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Kinder an den Waffen

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Die Aufmerksamkeit der westlichen Welt ist längst weitergezogen, doch der Krieg in der Zentralafrikanischen Republik ist es nicht. Trotz einer Übergangsregierung, einem Waffenstillstandsabkommen und fast 8000 UN-Soldaten im Land flammt die Gewalt immer wieder auf. Zuletzt am Dienstag, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet: 28 Menschen fielen demnach neuen Kämpfen zwischen christlichen und muslimischen Milizen zum Opfer. Die Zusammenstöße ereigneten sich etwa 300 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bangui.



In der Zentralafrikanischen Republik herrscht Krieg. Bewaffnete Gruppen sollen bis zu 10000 Kinder und Jugendliche rekrutiert haben.

Nun berichtet die Hilfsorganisation Save the Children von einem Phänomen, das bislang vor allem aus Bürgerkriegen in Westafrika bekannt war: Kindersoldaten. Bis zu 10000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollen bewaffnete Gruppen in der Zentralafrikanischen Republik rekrutiert haben, schätzt die Organisation. Sie kämpfen, spionieren, werden als Träger eingesetzt oder für Sex missbraucht. Kinder in den Reihen bewaffneter Gruppen sind kein Novum in dem Land, das seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich eine brutale Diktatur, mehrere Putsche und Aufstände erlebt hat. Doch seit Beginn des aktuellen Konflikts hat sich die Zahl der Kindersoldaten vervierfacht, so die Autoren des Save-the-Children-Berichts.

7500 neue Kindersoldaten innerhalb von zwei Jahren: Die Zahl lässt ahnen, was Krieg mit einer Bevölkerung macht. Dem Bericht zufolge werden nicht alle Kinder gewaltsam in die Gruppen gezwungen. Manche suchen schlicht Schutz vor der allgegenwärtigen Gewalt, einen Ort, wo sie mit Essen und Kleidung versorgt werden. Andere werden auf Druck ihrer Eltern zu Kämpfern – um „die Gemeinschaft zu schützen oder um Menschenrechtsverletzungen und andere Gewaltakte zu rächen“, wie es in dem Report heißt.

Dieser verheerende Krieg begann vor ziemlich genau zwei Jahren, mit dem Aufstand der mehrheitlich muslimischen Séléka-Milizen gegen die Zentralregierung unter Präsident François Bozizé. Die Séléka-Rebellen sind keine neue politische Kraft in Zentralafrika: Sie bekämpften Bozizé bereits 2003, als dieser sich gerade an die Macht geputscht hatte. Im März 2013 stürzten sie den Präsidenten, einige Monate später ließ sich ihr Anführer Michel Djotodia zum neuen Staatsoberhaupt ausrufen. Doch die brutale Eroberung der Hauptstadt durch Djotodias Kämpfer stieß auf Widerstand: Unter dem Label Anti-Balaka formierten sich vorrangig christliche Gruppen, um die Rebellen zu bekämpfen. In und um Bangui begann eine Hetzjagd auf Muslime, die pauschal der Séléka-Mitgliedschaft verdächtigt wurden. Die Fernsehbilder aus diesen Tagen sind schwer aus dem Kopf zu kriegen: Pick-ups voller panisch fliehender Muslime, Tote auf den Straßen mit abgetrennten Gliedmaßen. Wie viele Menschen bislang in dem Konflikt umkamen, weiß keiner genau; Experten und Beobachter gehen von 5000 bis 10000 Toten aus. Hinzu kommt ein gewaltiger Flüchtlingsstrom, der das Land und seine Nachbarn gefährlich nahe an die Belastbarkeitsgrenze bringt. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sind fast eine Million Zentralafrikaner Flüchtlinge im eigenen Land – bei einer Einwohnerzahl von knapp fünf Millionen.

Internationale Truppen, seit Kurzem unter UN-Kommando, versuchen seit Herbst 2013, die Gewalt zu stoppen – mit begrenztem Erfolg. Auch die neue Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza, die die Führung nach dem Rücktritt von Djotodia übernahm, hat die Hoffnung auf einen Neuanfang bisher nicht erfüllen können. Und so geht es weiter mit der Gewalt, den Kindersoldaten, den Toten. Hinter den religiösen Konflikten steht häufig der Kampf um Macht und wirtschaftliche Ressourcen. Denn in einem Land, wo der Staat keinerlei Kontrolle hat und den Menschen wenig bieten kann, werden viele Bedürfnisse mit Gewalt befriedigt. Immerhin: Straflos sollen die Täter nicht davonkommen. Im September verkündete die Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, dass sie offiziell in der Zentralafrikanischen Republik ermitteln werde – sowohl gegen die Séléka als auch gegen die Anti-Balaka. Beide Gruppen stünden im Verdacht, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.

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