Die 26-jährige Israelin Shani Boianjiu hat einen Roman über den Militärdienst in ihrem Land geschrieben. "Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst" begleitet drei Mädchen durch diese Zeit, in der Langeweile und Gewalt auf das Erwachsenwerden prallen. Das ist ziemlich frustrierend - aber großartig erzählt.
Für Yael fallen ein wichtiger Augenblick der Selbstfindung und der Beginn des Zweiten Libanonkrieges im Juli 2006 beinahe zusammen: „Dreizehn Tage vor Kriegsausbruch wurde ich plötzlich schön.“ Ein Satz, der klarer nicht sein könnte und einen trotzdem vollkommen ratlos zurücklässt, weil er den Krieg und die Schönheit in einen Zusammenhang stellt, den es eigentlich nicht geben kann. Für Yael und ihre Freundinnen Avishag und Lea aber gibt es ihn. Denn seit die drei Mädchen aus einem israelischen Dorf an der Grenze zum Libanon nach dem Abitur ihren Wehrdienst ableisten müssen, sind die Grausamkeit und die Langeweile des Militärs unmittelbar mit den Höhen und Tiefen ihres Erwachsenwerdens verwoben. Davon erzählt Shani Boianjius Debütroman „Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst“, der diesen Dienstag in deutscher Übersetzung bei Kiwi erscheint.
Shani Boianjiu weiß, wovon sie schreibt. 1987 wurde sie in Jerusalem geboren, wuchs in einem Dorf an der libanesischen Grenze auf und absolvierte den in Israel auch für Frauen verpflichtenden rund zweijährigen Militärdienst. Anschließend studierte sie in Harvard, veröffentlichte Kurzgeschichten in der „New York Times“ und dem „New Yorker“ und wurde 2011 von der „National Book Foundation“ unter die besten Autoren unter 35 Jahren gewählt.
Die Autorin Shani Boianjiu hat selbst den Militärdienst in Israel geleistet
Nun erscheint Shani Boianjius Debütroman in insgesamt 19 Ländern. Zum einen ist es ein ehrliches Buch, das Israel in keiner Weise schont. Das Land ist in den Augen der in den Achtzigern geborenen Mädchen nicht mehr die Zuflucht für die zerstreute Diaspora, es ist vor allem ein Land im Nahost-Konflikt, der sich tief in die eigene Lebensgeschichte gräbt. Zum anderen ist es ein wirklich gutes Buch. Boianjiu kann erzählen. Aus ihrem Ton spricht mal die gesamte Langweile und Frustration ihrer Generation, mal das Staunen oder die schiere Panik vor den Dingen, die da vor sich gehen. Aber nie ist er überladen oder kitschig, sondern stets schlank und präzise. Man will gar nicht mehr aufhören zu lesen, weil sich das Gefühl, gerade etwas verstanden zu haben vom Leben der jungen Israelis, mit jedem Satz steigert.
Eigentlich müsste dieser Roman gar kein Roman sein. Die einzelnen Kapitel sind oft in sich geschlossene Episoden, die ohne das Vorher und das Nachher funktionieren. Vielleicht ist das gewollt, vielleicht ist es auch eine Form, die einer Debütantin, die bisher vor allem Kurztexte geschrieben hat, leichter fällt. In jedem Fall aber stört es nicht. Der ständige Perspektivenwechsel zwischen der kühlen Yael, die (wie Boianjiu selbst) im Militär als Waffenausbilderin eingesetzt wird, der sensiblen Avishag, die sich nichts mehr wünscht, als sich endlich das Leid von der Seele reden zu können, und der bissigen Lea, die den Wehrdienst in ihrer Fantasiewelt übersteht, macht das Buch abwechslungsreich. Zwischendurch mischt sich die Stimme eines auktorialen Erzählers ein und eine weitere Perspektive führt uns zu einem sudanesischen Flüchtlingsmädchen. Am Ende glaubt man, keine der drei Protagonistinnen richtig kennengelernt zu haben – aber nicht, weil die Autorin keine Figuren konstruieren kann, sondern weil diese sich selbst noch nicht gefunden haben. Weil sie zwischen ihrer verlorenen Jugend in dem winzigen Dorf, der harten Zeit beim Militär und der ungewissen Zukunft umhergeschleudert werden.
Dass die Mädchen unter erschwerten Bedingungen erwachsen werden, erkennt man sofort. Die erste Szene zeigt sie in der kleinen Dorfschule, ihr Klassenzimmer ist ein Container. Sie lernen die Geschichte Israels, sie lernen etwas über die „Panzerfaust-Kinder“, die zu zweit die Waffe halten mussten, sodass das hintere Kind beim Rückstoß Feuer fing und das vordere ebenfalls verbrannte, weil es versuchte, das hintere zu löschen. Kurz darauf sagt Yael in bester angepisster Jugendlichen-Manier: „Ich sterbe. Wir müssen heute eine Party machen.“ Die Mädchen arrangieren sich mit der Situation, sie müssen ja. Sie laufen mangels Handyempfang im Dorf den ganzen Weg bis zum Sendemast, sie schauen amerikanische Serien im Fernsehen, sie lieben die Jungs, die da sind. Yaels große Liebe ist Avishags Bruder Dan. Er ist die erste Berührung der Mädchen mit dem Militär.
Dans Schicksal steht wohl für viele traumatisierte Soldaten. Und es steht für ein mögliches Schicksal der Freundinnen. Dan hat seinen Wehrdienst schon abgeleistet. Seitdem zeichnet er Militärstiefel, die ganze Küchenwand voll, und noch bevor die Mädchen eingezogen werden, schießt er sich eine Kugel in den Kopf. Unter diesem Stern steht ihre Zukunft. Sie ist zermürbend. Der Wehrdienst besteht zu einem großen Teil aus sinnlosen Wachschichten, „warten, warten, warten. Dann im Container acht Stunden unruhiger Schlaf, während dem ich mich fragte, worauf ich die vielen Stunden eigentlich gewartet hatte. Und wieder von vorn.“ Er besteht aber auch aus Absurditäten, wie der Demonstration einiger Palästinenser gegen die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. „Könnten Sie uns vielleicht versprengen, für einen Zeitungsbericht oder so was?“, bittet einer der Demonstranten die am Checkpoint stationierte Lea. Und er besteht aus unfassbaren Grausamkeiten, aus Morden an Soldaten oder kleinen Jungs und aus Szenen der Flucht an der Grenze, in denen Menschen in Stacheldrahtzäunen verenden oder zwölf Frauen in einem winzigen Laster in ihren eigenen Fäkalien sitzen. Die Soldatinnen versuchen, all das irgendwie zu überstehen, zum Beispiel, indem sie sich aus gefrorenen Infusionsbeuteln Eiswasser in die Venen leiten, nackt auf dem Wachturm sonnen oder Rekruten verführen. Sie haben die Hoffnung, dass diese Zeit spurlos an ihnen vorbeigeht: „Diese zwei Daten, die Tage an den beiden Enden ihrer Dienstzeit. Was auch immer sich zwischen diesen beiden Tagen abspielte, war Dekoration und Luft und würde nicht beeinflussen, was mal aus ihr werden würde.“
Aber Dans Schicksal hat zuvor schon bewiesen, dass das nicht stimmt. Die Mädchen kehren noch einmal heim, bevor sie in die weite Welt reisen, bevor sie studieren und anfangen, wirklich zu leben. Aber der Militärdienst ist nicht einfach so vorbei. An ihren Checkpoints hatten sie Heimweh – daheim haben sie es immer noch, „das Gefühl ging nicht weg.“ Sie sind Verlorene. Dans Schwester Avishag zum Beispiel fällt in ein tiefes Loch: „Sie wusste, dass sie ihr ganzes Leben lang traurig sein würde, ihr ganzes Leben lang.“ Das ist das Gefühl, mit dem Shani Boianjiu ihre Leser zurücklässt: tiefe Traurigkeit, absolute Hoffnungslosigkeit. Aber dann eben auch großes Glück über dieses unglaublich große Erzähltalent, von dem man gar nicht genug bekommen kann.
Shani Boianjiu: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst. Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Ulrich Blumenbach. Kiepenheuer&Witsch 2013. 336 Seiten, 19,99 Euro.
Für Yael fallen ein wichtiger Augenblick der Selbstfindung und der Beginn des Zweiten Libanonkrieges im Juli 2006 beinahe zusammen: „Dreizehn Tage vor Kriegsausbruch wurde ich plötzlich schön.“ Ein Satz, der klarer nicht sein könnte und einen trotzdem vollkommen ratlos zurücklässt, weil er den Krieg und die Schönheit in einen Zusammenhang stellt, den es eigentlich nicht geben kann. Für Yael und ihre Freundinnen Avishag und Lea aber gibt es ihn. Denn seit die drei Mädchen aus einem israelischen Dorf an der Grenze zum Libanon nach dem Abitur ihren Wehrdienst ableisten müssen, sind die Grausamkeit und die Langeweile des Militärs unmittelbar mit den Höhen und Tiefen ihres Erwachsenwerdens verwoben. Davon erzählt Shani Boianjius Debütroman „Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst“, der diesen Dienstag in deutscher Übersetzung bei Kiwi erscheint.
Shani Boianjiu weiß, wovon sie schreibt. 1987 wurde sie in Jerusalem geboren, wuchs in einem Dorf an der libanesischen Grenze auf und absolvierte den in Israel auch für Frauen verpflichtenden rund zweijährigen Militärdienst. Anschließend studierte sie in Harvard, veröffentlichte Kurzgeschichten in der „New York Times“ und dem „New Yorker“ und wurde 2011 von der „National Book Foundation“ unter die besten Autoren unter 35 Jahren gewählt.
Die Autorin Shani Boianjiu hat selbst den Militärdienst in Israel geleistet
Nun erscheint Shani Boianjius Debütroman in insgesamt 19 Ländern. Zum einen ist es ein ehrliches Buch, das Israel in keiner Weise schont. Das Land ist in den Augen der in den Achtzigern geborenen Mädchen nicht mehr die Zuflucht für die zerstreute Diaspora, es ist vor allem ein Land im Nahost-Konflikt, der sich tief in die eigene Lebensgeschichte gräbt. Zum anderen ist es ein wirklich gutes Buch. Boianjiu kann erzählen. Aus ihrem Ton spricht mal die gesamte Langweile und Frustration ihrer Generation, mal das Staunen oder die schiere Panik vor den Dingen, die da vor sich gehen. Aber nie ist er überladen oder kitschig, sondern stets schlank und präzise. Man will gar nicht mehr aufhören zu lesen, weil sich das Gefühl, gerade etwas verstanden zu haben vom Leben der jungen Israelis, mit jedem Satz steigert.
Eigentlich müsste dieser Roman gar kein Roman sein. Die einzelnen Kapitel sind oft in sich geschlossene Episoden, die ohne das Vorher und das Nachher funktionieren. Vielleicht ist das gewollt, vielleicht ist es auch eine Form, die einer Debütantin, die bisher vor allem Kurztexte geschrieben hat, leichter fällt. In jedem Fall aber stört es nicht. Der ständige Perspektivenwechsel zwischen der kühlen Yael, die (wie Boianjiu selbst) im Militär als Waffenausbilderin eingesetzt wird, der sensiblen Avishag, die sich nichts mehr wünscht, als sich endlich das Leid von der Seele reden zu können, und der bissigen Lea, die den Wehrdienst in ihrer Fantasiewelt übersteht, macht das Buch abwechslungsreich. Zwischendurch mischt sich die Stimme eines auktorialen Erzählers ein und eine weitere Perspektive führt uns zu einem sudanesischen Flüchtlingsmädchen. Am Ende glaubt man, keine der drei Protagonistinnen richtig kennengelernt zu haben – aber nicht, weil die Autorin keine Figuren konstruieren kann, sondern weil diese sich selbst noch nicht gefunden haben. Weil sie zwischen ihrer verlorenen Jugend in dem winzigen Dorf, der harten Zeit beim Militär und der ungewissen Zukunft umhergeschleudert werden.
Dass die Mädchen unter erschwerten Bedingungen erwachsen werden, erkennt man sofort. Die erste Szene zeigt sie in der kleinen Dorfschule, ihr Klassenzimmer ist ein Container. Sie lernen die Geschichte Israels, sie lernen etwas über die „Panzerfaust-Kinder“, die zu zweit die Waffe halten mussten, sodass das hintere Kind beim Rückstoß Feuer fing und das vordere ebenfalls verbrannte, weil es versuchte, das hintere zu löschen. Kurz darauf sagt Yael in bester angepisster Jugendlichen-Manier: „Ich sterbe. Wir müssen heute eine Party machen.“ Die Mädchen arrangieren sich mit der Situation, sie müssen ja. Sie laufen mangels Handyempfang im Dorf den ganzen Weg bis zum Sendemast, sie schauen amerikanische Serien im Fernsehen, sie lieben die Jungs, die da sind. Yaels große Liebe ist Avishags Bruder Dan. Er ist die erste Berührung der Mädchen mit dem Militär.
Dans Schicksal steht wohl für viele traumatisierte Soldaten. Und es steht für ein mögliches Schicksal der Freundinnen. Dan hat seinen Wehrdienst schon abgeleistet. Seitdem zeichnet er Militärstiefel, die ganze Küchenwand voll, und noch bevor die Mädchen eingezogen werden, schießt er sich eine Kugel in den Kopf. Unter diesem Stern steht ihre Zukunft. Sie ist zermürbend. Der Wehrdienst besteht zu einem großen Teil aus sinnlosen Wachschichten, „warten, warten, warten. Dann im Container acht Stunden unruhiger Schlaf, während dem ich mich fragte, worauf ich die vielen Stunden eigentlich gewartet hatte. Und wieder von vorn.“ Er besteht aber auch aus Absurditäten, wie der Demonstration einiger Palästinenser gegen die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. „Könnten Sie uns vielleicht versprengen, für einen Zeitungsbericht oder so was?“, bittet einer der Demonstranten die am Checkpoint stationierte Lea. Und er besteht aus unfassbaren Grausamkeiten, aus Morden an Soldaten oder kleinen Jungs und aus Szenen der Flucht an der Grenze, in denen Menschen in Stacheldrahtzäunen verenden oder zwölf Frauen in einem winzigen Laster in ihren eigenen Fäkalien sitzen. Die Soldatinnen versuchen, all das irgendwie zu überstehen, zum Beispiel, indem sie sich aus gefrorenen Infusionsbeuteln Eiswasser in die Venen leiten, nackt auf dem Wachturm sonnen oder Rekruten verführen. Sie haben die Hoffnung, dass diese Zeit spurlos an ihnen vorbeigeht: „Diese zwei Daten, die Tage an den beiden Enden ihrer Dienstzeit. Was auch immer sich zwischen diesen beiden Tagen abspielte, war Dekoration und Luft und würde nicht beeinflussen, was mal aus ihr werden würde.“
Aber Dans Schicksal hat zuvor schon bewiesen, dass das nicht stimmt. Die Mädchen kehren noch einmal heim, bevor sie in die weite Welt reisen, bevor sie studieren und anfangen, wirklich zu leben. Aber der Militärdienst ist nicht einfach so vorbei. An ihren Checkpoints hatten sie Heimweh – daheim haben sie es immer noch, „das Gefühl ging nicht weg.“ Sie sind Verlorene. Dans Schwester Avishag zum Beispiel fällt in ein tiefes Loch: „Sie wusste, dass sie ihr ganzes Leben lang traurig sein würde, ihr ganzes Leben lang.“ Das ist das Gefühl, mit dem Shani Boianjiu ihre Leser zurücklässt: tiefe Traurigkeit, absolute Hoffnungslosigkeit. Aber dann eben auch großes Glück über dieses unglaublich große Erzähltalent, von dem man gar nicht genug bekommen kann.
Shani Boianjiu: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst. Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Ulrich Blumenbach. Kiepenheuer&Witsch 2013. 336 Seiten, 19,99 Euro.