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Königreich der Sklaverei

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Nach der Enthüllung des spektakulärsten Falles moderner Sklaverei in der jüngeren britischen Geschichte werden im Land vor allen Dingen zwei Fragen gestellt. Erstens: Was genau ist den drei Frauen widerfahren, die 30 Jahre lang gegen ihren Willen im Süden Londons gefangen gehalten wurden? Zweitens: Könnte es sein, dass es im Vereinigten Königreich noch viel mehr Menschen gibt, die als Haussklaven und Zwangsarbeiter leben müssen? Das zumindest legen Mitarbeiter verschiedener Hilfsorganisationen nahe.



Antworten kann Scotland Yard noch keine geben. Auch nicht auf die Frage, warum die mutmaßlichen Täter bereits wieder in Freiheit sind.

Am Freitagnachmittag äußerten sich Ermittler von Scotland Yard erneut zu dem erschütternden und in Teilen rätselhaften Fall. Die Angaben der Polizisten brachten jedoch wenig Licht ins Dunkel, sie warfen sogar eher neue Fragen auf.

Sicher ist bisher, dass eine 69 Jahre alte Frau aus Malaysia, eine 57 Jahre alte Irin und eine 30 Jahre alte Britin jahrzehntelang in einem Wohnhaus im Londoner Stadtteil Lambeth in Gefangenschaft gelebt haben. Den Angaben zufolge wurden sie von einem nicht-britischen Ehepaar festgehalten. Die 67 Jahre alten Eheleute sind am Donnerstag festgenommen und in der Nacht zum Freitag gegen Kaution bis Januar wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Zu den Gründen für die rasche Freilassung machte die Polizei keine Angaben. Dafür teilte sie am Freitag mit, dass das Paar in den Siebzigerjahren schon einmal verhaftet worden sei, ohne jedoch den Grund für die damalige Verhaftung zu nennen.

Unklar bleibt, wie die Frauen in die Fänge des Paares geraten sind. Besonders rätselhaft ist das im Fall der 30 Jahre alten Britin. Ist sie in dem Haus in Lambeth geboren worden? Wer sind ihre Eltern? Offenbar hatte die junge Frau in ihrem bisherigen Leben keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Alle drei Frauen werden als "zutiefst traumatisiert" beschrieben. Sie sind nun in Obhut der "Freedom Charity", die sich um Opfer von Zwangsehen und moderner Sklaverei kümmert.

Die Gründerin und Chefin von Freedom Charity, Aneeta Prem, berichtet, seit Donnerstag würden mehr und mehr Frauen bei der Organisation anrufen, die erzählen, in ähnlichen Zwangslagen leben zu müssen. Die Anrufer seien durch die Berichterstattung über die Befreiung der drei Frauen ermutigt worden. Unter Umständen könnten also in Kürze weitere, ähnlich gelagerte Fälle ans Licht kommen. Einem Bericht des "Zentrums für soziale Gerechtigkeit" zufolge leben mindestens 1100 Menschen in Großbritannien als Sklaven; sie würden in Privathaushalten, auf Farmen oder in Bordellen zur Arbeit gezwungen. Es gebe jedoch eine hohe Dunkelziffer. Die Hilfsorganisation "Walk Free Foundation" schätzt die Zahl der Menschen, die als Sklaven im Königreich leben, auf rund 4500.

Bei der Befreiung der drei Frauen spielten Aneeta Prem und ihre Organisation Freedom eine zentrale Rolle. Die Frauen hatten Prem öfter im Fernsehen gesehen und Vertrauen gefasst. Schließlich rief die 57 Jahre alte Irin im Oktober die Hotline von Freedom an. In mehreren Gesprächen gelang es, die Irin und die Britin am 25. Oktober zum Verlassen des Hauses zu bewegen. Die Frau aus Malaysia wurde anschließend von der Polizei gerettet. Dass es danach so lange bis zur Festnahme des Ehepaars dauerte, erklärte die Polizei damit, dass die traumatisierten Frauen mit äußerster Vorsicht befragt worden seien. Noch immer versuche man zu rekonstruieren, was genau geschehen sei.

Laut Scotland Yard sind die Frauen regelmäßig geschlagen worden. Nach bisherigen Erkenntnissen wurden sie nicht sexuell missbraucht. Sie hätten das Haus zum Wäscheaufhängen verlassen dürfen, die beiden älteren Frauen durften wohl unter Aufsicht hin und wieder einkaufen gehen. Offenbar hat eine der Frauen in der Gefangenschaft einen Schlaganfall erlitten; medizinische Behandlung wurde ihr verweigert. Die 30 Jahre alte Britin sei zudem ohne jegliche Bildung aufgewachsen. Die Er-mittler sagten am Freitag, die Frauen hätten in großer Angst und mit "unsichtbaren Handschellen" gelebt. Aneeta Prem sagte, den Frauen stehe nun eine "lange Reise" auf dem Weg in die Normalität bevor: "Wenn man sein ganzes Leben in Gefangenschaft verbracht hat, dann hat man keinen Begriff von Freiheit. Es wird ein schwieriger Prozess."

Die britische Regierung zeigte sich schockiert über den Fall. Bereits im September hatte sie die Einführung eines neuen Anti-Sklaverei-Gesetzes fürs kommende Jahr angekündigt - mehr als 200 Jahre, nachdem die Sklaverei im Vereinigten Königreich verboten worden ist.

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