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"Papa, warum hat die nackte Frau keinen Kopf?"

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Heute wurde in Berlin von der Organisation "Pinkstinks" eine Petition "gegen sexuelle Verfügbarkeit in Außenwerbung" an den deutschen Werberat überreicht. Am Sonntag trafen sich die Aktivistinnen vor dem Brandenburger Tor zur Demonstration. Ein Ortsbesuch.

„Wann jeht das denn hier jetz' weiter?“, fragt die ältere Dame und schaut frustriert auf den Flyer in ihrer Hand, als sei er das aktuelle Theaterprogramm. Die Demo zum Weltfriedenstag gegen einen US-Einsatz in Syrien ist mittlerweile durch das Brandenburger Tor gezogen, ein paar Meter weiter fordern andere Demonstranten mehr Aufmerksamkeit für den Irak. „Pinkstinks. Gegen sexuelle Verfügbarkeit in der Außenwerbung: Kinderschutz jetzt!“ steht auf dem Flyer der Dame, darauf ist eine großbrüstige und -lippige Frau abgebildet, die so aussieht, als wolle sie gleich an einer Axe-Deodose lutschen.

Ein paar Meter weiter, mitten auf dem Pariser Platz, hämmern derweil Handwerker im leichten Nieselregen eine Bühne zusammen. Wegen der Vorgängerdemos hat sich der Zeitplan für die weltweit erste Demonstration gegen sexualisierte Werbung verschoben, dabei stehen bereits einige hundert Aktivisten vor dem Brandenburger Tor. „I'm not a fucking Barbie“ steht auf einem Jutebeutel, andere Plakate werben mit dem Hashtag #ichkaufdasnicht dafür, keine Produkte mehr zu konsumieren, die sexistisch beworben werden.



Zwischen den Demonstranten schlängelt sich Stevie Schmiedel in ihrem knallgelben Regenmantel hindurch. Stevie ist die Gründerin von „Pinkstinks“ und Organisatorin der Demo. „Der Name ist natürlich eine Provokation. Es geht uns überhaupt nicht darum, Pink als Farbe zu verbieten. Pink ist eine tolle Farbe“, sagt Stevie und zeigt auf das rosa Kleid unter ihrem Regenmantel. „Aber Pink darf halt nicht immer zu Geschlechterklischees führen. Jeder muss frei entscheiden dürfen, was er tragen will, wie er leben will - ohne äußere Zwänge“, sagt Stevie. Insbesondere in der Werbung wird allerdings aus ihrer Sicht ein ganz anderes Bild propagiert. „Da sind Frauen immer diejenigen, die begehren begehrt zu werden. Die sich also offenherzig anziehen, superschlank sind und erotisch gucken. Männer begehren hingegen. Die werden nicht unterwürdig dargestellt“ Ihre Beispiele kennt man von den Plakatwänden jeder beliebigen Stadt: Während Heidi Klum ihre Sendung „Germany's Next Topmodel“ nur in eine Deutschlandflagge gehüllt bewarb, regelt in der Axe-Werbung "ein Astronaut den Verkehr". Beschwerden über derart sexistische Werbung nimmt der Werberat, das moralische Gremium für Werbung in Deutschland, aus Sicht von Stevie allerdings nicht ernst genug: „Meistens wird dann argumentiert, das Ganze sei doch klar ironisch gemeint. Mit einem Augenzwinkern“, erklärt Stevie. Und hier setzt ihre Idee an: Mit Unterstützung anderer Gruppen wie „Terre des femmes“, den Aktivistinnen von #aufschrei und vielen weiteren hat sie eine Petition ins Leben gerufen, die den deutschen Werberat auffordert, auch Kinder als Konsumenten von Werbung anzuerkennen. Denn selbst wenn Plakate oder Spots von Erwachsenen vielleicht noch wohlwollend als ironisch abgehakt werden – wie sollen Kinder, deren Fähigkeit Ironie zu erkennen frühstens mit der Schule einsetzt, das verstehen?



Der Journalist Nils Pickert kennt dieses Problem aus seinem Alltag. Er steht am Rande der Demo, trägt Turnschuhe und einen pinken Schal mit silbernen Streifen. Seine achtjährige Tochter hat ihn neulich gefragt, warum auf einem Werbeplakat eine nackte Frau ohne Kopf abgebildet war. „Wie erklärt man das?“, fragt Nils und guckt ratlos. Es ginge ihm überhaupt nicht darum, Frauen erotische Kleidung verbieten wollen. „Jeder soll sich anziehen wie er möchte! Aber wenn Frauen offensichtlich herabwürdigend dargestellt werden, muss es doch Grenzen geben“, sagt Nils. Dass er tatsächlich sonst ein eher aufgeschlossener Typ ist, hat er bereits 2012 bewiesen. Damals erschien von ihm ein anrührender Artikel in der Frauenzeitschrift Emma, in dem er erzählt, dass sein kleiner Sohn gerne Kleider und Röcke trägt – und wie er als Vater damit schließlich auch angefangen hat, damit das Kind sich mit seiner Haltung nicht abgelehnt fühlt. Seine Tochter will nun einen knappen Bikini haben, wie die Frauen aus der Werbung. „Für sie ist es nicht mehr cool, dass sie das bronzene Schwimmabzeichen hat oder sich traut, vom Dreimeterbrett zu springen. Und klar, sie kann auch so einen Bikini tragen, wenn sie das möchte. Aber müssen wir Frauen wirklich so in ihrer Rolle limitieren?“, fragt Nils. Deshalb engagiert auch er sich bei Pinkstinks. Eine Juristin erarbeitet dort gerade, wie die zukünftigen Grenzen der Werbung aussehen sollen, möglichst ohne dass direkt jemand „Zensur!“ ruft. Ein schwieriges Unterfangen. Denn ab wann ein Mensch nur erotisch dargestellt- oder bereits herabgewürdigt wird, ist immer wieder ein Streitthema.
Das merkt auch der Werberat: Nach Aussage von Pinkstinks betreffen die Hälfte der Beschwerden beim Werberat Sexismus, öffentlich gerügt werden deshalb jährlich aber nur eine gute handvoll Kampagnen. Diese werden dann zwar meistens sofort gestoppt, aber ähnlich wie beim Presserat hat eine Rüge keine rechtlichen Verpflichtungen. „So haben die Werber den Sexismus-Springteufel weiterhin ständig in der Tasche – nackte Frauen sind halt effektiver als angezogene, um etwas zu bewerben“, sagt Nils. Das aus der Werbeindustrie vorgetragene Argument, man sei auf einem guten Weg, die Werbung sei früher doch viel sexistischer gewesen, bügelt Nils ab: „Das ist doch, wie wenn man in Deutschland nicht sagen dürfte, dass einem kalt ist – nur weil am Nordpol noch mehr Menschen frieren.“

Mittlerweile ist die Bühne auf dem Pariser Platz fertig aufgebaut. Am Ton hakt es noch, also ruft Stevie Schmiedel durch ein Megafon der Menge zu. Sie lobt die bisherigen Erfolge von Pinkstinks – unter anderem hatten ihre Aktionen dazu geführt, dass Ferrero das „Mädchen Überraschungsei“ nicht mehr mit halbnackten Feen bewirbt, die Bahn änderte ihren Slogan „Vati ist der Beste und Mutti die Schönste“ in „Vati ist der Beste und Mutti ist die Beste“. Tausend Menschen hatten sich via Facebook zu der Demo angemeldet, 400 sind auch gekommen. Mitglieder der Linksjugend verteilen Butterkekse auf denen „Riots not diets“ steht, andere verschenken Urinellas, damit auch Mädchen im Stehen pinkeln können. Dazwischen stehen vor allem junge Frauen zwischen 18 und 30, viele mit Kindern. Um die geht es hier ja auch hauptsächlich. Stevie spricht auf der Bühne von durch die Werbung vermittelten falschen Schönheitsidealen, laut einer WHO-Studie finden sich 53 Prozent der 16- bis 17-jährigen Mädchen zu dick oder hässlich – dabei ist die Hälfte von ihnen normalgewichtig. Danach gibt es Musik, die feministische Rapperin Sookee, Bernadette La Hengst und Dirk von Lowtzow von Tocotronic kommen zu Wort. Miriam und Georg stehen im Publikum und wippen zur Musik. Beide sind Anfang 20, von der Demo haben sie über Freunde gehört. Ob das alles allerdings wirklich was bringt, bezweifeln beide. "Es kann natürlich nicht angehen, dass Frauen in der Werbung immer kochen oder T-Shirts tragen sollen, auf denen "In Mathe bin ich Deko" steht. Und die Demo ist da ein guter Anfang. Aber ob sich wegen einer Petition wirklich was ändert?", sagt Miriam. Unterschrieben haben sie trotzdem.



Am Montagmorgen überreichen die Aktivistinnen von Pinkstinks ihre Petition an den deutschen Werberat. Knapp 16.000 Unterschriften haben sie zusammenbekommen. In der anschließenden Pressemitteilung schreibt der Werberat: "Der intensive Dialog darüber, was für die Gesellschaft sexistische Werbung ist und was nicht, ist dem Werberat überaus wichtig. Auch beim Austausch der Meinungen dazu gilt: Vielfalt ist schön. Doch einseitige Interpretationen und das Ausblenden von vielleicht unerwünschten Fakten helfen nicht weiter." Des Weiteren sehe auch keine Partei aus dem Bundestag Anlass für das Verbot geschlechterdiskriminierender Werbung. Es klingt ein bisschen so, als sollten Miriam und Georg Recht behalten.

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