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Gott, kompakt

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Anne-Sophie Köhler gibt sogenannte Alpha-Kurse, in denen jungen Menschen Religion nahegebracht wird.

Die Schaufensterpuppen der Sexshops in der Nürnberger Innenstadt tragen Nikolausmützen zur Reizwäsche. Nicht mehr lange bis Weihnachten.

Zwei Ecken weiter, hinter einer anderen Fensterfront, sitzt Anne-Sophie Köhler an einem Retro-Bartisch in einem Retro-Sessel und spricht über Gott. Sie tut das beruflich. Die kleine Bar, in der sanfter Soul-Pop läuft, gehört zum CVJM Nürnberg, dem Arbeitsplatz von Anne-Sophie Köhler. Ihre Stelle heißt: "18plus-Sekretärin". CVJM steht für Christlicher Verein Junger Menschen; ein weltweiter Zusammenschluss gläubiger Christen, allerdings ohne Bindung an eine Kirche und überkonfessionell. Bekannter als das deutsche Kürzel ist die amerikanische Version: YMCA. Wie der Hit der Village People.

Anne-Sophie Köhler ist 28 Jahre alt, sieht aber jünger aus. Die evangelische Theologin trägt Kapuzenpulli, und wenn sie von Gott spricht, werden ihre Wangen rot vor Aufregung.

An Abenden wie diesen erklärt Anne-Sophie Köhler, wie das gehen kann: an Gott glauben. Gleich beginnt die dritte Sitzung des "Alphakurses", den der CVJM Nürnberg anbietet. Weltweit haben angeblich schon mehr als 23 Millionen Menschen in 163 Ländern einen solchen Kurs besucht, in Deutschland bieten etwa 700 Gemeinden unterschiedlicher Konfessionen einen an. Offizielle Teilnehmerstatistiken gibt es nicht; laut Alpha Deutschland e.V. nimmt die Zahl der Kurse hierzulande jedoch stetig zu. Das Konzept kommt aus dem London der Siebzigerjahre. Es geht darum, den Glauben in kompakter Form zu vermitteln, zehn Themen an zehn Abenden. Wer ist Jesus? Was ist der Heilige Geist? Wie widerstehe ich dem Bösen? Die Basics.

Das Thema heute: Wie lese ich aus der Bibel? "Wir erklären, was das für ein Gott und was das für ein Buch ist, von dem wir da sprechen", sagt Anne-Sophie Köhler. Die Zweifel der Teilnehmer seien willkommen, auch kritische Fragen. Die Antworten gebe es dann "im besten Fall bei Gott".

Die Kurse erhalten offizielle Unterstützung aus fast allen christlichen Kirchen. Es gibt Kürbissuppe, Kuchen und sanftes Licht. Die etwa dreißig Kursteilnehmer und die Mitarbeiter sitzen an langen, liebevoll gedeckten Tischen, es wird viel gelacht und sofort nachgefüllt, wenn ein Teller oder Glas leer ist. Das hier ist der Teil des Glaubens, den man vom Lagerfeuer bei Kinderfreizeiten kennt, der gemütliche Teil, ohne Dogmen und Fegefeuer.

Ein Abend im Alphakurs läuft immer gleich ab. Erst wird gemeinsam gegessen, dann folgt ein Vortrag, und anschließend wird in kleinen Gruppen diskutiert. "Total persönlich" könne das werden, sagt Anne-Sophie Köhler. Heute ist sie selbst dran mit dem Vortrag. Als sie den Raum betritt, wird sie zu Anne, die jeder umarmt, der jeder über den Rücken streichelt. Freundliche ältere Damen sind darunter und hagere Männer mit grauen Bartstoppeln. Aber auch junge Frauen und Männer um die Zwanzig sind da. Mit ihren Nerd-Brillen und Turnschuhen würde man sie um diese Uhrzeit eher auf einem Konzert oder beim Fertigmachen für den Club-Besuch vermuten.

So wie Daniel, 22 Jahre, Vintage-Jeans und sorgfältig gestylte Haare, und Christian, 21, im lässigen Karohemd. Anfänger in Glaubensfragen sind auch sie nicht. Beide kommen aus religiösen Familien, beide gehen regelmäßig in die Kirche. Hier finden sie trotzdem mehr als im Gottesdienst, sagen sie: eine Bestätigung, eine Argumentationsgrundlage.

Wer sich heute zu Jesus bekennt, der braucht so etwas, vor allem als junger Mensch. "Blöde Kommentare bekomme ich schon", sagt Christian. Aber er lebe mit seinem Glauben nun mal "viel besser als ohne". Daniel sagt: "Es gibt eben Dinge, Wunder, Zufälle, nenn' es, wie du willst, die kann ich mir nicht anders erklären."

Die Weihnachtszeit ist für viele christlich erzogene Menschen die einzige Zeit im Jahr, in der sie sich an ihren Glauben erinnern. Beziehungsweise: an den beschaulichen Teil. Die Geschichte von dem Engel und den Hirten und dem Kind im Stall finden auch Skeptiker immer wieder schön. Der blutige Jesus am Kreuz und das Fegefeuer spielen da keine Rolle.

Auch Anne-Sophie Köhler spricht an diesem Abend in Nürnberg von einem sanften und liebevollen Gott. Sie sagt sehr oft Dinge wie: "Glaube ist Freiheit." Oder: "Mir gibt der Glaube total viel". Das passt auch zu den Slogans auf den Flyern der Veranstaltung. "Das Geheimnis selbst entdecken", steht da. Und dass man diese "einmalige Chance nicht verpassen" dürfe. Alles ganz nett, aber irgendwie auch platt: Gott in zehn Schritten, werberisch verpackt und sympathisch.

"Irgendwie ist es schon so", gibt Anne-Sophie Köhler zu. "Aber wir verkaufen ja kein Produkt. Ich verstehe das eher als Einladung, die man annehmen oder ausschlagen kann." Alles kann, nichts muss. Jeder darf kommen, jeder darf wieder gehen in einem Alphakurs, ohne Bedingungen und Verpflichtungen.

Dass es Glaubensfragen gibt, über die sich streiten lässt, ist auch Anne-Sophie Köhler klar. "Ethische Fragen" nennt sie die. Homosexualität, Sex vor der Ehe, Pornografie: Was sagen die christlichen Kirchen ihren Mitgliedern - und was antworten die, vor allem die jungen? In einem Alphakurs gebe es keine Tabuthemen, sagt Anne-Sophie Köhler. Trotzdem seien solche ethischen Fragen kaum je ein Thema. Die Theologin erklärt das so: "Wir leben in einer individualistischen Gesellschaft. Deshalb suchen die Leute im Kurs nach Antworten für sich persönlich. Sie schauen nicht, was die Anderen dazu sagen." Die Anderen: Sie meint die Kirchen.

Als Anne-Sophie Köhler mit ihrer Rede über Gott und die Bibel beginnt, wird es ganz still im Raum. "Der Dirk hat uns ja schon beim letzten Mal gesagt, dass Jesus nicht nur irgend so ein Spinner war", fängt sie an. Dann erzählt Anne von ihrer "rebellischen Jugendzeit", in der sie Freunde aus dem Jugendgottesdienst, die privat die Bibel lasen, ausgelacht habe. Und von dem Moment, in dem sie verstanden habe, dass die Bibel kein Gesetz- und kein Geschichtsbuch sei, sondern eine Liebeserklärung: "Gott sagt uns die ganze Zeit: Mann, wie sehr lieb' ich dich." In dem Moment stockt ihre Stimme im Headset. Heute, sagt sie schließlich, lese sie jeden Tag in der Bibel.

Während Anne-Sophie Köhler von ihrem Weg zum Glauben erzählt, empfindet man als Zuhörer Respekt. Es gehört Mut dazu, sich öffentlich hinzustellen und zu sagen: Ich lese die Bibel, ich gehe in den Gottesdienst. Und es drängt sich die Frage auf: Warum ist man beim Anblick von jungen Menschen, die sich offen für ihren Glauben begeistern, eher irritiert und peinlich berührt als von Puppen in Strapsen, die Nikolausmützen auf dem Kopf haben?

Anne-Sophie Köhler gibt ihren Zuhörern gegen Ende des Vortrags noch ein paar Tipps für die Bibellektüre mit auf den Weg: feste Zeiten einplanen, nicht zu viel auf einmal lesen und immer eine Kerze anzünden. Wem das nicht ausreiche, der könne sich im Netz Bibel-Lesepläne oder Podcasts als Auslegungshilfe runterladen, zum Beispiel auf der Seite bibeltunes.de. Die meisten Kursteilnehmer schreiben eifrig mit.

Bei der Diskussion im Anschluss wird Anne-Sophie Köhler nicht mehr dabei sein. Ihre Gruppe wird das Gleichnis aus dem Neuen Testament ohne sie besprechen; es geht um den Samen des Glaubens, der bei den Menschen auf unterschiedlich guten Boden fällt. Auch das gehört zum Programm. Wer vorträgt, darf sich hinterher ausruhen, in sich gehen. Oder wie es hier heißt: eins sein mit Gott. Doch Anne ist schon ganz bei sich, als sie am Ende ihrer Rede die letzten Worte nicht an die Gruppe, sondern an ihren Gott richtet: "Danke, dass schon so viele Menschen so viel Krasses mit dir erleben durften!"

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