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Strom, Wasser, Web

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Der Bundesgerichtshof entschied, dass Eltern nicht zahlen müssen, wenn der erwachsene Junior sich illegal Musik aus dem Netz beschafft.

Der Fall „Redtube“ hat es gerade wieder in Erinnerung gerufen. Die Neigung, gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsverletzungen mit aggressiven Abmahnungen vorzugehen, ist nach wie vor groß. Da kommt das neuerliche Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) – auch wenn es mit den Pornofilmen von „Redtube“ wenig zu tun hat – zur rechten Zeit. Es verringert das Risiko, für das illegale Filesharing anderer Haushaltsmitglieder haftbar gemacht zu werden. Konkret: Wer seinen erwachsenen Kindern die Nutzung des häuslichen Internetanschlusses gestattet, dem können nicht die Kosten einer anwaltlichen Abmahnung auferlegt werden, nur weil er Tochter oder Sohn keine Belehrungen über illegales Up- und Downloaden erteilt hat. Die Abmahnpraxis dürfte dadurch eingedämmt werden – ein welchem Umfang, muss freilich die Praxis zeigen.

Geklagt hatten vier große Musiklabels. Und zwar, das war die Pointe des Falls, ausgerechnet gegen einen Polizeibeamten, der auf Internetpiraterie spezialisiert ist. Dessen damals 20-jähriger Stiefsohn soll über das Tauschprogramm „BearShare“ an einem Tag im Juni 2006 exakt 3749 Musikstücke illegal heruntergeladen haben – was er inzwischen auch zugegeben hat. Die Unternehmen taten, was inzwischen hunderttausendfach geschieht. Sie beauftragten ihre Anwälte, die den Inhaber des Anschlusses ausfindig machten und ihm eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abforderten. Der Polizist unterschrieb – doch verweigerte die Zahlung von fast 3500 Euro Abmahnkosten. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte dem Mann Kosten von immerhin gut 2800 Euro auferlegt – und es nicht einmal für nötig befunden, die Revision zum BGH zuzulassen. Im Frühjahr 2012 schritt schließlich das Bundesverfassungsgericht ein: Die Frage, ob der Anschlussinhaber volljährige Familienmitglieder über die Verbote im Netz aufklären müsse, um frei von Haftung zu sein, sei hochumstritten und müsse daher von der letzten Instanz beantwortet werden. Die letzte Instanz ist in solchen Fragen der BGH.

Ein höchstrichterliches Schlusswort war also dringend notwendig. Klarheit bringt es aber zunächst nur für eine bestimmte Konstellation.

Volljährige Familienmitglieder müssen nicht vorab über die Gefahren des Internets aufgeklärt werden, sofern sie bisher eine weiße Weste haben, erläuterte der Senatsvorsitzende Wolfgang Büscher. „Wir gehen davon aus, dass in Familien ein Vertrauensverhältnis besteht und dass Volljährige eigenverantwortlich handeln.“ Im Wiederholungsfall freilich kann die Sache anders ausgehen. Offen bleibt zudem, was beispielsweise in Wohngemeinschaften gilt. Das Prinzip Eigenverantwortung, das der BGH zitiert hat, spräche auch dort gegen eine Haftung des Anschlussinhabers. Die WG-Frage dürfte jedenfalls viele Menschen interessieren.

Der BGH befasst sich schon seit Jahren mit dem Problem. 2010 hat er entschieden, dass der Inhaber eines WLAN-Anschlusses die handelsüblichen Sicherungsvorkehrungen treffen muss – andernfalls kann er nach den Grundsätzen der sogenannten „Störerhaftung“ mit Abmahnkosten belegt werden, wenn der Anschluss zu illegalen Downloads genutzt wird. Das Urteil hat natürlich das Bestreben der Musik- und Filmindustrie nicht unterbinden können, sich bei Verletzungen ihrer Urheberrechte an denjenigen zu halten, der am schnellsten greifbar ist, und das ist der Inhaber des Internetanschlusses. Er ist gewissermaßen der Schleusenwärter und über seine IP-Adresse mithilfe eines Auskunftsanspruchs leicht ausfindig zu machen. Das jüngste Urteil schien ihn in dieser Rolle zu bestätigen. Im November 2012 entschied der BGH, dass Eltern die Pflicht haben, ihre minderjährigen Kinder über das Verbot des illegalen Tauschhandels zu instruieren – wenn sie nicht haftbar gemacht werden wollen.

Doch das Urteil ließ sich auch anders verstehen: Für Kinder gilt eine gewisse Aufsichtspflicht, gewiss. Andererseits hielt der BGH weder eine permanente Überwachung und Kontrolle noch eine Teilsperre für angezeigt. Jedenfalls nicht, solange der Nachwuchs keinen Hang zum massenhaften Tauschhandel erkennen ließ. Was die Ehegatten angeht, sind sich die Oberlandesgerichte inzwischen einigermaßen einig: keine Belehrungs- oder Kontrollpflichten gegenüber dem Ehepartner.

Das BGH-Urteil berührt aber auch eine Grundsatzfrage, die über den familiären WLAN-Anschluss hinausgeht: Ist es eigentlich noch zeitgemäß, das Internet pauschal als Gefahrenquelle abzutun? Darf als „Störer“ verurteilt werden, wer anderen seinen Anschluss öffnet und ihnen damit Zugang zur Online-Welt verschafft, wo sich inzwischen wesentliche Teile unseres Lebens abspielen? „Das Internet als gefährlich zu bezeichnen, wo es doch zu unserem täglichen Leben gehört, das geht zu weit“, sagte Herbert Geisler, Anwalt des verklagten Beamten, in der BGH-Verhandlung. Gefahren gingen auch von anderen Infrastruktureinrichtungen aus, Strom, Wasser, was auch immer. Müsse man erwachsene Söhne und Töchter über all dies belehren?

Deshalb wird das BGH-Urteil nur eine Etappe auf dem Weg zur Klärung vieler offener Fragen sein. Wlan als einfacher und schneller Zugang zum Netz ist inzwischen fast überall zu haben. Cafés und Hotels locken damit ihre Gäste, auch die Kommunen diskutieren inzwischen, ob der drahtlose Internetzugang nicht eine moderne Form von Bürgerservice wäre. Der Kölner Anwalt Christian Solmecke, der einige Städte in diesen Fragen berät, beobachtet allerdings eine gewisse Zurückhaltung – und zwar genau wegen der ungeklärten Haftungsfragen. Die Rechtsprechung sei hier vielfach noch uneins: In Hamburg ließen Richter Café-Besitzer für das illegale Filesharing ihrer Gäste haften. Deren Frankfurter Kollegen hätten dagegen Hotelbetreiber von der Haftung freigesprochen. „Das ist eine Diskrepanz, die ich nicht verstehe.“ Auch in diesen Fällen wird ein letztes, ein höchstrichterliches Wort notwendig sein.

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