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Ein Puppenheim

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Man könnte am Menschen ja manchmal verzweifeln. Im Großen (Weltkriege, Völkermord, Klimakatastrophe...), aber ebenso im Kleinen - man denke nur mal an die eigene Familie. Der Schweizer Filmkünstler Peter Liechti hat genau das getan, mit Lupe und Fernglas zugleich auf seine Eltern geschaut, auf ihre Ehe und die Beziehung zu ihren Kindern. Ein grimmig-komischer Dokumentarfilm ist daraus entstanden, über zwei Menschen, die nicht zueinander passen, aber dennoch seit 62 Jahren verheiratet sind. Die auch zu ihrem Sohn Peter, dem Filmemacher, der nun auch schon über sechzig ist, nicht gepasst haben - wie sehr sich die drei aneinander abgearbeitet haben, lässt der Film erahnen.



Peter Liechti lässt seine Eltern in einem Puppenspiel als Hasen auftreten.

Um mit den Eltern und dem, was sie sagen, überhaupt umgehen zu können, hat Liechti einen großartigen Kunstgriff gewählt. Er lässt Vater und Mutter als Hasen-Stabpuppen auftreten; Synchronsprecher sprechen das, was die Eltern auf Schweizerdeutsch gesagt haben, hochdeutsch nach. Da stehen also Papa Hase im frisch gebügelten Hemd und Mama Hase mit Küchenschürze und erzählen aus ihrem Leben: von Träumen, Depressionen, vom Glauben, von den Schwierigkeiten, die sie miteinander haben, und der großen Distanz zu ihrem rebellischen Sohn. Die Worte schweben druckreif, wie vorformuliert von der Puppenbühne oder begleiten aus dem Off diverse Alltagsszenen. Das Allerprivateste wirkt so gleichzeitig exemplarisch, weist über die individuellen Lebensläufe und Befindlichkeiten weit hinaus.

Was für ein Aufruhr das Erzählte beim Sohn auslöst, verrät die immer wieder wild zuckende Musik, die Liechti wie einen Kommentar über die Szenen legt. Und auch die Puppe, die der Regisseur als Stellvertreter für sich selbst gewählt hat, ist bezeichnend: Es ist ein verzweifelter Kasperl, der kahlköpfig vor den Hasenpuppen herumzappelt, oder den Kopf immer und immer wieder gegen ein Stehpult haut.

Manchmal geraten die Bilder - meist wenig spektakuläre Aufnahmen vom (realen) Alltag der Senioren - fast außer Kontrolle: Da brennt etwa eine Zypresse flammend grün vor dem herbstlich roten Schrebergarten des Vaters in den Himmel wie in einem surrealistischen Gemälde, oder die Träume der Eltern werden mit wackeliger Handkamera illustriert, die sich in einem schmalen Lichtkegel durchs Dunkle tastet wie bei Unterwasseraufnahmen. Dass in Liechtis Filmen das Reale und das Fantastische keine Widersprüche sind, konnte man schon in seinem Filmessay "Das Summen der Insekten" (2009) sehen, der - aus der Perspektive des Verstorbenen! - von einem Selbstmord durch Verhungern erzählt. Dass Liechti nicht zimperlich ist, bewies das mit einem Europäischen Filmpreis ausgezeichneten Werk ebenfalls.

Auch "Vaters Garten" kehrt das Innerste der Figuren nach außen, und was da zum Vorschein kommt, wirkt irgendwie typisch für die Schweiz. Wie ja schon die Hasenpuppen ein - gelungener - Versuch sind, nicht nur die Eltern zu charakterisieren, sondern darüber hinaus eine Grundhaltung, die womöglich eine ganze Generation kennzeichnet. Einer der erschreckendsten Momente des Films ist die Erzählung des Vaters über seinen Wehrdienst während des Zweiten Weltkriegs, als er an der Grenze "die Fremden" davon abhalten musste, in die Schweiz zu gelangen. Ob er von den Konzentrationslagern gewusst hätte, fragt der Sohn. Der Vater bejaht - und ist froh über die Uniform, die er damals trug, die ihm das Handeln erleichtert hätte.

Es sind aber nicht nur die Angsthasen und Hasenherzen, die einem in den Sinn kommen beim Anblick der (hervorragend geführten) Stabpuppen. Wie deren Hasenschnauzen zittern, die Ohren beben, das ganze Gesicht in Bewegung ist, zeugt von der Empfindsamkeit und dem Charakter der Tiere. Über den Umweg des Spiels vermittelt sich die große Zärtlichkeit, die der Sohn trotz allem für die Eltern empfindet. Diese haben kleine Leben geführt, in die der Film ein wenig Einblick gewährt - Liechti macht großes (Hasen)theater daraus.

Vaters Garten - Die Liebe meiner Eltern, Schweiz 2013 - Regie, Buch, Kamera: Peter Liechti. Schnitt: Tania Stöckli. Verleih: Salzgeber, 93 Minuten.

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