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Eine unsichere Sache

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Das System lässt wählen und scheitert beinahe: Sobjanin bleibt Moskaus Bürgermeister


Es ging schon auf Mitternacht zu, als irgendjemand in der Moskauer Verwaltung entschied, nun sei es Zeit zu feiern. Die Wahlkommission hatte soeben 54Prozent für den amtierenden Bürgermeister gemeldet, nicht einmal ein Viertel der Auszählungsprotokolle war bearbeitet, aber die Tendenz schien klar: Sergej Sobjanin hatte im ersten Durchgang gewonnen. Nun musste er zu den Moskauern reden. Ganz hinten stellte sich der weißhaarige Mann auf die riesige Bühne am Bolotnaja-Platz, weit weg von den vielen Menschen da unten. "Danke, dass Ihr gekommen seid. Danke, dass Ihr mich unterstützt", rief er in ein Mikrofon. Und dann sagte er diesen Satz: "Noch stehen die Ergebnisse nicht fest. Aber ich bin sicher, am Ende gewinnen wir trotzdem!" Nach zwei Minuten suchte der Sieger wieder das Weite.



Putin-Kritiker Alexej Nawalny am 15.09.2012 auf einer Kundgebung in Moskau


Charisma und Volksnähe sind nicht die Disziplinen, in denen er punktet, das weiß Sobjanin selbst. Die sind eher das Metier von diesem anderen, dem Herausforderer, dessen Namen die staatlichen Fernsehsender nur nennen, wenn er vor Gericht steht oder wieder mal ein Ermittlungsverfahren gegen ihn läuft, den der Präsident nur "diesen Herrn" nennt, bei dem es immer Ärger gebe, wenn er irgendwo auftauche. Alexej Nawalny hat in den vergangenen Wochen eine Ochsentour durch die Stadt gemacht, drei Auftritte am Tag, Tausende Hände geschüttelt, mit den Menschen auf der Straße diskutieren. Was bleibt einem übrig, wenn man vom Fernsehen totgeschwiegen wird und niemand einem einen Veranstaltungssaal vermieten will?

Am Morgen nach der Wahl sieht es so aus, als habe Nawalny mit seiner Taktik Erfolg gehabt. Um 10 Uhr in der Früh verkündet die Wahlkommission das vorläufige amtliche Endergebnis: 51 Prozent für Sobjanin, 27 Prozent für Nawalny. Der Technokrat von Putins Gnaden ist damit nur haarscharf einer Stichwahl entkommen. Der Blogger und Anti-Korruptions-Aktivist triumphiert mit einem Ergebnis, das die Erwartungen um mehr als das doppelte übersteigt. Und er will das Ergebnis nicht anerkennen und fordert eine Stichwahl.

Als Krönungsfeier für seinen schärfsten Gegner hatte der Kreml die Wahl eigentlich nicht vorgesehen. Sie erschien zunächst wie eine sichere Sache: Wir lassen ein bisschen mehr Demokratie zu und die, die am lautesten danach schreien, fallen durch. Sobjanin hat in den drei Jahren seit seiner Einsetzung durch den Kreml vieles erreicht; den Moskauern gefällt, wie sich ihre Stadt entwickelt. Sobjanin hat die Autos und die Reklameschilder aus dem Zentrum verbannt, er lässt die Metro ausbauen und die Parks verschönern. So einer muss sogar in einem ehrlichen Wahlgang siegen.

Doch offenbar haben die Strategen in seinem Umfeld nicht bedacht, dass Sobjanins Wähler noch nicht an ehrliche Wahlen gewöhnt sind. Wenn sie nicht mehr im Kollektiv an die Urne geschickt werden, wenn keine Busse durch die Straßen fahren und die Rentner ins Wahllokal karren wie bei einer Kaffeefahrt, kleines Präsent inklusive, dann bleiben sie einfach Zuhause. Nur 32Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben. Darunter viele Junge, die Nawalny mit einem Wahlkampf im amerikanischen Stil mobilisiert hat: Über die sozialen Netzwerke, über die Aktivierung von Freunden, Eltern, Bekannten. Zehntausend Freiwillige waren als Beobachter in den Wahllokalen in der ganzen Stadt. Eine Bürgerwahlkommission hat parallel zur amtlichen die Auszählungsprotokolle ausgewertet - und ist auf ein Ergebnis unter 50 Prozent für Sobjanin gekommen.

Nawalny zählt eine ganze Reihe von Verstößen auf und fordert eine Stichwahl. Am Montagabend rief er seinerseits seine Anhänger auf, zum Bolotnaja-Platz zu kommen. "Wir wollen Ruhe in Moskau", erklärte Nawalny vorher. Aber: "Wir lassen uns nicht eine einzige unserer Stimmen wegnehmen."

Auch Experten, die den Kreml von innen kennen, zweifeln an dem Ergebnis. Der Politologe Gleb Pawlowski, einst selbst Berater Putins, bestätigte zwar auch, dass die Wahl in Moskau vergleichsweise sauber abgelaufen sei. Auf die Frage, ob der Kreml wohl die echten Ergebnisse verkünden würde, wenn Sobjanin knapp unter 50 Prozent liege, sagte er: "Das wäre der Moment der Wahrheit für unser System. Ist es schon zu diesem Schritt bereit? Ich glaube nicht."

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