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Apfel, Nuss und Mandelkern...

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Alle Jahre wieder werden nicht nur die obligatorischen Nordmanntannen aus kaukasischen Forsten über Tausende Kilometer in deutsche Wohnzimmer verfrachtet. Auch in der Wissenschaft setzt ein vorweihnachtlicher Endspurt ein. Denn Apfel, Nuss und Mandelkern mögen nicht nur Kinder gern. Etliche Forscher versuchen zum Jahresende, mit populären und möglichst lebensnahen Themen noch einmal Aufmerksamkeit zu erregen.



Passend zur Weihnachtszeit: Forscher veröffentlichen eine Studie, wonach Nüsse Blutdruck und Cholesterinspiegel senkten. Dafür muss man aber täglich 100 Gramm zu sich nehmen.

Besonders die Ernährungswissenschaften sind hier zu nennen. Jüngstes Beispiel: Passend zum Beginn der Adventszeit haben amerikanische Forscher soeben den gesundheitlichen Nutzen von Walnüssen gelobt. Im New England Journal of Medicine, dem weltweit führenden Fachblatt für Ärzte, beschreiben sie die segensreichen Auswirkungen täglichen Walnusskonsums auf Herz, Kreislauf und Lebenserwartung (Bd.369, S.2001, 2013). Unter den Teilnehmern von zwei großen Studien lebten demnach diejenigen etwas länger, die regelmäßig Walnüsse aßen. Um bis zu 20 Prozent weniger Todesfälle im Vergleich zu den Nuss-Abstinenzlern gab es gar in jener Gruppe, die siebenmal in der Woche oder noch häufiger zu dem fettigen Fingerfood griff – wobei man sich fragt, wer sich außer ein paar Nussknackern sonst noch so oft Nüsse einverleibt. Unterstützt wurde die Untersuchung übrigens vom International Tree Nut Council, einem Zusammenschluss führender Nusshersteller.

Deutsche Wissenschaftler wollten dem Werben für die Nuss nicht nachstehen und veröffentlichten gerade in der Zeitschrift Metabolism (online) eine Untersuchung, in der sie den Einfluss einer Walnussdiät auf den Cholesterinstoffwechsel beschrieben. Die Forscher unter Beteiligung von Ärzten der Ludwig-Maximilians-Universität München ließen dazu 40 Freiwillige zunächst acht Wochen lang im Rahmen ihrer üblichen Ernährung zusätzlich täglich ein paar Walnüsse knabbern, bevor die Probanden – nach zweiwöchiger Pause – wiederum acht Wochen lang auf Walnüsse verzichteten. Der Vergleich ergab, dass sich die Walnüsse günstig auf ausgewählte Fettwerte auswirkten, auch wenn der Unterschied ziemlich gering ausfiel.
Allerdings sind 40 Teilnehmer zu wenig und eine Interventionsphase von nur acht Wochen ist zu kurz, um daraus positive Effekte für die Gesundheit ableiten zu können. Zudem bedeuten gesenkte Fettwerte nicht automatisch, dass die Probanden weniger Infarkte oder Schlaganfälle erleiden. Wählen Forscher solche Ersatzwerte, der Fachausdruck hierfür lautet Surrogatparameter, statt harter, klinischer Daten wie Herzschlag oder Todesfall, liegt die Wissenschaft oft daneben. Das richtige Leben lässt sich eben nicht immer in Laborwerten abbilden. Unterstützt wurde die Untersuchung übrigens von der California Walnut Commission, die „aus Abgaben von Farmern“ und von anderen nussverarbeitenden Akteuren finanziert wird.

Vor 20 Jahren bereits erschien im New England Journal of Medicine eine Untersuchung, die Walnüssen immensen gesundheitlichen Nutzen bescheinigte. Die Forscher beschrieben, dass die Früchte Blutdruck und Cholesterinspiegel senkten. Einziger Haken an der Sache: Man hätte 20 Prozent seiner täglichen Kalorienmenge mit Walnüssen abdecken, und somit täglich 100 Gramm zu sich nehmen müssen. Die Untersuchung war übrigens mit 18 Probanden durchgeführt und von der kalifornischen Walnussindustrie unterstützt worden.

Neben solchen Studien, deren Ergebnisse sich nur schwer auf den Alltag übertragen lassen, sind in der Ernährungsforschung Untersuchungen beliebt, in denen eine einzelne Substanz genauer unter die Lupe genommen wird. Gern in einer Dosis, die der zehnfachen Menge dessen entspricht, was üblicherweise verzehrt wird, gern im Tierversuch mit gentechnisch veränderten Mäusen, die überempfindlich auf die entsprechende Substanz reagieren. Mice tell lies. Mäuseversuche führen in die Irre, um es freundlich zu übersetzen.

Aus all dem folgt: Die Ernährungswissenschaften haben ein großes Problem. Kaum eine Forschungsrichtung ist so vielen Störfaktoren ausgesetzt, in erster Linie dem Störfaktor Mensch. Wenn etwa in einer Studie untersucht wird, wie sich der Nutellakonsum auf Blutdruck oder Hormone auswirkt, spielt es nicht nur eine Rolle, wie viel Nutella die Teilnehmer zu sich nehmen. Schließlich kann es ja sein, dass jene, die viel Nutella essen, auch größere Genießer, sportlicher und überhaupt glücklicher sind und deswegen ausgeglichene Hormone und einen milderen Blutdruck aufweisen. Das liegt dann nicht am Nutella, sondern an anderen Einflüssen, von denen man etliche nur erahnen kann. Berücksichtigen Forscher diese vielen Störfeuer nicht, setzen sie immer wieder abstruse Meldungen in die Welt, wonach Brokkoli Krebs verhindert, Käsekuchen dumm macht – oder eben Walnüsse die Koronarien freipusten können.

Etliche Nahrungsmittelzweige sind da längst weiter und preisen Produkte an, von denen sie aus Lokalpatriotismus überzeugt sind oder für deren Lobgesang sie unwiderstehliche Angebote bekommen. Wenn sie wollen, können Wissenschaftler schließlich fast alles schönforschen. Sogar Pizza. Mailänder (!) Wissenschaftler haben 1000 Patienten zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragt – 500 von ihnen hatten einen Infarkt, die anderen 500 waren aus anderen Gründen in der Klinik. Dabei zeigte sich, dass das Herzinfarktrisiko bereits bei gelegentlichem Pizzaverzehr um 22 Prozent sank, bei regelmäßigem Genuss gar um 38 Prozent. Die Fachwelt weiß, dass die Verteilung der Herz-Kreislauf-Leiden in Europa unregelmäßigen Gesetzen folgt. Während in Schottland mehr als 300 von 100000 Einwohnern jedes Jahr einen Infarkt erleiden, sind es in Südfrankreich nur 50. „Französisches Paradox“ heißt dieses Phänomen, denn auch die Franzosen ernähren sich von Wildschwein, Rillettes, Croissant und Baguette und damit eher cholesterinreich und fettig. Jetzt also das „italienische Rätsel“.

Für Ernährungswissenschaftler war die Pizza-Studie ein gefundenes Fressen. Jorge Gómez-Aracena von der Universität Málaga fand das Ergebnis „nicht überraschend“, schließlich seien in der typischen Pizza – wie übrigens auch im spanischen Nationalgericht Gazpacho – viele Tomaten enthalten, in denen hohe Konzentrationen an Lycopenen vorkämen. Diese hätten antioxidative Eigenschaften und würden deshalb vor Herzinfarkt schützen. Ähnlich kleinteilig hatten die Walnuss-Forscher auch argumentiert: diese unfassbare Menge ungesättigter Fettsäuren!

Geradezu dezent fallen diese Ernährungsstudien allerdings aus, wenn man sie mit dem wissenschaftlich fundierten Lob des Weins vergleicht. Es gibt inzwischen Hunderte Artikel von Forschern, die die lebensverlängernde Wirkung von Alkoholika beschrieben haben. Nicht nur Rotwein, sondern auch Bier und Schnaps hielten angeblich die Gefäße geschmeidig, schrieben Forscher, die dabei wohl nicht mehr ganz nüchtern waren. Beiträge in Fachmagazinen wurden mit „Cheers!“ betitelt, und die Mediziner waren froh, endlich positive Nachrichten verkünden zu können.

Aber offenbar kann der Blick von Medizinern manchmal getrübt sein, wenn sie lokale Tropfen bewerten: Viele Studien zum Wein stammen von Wissenschaftlern, die unweit von Bordeaux, dem Chianti oder nahe des Napa Valley forschen und nicht immer wissenschaftliche Maßstäbe anlegen, sondern eher nach dem Motto vorgehen: Kein Alkohol ist auch keine Lösung.

Angesichts der Pionierarbeit der Walnussindustrie wäre zu erwarten, dass bald Studien erscheinen, in denen Hilfe gegen Krampfadern, Hexenschuss oder Gedächtnisverlust durch Aachener Printen, Lübecker Marzipan oder Dominosteine beschrieben werden. Unterstützung für diese Forschung findet sich bestimmt bei den Betreibern örtlicher Weihnachtsmärkte.

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