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Erst Revolution und dann Ruhe

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Bayerns SPD hat nie recht begriffen, wie man die Volksseele richtig streichelt. Die CSU ist ihr da meist um Längen voraus

Ein Hang zur Anarchie liegt den Bayern durchaus im Blut, was allein schon der populäre Kult um die Wilderer belegt, die quasi das archetypische Rebellentum gegen die Obrigkeit verkörpern. Aufrührer, die von der Weltrevolution träumen, sind die Bayern freilich nie gewesen. Auch wenn das in jenem Volksstaat, den der Sozialist Kurt Eisner 1918 nach dem Sturz der Monarchie ausgerufen hat, sowie in der spinnerten Räterepublik von 1919 kurzzeitig so ausgesehen haben mag. 'Wenn sie eine Revolution machen, dann nur, damit sie hinterher wieder ihre Ruhe haben.' Mit diesen Worten erklärte der bayerische SPD-Spitzenkandidat Christian Ude vor einigen Tagen bei einer Wahlkampfrede in Pfaffenhofen den Stammescharakter seiner Landsleute, aber die Konsequenz aus dieser klugen Beobachtung hat wie immer einer aus der CSU gezogen.





Ministerpräsident Horst Seehofer zettelte im Wahlkampf stimmig zu Udes Theorie eine Maut-Debatte an, die mitten ins Herz der bayerischen Volksseele traf. Seehofer sagte das, was viele Menschen im Freistaat denken, denn gefühlte Ungerechtigkeit geht den Bayern gewaltig gegen den Strich, der Länderfinanzausgleich ebenso wie das Mautproblem. 'Wir müssen auf den Autobahnen im Ausland doch auch zahlen', lautet ein Standardargument am Stammtisch, 'also sollen das die Ausländer bei uns auch tun.' Die CSU reagiert auf so etwas mit variablen populistischen Botschaften, die SPD theoretisiert herum.

Die Maut-Geschichte belegt einmal mehr, warum die Sozialdemokratie in Bayern nicht auf die Füße kommt. Obwohl diese Abgabe für Ausländer schon wegen der europäischen Gesetzgebung illusorisch ist, hat Seehofer zumindest den Grant angestachelt, eine landestypische Stimmungslage, die im Gelehrtenjargon auch furor bavaricus genannt wird. Die CSU weiß dieses Gefühl geschickt und gut dosiert zu bedienen. 'A Hund is er scho!', ein solches Lob hört ein Christsozialer oft, ein Sozi nur selten. Den Mechanismus, wie man die Volksseele streichelt, hat die Bayern-SPD in gut 60 Oppositionsjahren nie begriffen, was sie dem Verdacht aussetzt, sie fremdle mit diesem Land bis in alle Ewigkeit. Bayern ist für die SPD eine Art politische Eigernordwand mit höchster Absturzgefahr, wie jetzt auch ihr populärster Bergführer Christian Ude einsehen musste. Auch ihm blieb im vergangenen Wahlkampf bloß die Erkenntnis der Fatalisten: Du hast keine Chance, also nütze sie.

Seit Jahren läuft die SPD in Bayern Gefahr, den Status einer Volkspartei zu verlieren. Nur noch jämmerliche 18,6 Prozent erreichte sie bei der Landtagswahl 2008, erschreckende 12,9 Prozent folgten bei der Europawahl 2009. Es ging nicht einmal dann aufwärts, als sich die CSU in monströsen Skandalen verhedderte, sei es das Landesbank-Desaster, die Verwandtenaffäre oder die Causa Mollath. Die SPD profitiert so gut wie nie von den Missetaten der CSU, auch weil sie gelegentlich selber schwarze Schafe in ihren Reihen hat. 'Wie der Herr, so "s Gscherr', sagt man in Bayern, was jede sozialdemokratische Hoffnung auf moralische Besserstellung beim Wähler unmöglich macht. Überhaupt kopiert die SPD die CSU im Guten wie im Bösen wohl allzu oft, beispielsweise in ihrem Straßenbaueifer, der sich bei SPD-Kommunalpolitikern bisweilen zum Fanatismus auswächst. Auf potenzielle Wähler, die ein bedächtiges Gegengewicht zur Wachstums-Politik der CSU suchen, wirkt eine solche Verbohrtheit meistens abschreckend.

Dass Sozialdemokraten das Herz der Bayern durchaus erwärmen können, zeigen die großen Städte, die von SPD-Leuten regiert werden. München, Nürnberg, Fürth und Würzburg sind fest in roter Hand, aufs Land färbt die Popularität der SPD-Oberbürgermeister jedoch nicht im Geringsten ab. Der als Münchner OB erfolgsverwöhnte Christian Ude machte die gleiche Erfahrung, die einen seiner Vorgänger, Hans-Jochen Vogel, schon 1974 deprimiert hatte. Das Volk liebt die SPD-Granden aus der Stadt, vertraut aber in der Landespolitik und im Abwehrkampf gegen Berlin und Brüssel doch lieber auf das Wilderer-Gen der CSU. Dies ahnend, blieb der SPD-Landesvorsitzende Florian Pronold im Wahlkampf so unsichtbar wie ein Gespenst, und auch diverse Funktionäre und Abgeordnete ließen Ude eiskalt im Stich.

Dabei hatte Ex-Kanzler Gerhard Schröder der Bayern-SPD einst vorgemacht, wie man Wähler mobilisiert. 1998 zog der Niedersachse als SPD-Kanzlerkandidat durch den Freistaat und füllte die Bierzelte. Es war, als weckte er die SPD aus dem Dornröschenschlaf. Schröders rhetorischer Feldzug durchs CSU-Land bescherte der SPD bei der Bundestagswahl vor 15Jahren in Bayern 34,4 Prozent der Stimmen.

Der Schröder-Hype entfachte allerdings keine Nachhaltigkeit, was auch an der desaströsen Organisationsstruktur der SPD auf dem Lande lag. So mancher Ortsverband siecht dahin wie die Reste eines sauren Lüngerls, die Stammwähler sterben aus, die sozialdemokratischen Milieus in den Städten erodieren und die Mitgliederzahl schrumpft und schrumpft. Längst hat die CSU der SPD den Rang als Partei der Arbeitnehmer abgelaufen. Der größte Mangel der Sozialdemokraten aber ist ihre fehlende bayerische Identität. Zwar wollte der rechte Parteiflügel schon in der Weimarer Republik eine folkloristische weiß-blaue Bayern-SPD etablieren und der konservativen Bayerischen Volkspartei Wähler streitig machen. Nur: Es gelang ebenso wenig wie später gegen die CSU.

Innerlich zerrieben, hatten es die Sozialdemokraten nach der Revolution von 1918/19 total verschlafen, die Einführung von Demokratie und Freiheitsrechten als Erfolg ihres jahrzehntelangen Kampfes gegen Ständegesellschaft und Monarchie politisch zu vermarkten. Stattdessen hatte sich im Volksgedächtnis das Treiben der ultralinken Spinner der Revolution eingebrannt. Fortan wurden auch die Sozialdemokraten schief angeschaut, ungeachtet ihrer mutigen Haltung im NS-Staat, etwa bei ihrer Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes der Nazis im Jahre 1933. 'Das ist ja ein Sozi, was willst denn von dem?', solche Sätze gehören zum Teil heute noch zu den Standardargumenten der Konservativen auf dem Land.

Nach dem Krieg hätte die SPD in Bayern trotzdem reüssieren können. Als der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner 1954 Ministerpräsident der Viererkoalition aus SPD, FDP, Bayernpartei und BHE wurde, leitete sein Kabinett den Umbau Bayerns vom Agrarstaat in eine Industrieregion ein. Ausgerechnet eine SPD-geführte Staatsregierung legte damit die Grundlagen für die spätere erfolgreiche CSU-Politik. Unter der Viererkoalition leistete sich Bayern als erstes Bundesland einen Forschungsreaktor, jenes Atom-Ei in Garching, das damals als Symbol für den Fortschritt schlechthin galt. Nur drei Jahre regierte die SPD, dann walzte die CSU die Viererkoalition mit allen lauteren und unlauteren Mitteln nieder. Bei 16 Landtagswahlen seit 1946 schaffte es somit nur Hoegner, die CSU auf die Oppositionsbank zu zwingen. Immerhin erzielte die SPD in den 60er Jahren Ergebnisse von mehr als 30 Prozent, was danach nur noch bei der Landtagswahl 1994 gelang. Seit 2003 dümpelt sie beständig unter der 20-Prozent-Marke herum.

Die Frage, warum die bayerische Sozialdemokratie ein Abonnement auf Wahlverluste und dauerhafte Erfolglosigkeit hat, beantwortete Christian Ude vor Jahren in der SZ mit einem originellen Ansatz. Er stellte die Frage, ob man die SPD letztendlich nicht doch als siegreiche Kraft sehen müsse, die den sozialen Forderungskatalog ihrer Gründerzeit längst durchgesetzt hat. Sie habe den Kampf um Bayerns Staatsform gegen die Monarchie gewonnen und auch den sozialdemokratischen Richtungsstreit um Klassenkampf oder Reformpolitik in ihrem Sinne entschieden, sodass sie 'die Mühsal der aktuellen Regierungsgeschäfte getrost anderen überlassen kann.' Wenigstens ihren Galgenhumor hat die Bayern-SPD nicht verloren.

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