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Vom Recht, sich ins Gesicht sehen zu können

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Die Frau mit der Burka erschien nicht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und ihre Abwesenheit war Teil ihres Plädoyers. Mit bis zu 150 Euro Buße wird in Frankreich seit April 2011 bestraft, wer auf offener Straße sein Gesicht verhüllt. Der Weg nach Straßburg wäre für die Klägerin, die als Muslimin die Burka als religiöse Pflicht ansieht, also ein strafrechtliches Risiko gewesen; 425 solcher Bußgelder sind in Frankreich bereits verhängt worden. Ob es dabei bleiben darf, ob das französische Burka-Verbot womöglich als Blaupause für andere Staaten dienen kann, wird in einigen Monaten der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg entscheiden.



Seit April 2011 dürfen Frauen in Frankreich auf offener Straße keine Burka tragen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nimmt das Verbot unter die Lupe.

Die Verhandlung an diesem Mittwoch ließ jedenfalls erkennen, dass die Richter das französische Gesetz kritisch sehen. Gleichbehandlung für Frauen zu verordnen, die dieses Recht selbst gar nicht einforderten: Der französische Richter André Potocki schien skeptisch, ob das juristisch funktioniert. Und sein norwegischer Kollege Erik Møse wollte wissen, ob das Gesetz wirklich - wie von den Vertretern Frankreichs behauptet - den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördere. Oder nicht doch eher soziale Spannungen schüre.

Den juristischen Vertretern von Frankreichs Regierung ging es sichtlich darum, den Verdacht zu zerstreuen, das Gesetz sei gezielt gegen Muslime gerichtet. Es gehe um Sicherheitsrisiken und darum, eine Diskriminierung von Frauen zu unterbinden, argumentierte Edwige Belliard. Vor allem aber gelte es, "die Beziehungen zwischen menschlichen Wesen zu erhalten". Als "Vertrauensminimum" sei dafür notwendig, auf öffentlichen Plätzen sein Gesicht zu zeigen. Ihre Kollegin aus Belgien - dem zweiten europäischen Land mit einem generellen Schleierbann - sprach gar von einem Recht, sich ins Gesicht sehen zu können. Jedenfalls sei jede Art von Verschleierung verboten, nicht nur die religiös motivierte, versicherte Belliard. Das Argument wäre überzeugender, hätten die Franzosen ihr Verhüllungsverbot nicht durch zahlreiche Ausnahmen durchlöchert, nicht nur für Chirurgen mit Mundschutz. Auch im Rahmen sportlicher, festlicher, künstlerischer oder traditioneller Veranstaltungen darf man sein Gesicht verbergen. Narren dürfen sich im Straßenkarneval maskieren, Muslime nicht einmal verschleiert zur Moschee gehen, kritisierte Anwalt Tony Muman.

In Frankreich schätzt man die Zahl der Musliminnen mit dem Wunsch nach Vollverschleierung auf 2000 bis 4000. Die 23-jährige Klägerin - eine Frau mit Uni-Abschluss, die leidenschaftlich "für die Republik" eintrete - habe sich aus freien Stücken dafür entschieden, ohne familiären Druck, sagte ihr Anwalt Rambert de Mello. Und falls sie - etwa, um ein Kind aus der Kita abzuholen - zur Identifizierung das Gesicht zeigen müsse, sei das kein Problem. Mit dem Komplettverbot werde das religiöse Bekenntnis der Klägerin allerdings in ihre privaten Räume verbannt.

Wie wird der Gerichtshof urteilen? Grundsätzlich ist er durchaus offen für Verbote religiöser Kleidungsstücke. Im Jahr 2001 hat er die Entscheidung der Schweizer Schulbehörden gebilligt, einer zum Islam konvertierten Grundschullehrerin das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht zu untersagen. 2005 hat er das Verbot des Kopftuchtragens an türkischen Universitäten bestätigt. Und in den Folgejahren ließ das Gericht mehrmals Kopftuchverbote an französischen Schulen unbeanstandet. Allerdings waren jeweils Besonderheiten ausschlaggebend, schulische Belange etwa, oder die strikt säkulare Ausrichtung des Staates. Am hohen Wert des Rechts, seinen Glauben offen zu bekennen, hat das Gericht keinen Zweifel gelassen.

Interessant könnte daher das Straßburger Urteil in einem anderen türkischen Fall sein. Mitglieder einer Religionsgemeinschaft waren mit Turban und Pluderhose durch die Straßen gezogen und von den türkischen Gerichten wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zum Tragen religiöser Kleidung in der Öffentlichkeit verurteilt. 2010 rügte der Menschenrechtsgerichtshof die Türkei: Ein genereller, nicht etwa auf öffentliche Einrichtungen beschränkter Bann religiöser Bekleidung lasse sich nicht rechtfertigen. Was freilich noch nicht das heikle Problem der Gesichtsverhüllung löst. Dass hier Kompromisslösungen denkbar sind, deutete sich in einer Frage der deutschen Richterin Angelika Nußberger an: Ob für die französische Regierung denn ein durchsichtiger Schleier akzeptabel wäre.

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