Ich mag unsere neue Wohnung! Ich sitze am liebsten auf der großen Couch, auf der ich meine Füße ganz ausstrecken kann, arbeite am schönen Schreibtisch von Sebis Mutter und weil der Winter ausgefallen ist, hänge ich seit Januar die Wäsche wieder auf der sonnigen Terrasse auf. Aber zwei bis drei Wochen im Jahr gibt es, da will ich überall anders sein, nur nicht auf der Couch, am Schreibtisch oder auf der Terrasse. Dann will ich nämlich in den Urlaub!
Es heißt ja immer, man soll erst mit seinem Partner zusammenziehen, wenn man mehrere Wochen mit ihm im Urlaub war – und nichts schief ging. Darüber habe ich mich immer gewundert, denn was genau sollte denn ausgerechnet in den zwei schönsten Wochen des Jahres in der Sonne am Strand schiefgehen? Okay, meine Flugangst hat sich seit einem verunglückten Landeanflug in Frankfurt-Hahn wieder verschärft und während der Pollenzeit muss ich nicht unbedingt Zelten gehen; aber ansonsten bin ich im Urlaub ganz pflegeleicht. Gerne Europa, auch Hostels sind bei einer Rundreise genehm, ich mag gerne Städte sehen, ich mag Inseln, Natur, Kultur und Radtour. Ich brauche keine Übersee-Trips, Backpacker-Gewaltmärsche und jeden Tag Action. Ich bin ein gemäßigter Urlaubs-Typ und hätte niemals erwartet, dass es ein Problem werden könnte, ein passendes Gegenstück zu finden.
So vieles soll stimmen beim perfekten Partner: Verständnis, Charme und Einfühlsamkeit, Intelligenz, ein gutes Herz und ein sexy Hüftschwung im Großen; dichtes Haar, ein ehrenwerter Bürger sein und bitte nicht in der Dusche Zähneputzen im Kleinen. Im Lauf der Jahre stellte sich heraus, dass Sebi der qualifizierteste Bewerber für den Posten war. Großmütig wollte ich sogar schon über die Zahnbürste in der Dusche hinwegsehen, als ich erkannte, dass eine Kategorie, der ich nie größere Beachtung geschenkt hatte, bedenklich wackelte. Konnte es wahr sein? Hatte ich den einzigen ehrenwerten Bürger aufgegabelt, der zwar ständig von seinen bevorstehenden Marsmissionen sprach, aber keinerlei Interesse daran zeigte, in den Urlaub zu fahren?
„Ach Quatsch!“ rief Sebi und ich atmete schon erleichtert auf, denn natürlich würde er mir jetzt erklären, dass er sehr wohl gerne in den Urlaub fuhr. Stattdessen ergänzte er: „Ich halte es für unmöglich, dass ich der einzige bin!“ Fünf Jahre und 863 Personenbefragungen später weiß Sebi: Doch, er ist der einzige! Gleichzeitig ist es mir durch Fleiß und Beharrlichkeit gelungen, den einzigen Urlaubsverweigerer bisher drei Mal in den Urlaub zu verfrachten.
Bevor jetzt das große Aufstöhnen beginnt, dass nur eine Partnerin, die in den Kategorien „Freiheitsgewährung“ und „Egozentrismus“ auf ganz schlechte Werte kommt, zu einer solch herzlosen Tat fähig sein könnte, möchte ich an dieser Stelle entgegensetzen: Wären wir nie zusammen in den Urlaub gefahren, hätten wir auch nicht zusammen ziehen können. Ein herber Verlust, den keiner von uns beiden wollen konnte!
Gleichzeitig gelang es mir nun durch das Zusammenwohnen, hinter das Geheimnis von Sebis Urlaubs-Desinteresse zu kommen. Bevor wir zusammengezogen sind, habe ich ihn ja immer nur am Treffpunkt zur Abreise getroffen und nach dem Heimflug schweren Herzens verabschiedet. Seitdem wir vor dem Urlaub aus derselben Wohnung losstarten und nach dem Urlaub in dieselbe Wohnung zurückkehren, bin ich live dabei und kann es deshalb genau beobachten: Die Urlaubs-Unlust verläuft bei Sebi in einer Sinuskurve, die ihren Höhepunkt am Tag vor der Abreise und ihren Tiefpunkt am letzten Urlaubstag erreicht.
Während ihn in den Tagen vor dem Aufbruch nur die Tatsache, dass wir uns keine Reiserücktrittsversicherung leisten konnten, davon abhält, alles zu canceln, er in der letzten Nacht zu Hause mit dem Gedanken spielt, sich an unserer geschätzten Couch festzuketten und sich schließlich noch in der Schlange am Flughafen einredet, dass er ja zur Not wieder zurückfliegen könnte, erwacht seine Reiselust am Urlaubsort angekommen und wächst von da an Tag für Tag. Dann spazieren wir staunend durch Sarajevo, erkunden mit dem Roller die Küste von Kreta oder gehen in kroatischen Buchten tauchen. Wir verstehen uns super, essen lecker und Sebi ist so entspannt, wie er zu Hause auf der Couch nie sein könnte, weil dann immer jemand anruft oder doch noch ein Termin ansteht. Wie könnte ich es da übers Herz bringen, beim nächsten Mal allein oder mit Freunden loszuziehen und Sebi einfach zu Hause zu lassen?
Gegen Ende des Urlaubs fragt Sebi unsere neuen Urlaubs-Freunde nach deren Lieblingsreisezielen aus und spricht plötzlich von künftigen Reisen nach Island, Thailand oder Neuseeland. Ich nicke zwar fröhlich, kann mir aber schon denken: In einigen Wochen, wenn wir zurück in unserer Wohnung sind, steigt die Sinuskurve wieder an und dann will Sebi von Thailand nie was gehört haben.
Ich muss es mir wahrscheinlich einfach mal am Ende der Reise schriftlich bestätigen lassen, dass er Urlaube doch total super findet. Oder aber ich warte, bis Reisen in Paralleluniversen möglich werden, wo ich dann einen Mann namens Schwebi treffe, der alle Eigenschaften von Sebi hat plus eine Begeisterung für gemäßigtes Reisen.
Bis dahin behalte ich einfach meinen Sebi und er soll halt am Waschbecken Zähneputzen, damit sein Perfekter-Partner-Schnitt weiterhin so weit oben bleibt!
Auf der nächsten Seite: Warum Sebastian seit dem Zusammenziehen einen Vorteil hat, wenn er mal wieder nicht in Urlaub fahren will.
[seitenumbruch]Nadine und ich lebten für eine Zeit von fast zwei Jahren in einer Fernbeziehung. Das heißt, dass sich jemand in eine meist überbuchte Mitfahrgelegenheit quetschen musste, nur um 24 bis 48 Stunden später wieder in einer anderen engen Mitfahrgelegenheit durch die halbe Nation zu fahren. Und selbst in den vier Jahren, als wir noch beide in Köln lebten, kam es eigentlich nie vor, dass wir uns mehr als zwei Tage in Folge ertragen mussten. Die einzige Ausnahme bildete da der jährliche Urlaub. Ach, endlich mal die Seele baumeln lassen, nicht nach dem Frühstück das Weite suchen müssen und in Gemeinsamkeit verweilen! Der Traum eines jeden Romantikers.
Und tatsächlich, für viele Paare in unserer Situation ist der alljährliche Sommerurlaub ja das große Highlight des Jahres. Ein Blick auf die herzfarbene Edding-Markierung im Kalender genügt, um die Mühsal des Alltags zu vergessen und in schwelgerische Vorfreude zu verfallen. Da werden ab Herbst eifrig Kataloge geblättert, Wetterdaten verglichen und Hotelbewertungen gelesen. Und spätestens ab Januar hört man sie dann auch, die Paare, die nicht müde werden, die Tage zu zählen, die sie jetzt noch trennen von der grenzenlosen Entspannung ihres Ferientrips.
Gegen das alles habe ich nichts. Aber wenn dann mit steigender Urlaubsfreude auch die Gehirne ausgeschaltet werden, mache ich mir als ehrenwerter Bürger natürlich schon Sorgen um unser aller Wohlfahrt! Gäbe es Außerirdische und würden Sie uns durch ihre Alien-Teleskope beobachten, sie würden bei dem Anblick ihre tentakelbesetzten Köpfe schütteln: Wie wir uns händchenhaltend in Kolosse aus Aluminium und Carbon pressen, über den Wolken rumfliegen, überteuerte Mietwagen buchen, bei immergleichen Stadtführungen in die Luft gereckten Schirmen nachlaufen, Reiserücktrittsversicherungen abschließen, aufs Gramm genaue Koffer packen, Veranstalter auf "entgangene Urlaubsfreuden" verklagen und Postkarten mit hässlichen Motiven quer über den Globus zurückschicken, bloß um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass man sich gerade in einer Phase der absoluten Entspannung befindet.
Ja, die Begeisterung für das Konzept "Urlaub" ist mir bislang weitgehend verborgen geblieben. Und während ja selbst für die absurdesten Meinungen (spätestens seit der Erfindung des Internets) jeder Pott noch einen Deckel findet, - in der Ecke der Urlaubsverweigerer, ist man wirklich einsam. Da endet selbst Nadine sonst so grenzenloses Verständnis. Aber während sie meine Urlaubsverweigerung früher verwenden konnte, um mir vorzuwerfen, ich wollte keine Zeit mit ihr verbringen, ist nach dem Zusammenziehen meine Argumentationsposition erheblich gestärkt worden.
Kommt sie mit einem voreiligen "Du willst keine Zeit mit mir verbringen!" um die Ecke, kann ich galant mit "Ich verbringe jeden Tag 24 Stunden mit Dir!" entgegnen. Versucht mich Nadine von den Vorzügen der Urlaubsentspannung zu überzeugen, deute ich nur müde auf unsere neue Couchlandschaft, auf der sie sich zu diesem Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit befindet. Und fällt das Argument der Bildung, die man fremden Ländern ja gemeinhin zuschreibt, blättere ich interessiert in einem Werk aus Nadines Adorno-Sammlung, die ich aus der Abteilung "kritische Theorie" unseres Kulturregals gezogen habe. Mir fällt kaum ein Grund ein, dieses neue schöne Heim schon wieder zu verlassen.
Ja, ich gebe es zu. Wenn ich erstmal da bin, in urlaubigen Gefilden, dann gefällt es mir meistens auch. Dann fahre ich gerne mit dem Roller den Strand entlang, besuche eine Höhle voller Unterwasserspinnen und lasse mir den Meereswind um die Nase wehen. Ich fühle mich entspannt, gebildet und genieße die besondere Zeit mit Nadine.
Aber Freunde, es ist Januar und würde mir zur jetzigen Zeit die Edding-Markierung auf dem Kalender keinen Schauer am Rücken verursachen - wo wäre die Herausforderung für Nadine geblieben? Und wenn Nadine eines mag, dann doch am Ende Recht zu haben und so werde ich mich auch dieses Jahr mit Klauen und Zähnefletschen wehren, nur um am Ende nachzugeben.
sebastian-hilger
Es heißt ja immer, man soll erst mit seinem Partner zusammenziehen, wenn man mehrere Wochen mit ihm im Urlaub war – und nichts schief ging. Darüber habe ich mich immer gewundert, denn was genau sollte denn ausgerechnet in den zwei schönsten Wochen des Jahres in der Sonne am Strand schiefgehen? Okay, meine Flugangst hat sich seit einem verunglückten Landeanflug in Frankfurt-Hahn wieder verschärft und während der Pollenzeit muss ich nicht unbedingt Zelten gehen; aber ansonsten bin ich im Urlaub ganz pflegeleicht. Gerne Europa, auch Hostels sind bei einer Rundreise genehm, ich mag gerne Städte sehen, ich mag Inseln, Natur, Kultur und Radtour. Ich brauche keine Übersee-Trips, Backpacker-Gewaltmärsche und jeden Tag Action. Ich bin ein gemäßigter Urlaubs-Typ und hätte niemals erwartet, dass es ein Problem werden könnte, ein passendes Gegenstück zu finden.
So vieles soll stimmen beim perfekten Partner: Verständnis, Charme und Einfühlsamkeit, Intelligenz, ein gutes Herz und ein sexy Hüftschwung im Großen; dichtes Haar, ein ehrenwerter Bürger sein und bitte nicht in der Dusche Zähneputzen im Kleinen. Im Lauf der Jahre stellte sich heraus, dass Sebi der qualifizierteste Bewerber für den Posten war. Großmütig wollte ich sogar schon über die Zahnbürste in der Dusche hinwegsehen, als ich erkannte, dass eine Kategorie, der ich nie größere Beachtung geschenkt hatte, bedenklich wackelte. Konnte es wahr sein? Hatte ich den einzigen ehrenwerten Bürger aufgegabelt, der zwar ständig von seinen bevorstehenden Marsmissionen sprach, aber keinerlei Interesse daran zeigte, in den Urlaub zu fahren?
„Ach Quatsch!“ rief Sebi und ich atmete schon erleichtert auf, denn natürlich würde er mir jetzt erklären, dass er sehr wohl gerne in den Urlaub fuhr. Stattdessen ergänzte er: „Ich halte es für unmöglich, dass ich der einzige bin!“ Fünf Jahre und 863 Personenbefragungen später weiß Sebi: Doch, er ist der einzige! Gleichzeitig ist es mir durch Fleiß und Beharrlichkeit gelungen, den einzigen Urlaubsverweigerer bisher drei Mal in den Urlaub zu verfrachten.
Bevor jetzt das große Aufstöhnen beginnt, dass nur eine Partnerin, die in den Kategorien „Freiheitsgewährung“ und „Egozentrismus“ auf ganz schlechte Werte kommt, zu einer solch herzlosen Tat fähig sein könnte, möchte ich an dieser Stelle entgegensetzen: Wären wir nie zusammen in den Urlaub gefahren, hätten wir auch nicht zusammen ziehen können. Ein herber Verlust, den keiner von uns beiden wollen konnte!
Gleichzeitig gelang es mir nun durch das Zusammenwohnen, hinter das Geheimnis von Sebis Urlaubs-Desinteresse zu kommen. Bevor wir zusammengezogen sind, habe ich ihn ja immer nur am Treffpunkt zur Abreise getroffen und nach dem Heimflug schweren Herzens verabschiedet. Seitdem wir vor dem Urlaub aus derselben Wohnung losstarten und nach dem Urlaub in dieselbe Wohnung zurückkehren, bin ich live dabei und kann es deshalb genau beobachten: Die Urlaubs-Unlust verläuft bei Sebi in einer Sinuskurve, die ihren Höhepunkt am Tag vor der Abreise und ihren Tiefpunkt am letzten Urlaubstag erreicht.
Während ihn in den Tagen vor dem Aufbruch nur die Tatsache, dass wir uns keine Reiserücktrittsversicherung leisten konnten, davon abhält, alles zu canceln, er in der letzten Nacht zu Hause mit dem Gedanken spielt, sich an unserer geschätzten Couch festzuketten und sich schließlich noch in der Schlange am Flughafen einredet, dass er ja zur Not wieder zurückfliegen könnte, erwacht seine Reiselust am Urlaubsort angekommen und wächst von da an Tag für Tag. Dann spazieren wir staunend durch Sarajevo, erkunden mit dem Roller die Küste von Kreta oder gehen in kroatischen Buchten tauchen. Wir verstehen uns super, essen lecker und Sebi ist so entspannt, wie er zu Hause auf der Couch nie sein könnte, weil dann immer jemand anruft oder doch noch ein Termin ansteht. Wie könnte ich es da übers Herz bringen, beim nächsten Mal allein oder mit Freunden loszuziehen und Sebi einfach zu Hause zu lassen?
Gegen Ende des Urlaubs fragt Sebi unsere neuen Urlaubs-Freunde nach deren Lieblingsreisezielen aus und spricht plötzlich von künftigen Reisen nach Island, Thailand oder Neuseeland. Ich nicke zwar fröhlich, kann mir aber schon denken: In einigen Wochen, wenn wir zurück in unserer Wohnung sind, steigt die Sinuskurve wieder an und dann will Sebi von Thailand nie was gehört haben.
Ich muss es mir wahrscheinlich einfach mal am Ende der Reise schriftlich bestätigen lassen, dass er Urlaube doch total super findet. Oder aber ich warte, bis Reisen in Paralleluniversen möglich werden, wo ich dann einen Mann namens Schwebi treffe, der alle Eigenschaften von Sebi hat plus eine Begeisterung für gemäßigtes Reisen.
Bis dahin behalte ich einfach meinen Sebi und er soll halt am Waschbecken Zähneputzen, damit sein Perfekter-Partner-Schnitt weiterhin so weit oben bleibt!
Auf der nächsten Seite: Warum Sebastian seit dem Zusammenziehen einen Vorteil hat, wenn er mal wieder nicht in Urlaub fahren will.
[seitenumbruch]Nadine und ich lebten für eine Zeit von fast zwei Jahren in einer Fernbeziehung. Das heißt, dass sich jemand in eine meist überbuchte Mitfahrgelegenheit quetschen musste, nur um 24 bis 48 Stunden später wieder in einer anderen engen Mitfahrgelegenheit durch die halbe Nation zu fahren. Und selbst in den vier Jahren, als wir noch beide in Köln lebten, kam es eigentlich nie vor, dass wir uns mehr als zwei Tage in Folge ertragen mussten. Die einzige Ausnahme bildete da der jährliche Urlaub. Ach, endlich mal die Seele baumeln lassen, nicht nach dem Frühstück das Weite suchen müssen und in Gemeinsamkeit verweilen! Der Traum eines jeden Romantikers.
Und tatsächlich, für viele Paare in unserer Situation ist der alljährliche Sommerurlaub ja das große Highlight des Jahres. Ein Blick auf die herzfarbene Edding-Markierung im Kalender genügt, um die Mühsal des Alltags zu vergessen und in schwelgerische Vorfreude zu verfallen. Da werden ab Herbst eifrig Kataloge geblättert, Wetterdaten verglichen und Hotelbewertungen gelesen. Und spätestens ab Januar hört man sie dann auch, die Paare, die nicht müde werden, die Tage zu zählen, die sie jetzt noch trennen von der grenzenlosen Entspannung ihres Ferientrips.
Gegen das alles habe ich nichts. Aber wenn dann mit steigender Urlaubsfreude auch die Gehirne ausgeschaltet werden, mache ich mir als ehrenwerter Bürger natürlich schon Sorgen um unser aller Wohlfahrt! Gäbe es Außerirdische und würden Sie uns durch ihre Alien-Teleskope beobachten, sie würden bei dem Anblick ihre tentakelbesetzten Köpfe schütteln: Wie wir uns händchenhaltend in Kolosse aus Aluminium und Carbon pressen, über den Wolken rumfliegen, überteuerte Mietwagen buchen, bei immergleichen Stadtführungen in die Luft gereckten Schirmen nachlaufen, Reiserücktrittsversicherungen abschließen, aufs Gramm genaue Koffer packen, Veranstalter auf "entgangene Urlaubsfreuden" verklagen und Postkarten mit hässlichen Motiven quer über den Globus zurückschicken, bloß um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass man sich gerade in einer Phase der absoluten Entspannung befindet.
Ja, die Begeisterung für das Konzept "Urlaub" ist mir bislang weitgehend verborgen geblieben. Und während ja selbst für die absurdesten Meinungen (spätestens seit der Erfindung des Internets) jeder Pott noch einen Deckel findet, - in der Ecke der Urlaubsverweigerer, ist man wirklich einsam. Da endet selbst Nadine sonst so grenzenloses Verständnis. Aber während sie meine Urlaubsverweigerung früher verwenden konnte, um mir vorzuwerfen, ich wollte keine Zeit mit ihr verbringen, ist nach dem Zusammenziehen meine Argumentationsposition erheblich gestärkt worden.
Kommt sie mit einem voreiligen "Du willst keine Zeit mit mir verbringen!" um die Ecke, kann ich galant mit "Ich verbringe jeden Tag 24 Stunden mit Dir!" entgegnen. Versucht mich Nadine von den Vorzügen der Urlaubsentspannung zu überzeugen, deute ich nur müde auf unsere neue Couchlandschaft, auf der sie sich zu diesem Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit befindet. Und fällt das Argument der Bildung, die man fremden Ländern ja gemeinhin zuschreibt, blättere ich interessiert in einem Werk aus Nadines Adorno-Sammlung, die ich aus der Abteilung "kritische Theorie" unseres Kulturregals gezogen habe. Mir fällt kaum ein Grund ein, dieses neue schöne Heim schon wieder zu verlassen.
Ja, ich gebe es zu. Wenn ich erstmal da bin, in urlaubigen Gefilden, dann gefällt es mir meistens auch. Dann fahre ich gerne mit dem Roller den Strand entlang, besuche eine Höhle voller Unterwasserspinnen und lasse mir den Meereswind um die Nase wehen. Ich fühle mich entspannt, gebildet und genieße die besondere Zeit mit Nadine.
Aber Freunde, es ist Januar und würde mir zur jetzigen Zeit die Edding-Markierung auf dem Kalender keinen Schauer am Rücken verursachen - wo wäre die Herausforderung für Nadine geblieben? Und wenn Nadine eines mag, dann doch am Ende Recht zu haben und so werde ich mich auch dieses Jahr mit Klauen und Zähnefletschen wehren, nur um am Ende nachzugeben.
sebastian-hilger