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Lauter Rassisten im Schrank

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David Goodharts Buch 'The British Dream' und die Debatte um die Immigration in England

Der britische Premier David Cameron hat es derzeit nicht leicht. Außenpolitisch muss er sich von der Labour-Opposition und Rebellen in der eigenen Partei einen Militäreinsatz in Syrien verbieten lassen. Innenpolitisch treibt ihn die rechtspopulistische 'UK Independence Party' (Ukip) vor sich her. Und das, obwohl sie alles dafür tut, einer Beurteilung des damaligen konservativen Oppositionsführers Cameron von 2006 gerecht zu werden, Ukip rekrutiere sich vornehmlich aus 'fruitcakes and closet racists' - Verrückten und heimlichen Rassisten.




Ukip Parteichef Nigel Farage

Der Ausstieg aus der EU ist das eine große Ukip-Thema. Das andere ist Einwanderung - oder, wie Farage ausnahmslos formuliert, die 'ungebremste Einwanderung'. Tatsächlich aber berichten britische Politiker jeder Couleur: nicht die Wirtschaft, nicht militärische Interventionen in Nahost, nein, die Immigration sei bei ihren Wählern das meistdiskutierte Thema. Cameron hat hartes Durchgreifen signalisiert. Seine 'Immigration Bill', die er kommenden Monat vorlegen will, sieht unter anderem vor, dass Vermieter und Arbeitgeber künftig Rechenschaft über den Visa-Status ihrer Mieter und Angestellten ablegen müssen. Kriminelle Ausländer sollen leichter abgeschoben werden können. Der Gesetzesentwurf will auch den Zugang von Einwanderern zu Gesundheitsversorgung, Rechtshilfe und Arbeitslosengeld einschränken.

Immer noch gibt es jedoch viele, die finden, die Pläne der Regierung gingen nicht weit genug. Einer davon ist David Goodhart. Seine jüngst in der Times veröffentlichten Forderungen lauten: Ausbildungsplätze seien für britische Lehrlinge zu reservieren. Auch sollten alle EU-Länder, deren Beschäftigungsquote unter 75 Prozent des europäischen Durchschnitts liege, vom gesamteuropäischen Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. So werde der 'Export von Arbeitslosigkeit' verhindert.

David Goodhart ist alles andere als ein gestandener Rechtspopulist. Er rechnet sich selbst der 'linksliberalen Nord-Londoner Elite' zu, war früher Korrespondent der Financial Times und ist jetzt Leiter des nominell linksliberalen Thinktanks 'Demos'. Gerade deshalb ist es bemerkenswert, dass er derzeit als einer der entschiedensten Gegner britischer Immigrationspolitik auftritt. Sein im April erschienenes Buch 'The British Dream' (Atlantic Books) ist eine Abrechnung mit dem seiner Meinung nach gescheiterten britischen Einwanderungsmodell nach dem Zweiten Weltkrieg. Der große Skandal, der Sarrazin-Effekt blieb jedoch aus, weil 'The British Dream' insgesamt ein ausgewogeneres Buch ist als 'Deutschland schafft sich ab'. Aber es lohnt sich, vor der Verabschiedung der 'Immigration Bill' noch einmal einen Blick auf Goodharts Thesen zu werfen, wenn man den Rechtsruck verstehen will, der sich in der britischen Einwanderungs-Debatte vollzogen hat.

Grob gesprochen, behandelt 'The British Dream' drei Themenkomplexe: Den destabilisierenden Einfluss von Einwanderung auf die sozialstaatliche Solidarität, den nach Goodharts Ansicht katastrophalen gesamtgesellschaftlichen Effekt des sogenannten 'Laisser-faire-Multikulturalismus', sowie die zutiefst unterschiedliche Wahrnehmung der Effekte von Immigration bei den 'Eliten' einerseits und beim 'Mann auf der Straße' andererseits.

'Das wirkliche Versagen in der Nachkriegszeit', so David Goodhart, 'war es, den Zustrom nicht deutlicher zugunsten bereits existierender Bürger zu kontrollieren, diese Bürger nicht genügend auf etwas so Existenzielles wie Einwanderung im großen Stil vorzubereiten und den Neuankömmlingen kein klares, selbstbewusstes Angebot zu machen, um ihre Loyalität und Integration zu sichern.' Das Ergebnis: 'Innerhalb von weniger als sechzig Jahren wurde aus einem ziemlich homogenen Land im Herzen eines multiethnischen Imperiums ein multiethnisches Land, nur ohne Imperium.'

Das schlechte Gewissen wegen eben dieser imperialen Vergangenheit sowie eine tief verwurzelte britische 'Leben und Leben lassen'-Gesinnung hat nach Goodharts Ansicht zum ungezügelten Zuzug beigetragen. In London und Städten wie Bradford ist die weiße britische Bevölkerung mittlerweile in der Minderheit. Goodhart beklagt die Entwicklung von lokalen Parallelgesellschaften, in denen beispielsweise die Clanpolitik von Einwanderern aus Bangladesch eine weitaus größere Rolle spiele als irgendeine Parteizugehörigkeit. Bei all dem ist er peinlich darum bemüht, Einwanderer nicht zu dämonisieren.

Dennoch greift er zu Verallgemeinerungen. So unterteilt er die Immigrantengruppen in erfolgreiche - 'indische Hindus, Sikhs, manche Schwarzafrikaner, Chinesen' - und erfolglose - 'Pakistanis, Bangladeschis, Türken, Somalis und Afrokariben'. Welche Fallstricke solche Generalisierungen mit sich bringen, lässt sich an einem kleinen Beispiel ablesen: Die Herrenschneiderei, eines der letzten Aushängeschilder britischen Handwerks, würde ohne türkische Facharbeiter unter einem massiven Nachwuchsmangel leiden. Nicht etwa, weil es keine Ausbildungsplätze gäbe, sondern weil der britische Nachwuchs fehlt. Wenn Goodhart sich also die Forderung des Labour-Vorsitzenden Gordon Brown nach 'britischen Jobs für britische Bürger' zu eigen macht, übersieht er, dass manche Ausbildungsstellen, die er für einheimische Jugendliche reservieren möchte, keiner haben will. Der TV-Koch Jamie Oliver hat gerade in einem Interview erklärt, viele Briten seien den harten Arbeitsbedingungen einer professionellen Küche anscheinend nicht mehr gewachsen. Ohne Immigranten aus Osteuropa, so Oliver 'müssten alle meine Restaurants morgen schließen. Es gäbe keine Briten, die sie ersetzen könnten'.

Goodhart baut ferner einen Popanz auf, wenn er sagt, man müsse endlich aufhören, zu denken, es sei 'unbritisch, über Britishness' zu sprechen. Briten sei es peinlich, über Patriotismus zu sprechen. In Wirklichkeit stand aber die Thematisierung von Britishness deshalb lange gar nicht zur Debatte, weil man sie - mehr oder weniger deckungsgleich mit Englishness - als Selbstverständlichkeit angesehen hatte.

Richtig ist sicherlich, dass dadurch, dass man in Großbritannien keine Notwendigkeit sah, Einwanderer an das neue Land zu binden, auch keine Gründe zu einer herkunftsübergreifenden Identifikation entstanden. Doch das Understatement, das Unbehagen am öffentlichen Pathos, die Goodhart als Integrationshindernis diagnostiziert, ist ja nur die Seite eins britischen Nationalismus: Die andere ist eine Selbstwahrnehmung, die so ziemlich alles, was in Großbritannien erdacht und gemacht wird, zum 'Besten der Welt' erhebt: Ganz gleich ob Militär, Verkehrssicherheit, Fußball oder Käse, man ist stets erstaunlich rasch und ganz ohne Understatement mit diesem Prädikat bei der Hand.

Dieses Selbstlob ist auch eine Form der Selbstvergewisserung, an der sich speziell die Engländer abarbeiten. Waliser und Schotten können sich zumindest auf ihre keltischen Wurzeln besinnen und von der ehemalige Hegemonialmacht England abgrenzen. Nicht zufällig ist Ukip, auch wenn sie das Vereinigte Königreich im Namen trägt, kein gesamtbritisches, sondern ein englisches Phänomen. Parteichef Nigel Farage musste im Mai einen Besuch in Edinburgh abbrechen, nachdem er von wütenden Demonstranten beschimpft und attackiert worden war.

Das Problem mit der Immigration ist also nicht zuletzt ein Problem mit der britischen (sprich: englischen) Selbstwahrnehmung. David Goodhart ist der Ansicht, 'einer der Gründe dafür, dass speziell die Engländer ein so unbehagliches Verhältnis zu ihrem Patriotismus' hätten, sei, dass die 'historische Dominanz ihres Landes - sowohl innerhalb Britanniens als auch global - nicht recht in ein egalitäreres Zeitalter' passe. Dabei gebe es doch, fügt er beruhigend hinzu, 'einen Unterschied zwischen Überlegenheit und Besonderheit'. Doch mit jedem neuen Immigranten nimmt die Angst zu, diese 'specialness', diesen trotzig behaupteten Sonderstatus, zu vermindern. Und ihn schließlich zu verlieren, weil man ihn mit vielen Fremden teilen muss.

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