt, die ihm von Schützen des Regimes dort hineingejagt wurde. Ich lasse darin die Ereignisse im Januar 2012 Revue passieren, als 16 Tunesier von Scharfschützen getötet und elf verletzt wurden. Der Protagonist fühlt sich weder von Esebssi noch von Marzouki repräsentiert. Er zitiert Esebssi mit dem Satz, es habe keine Scharfschützen gegeben. Mein Zeitzeuge antwortet ihm: ‚Wenn es keine Scharfschützen gibt, dann warst du es also, der auf mich geschossen hat.‘
 
Dieser Film ist meine Antwort auf die aktuellen Entwicklungen. Ein Film, der sich dafür einsetzt, dass die Ideen der Revolution nicht verlorengehen. Dass die Energie nicht verpufft. Dass die Mörder des Volkes nicht vergessen werden und wir uns an unsere verlorenen Träume erinnern.
 
 

Nidhal Chemengui, 28


ist Bloggerin und Projektleiterin des Goethe-Instituts in Tunis: Sie entwickelt dort ein Radioprogramm für Frauen. Tunesien ist historisch das arabische Land, in dem Frauen seit Jahrzehnten Freiheitsrechte hatten, darunter jenes, zur Wahl zu gehen und Bildung zu genießen. Absurderweise wurden diese Rechte von Diktator Bourguiba installiert und von dessen Nachfolger geschützt. Ausgerechnet nach dessen Sturz, auf dem Weg in eine demokratische Zukunft, stellten islamistische Bestrebungen in der Gesellschaft die Rechte der Frauen ernsthaft in Frage.





Bei den ersten Präsidentschaftswahlen unseres Landes bin ich natürlich wählen gegangen. Ich war sehr überzeugt von einem Kandidaten. Wer das ist, möchte ich nicht sagen. Das ist für mich Teil des Wahlgeheimnisses. Bei der Stichwahl am Sonntag haben sich jedoch zwei Kandidaten präsentiert, von denen ich mich in keinster Weise repräsentiert fühle. Beji Caid Essebsi ist nicht nur alt. Er setzt zudem auf so eine paternalistische, väterliche Art, wie es auch unsere Diktatoren taten. Ich brauche aber keinen Vater oder Großvater als Präsidenten, ich brauche Demokratie! Essebsi ahmt den Diskurs Bourguibas nach. Er ist der Garant für Kontinuität: Die Kontinuität eines Systems, das sich bis heute nicht gewandelt hat.
 
Marzouki, der wird indirekt von den Islamisten unterstützt. Deshalb will ich nicht, dass er ein zweites Mal Präsident wird. Wenn die Revolution für etwas gekämpft hat, dann auch dafür, dass diese endlosen Mandatsfolgen gestoppt werden.
 
Keiner der beiden ist überzeugend. Ihr Wahlkampf war lächerlich: schwache Diskurse ohne Argumente. Sie hatten nicht mehr zu bieten, als jeweils aufeinander zu reagieren – ohne sich jemals mit den Bedürfnissen des Volkes auseinanderzusetzen, das sie repräsentieren sollten. Sie wollen einfach diesen Posten innehaben. Aber sie wollen nichts im Land ändern.
 
Wir jungen Tunesier wollen und brauchen transparente Institutionen und Gesetze, die diese schützen und ein komplett korruptes System verändern. Es gibt einfach nichts, was der Staat auf die Reihe bekommt. Nicht die einfachsten bürokratischen Prozesse. Eine riesige Baustelle ist der Bildungssektor. Wie kann es sein, dass wir jetzt schlechtere Bildungschancen haben als in der Diktatur? Wie soll ein Land eine Zukunft haben, das sich nicht um die Ausbildung seiner Jugend kümmert? Aktuell ist nicht absehbar, dass sich einer der gewählten Kandidaten dieser fundamentalen Fragen annehmen würde, die uns allmählich in Richtung eines Wohlfahrtsstaates bringen würden.
 
Wenn Tunesien als das Musterbeispiel einer demokratischen Revolution in einem arabischen Land dargestellt wird, ist das für uns gefährlich. Wir laufen Gefahr, dass sich diese falschen Klischees  in der internationalen Wahrnehmung festsetzen – so, wie das auch schon zu Ben Alis Zeiten der Fall war: eine Diktatur, ja, aber hey, mit guter Bildung und Rechten für die Frauen. Das ist so zynisch.
 
Tunesien ist ein wunderbares Land, aber es fehlt so viel. Es bringt uns überhaupt nichts, wenn die Welt da draußen denkt: Wie hübsch, die Tunesier haben ihre ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen hinbekommen.

Mit Selbstzerstörung und Selbstbewusstsein

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1. Das Web des Gruppenzwangs


2014 war das Jahr einer besonderen Art der Mitmach-Meme. Man könnte auch sagen: das Jahr des Gruppenzwangs 2.0. Meme lebten immer schon davon, dass Menschen sie weiterverbreiten, oft mit einem individuellen Weiterdreh. Viele Meme des Jahres 2014 hatten eine neue Komponente: das Nominieren. Und dadurch den Zwang. Das Prinzip war immer dasselbe: Person A tut etwas und dokumentiert es auf Facebook. Im gleichen Post nominiert sie eine oder mehrere andere Personen, es ihnen gleich zu tun.

Zuerst kippten weltweit im „Social Beer Game“ sehr viele Menschen sehr viele Biere in einem Zug in ihre Rachen. Eine noch selbstzerstörerische Variante war die Fire Challenge, in der sich Menschen (die keine Stuntmen waren) gegenseitig dazu nominierten, sich mit brennbarer Flüssigkeit zu begießen und anzuzünden. Es folgte weiteres Übergießen, aber in der wohltätigen und deshalb noch wesentlich populäreren und sogar politikertauglichen Variante: der Ice Bucket Challenge. Dann bog der Trend plötzlich in intellektuelle Gefilde: DJs posteten die Alben, die sie am meisten inspiriert hatten und fragten ihre Kollegen nach ihren musikalischen Meilensteinen. Literaturbegeisterte und solche, die als welche gelten wollten, taten dasselbe mit Büchern.

Alles Selbstläufer, die ihren Erfolg einem Twist der sozialen Netzwerke verdankten, der so vorher nie so zum Tragen gekommen war. Bisher posteten die Menschen dort etwas, weil sie wollten, dass jemand sieht, was sie tun. Jetzt mussten sie plötzlich Sachen posten, damit nicht jeder sehen konnte, was sie nicht tun.

2. Youtuber sind im Mainstream angekommen


Simon Unges youtube-Kanal ist erst ein paar Tage alt. Bislang ist dort nur ein Video zu sehen. Trotzdem hat Simons Kanal schon knapp eine halbe Million Follower.

Unge ist einer von Deutschland bekanntesten Youtubern. Er hat am Wochenende seinen Vertrag mit Mediakraft Networks gekündigt, einer Art Produktionsfirma für Youtuber. Jetzt macht er alleine weiter - und gibt Youtube-Kanäle auf, mit denen er 30 Millionen Menschen im Monat erreicht.

Simon Unge ist im Jahr 2014 nur das aktuellste Beispiel dafür, dass Youtuber eine neue Macht im Netz und mittlerweile im Mainstream angekommen sind. Klar, es gibt sie schon länger, und klar, und einige von ihnen haben schon seit längerem View-Zahlen, von denen so manche TV-Sendung nur träumen kann. Aber seit diesem Jahr nimmt man sie wirklich ernst, und zwar als das, was sie wahrscheinlich sind: die Zukunft. Für junge Leute ist das Fernsehen nicht mehr zwangsläufig Bewegtbildmedium Nummer eins, sie holen sich Unterhaltung und Information auf Youtube. In den USA sind Youtube-Stars zum Teil beliebter als Hollywood-Größen, schreibt Variety in einer Titelgeschichte über Youtuber und ihre Auswirkungen auf das Berühmtheitsbusiness.

In Deutschland schrieb im Herbst so gut wie jede Tageszeitung eine Geschichte über Deutschlands Youtube-Landschaft, denn der Publikumspreis des Grimme Online Awards ging an Florian Mundt und seinen hysterisch-überdrehten-Nachrichten-Youtube-Kanal LeFloid. Auch er ist seit einer Weile alleine ohne Produktionsfirma im Geschäft, ein weiteres Zeichen des neuen Selbstvertrauens der Youtuber. Und seit kurzem ist er Werbegesicht einer großen deutschen Krankenkasse. Mehr Ankommen im Mainstream geht kaum.

3. Ungewollte Berühmtheit


Das Internet ist eine Aufmerksamkeitsmaschine. Es verschafft heute Botschaften ein Millionenpublikum, die gestern noch keinen interessiert haben. Es treibt heute Ideen um die Welt, die gestern erst in einer Garage entstanden sind. Es macht heute Menschen weltberühmt, die ihren Bekanntenkreis gestern noch an zwei Händen abzählen konnten.

Dieses Jahr hat gezeigt, dass das auch funktioniert, wenn diese Menschen es selbst nie auf Berühmtheit angelegt hatten.

Breanna Mitchell aus Alabama fand sich im Sommer in einem Shitstorm wieder. Sie hatte ein Selfie getwittert, das sie lächelnd auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zeigt.

Im August hielt der fünfjährige Noah Ritter einen Monolog in einem US-Lokalsender, der früher wohl dort untergegangen wäre. Das Video ging viral (mittlerweile wurde es 18 Millionen mal angesehen), und Noah bekam wenig später einen Werbevertrag.

[plugin imagelink link="http://blog.sfgate.com/hottopics/files/2014/11/Alex-from-Target.png" imagesrc="http://blog.sfgate.com/hottopics/files/2014/11/Alex-from-Target.png"]
Und dann war da Alex from Target. Ein Junge mit schönen Haaren und Klimperwimpern, der nichts tat, mit dem er berühmt hätte werden wollen. Er sang nicht, tanzte nicht, bloggte nicht. Er arbeitete nur im Supermarkt Target. Aber ein paar tausend Mädchen fanden ihn hübsch und erzählten das mittels Foto-Weiterleiten und –Posten ihren Freundinnen. Stunden später war Alex weltberühmt und der Hashtag #AlexfromTarget ganz oben in den Twitter-Ranglisten. Alex ist jetzt berühmt, ohne dass er auch nur einmal dafür einen Finger gekrümmt hat. Sein Beispiel zeigt auch: Teenager-Mädchen mit Internetzugang sind eine weit unterschätzte Macht.

4. Die Fake-Spontanaktion


Spätestens seit dem Jahr 2014 sollte man sich als Internetnutzer einen Reflex angewöhnen: Wenn irgendwas überall zu sehen ist und alle Viralitätsrekorde knackt, muss man misstrauisch werden und sich fragen, was dahinter steckt.




Im Februar wurde ein Foto geteilt wie nie: ein Selfie von der Oscar-Verleihung, live geschossen und getwittert von Moderatorin Ellen DeGeneres. Was spontan aussah, war aber geplantes Product Placement: Samsung, Sponsor der Preisverleihung, wollte sein Smartphone möglichst publikumswirksam inszenieren.

Nur wenige Tage begeisterte das Video First Kiss weltweit die Menschen mit herzergreifenden, in romantischen Schwarz-Weiß-Bildern gefilmten Sequenzen von fremden Menschen, die sich das erste Mal küssen. Nur: Der Clip war von einer Modemarke beauftragt, und die vermeintlich fremden Zufallsküsser zum Teil Schauspieler und Models.
https://www.youtube.com/watch?v=IpbDHxCV29A

5. Das Happy-Video und seine neuen Versionen.


Pharrell Williams Song Happy ist zwar 2013 erschienen. Aber 2014 geschah damit noch eine ganze Menge. 2013 hatte Willliams kein normales Video veröffentlicht, sondern die Webseite 24hoursofhappy.com, auf der man ein 24-stündiges Musikvideo zu „Happy“ voller fröhlicher Tanz- und Clap-along-Menschen aus Los Angeles sehen kann. Dieses Video wurde 2014 wahrscheinlich in jeder Stadt dieser Welt einmal kopiert. Interessant war daran vor allem, dass dies auch vermehrt in Krisenregionen geschah: Happy aus Kiew, Happy von den Taifun-geplagten Philippinen. Dadurch bekam der eigentlich auf nichts als gute Laune ausgelegte Pharrell-Song plötzlich Bedeutungen, die der Künstler beim Schreiben wohl nie im Sinn hatte. Das zeigt: Was aus einem Song wird, liegt nicht mehr unbedingt in der Hand seines Schöpfers. Pharrell selbst sagte im April in einem Interview mit Operah Winfrey zu dem (in dem er auch vor Rührung zu weinen beginnt): „And it was no longer my song.“

Tagesblog - 23. Dezember 2014

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15:36 Uhr: Gerade lese ich: Die Deutschen haben bei Google seit Mai mehr als 31.700 Löschanträge für fast 120.000 Links eingereicht. Die Hälfte wurde tatsächtlich entfernt. Ein Erfolg? Ich verweise dazu sehr gern auf Hakans großartigen Text zum Thema.

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15:03 Uhr:
Ergänzug zur Topastroliste:

[plugin imagelink link="https://fbcdn-sphotos-c-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xpf1/v/t1.0-9/p720x720/10394856_925363954148009_3373846144477918173_n.jpg?oh=85a5cb0f2c91b340c86ef43d71966f3b&oe=54FCA75E&__gda__=1429501155_f624670c5acf19349f580c45f370262d" imagesrc="https://fbcdn-sphotos-c-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xpf1/v/t1.0-9/p720x720/10394856_925363954148009_3373846144477918173_n.jpg?oh=85a5cb0f2c91b340c86ef43d71966f3b&oe=54FCA75E&__gda__=1429501155_f624670c5acf19349f580c45f370262d"]

Chris Hadfield darf Hosen tragen, die überm Knie enden. Und überall sitzen.

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14:46 Uhr: Ich habe heute - unangefragt - ein Rezensionsexemplar einer neuen Frauenzeitschrift geschickt bekommen. Die Themen: vier Seiten Extra-Astro-Guide. Party-Kuchen. Übungen für den Rücken. Und ein Frisuren-Test. Wir haben gleich mal ausprobiert, ob Jakob Angelina Jolies Hochsteckfrisur steht. Müsst ihr entscheiden! Ist grad zu schwer für mich.

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14:31 Uhr:
Ein neuer Eintrag in unserem Lexikon des guten Lebens ist online! Heute geht es um Ordnung. Genauer: das problem fehlender Ordnung. Ich könnte jetzt schreiben, das kenne ich gut. Das wäre aber maßlos untertrieben. Geht's euch auch so? Dann hier lang!

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13:28 Uhr:
Udo Jürgens ist ja nicht so unser Kosmos, klar. Aber die Idee vom Tagesspiegel finde ich sehr charmant:


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12:22 Uhr
: Bevor ich gleich zum letzten Mal mit Charlotte, Sandra und Nadine in der Kantine Essen gehen darf (wenigstens für eine längere Zeit), lasse ich euch noch eine kleine Premiere und neue Erfindung von mir hier, die Topastroliste. Weil ich schon wieder ein paar Links gesammelt habe, die ich euch zeigen will. Und weil ich weiß, dass im jetzt-Kosmos auch Kosmos-Fans sind.

* Die NASA-Raumkapsel Orion ist zurück auf der Erde. Hier gibt es ein Video, das den Wiedereintritt des in die Erdatmosphäre zeigt - und auch, was die Astronauten sehen würden, wenn sie mit der "Orion" zurück zur Erde fliegen würden.

* Bisschen älter, aber das Video ist einfach sehr schön:

http://www.youtube.com/watch?v=0az7DEwG68A

Zur Erklärung: Nasa-Wissenschaftler haben ein spannendes Konzept entwickelt: Luftschiffe über den Schwefelsäure-Wolken der Venus, in denen Menschen leben können. So eine Rundfahrt würd ich ja schon mitmachen.

* Der Stern mit dem schönen Namen Eta Carinae explodiert bald. Wie sich das auf die Erde auswirken wird, darüber spekulieren Experten noch. Auch die Auslöschung der Menschheit ist unter den möglichen Szenarien. Schluck.

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(Illustration: Sandra Langecker)

11:45 Uhr:
Ich bitte erneut um Verzeihung, aber ich musste mich um einen Text kümmern, der gerade online gegangen ist. Und bei dem es sich seltsam anfühlt, ihn hier anzukündigen, weil er ja von mir ist. Deshalb kurz und knapp: Hier geht's lang zum neuen Text. Es geht um Weihnachten und Eltern und Computer-Nachhilfe. Und eine Seite an mir, die ich gar nicht mag. Ich schwöre, sonst bin ich wirklich nett!

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10:45 Uhr:
Oje, wir haben sehr lange konferiert, wegen Feiertagsplanung und zwei Abschieden, aber jetzt bin ich wieder ganz für euch da! Mit Kängurus. Wenn ich mich nicht verzählt habe, meine siebtliebsten Tiere.

http://www.youtube.com/watch?v=UFWUlObSgn0

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09:23 Uhr:
Simon hat es gestern schon geschrieben, ich war gestern Abend auf meiner ersten Demo (eigentlich ja einer Kundgebung) überhaupt, so ganz analog. Gegen Pegida. Weil das wichtig ist. Wie haltet's ihr so mit Demonstrieren? 
In der Konferenz eben wurde kritisiert, dass man es ja durchaus als Wohlfühl-Aktivismus bezeichnen kann, wenn man in München vor der Staatsoper steht, den Sportfreunden, Notwist und Michael Mittermeier zuhört. Ich finde, hier überwiegt, dass man seinen Arsch hochbekommt und statt auf der Couch zu liegen ein Zeichen gegen die Pegida-Deppen (man darf das schreiben!) zu setzen. Und ihr?

[plugin imagelink link="http://polpix.sueddeutsche.com/bild/1.2279779.1419315952/640x360/antipegidademo.jpg" imagesrc="http://polpix.sueddeutsche.com/bild/1.2279779.1419315952/640x360/antipegidademo.jpg"](Foto: Stephan Rumpf, Quelle)

Was gestern in München los war, könnt ihr übrigens hier nachlesen.

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08:36 Uhr:
Solange ich in der Konferenz sitze, könnt ihr schon mal den Adventskalender aufmachen:





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08:16 Uhr:
Guten Morgen, liebe Freunde! Ich sitze gerade ungefähr so vor dem Computer:

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/2xhTqmQs5P7Qk/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/2xhTqmQs5P7Qk/giphy.gif"]

Ich schaue gerade ENDLICH Twin Peaks und muss bei jedem Kaffee an Agent Cooper denken. 

http://www.youtube.com/watch?v=5PcoMrwEa5o 

Er trinkt aber auch so schön Kaffee.

„Wie denn?“

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Bevor Tommy Lee Jones etwas sagen kann, sprechen seine Tränensäcke für ihn. Die sind, aus der Nähe betrachtet und im Konzert mit seinen Falten und seinem Quadratschädel, noch eindrucksvoller als auf der Leinwand. Wo sie in seinem aktuellen, kongenial knorrigen Anti-Western „The Homesman“ auch schon ziemlich eindrucksvoll sind.

Hör mal her, Glattgesicht, scheinen diese Tränensäcke zu sagen: Es ist mir scheißegal, was du von mir denkst. Und auch, was du von meinem neuen Film hältst. Allein die Tatsache, dass dein Gesicht so glatt ist, stimmt mich misstrauisch. Also bin ich jetzt sehr gespannt, ob deine erste Frage tatsächlich so schwachsinnig wird, wie ich das gerade vermute.



Der Schauspieler Tommy Lee Jones. Zur Zeit ist er als Outlaw George Briggs im Kinofilm "The Homesman" zu sehen.

Wirklich, mit dieser Haltung geht Tommy Lees Jones in seine Interviews. Das ist mehr als ein rein persönlicher Eindruck. Das Problem ist bekannt. Scharen von Hollywood-Korrespondenten hat er damit bereits zu Tränen oder fast in den Nervenzusammenbruch getrieben. Auch diesmal scheint das die Devise zu sein: Mein Gesicht ist in Stein gemeißelt. Ich bin Granit.

Man beginnt bei den persönlichen Triebkräften fürs Filmemachen, und die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Unpersönliche Triebkräfte wären ja wohl lächerlich.“

Man fragt, was seine Regiearbeiten vielleicht verbindet. Aber natürlich verbindet sie nichts – alles immer anders, alles immer neu. Man fragt nach ikonischen Rollen und Figuren, die ihm besonders ans Herz gewachsen sind. „Sie meinen Markenzeichen? Ich hoffe, die gibt es nicht.“ Und so geht es weiter, selbst über seine Collegefreundschaft mit Al Gore will er nur sagen, dass der eben ein feiner Kerl sei.

Nun ist es für Schauspieler und Regisseure ja legitim, wenn sie unendlich wandlungsfähig und immer wieder anders, ohne Meinungen und Präferenzen und Persönlichkeit erscheinen wollen. Nur hat man außer dieser einfachen Tatsache dann eben auch keine Story – und nichts zu besprechen. Eines immerhin gibt Tommy Lee Jones schließlich zu: dass Texas, seine Heimat, ihn stark geprägt habe. Womit er sich aber eine Blöße gegeben hat, die schon die nächste, supersimple Frage an den Tag bringt: „Wie denn?“

Jetzt schaut er echt wütend. Weil er merkt, dass supersimple Fragen auch Fallen sein können. Ein ernst zu nehmender Mann würde jetzt eine ernst zu nehmende Antwort geben. Aber das will er nicht. Seine dunklen Augen funkeln. „Was meinen sie mit ,Wie denn?‘? Wo sind Sie denn geboren und aufgewachsen? Und hatte das irgendeinen Einfluss auf Sie?“

„Natürlich.“

„Und? Wie denn?“

Ha, eiskalt gekontert. Jetzt hat er den Spieß umgedreht, mit dieser Gegenfrage ist er fast schon entkommen. Weil Glattgesicht in diesem Moment eingestehen muss, was für ein oberflächlicher Journalistentrottel er ist. Nun blinken seine Augen diabolisch, fast vergnügt.

Und in dem Moment ist klar, dass jetzt nur noch eines bleibt: rückhaltlose Ehrlichkeit. Was gar nicht so einfach ist, wenn man aus Stuttgart kommt. Aber los.

„Ich komme aus dem südlichen Teil Deutschlands, wo Mercedes und solche Dinge gebaut werden. Die Menschen dort, glaube ich, werden als hart arbeitende, sehr gewissenhafte Leute angesehen, aber auch als etwas engstirnig und provinziell. Ich habe das Gefühl, dass ich diesen Arbeitseifer oft in mir wiedererkenne. Aber ich erkenne auch den Drang, der Enge zu entkommen.“

In diesem Moment werden seine Gesichtszüge weich, und irgendwie ist jetzt gerade nicht mehr zu leugnen, dass das eine echte Antwort ist.

„Ich weiß gar nichts über Deutschland“, sagt er. „Das klingt aber sehr interessant.“ Und dann, gewissermaßen als Gegengabe, beginnt er selbst zu erzählen, minutenlang, ohne Fragen dazwischen und ohne Punkt und Komma. Das Einzige, was jetzt noch zu tun bleibt, ist: diese Antwort dokumentieren.

„Also, ich bin in Texas geboren und aufgewachsen, als Kind von Leuten, die auch schon in Texas geboren und aufgewachsen sind. Wir haben immer vom Land gelebt. Das Land ist mir nah. Wir sind im Rindergeschäft und im Pferdegeschäft, wir haben Ranches und eine Farm, wo ich Heu mache, Haferheu aber auch Grasheu, das ich für meine Rinder brauche.

Wir züchten eine Rinderart, die Brangus genannt wird, eine Kreuzung aus Brahman-Rind und Angus, einer englischen Rasse. Unsere Mischung dürfte im Moment 75 Prozent Angus und 25 Prozent Brahman sein, jedes Tier hat ungefähr diese Anteile. Der Brahman-Anteil sorgt für eine dünnere Haut, dann vertragen die Tiere die Hitze besser, außerdem sind sie widerstandsfähiger gegen innere und äußere Parasiten.

Vom Brahman kommt auch eine bessere Fähigkeit zur Futtersuche, denn unser Land ist an einigen Stellen felsig und rau. Also brauchen die Rinder die Bereitschaft, wirklich Gras zum Fressen zu finden. Das Brahman arbeitet hart für sein Gras. Englische Züchtungen dagegen wurden über Hunderte von Jahren auf den saftigsten Weiden aufgezogen, die mussten nie sehr lange suchen, um sich satt zu fressen. Mit diesem Erbe kommen sie in Texas nicht weit.

Brahmans sind außerdem recht aggressive Mütter. Das brauchen wir, die Tiere müssen ihre Kälber gut vor Räubern schützen können und sie immer im Blick behalten. Englische Rassen vergessen manchmal ihre Kälbchen, wenn sie umherziehen. Zusätzlich zu den Rindern züchten, trainieren und verkaufen wir reinrassige Polopferde. Das sind exzellente Tiere und das Geschäft läuft sehr gut.

All diese Unternehmungen genieße ich sehr und ich bin auch ziemlich gut darin. Ich wurde sozusagen dafür geboren, und es ist sicher ein zentraler Punkt, wie mich mein Land, wie mich Texas geprägt hat.

Im dem Landstrich, wo ich herkomme, bin ich noch immer als Wähler registriert. Das Hauptquartier meiner Ranch ist nur etwa fünf Meilen von meinem Geburtsort entfernt. Außerdem haben wir ein Haus in San Antonio, das ist ein größere, sehr, sehr alte Stadt. Dort sind unsere Ärzte, Anwälte, Buchhalter und Zahnärzte. Die Ranch ist ziemlich abgelegen, weitab vom Schuss, da gibt es eher keine Ärzte und Anwälte in der Nähe. Meine Tochter ist in San Antonio geboren, meine Frau auch, und ihr Vater ebenfalls. Er war für zwei Amtszeiten Bürgermeister der Stadt. San Antonio ist einer der Orte, wo wir zu Hause sind, er bedeutet uns viel. Das Essen, die Sprache, die Kultur, die Musik von Texas sind lebenswichtig für meine Familie und mich.

Mein Terminkalender ändert sich häufig, so weiß ich nie genau, wann ich wo sein werde. Ich arbeite auf der ganzen Welt, aber ich reise auch sonst viel. Wir haben auch Grundbesitz in Tesuque, New Mexico, gleich im Norden von Santa Fe. Wir haben ein Haus in Palm Beach County in Florida, und wir haben ein Haus etwa 25 Meilen außerhalb von Lobos, in der Provinz Buenos Aires in Argentinien. Dennoch bin ich recht oft auf der Ranch in Texas, um alles zu organisieren und mich um die Dinge zu kümmern. Aber wie oft, das wechselt, es gibt kein festes Muster.

Man muss auch wirklich selbst anpacken auf so einer Ranch. Obwohl es auch ohne mich gut läuft. Die Leute, die dort arbeiten, wissen, was sie tun, weil ich es ihnen oft genug gezeigt habe. Ich melde mich häufig am Telefon, und wenn es Probleme gibt komme ich, um sie zu lösen. Oder um neue zu schaffen.“

Damit ist die Zeit abgelaufen. Pressemensch (jung, amerikanisch, leidgeprüft) steht jetzt im Raum. Und Glattgesicht, immer noch völlig perplex über den Verlauf dieser Begegnung, bringt nur ein schnelles „Danke“ hervor. Tommy Lee Jones aber reicht seine texanische Farmerpranke und sagt: „Ich danke Ihnen. Sie sind geduldig und freundlich, und das weiß ich zu schätzen.“

Im Hinausgehen macht Pressemensch große Augen, so hat er Jones noch nie erlebt. „Was haben Sie mit ihm gemacht?“ fragt er fassungslos. Und antworten könnte man eigentlich nur: Er hat etwas mit mir gemacht. Aber das ist nun wirklich nicht so einfach zu erklären.

Kochsendung gegen Abholzung

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Das Kino von Lambokely verfügt über drei Sitzplätze. Einer davon, ein weißer Plastikstuhl, bleibt dem Dorfpräsidenten Zafimamy vorbehalten. Die beiden anderen Sitzgelegenheiten haben sich zwei Jugendlich gesichert, sie kippeln auf zwei gelben Plastikkanistern. Die übrigen Zuschauer sitzen auf dem Erdboden oder stehen im Halbkreis vor der Leinwand. Popcorn gibt es nicht, nur einem Kampfhahn werden Maiskörner in den Schnabel gestopft. Einige Dorfbewohner sind kurz vor Sonnenuntergang mit dem Zebu-Karren angereist. Manchmal schnauben die Buckelrinder hinter den Zuschauern leise in der Dunkelheit. Spannung liegt in der Luft. Eine Kinovorführung, das gab es noch nie in Lambokely.



Nach Angaben des World Wide Fund for Nature (WWF) hat Madagaskar bereits 80 Prozent seiner natürlichen Waldfläche verloren und damit einen großen Teil des Lebensraum für Tiere wie die Lemuren.

„Kleines Wildschwein“ bedeutet der Name des Ortes. „Weil es hier von den Tieren einige gab, früher“, sagt Zafimamy. Die Holzhütten des Dorfes liegen über mehrere Kilometer verstreut in einer sandigen Ebene. Der Wald ist abgeholzt, bis zum Horizont. Nur vereinzelt ragen verkohlte Baumstämme in den Himmel. Lambokely liegt in einer abgelegenen Region an der Westküste Madagaskars. Die Erde hier ist ziegelsteinfarben. Es ist Trockenzeit, die meisten Pflanzen haben ihre Blätter abgeworfen und sind von rotem Staub überzogen. Strom gibt es nicht im Dorf. 2500 Menschen leben hier, etwa 40 sind gekommen, um die Filmvorführung zu sehen.

Die madagassische Biologin Domoina Rabarivelo koordiniert das Kino-Projekt. Sie hat vor einigen Tagen das Einverständnis des Dorfpräsidenten eingeholt. Gemeinsam mit zwei Helfern hat sie die Leinwand an der Seite einer Holzhütte aufgespannt. Drei Meter davor steht eine bierkastengroße Box mit Beamer und Lautsprecher. Strom liefert ein Generator, angetrieben durch Beinarbeit auf einem grünen Trimmrad ohne Lenker. Ein Sohn des Dorfvorstehers Zafimamy – sportlich gekleidet mit Baseballkappe, Jeans und T-Shirt der Fußball-WM 2014 – meldet sich freiwillig. Als er mit verschränkten Armen in die Pedale tritt, erfüllt madagassische Musik die Nacht, und auf der Leinwand flimmern erste, zitternde Bilder.

Die Idee für das mobile Kino stammt von Matthias Markolf, Biologe und Mitbegründer des Göttinger Naturschutzvereins Chances for Nature. Er will die Dorfbewohner für ihre Umwelt sensibilisieren. „Die meisten Madagassen wissen leider nicht, welche Schätze die Insel beherbergt“, sagt er. „Die wollen wir den Menschen zeigen. Und alternative Lebensweisen vorstellen, die den Menschen selbst helfen und gleichzeitig die Umwelt schonen.“ Dafür hat der Verein den halbstündigen Dokumentarfilm gedreht, der jetzt in Lambokely läuft. Auf Madagassisch. Keine Selbstverständlichkeit auf der Insel, obwohl in kleineren Dörfern oft niemand die zweite Amtssprache Französisch spricht.

Zuerst erscheinen Bilder von Tieren und Wäldern auf der Leinwand, Baobabs, Chamäleons und Lemuren. Es folgen Sequenzen abgeholzter Ebenen, verbrannter Landschaften, zerstörter Natur. Ein Raunen geht durch Lambokely. Dann berichten Dorfbewohner in Interviews über effiziente und umweltfreundliche Methoden, die sie in ihren Alltag integriert haben: eine spezielle Form des Reisanbaus. Nachhaltige Fischzucht in den überschwemmten Reisfeldern. Und ökologische Öfen. Im Film hockt eine Frau in einer Werkstatt, vor sich zwei Ofenmodelle: ein traditionelles aus Blech und ein blau lackiertes mit dickem Tonmantel. Vor den Modellen häuft sie Kohle auf. Der Berg vor dem traditionellen Ofen ist etwa drei Mal so groß wie vor dem neuen. „So viel Kohle spart ihr bei einem Mal Kochen mit dem ökologischen Ofen“, sagt sie in die Kamera.

Eine traditionelle Kochstelle in Lambokely und weiten Teilen Madagaskars besteht aus drei Steinen, auf die ein Topf gestellt wird, oder einem Ofen mit einer ein bis zwei Millimeter dünnen Blechwand. „Der Effekt ist, dass die meiste Energie einfach verpufft“, sagt Markolf. „Das Prinzip der ökologischen Öfen ist eigentlich immer gleich: Man baut eine Hülle aus Tonerde, damit die Hitze nicht so schnell entweicht.“ Bis zu zwei Drittel Holz oder Kohle weniger sollen die Modelle dadurch verbrauchen. Das Erdgemisch, aus dem der Ofenmantel gebrannt wird, stammt aus der unmittelbaren Umgebung der Dörfer. Der Mantel wird mit einer dünnen Außenhülle aus Metall umschlossen. Als Kitt dient Zement. Die Bauweise ist günstig: 5000 Ariary kostet ein Modell – knapp zwei Euro. Für die meisten madagassischen Familien ein erschwinglicher Preis.

Für seine Doktorarbeit ist Markolf in den vergangenen Jahren in viele abgelegene Regionen Madagaskars gereist. Dabei musste er immer wieder sehen, wie die lokale Bevölkerung die Natur zerstört. „Die Menschen müssen ihren Lebensunterhalt verdienen“, sagt Markolf. Kleinbauern brennen Wälder für Acker- und Weideflächen ab, schlagen Holz zur Kohleproduktion und als Brenn- und Baumaterial. Die Menschen jagen bedrohte Tiere, weil sie etwas zu essen brauchen. „Das ist illegal, und das wissen die meisten auch. Sie wissen aber oft nicht, warum es verboten ist.“

Besonders in armen ländlichen Regionen könnten nachhaltige Methoden auf dem Feld und in der Küche den Menschen helfen, sich zu ernähren – und gleichzeitig Geld sparen und die Entwaldung drosseln. Dazu müssen die Naturschützer aber auch abgelegene Dörfer ohne Strom erreichen. Das fahrradbetriebene Kino hat Markolf in England entdeckt: Der Fahrradgenerator mitsamt Technik, die sich schnell aufbauen und leicht transportieren lässt, stammt von eine Firma aus Großbritannien.

Nach Angaben des World Wide Fund for Nature (WWF) hat Madagaskar bereits 80 Prozent seiner natürlichen Waldfläche verloren. Die Folge ist Erosion, auch der Wasserhaushalt der empfindlichen Ökosysteme gerät durcheinander. Geht die Abholzung mit derselben Geschwindigkeit weiter wie in den vergangenen Jahren, sind die letzten Wälder in etwa 40 Jahren verschwunden, warnt die internationale Naturschutzorganisation. Ein Großteil der madagassischen Arten – mehr als 90 Prozent der Säugetiere, Reptilien und Pflanzen – lebt ausschließlich auf der Insel im Indischen Ozean. Sterben sie in Madagaskar aus, sind sie unwiederbringlich verloren.

„Wir wollen nicht nur vermitteln ,So könnt ihr nicht weitermachen‘“, sagt Markolf. „Wir wollen den Menschen Alternativen zeigen.“ Parallel zu den Filmvorführungen konnten die Bewohner in einem vierwöchigen Workshop in der Nähe von Lambokely lernen, selbst effizientere Öfen zu bauen. Markolf konzentrierte sich auf die ökologischen Öfen, um das Interesse der Dorfbewohner zu gewinnen. „Nach einem Mal Kochen sehen die Menschen, welchen Unterschied die Öfen machen, wie viel Holz und Geld sie sparen. Der Effekt ist unmittelbar.“ Bei vielen agrarwissenschaftlichen Methoden dauere es mehr als ein Jahr, bis erste Ergebnisse da seien. Das macht es für Naturschützer schwieriger, die Menschen zu überzeugen.

An der Entwicklung solcher Öfen arbeiten in Madagaskar bereits seit Jahren mehrere Umweltschutzorganisationen. Manche senken den Brennstoffverbrauch durch Belüftungsrohre, in anderen glimmt ökologischer Brennstoff aus Asche, Zebu-Kot und Reisspelzen. Die mit dem Umweltkino präsentierte Konstruktion hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) entwickelt.

„Effizientere Kochöfen sind bei uns eine Komponente im Rahmen der Wertschöpfungskette Holzenergie, also von der Pflanzung des Baumes über die Holzkohleherstellung bis hin zur Nutzung in der Küche“, sagt Alan Walsch, seit 22 Jahren Mitarbeiter der GIZ und seit einem Jahr deren Landesdirektor in Madagaskar. „Wir wollen die Produktion der Öfen jetzt noch ausweiten. Die ursprüngliche Menge hat den Bedarf nicht gedeckt.“ Das Projekt ist erfolgreich, aber es erfordert Fingerspitzengefühl. „Etwa bei den Frauen, die den Reis nach einer bestimmten Art und Dauer kochen. Der muss dann auch immer gleich schmecken. Das ist nicht immer gewährleistet, je nach Ofen, den man nutzt. Wir können das oft gar nicht nachvollziehen, aber das muss man respektieren“, sagt Walsch.

„Bislang haben die Zuschauer meist positiv auf das mobile Kino reagiert“, sagt Markolf. Und gerade die ökologischen Öfen stießen auf Interesse. Auch der Workshop in Beroboka war gut besucht. In Kirindy Village verlangten die Dorfbewohner allerdings Geld, um das Fahrrad für die Stromerzeugung zu bedienen. Im kommenden Jahr wollen die Umweltschützer die Dörfer erneut besuchen, um festzustellen, wie viele der effizienteren Öfen noch in den Küchen genutzt werden. Sie hoffen zudem, dass weitere Dorfbewohner die Idee übernommen haben – Werkzeuge zur Herstellung der Öfen wurden nach dem Workshop in den Dörfern deponiert. Darunter auch Metallschablonen zum Ausstanzen der Ofenmäntel aus dem Erdgemisch. „Langfristig setzen wir darauf, dass die Menschen mit der Produktion dieser Öfen Geld verdienen können und sich die Idee von selbst ausbreitet.“

In Lambokely geht der Film zu Ende. Bereits beim Abspann leert sich der Platz. Als Zafimamys Sohn aufhört, in die Pedale zu treten, erlischt das Licht auf der weißen Leinwand. „Der Film war sehr interessant, weil er uns etwas über die Nutzung des Waldes beibringt. Und all das betrifft unser Leben: der Wald, die Tiere und die Umweltzerstörung“, sagt Zafimamy mit leiser Stimme. Dann zieht auch er sich zurück. Zuletzt rumpelt der Zebu-Karren in einer Staubwolke davon, Lambokely liegt im Dunkeln. Nur in den Hütten glimmen die Herdfeuer, und der Geruch von Holzkohle zieht durch die Luft.


Das dauert

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Wenn sie gar nicht mehr weiterwissen, fragen sie Franz Frauenhoffer. Der 54-Jährige kennt sich mit Technik aus. Er weiß, wie man Kontakte knüpft und Geld auftreibt. Lange hat er beim Autokonzern Daimler internationale IT-Projekte gestemmt. Dann musste er aus gesundheitlichen Gründen in Rente gehen, bekam eine Abfindung von 300000 Euro und sagte sich: „Ehe der Staat die Hälfte davon kassiert und damit macht, was er will, investier’ ich das Geld doch lieber dort, wo ich es für sinnvoll halte.“



„Wir liegen bei der Glasfaserquote europaweit an letzter Stelle“, warnt Lars Klingenbeil, Netzpolitiker der SPD.

Gemeinsam mit seiner Frau gründete Frauenhoffer vor sieben Jahren eine Stiftung, die Dörfern in seiner schwäbischen Heimat hilft, an einen schnellen Internetanschluss zu kommen. 150 Gemeinden hat er bereits ans Netz gebracht.

Eigentlich ist es absurd, dass es in diesem Land Menschen wie Franz Frauenhoffer braucht. Schließlich hat die Bundesregierung versprochen, dass bis 2018 alle deutschen Haushalte Zugang zum Internet mit einer Downloadgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde bekommen sollen. Zwei Drittel aller Haushalte haben schon ein solches schnelles Internet, der Rest wartet noch auf Anschluss. Ob der bis 2018 Wirklichkeit wird – wie von der Bundesregierung versprochen –, ist ungewiss. Deshalb braucht es Menschen wie Franz Frauenhoffer. Bürger, die das, was die Regierung nicht schafft, selbst anpacken, gerade auf dem Land.

Während Ballungsräume gut versorgt sind, tropft das Internet in vielen ländlichen Regionen mit nicht mal zwei Megabit pro Sekunde aus der Leitung. Gerade dort müsste über weite Strecken die Erde aufgerissen werden, um Kabel zu verlegen. Das Geld für diese Investitionen können die Unternehmen in Gegenden, wo nur wenige Menschen leben, nur schwer wieder verdienen: 60000 bis 70000 Euro werden pro Kilometer benötigt. Deshalb stockt der Ausbau. Insgesamt, so eine Schätzung aus dem vergangenen Jahr, würde die von der Bundesregierung versprochene Versorgung gut 20 Milliarden Euro kosten. Allein die letzten fünf Prozent aller Haushalte anzuschließen, verschlingt demnach knapp acht Milliarden Euro.

Doch es mangelt nicht nur am Geld, vielerorts mangelt es auch an Wissen und am guten Willen. Das zeigt der Einsatz von Franz Frauenhoffer, der oft doch noch möglich macht, was unmöglich zu sein scheint. Mal treibt er eine vermögende Spenderin auf, die das Verlegen von Glasfaserkabeln finanziert. Mal schlägt er vor, die oberirdische Leitung eines Energieversorgers anzuzapfen. Und wieder ein anderes Mal findet er raus, wo noch Wasserrohre liegen, die man für die Kabel nutzen und so die Kosten senken könnte.

Die Bundesregierung hofft, dass Gegenden, in denen sich das Verbuddeln von Kabeln nicht lohnt, erst einmal per Funk ans schnelle Netz gebracht werden können. Deshalb hat sie vor Kurzem beschlossen, dass bei der Versteigerung von Funkfrequenzen im kommenden Frühjahr auch das Spektrum im Bereich von 700 Megahertz unter den Hammer kommen soll. Diese Funkwellen tragen besonders weit, sodass sich große Gebiete auch mit wenigen Masten gut versorgen lassen.

Dennoch hat die Sache einen Haken: Diese Frequenzen werden derzeit von den Rundfunkanstalten genutzt – und die zweifeln daran, dass sich die Frequenzen so schnell räumen lassen. Die Rundfunkanstalten in vielen Nachbarländern geben dieses Spektrum erst deutlich später frei als Deutschland. Dies könnte gerade in Grenzregionen auch den Handyempfang deutlich stören. Selbst bei den Mobilfunkunternehmen ist man skeptisch, ob sich die 700er-Frequenzen so schnell für die Datenübertragung nutzen lassen. Die Firmen drängen deshalb darauf, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für eine einheitliche Regelung einsetzt, ehe sie strenge Vorgaben zur Versorgung macht.

Zwar haben Bund und Länder sich darauf verständigt, dass sie die Erlöse aus der Frequenzauktion im nächsten Jahr je zur Hälfte aufteilen und in den Netzausbau oder den Digitalsektor stecken wollen. Doch auf Bundesebene glaubt man nicht so recht, dass die Länder dasselbe Ziel verfolgen. So ist nicht festgelegt, wie das Geld quer über die Republik verteilt wird. Damit bleibt offen, ob gezielt jene Gegenden versorgt werden, in denen das Internet besonders langsam ist, oder eben nicht. Zudem dürfen die Länder mit dem Geld zum Beispiel auch Unternehmen unterstützen, die an neuen Diensten im Netz tüfteln. Das konnten sie im Ringen um die 700er-Frequenzen herausgeschlagen, da sie als Wächter über die Rundfunkanstalten auch über dieses begehrte Spektrum wachen.

Noch ist unklar, wie viel Geld die Auktion bringen wird. Klar ist aber immerhin, dass es nicht reichen dürfte, um alle Haushalte binnen der nächsten drei Jahre an ein schnelles Netz zu bringen. Beobachter gehen inzwischen davon aus, dass am Ende ein Betrag von nur etwa einer Milliarde Euro übrig bleiben wird. Ein Klacks – angesichts der etwa 20 Milliarden Euro, die nötig wären, um alle Haushalte mit schnellem Internet zu versorgen.

Die Unternehmen, die der für den Netzausbau zuständige Minister Alexander Dobrindt (CSU) in die Pflicht nimmt, haben fürs nächste Jahr Investitionen von acht Milliarden Euro angekündigt, die Hälfte davon sollen allein von der Deutschen Telekom kommen. Doch das Geld fließt nicht zwangsläufig in den Ausbau auf dem Land. Es dürfte auch dazu dienen, gute Netze noch besser zu machen, um sich gegen die harte Konkurrenz etwa in den Großstädten zu behaupten. Denn dort wird das Geld verdient. Die Regierung wird also darauf achten müssen, dass die Unternehmen, die bei der Auktion zum Zuge kommen, sich auch an die Auflage halten, sich verstärkt um unterversorgte Gebiete zu kümmern. Oder sie wird Fördermittel an anderer Stelle auftreiben müssen.

Immerhin stehen die Chancen gut, dass ein erheblicher Teil des Zehn-Milliarden-Investitionspakets der Bundesregierung in den Netzausbau fließt. Dies ist auch ein wesentlicher Punkt auf der Liste jener Projekte, mit denen sich Deutschland an der geplanten Investitionsoffensive der Europäischen Union beteiligen will. Die EU will Unternehmen und Anlagegesellschaften Investitionen schmackhaft machen, indem sie ihnen gegen eine Gebühr einen Teil des Verlustrisikos abnimmt. Allerdings ist auf der Liste, die nun in Brüssel eingereicht wurde, neben einzelnen Vorhaben zum Netzausbau bereits ein entscheidender Einwand notiert: Finanzierungsschwierigkeiten und geringe Gewinne in der Zukunft. Vor diesem Hintergrund dürfte es schwierig werden, Investoren zu gewinnen.

„Wir liegen bei der Glasfaserquote europaweit an letzter Stelle“, warnt Lars Klingenbeil, Netzpolitiker der SPD. „Allein das zeigt, wie groß der Investitionsbedarf ist. Wir brauchen dringend mehr öffentliche Mittel für den Breitband-Ausbau.“ Man kann es also drehen und wenden, wie man will: Das Geld, das bislang an verschiedenen Stellen für den Netzausbau vorgesehen ist, reicht einfach nicht. Und ganz ohne Geld kann auch Franz Frauenhoffer nichts ausrichten.

Zahlen und Zelluloid

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Auf den allerletzten Metern kam es dann doch noch, das große Kribbeln. „Ich wäre fast im Auto sitzen geblieben, so nervös war ich“, sagt Alicia von Rittberg, 21, als sie an die Weltpremiere des Films „Herz aus Stahl“ im Oktober in London zurückdenkt. Bis dahin hatte sie alles souverän gemeistert: das Casting, die Proben, die Dreharbeiten. Doch gegen das Lampenfieber war sie machtlos: Wer mit Hollywood-Schauspielern wie Brad Pitt, Shia LaBeouf und Logan Lerman über den roten Teppich muss, auf dem Karrieren gemacht werden, kann schon mal aufgeregt sein. Und da es ein Kriegsfilm über US-Soldaten in einem Panzer ist, stand sie als einzige Frau im Abendkleid noch sehr viel mehr im Scheinwerferlicht.



Alicia von Rittberg spricht auch in der Originalversion von „Herz aus Stahl“ Deutsch, ihre Sätze werden mit englischen Untertiteln übersetzt.

Die junge Frau aus München nutzte die Gelegenheit und entschied sich bei ihrem internationalen Teppich-Debüt für eine tief ausgeschnittene Burberry-Robe, die ihre Wirkung nicht verfehlte: „Deutsche Nachwuchsschauspielerin stiehlt mit ihrem Dekolleté Brad Pitt die Show“, titelten tags drauf die Klatschblätter. In Sachen Karriere hat sich ihr Auftritt also ausgezahlt.

Zwei Monate später ist Alicia von Rittberg wieder aufgeregt, dieses Mal aber nicht wegen Brad Pitt: Sie ist gerade in der Prüfungsphase, kurz vor dem Interview schrieb sie noch eine Klausur. Die junge Frau studiert im dritten Semester Wirtschaftswissenschaften in Friedrichshafen, die Schauspielerei betreibt sie nebenbei. „Ich mochte Mathe schon immer sehr gerne“, erklärt sie diese auf den ersten Blick ungewöhnliche Kombination. Und: „Ich möchte auf jeden Fall mein Studium fertig machen, das ist mir wahnsinnig wichtig.“

Das klingt vernünftig, so viel Weitsicht würde man so einigen ihrer älteren Schauspielkollegen manchmal wünschen. Andererseits fragt man sich, ob eine gesunde Dosis Unvernunft nicht auch zum Künstlerberuf dazugehört. Wie auch immer: Rittberg liebt die Schauspielerei, abhängig machen möchte sie sich davon aber nicht. Mit ihrer mädchenhaft hellen Stimme, die einen wieder daran erinnert, wie jung sie eigentlich ist, erzählt sie von ihrer Faszination für Zahlen und Zelluloid. Die studierende Schauspielerin (oder schauspielernde Studentin) entstammt einer Adelsfamilie, ist in München aufgewachsen und trägt den Titel einer Gräfin, darüber sprechen will sie aber nicht. Ihr Vater ist Investmentbanker, sie hat drei Brüder und studiert auf einer der besten Privat-Unis des Landes.

Zum Fernsehen kommt sie durch Zufall: Als Siebenjährige hat sie einen Auftritt in der ARD-Show „Dingsda“, deren Macher entdecken sie in ihrer Schule. Es folgen kleine Rollen im Kinderfernsehen und in Krimiserien wie „Der Alte“. Es läuft alles ganz locker, trotzdem verfolgt sie die Schauspielerei zielstrebig: In einem Casting-Workshop lernt Rittberg, worauf es beim Vorsprechen ankommt, nebenbei sucht sie sich eine Agentin – was bei einem schönen Mädchen mit blonden Haaren, blaugrünen Augen, einem Talent für dramatische Rollen und einer gewissen Natürlichkeit vor der Kamera nicht sehr schwierig verläuft.

Eine Schauspielschule besucht sie nie, die Rollen werden trotzdem immer größer: Rittberg spielt die junge Romy Schneider in einem Fernsehfilm, dreht mit Veronica Ferres, Nina Hoss und Senta Berger. Für ihre Rolle als geschundenes Heimkind in „Und alle haben geschwiegen“ wird sie beim Bayerischen Fernsehpreis 2013 als beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet, beim Deutschen Filmball im Januar bekommt sie den „New Faces Award“. Da ist sie gerade aus England zurück: Die Dreharbeiten zu „Herz aus Stahl“ dauern bis Dezember 2013, insgesamt hat sie sechs Drehtage. Das klingt nach nicht viel, ist aber für einen Film mit Weltstars und einem 68-Millionen-Dollar-Budget mehr als respektabel. Rittberg spielt eine junge Deutsche, die sich mit ihrer Cousine (gespielt von der Rumänin Anamaria Marinca) in einem Haus versteckt, in das Brad Pitt und die anderen Schauspielkollegen eindringen. „Mir kommt diese Szene wie ein kleines Kammerspiel in diesem großen Film vor. Sie ist ganz anders als der Rest“, sagt sie stolz über den Wendepunkt in diesem Männerfilm, insgesamt ist sie etwa eine Viertelstunde lang zu sehen.

Die Drehbuchlesungen und die Proben mit den anderen Schauspielern sowie der eigentliche Dreh in England seien der Wahnsinn gewesen. „Wahnsinnig“ scheint sowieso ihr Lieblingswort zu sein. Die Arbeit mit Brad Pitt? Hat „wahnsinnig viel Spaß gemacht.“ Die Premierenfeier in London? „War wahnsinnig aufregend.“ Und überhaupt: „Dass eine internationale Produktion eine Deutsche in meinem Alter sucht und bei meiner Agentur anfragt, ist einfach wahnsinniges Glück.“

Glück gehört in dieser Branche einfach dazu, die gebürtige Münchnerin bringt aber auch den nötigen Verstand mit: Ihre Rollenentscheidungen sind klug, sie lässt sich in keinen Soaps oder Realityshows verheizen, sondern setzt auf gehobene Kino- und Fernsehfilme. So überrascht es nicht wirklich, dass die „Herz aus Stahl“-Macher auf der Suche nach einer deutschen Nachwuchsdarstellerin auf sie kommen. Ihre Agentin in Berlin leitet die Anfrage weiter, Alicia von Rittberg nimmt für das E-Casting eine Szene mit dem Handy auf, fliegt nach London, trifft den Regisseur. Zwei Wochen später hat sie die Rolle.

Klingt nach einem Spaziergang, ist es aber nicht: „Schauspieler müssen zunächst einmal in ihrem Heimatland Karriere machen, erst dann werden sie auch im Ausland interessant“, sagt Cornelia von Braun, eine der bekanntesten Casting-Direktorinnen Deutschlands. Die Münchnerin besetzt regelmäßig internationale Koproduktionen und weiß, worauf es ankommt. Gerade bei solchen Projekten wollen alle möglichen Leute mitentscheiden; die Verleiher zum Beispiel, die schon an die Vermarktungschancen der Filme denken. Da sei ein etabliertes Gesicht einfach besser als ein unbekanntes. Hinzu kommt: „Fremdsprachenkenntnisse sind das Aund O“, sagt Braun. „Selbst wenn die Darsteller in ihrer Landessprache spielen dürfen, müssen sie ja mit dem Regisseur und dem Team kommunizieren können.“

Alicia von Rittberg spricht auch in der Originalversion von „Herz aus Stahl“ Deutsch, ihre Sätze werden im Original in Untertiteln angezeigt. Die synchronisierte Fassung läuft am 1. Januar in den deutschen Kinos an. Mittlerweile hat sie aber auch schon auf Englisch gedreht: Diesen Sommer war sie wieder in England, an der Seite von Ewan McGregor stand sie in der Verfilmung des Romans „Verräter wie wir“ von John le Carré vor der Kamera. „In diesem Film spiele ich eine kleine Russin, eine Oligarchen-Tochter, auf Englisch mit russischem Akzent“, sagt sie. Wahnsinnig aufregend sei das gewesen, natürlich. Aber nicht nur wegen der sprachlichen Herausforderungen: „Während der Dreharbeiten war gleichzeitig auch meine Prüfungsphase an der Uni“, erzählt sie. „Ich habe meine Prüfungen mit Notar im Hotelzimmer geschrieben.“

Vielleicht ist gerade das ihr Erfolgsgeheimnis: Sie ist nicht zwingend auf das nächste Rollenangebot angewiesen, das macht sie unverkrampfter, was ein entscheidender Vorteil beim Vorsprechen sein kann. Ihr Studium beenden wird Alicia von Rittberg vermutlich im Jahr 2017, bis dahin will sie zweigleisig fahren. Eine Wahnsinnsherausforderung.

„Nachwuchsschauspielerin stiehlt mit ihrem Dekolleté Brad Pitt die Show“, titelten die Klatschblätter nach der Weltpremiere des Films „Herz aus Stahl“ in London. Die Schauspielerin kommt aus München und heißt Alicia von Rittberg. 2013 hat sie den Bayerischen Fernsehpreis als beste Nachwuchsschauspielerin gewonnen, beim Deutschen Filmball im Januar bekommt sie den „New Faces Award“.

Archaische Übergriffe

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Die Frauen, die in diesen Lagern dahinvegetieren, haben es immerhin geschafft, Schlimmerem zu entgehen: einem Tod durch Verbrennen, Erschlagen oder Ertränken. Nach oft tagelangen Fußmärschen haben sie Zuflucht bei Schicksalsgenossinnen gefunden, fernab ihrer Familien und Dorfgemeinschaften. Ihr Vergehen: Sie haben anderen angeblich Leiden wie Übelkeit oder Schlangenbisse zugefügt, sie sollen Dürren oder Brände ausgelöst haben, schuld sein am beruflichen Scheitern eines Nachbarn, oder sie sind schlicht irgendwem im Traum erschienen. Deshalb sind sie nach allgemeiner Auffassung der Hexerei mächtig und stellen für die Gemeinschaft eine Gefahr dar, die es zu beseitigen gilt.



Im Norden Ghanas ist der Hexenglaube fest verwurzelt. Nach Schätzungen leben über tausend ausgestoßene Frauen zusammen mit ihren Kindern und Enkelkindern in sogenannten Hexendörfern.

Sechs größere sogenannte Hexendörfer gibt es im Norden von Ghana, jenem Land in Westafrika, das als eines der stabilsten und wirtschaftlich aufstrebendsten der Region gilt, in dem jedoch eine Mehrheit der Menschen bis heute an Hexerei glaubt. Nach Schätzungen leben mehr als tausend Frauen in den Lagern, manche bereits seit Jahrzehnten, und mit ihnen oft Kinder oder Enkelkinder, fernab jeglicher Chancen auf Schulbildung, notdürftig versorgt von Kirchen und Hilfsorganisationen.

Nicht zufällig liegen die Lager vor allem im Norden Ghanas, der ärmsten Region. Während in den Großstädten das Phänomen zurückgeht, befeuern Armut und Bildungsmangel in entlegenen Dörfern den traditionellen Hexenglauben weiter. Oft sind Neid und Eifersucht der Anlass, Frauen unter dem Vorwand des Hexerei-Vorwurfs zu verfolgen. Mitunter sind die Opfer auch ältere Frauen, deren Arbeitskraft schwindet und die deshalb von ihren Familien als Belastung empfunden werden.

Die Regierung in der Hauptstadt Accra hatte sich dem Kampf gegen derlei archaische Übergriffe bereits vor Jahren verschrieben und angekündigt, die sogenannten Hexendörfer auflösen zu wollen. Doch Helfer warnten vor übereilten Schritten und verwiesen auf viele Fälle, in denen Frauen nach zeitweiliger Rückkehr zu ihren Familien erneut in den Lagern aufgetaucht waren. Deshalb hat das zuständige Ministerium eigens eine Kommission für die Wiedereingliederung der angeblichen Hexen eingesetzt, deren Arbeit, glaubt man der offiziellen Darstellung, nun Früchte trägt: Eines der Hexendörfer namens Bonyasi werde in diesen Tagen geschlossen, hat die Regierung jetzt verkündet; die 55 Frauen darin, zwischen 48 und 90Jahre alt, würden wieder mit ihren Familien zusammengeführt.

Die Aktion war längere Zeit vorbereitet worden, in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, die die Frauen seit Jahren unterstützen. Zudem waren Verhandlungen mit den traditionellen Autoritäten in der Region nötig. Die Kinder, die an der Seite der Frauen jahrelang in dem Lager gelebt haben, sollen nun schnellstmöglich auf Schulen geschickt werden.

Es sei inakzeptabel, dass Frauen auf derartige Weise „entmenschlicht“ würden, sagte die Ministerin für Frauen, Familie und Soziales, Nana Oye Lithur, eine frühere Menschenrechtsanwältin, die schon mehrmals mit Vorstößen gegen archaische Traditionen und Denkmuster aufgefallen ist. So warb sie etwa für mehr Akzeptanz von Schwulen und Lesben, und dies in einer Gesellschaft, in der Homosexualität wie in der Mehrheit der afrikanischen Länder stark geächtet ist. Als sie Anfang 2013 zur Ministerin ernannt wurde, beschuldigten Mitglieder der Opposition und evangelikale Geistliche den neuen Präsidenten John Mahama, durch diese Personalentscheidung die Homosexualität im Land zu „fördern“.

Doch von dem Widerstand, den sie auch im Kampf gegen den Hexenglauben erfährt, will sich Nana Oye Lithur nicht entmutigen lassen. Die Schließung des Lagers von Bonyasi sei nur der erste Schritt; die weiteren Hexendörfer im Land habe man bereits „identifiziert“ und arbeite im Dialog mit traditionellen Anführern der Gemeinschaften daran, die Dörfer in naher Zukunft aufzulösen und die vermeintlichen Hexen wieder zu vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft zu machen. „Frauen sind das Rückgrat dieser Gesellschaft“, so die Ministerin, „und wir müssen ihnen die nötige Unterstützung geben, damit sie ihren Beitrag zur Entwicklung unseres Landes leisten können.“

Kritiker begrüßten den Schritt der Regierung und verwiesen auf die weiteren Herausforderungen, vor denen das Land im Hinblick auf die Rechte von Frauen noch stehe. So würden bis heute häufig Minderjährige verheiratet, und in manchen Gegenden werde trotz aller Fortschritte noch immer die Genitalverstümmelung von Mädchen praktiziert.

"Aber wie bist du jetzt dahin gekommen?"

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Eltern (und alle anderen Menschen), die nicht mit Technik klarkommen, können sehr niedlich sein. Wie die Mama einer Freundin, die eben lernte, einen neuen Tab im Browser zu öffnen und erstaunt feststellte: „Aber dann bin ich ja an zwei Orten gleichzeitig im Internet!“ Oder der Papa einer Kollegin, der lange Zeit Links (auch 116-stellige beim Einkaufen im Netz) Zeichen für Zeichen abtippte, weil er das Prinzip Copy and Paste nicht kannte. Und aus Freude darüber, dass er den Doppelklick draufhat, seitdem einfach auf ALLES doppelklickt. 

Solche Geschichten sind unfassbar süß. Aber, leider: die Ausnahme. Denn in der Regel ziehen technische Probleme die Aufforderung nach der Beseitigung ebendieser nach sich. Und dann fangen die Probleme eigentlich erst an.


Das Bedürfnis von Eltern und Großeltern nach technischer Nachhilfe ist besonders an den Tagen nach Heiligabend groß. Dann sind auch die Kinder und Enkel, die nicht mehr zu Hause wohnen, zu Besuch. Und unter den Weihnachtsbäumen liegen Smartphones, E-Book-Reader und Kameras, die – „Jetzt hast du uns das geschenkt, jetzt musst du uns auch zeigen, wie das funktioniert, gell!“ – erklärt werden müssen.

Ich weiß nicht warum, aber wenn ich jemandem erklären muss, wie man mit einem neuen Handy Oma anruft, werde ich früher oder später zur Furie. Das ist schon an einem ganz normalen Tag schwierig. An Weihnachten aber besonders. Auch die harmonischste Feiertagsstimmung leidet unter einem Wutanfall wie von Roy aus der fabelhaften Serie „The IT-Crowd“: Den bittet seine Kollegin einmal, auf ihrem Computer einen Browser zu installieren, woraufhin er auf den „Internet Explorer“-Button zeigt und sie völlig überzeugt antwortet, das sei doch kein Browser, sondern der „Knopf für das Internet“. Er brüllt sie irgendwann einfach nur noch an. 


http://www.youtube.com/watch?v=YDNmyyrEZho&list=RDrksCTVFtjM4&index=4


Neulich musste ich meiner Mutter erklären, wie man ihr neues Smartphone bedient. Der Akku ihres Nokia 3210 hält zwar immer noch etwa eine Woche, aber das Display hat inzwischen so viele Sprünge, dass SMS nur noch etwa zur Hälfte angezeigt werden. Also holte sie sich „so ein Telefon zum Wischen“ aus dem Elektronikmarkt. So eins mit Internet und Kamera und der eingebauten Erkenntnis, dass der Begriff „intuitive Bedienung“ sehr subjektiv ist.

Ich setze ihre Sim-Karte in das neue Telefon ein, synchronisiere Kontakte, alles kein Problem. Ich freue mich sogar, ihr neues Telefon zum ersten Mal einzuschalten, wenn da nicht die Gewissheit wäre, dass die Herausforderung erst beginnt: Meine Mutter will ja mit ihrem neuen Handy telefonieren, SMS schreiben, irgendwann vielleicht sogar ein Foto machen. Auch das Wort „WhatsApp“ fällt.


Ich atme tief ein und beginne ganz vorne: Grundlagenkurs Telefonieren am Beispiel eines gespeicherten Kontakts. Und mache den Fehler, das Handy anzuschalten, die Kontakte-App zu öffnen und dann mit meiner Mutter bis O wie Oma zu wischen. „Aber wie bist du jetzt dahin gekommen?“, fragt sie. Ich gehe einen Schritt zurück. Auf dem Startbildschirm drücke ich vor ihren Augen auf das kleine Adressbuch, wische wieder bis O wie Oma, drücke auf die Oma und halte meiner Mutter das Telefon ans Ohr. Ich mache es ihr noch ein zweites und ein drittes Mal vor. Als ich gerade zum vierten Mal ansetze, unterbricht sie erneut mit: „Aber wie bist du jetzt dahin gekommen?“ Ich schalte also zusammen mit ihr das Handy an, wische die Bildschirmsperre weg. Erkläre den tieferen Sinn einer Bildschirmsperre. Motze sie an, dass ich nicht weiß, wieso man nach oben und nicht nach unten wischt. Ich schreibe jeden einzelnen Schritt auf einen Zettel. Und sie bekommt es - „Oje, jetzt habe ich wieder irgendwo hin gedrückt, wo ich nicht sollte! trotzdem nicht hin. 


Der Satz, der mit „Wie kann man nur so ...“ beginnt


In diesen Momenten bin ich sehr froh, meine offensichtlich zum Scheitern verurteilte Karriere als Lehrerin gar nicht erst begonnen zu haben. Wenn andere Offensichtliches nicht verstehen, habe ich keine Geduld. Schlimmer, ich bin jedes Mal wieder kurz davor, den Satz, der mit „Wie kann man nur so ...“ beginnt, zu vollenden. Ich tue es nicht, weil mir zum Glück einfällt, dass meine Eltern mich auch nicht für blöd erklärt haben, weil ich nicht auf die Welt kam und bereits laufen, Schuhe binden und den Toaster bedienen konnte. Aber ich werde laut und ungeduldig und überheblich. Lauter und ungeduldiger und überheblicher, als ich es eine halbe Stunde später noch mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Ich sage und frage dann gemeine Dinge. Ob sie überhaupt weiß, was ein Anschaltknopf ist. Und dass es mir egal ist, wenn sie die SMS nicht lesen kann, und ihr altes Handy wenigstens nervenschonend für ihr Umfeld war. Und schäme mich sehr für jedes einzelne Wort. Weil ich weiß, dass man zu den Menschen, die einem am nächsten stehen, meisten am gemeinsten ist. Und weil ich ja gar nicht so sein will.


Ich freue mich ja, dass ich gebraucht werde. Dass mich auch mal jemand als Expertin für irgendetwas wahrnimmt. Ich installiere gerne Drucker und richte Mailprogramme ein. Ich übersetze gern französische Rezepte für meine Freundinnen und erkläre auch zum siebzehnten Mal im Büro, wie man den Computer mit dem Redaktionsserver verbindet.


Das Ganze mag ein Generationenkonflikt sein: Computer und Handys zu bedienen ist für mich so selbstverständlich, wie ein Buch in die Hand zu nehmen und darin zu blättern und zu lesen. Mich nervt die Angst vor dem Ausprobieren der Eltern- und Großelterngeneration, die meine fünfjährige Cousine einfach nicht hat, wenn sie mit dem Tablet so lange herumspielt, bis die Kamera-App aufgeht. Aber das ist ja nicht das Problem. Das Problem ist meine Unfähigkeit, auf Anhieb grundlegend zu erklären, wie man mit einem neuen Handy Oma anruft, indem ich an alle Schritte denke, die jemand wie meine Mutter dafür kennen muss. Und, noch mehr, die Tatsache, dass es mich schrecklich langweilt, etwas so Offensichtliches zu erklären. Dafür hasse ich mich. Und das ist noch viel schlimmer, als jemand Anderes zu hassen. Dem kann man ja aus dem Weg gehen. 

Wie halte ich Ordnung?

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Vor etwa zwei Monaten bin ich aus meinem WG-Zimmer ausgezogen, weil ich es während meines Praktikums in München zwischenvermietet habe. Für das Ausräumen des Zimmers hatte ich einen Vormittag und drei Umzugskisten eingeplant. Letztendlich brauchte ich einen ganzen Tag, drei große Müllsäcke und drei Umzugskisten mehr. Ich habe eine Stirnlampe gefunden, von der ich gar nicht mehr wusste, dass ich sie besitze, und eine CD, die ich mir von meinem Vater geliehen habe und von der wir beide dachten, ich hätte sie verloren.

Das ist leider normal. Ich verlege ständig Dinge, selbst wenn ich sie mir geliehen und mir geschworen habe, sie nicht zu verlieren. Mein Zimmer verschluckt Navigationsgeräte, Ladekabel und Pinzetten einfach und spuckt sie erst Monate später wieder zufällig aus.

Einen ganzen Tag im Jahr verbringe ich mit Suchen


Zum Glück gibt es Menschen wie Cornelia Ahlers. Sie bietet Hauswirtschaftskurse für Einsteiger in den Kategorien „Single-Haushalt“, „Just married“ und „Baby“ an. Ahlers erklärt mir, dass ich als Studentin mindestens 1500 Minuten im Jahr damit verbringe, Dinge zu suchen, die ich verlegt habe. Das sind 25 Stunden. Einen ganzen Tag im Jahr verbringe ich also mit Suchen.

Das Allerwichtigste im Kampf gegen Unordnung ist die Routine, erklärt mir Ahlers. Dafür soll ich erst einmal mein ganzes Zimmer aufräumen und jedem Ding einen festen Platz zuweisen. Wirklich jedem Ding. Wenn ich nicht weiß, wohin mit dem geliehenen Ladekabel, soll ich mir eine „Irgendwo“-Kiste einrichten, in die das kommt, was irgendwie einfach hingehört. Hier drin wird das Kabel dann verstaut und mit einem Post-it versehen, auf dem steht, wem es gehört. Außerdem empfiehlt mir Ahlers, Ordner anzulegen, in die ich Rechnungen, Verträge und Zeugnisse abheften kann. Auch ein Memo-Ordner auf dem PC, in dem steht, wo ich die Muttern der Winterreifen oder den Ersatzschlüssel für die Wohnung hingelegt habe, sei eine sinnvolle Gedächtnisstütze. „Wir denken so oft ‚Oh, da muss ich mir jetzt aber merken, wo ich das hingelegt habe’ ,und trotzdem fliegt es aus unserem Arbeitsspeicher wieder raus – auch bei jungen Leuten“, sagt Ahlers.

Nach der großen Sortieraktion reichen einige Minuten am Tag - die tägliche „Unterhaltsreinigung“ - in denen ich wegräumen soll, was in meinem Zimmer herumfliegt. Für den Fall, dass ich für eine Rechnung nicht den Rechnungs-Ordner hervorkramen will oder nicht genug Zeit zum Wegräumen habe, schlägt mir Ahlers einen „Ordnungsbehälter“ vor, in den ich die Sachen erst einmal packen kann. Beim wöchentlichen Zimmerputz soll der Behälter ausgeleert und die Sachen verstaut werden.

Damit ich nicht die Motivation verliere, empfielt mir Ahlers zu Beginn einmal zu messen, wie lange ich brauche, wenn ich nur einmal die Woche mein Zimmer aufräume und wie lange es dauert, wenn ich jeden Tag aufräume. „Wenn man ein bisschen rechnen kann, merkt man schnell, dass es viel einfacher ist, jeden Tag kurz aufräumen “, erzählt sie. Letztendlich sei Ordnung halten Gewöhnungssache, sagt mir die Expertin zum Schluss, ähnlich wie Rauchen, Kiffen oder aber auch Joggengehen. Es gebe schlechte, aber auch gute Angewohnheiten, bei denen irgendwann der Gewöhnungseffekt eintrete. Und dann sei Ordnung halten ganz einfach.

Laut Frau Ahlers wird Nadine, 24, einen Monat brauchen, bis sie sich an ihr neues, ordentliches Leben gewöhnt hat.



Fünf Tipps, damit bei dir ab heute Ordnung herrscht:

1. Weise allen Dingen einen festen Platz zu. Die Sachen, bei denen du einfach nicht weißt, wohin sie gehören, kommen in die „Irgendwo-Kiste“.

2. Erstelle eine Liste am PC, auch gern zugangsgeschützt, in der du niederschreibst, wo du wichtige Sachen wie den Fahrzeugschein oder den Ersatzschlüssel hingelegt hast.

3. Nimm dir jeden Tag kurz Zeit, um Sachen wegzuräumen, die herumfliegen. Zur Not erst einmal in den Ordnungsbehälter mit ihnen.

4. Leere einmal die Woche den Ordnungsbehälter aus.

5. Halte durch! Nach etwa einem Monat hast du dich ans Ordnunghalten gewöhnt.
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