Es passiert gerade etwas mit der öffentlichen Präsenz von Schriftstellern. Reihenweise starten die bekannten Verlagshäuser der Republik eigene Blogs, in denen ihre Autoren sich kontinuierlich mit Essays und Interviews, aber auch persönlichem Kleinkram wie Foto-Schnappschüssen von der Buchmesse darstellen sollen. Im Oktober hat auch Zeit online den Ausbau seiner Kulturseite bekanntgegeben: Unter dem Namen „Freitext“ sollen auch dort die Schriftsteller diverser Verlage eigene Beiträge veröffentlichen und debattieren.
Bücher schreiben ist nicht mehr die einzige Aufgabe eines Autors. Die öffentliche Repräsentation wird immer wichtiger. Einige Verlagshäuser starten deswegen eigene Blogs.
Den Schriftstellern der neuen Verlagsblogs und Plattformen werden eigene Orte geschaffen, um sich zu Wort zu melden. Es wird einiger Aufwand darauf verwendet, sie in einem bestimmten Rahmen zu präsentieren. Dieser Aufwand erzählt zwei Geschichten über die Gegenwartsliteratur: eine vom Funktionswandel der Verlage und eine vom Funktionswandel der Autoren.
Zuerst die Verlage. Der Blog des S. Fischer Verlags heißt „Hundertvierzehn“, nach der Frankfurter Verlagsadresse in der Hedderichstraße 114. Auf einer schlicht und schön gestalteten Webseite werden wildwuchernd die unterschiedlichsten Ideen von den unterschiedlichsten Intellektuellen verhandelt. Der junge Autor Franz Friedrich präsentiert eine Landkarte der Topografien seines Romandebüts „Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr“. Die Fischer-Sachbuchlektorin Tanja Hommen hat Thesen zur Zukunft des historischen Sachbuchs formuliert, auf die ihr drei Historiker klug antworten. Der 88-jährige Franz Mon, lebenslang ein großer Widerständler der Konkreten Poesie, sitzt in einem Videointerview im Blaukittel vor seiner Olympia-Schreibmaschine und beantwortet poetische Fragen wie die nach seinem Lieblingstier (die Stubenfliege) oder nach der Bedeutung von Freiheit. „Am besten gelingt sie am Rand“, ruft Mon vergnügt in die Kamera.
Wen ein solcher Blog nicht so wie eine gutgemachten Zeitschrift in Bann schlägt, der ist eigentlich schon verloren. Auf einer Höhe mit „Hundervierzehn“ ist sonst nur noch der Suhrkamp-Blog, das „Logbuch“ –inzwischen kooperieren Fischer und Suhrkamp auch gelegentlich und ließen kürzlich etwa Kathrin Röggla und Friedrich von Borries blogübergreifend aufeinander reagieren. Ansonsten gibt es im „Logbuch“ beispielsweise regelmäßig: eindringliche Erklärungen vom Theaterlektor Frank Kroll zum Gegenwartstheater, neugierige Notizen vom freundlichsten aller Berlin-Chronisten, Detlev Kuhlbrodt, und die vielen anderswo ausgeführten Reden und Essays der Verlagsautoren in guter Mischung. Neu gestartet und mit Elan unterwegs ist auch der „Resonanzboden“-Blog des Ullstein Verlags. Deutlich marketingorientierter wirken die Blog-Einträge von Kiepenheuer & Witsch, wo abfotografierte Seiten aus dem Notizbuch des Verlagschefs Helge Malchow meist direkt in Werbehinweise auf ein aktuelles Buch übergehen.
Geht es aber nicht bei allen diesen neuen Verlagsaktivitäten um Marketing – darum, durch Content und Klicks potenzielle Käufer auf die Saisonware aufmerksam zu machen? „Nein“, sagt dazu der S. Fischer-Programmleiter Oliver Vogel am Telefon, für die neuen Verlagsblogs würde ein ganz anderer Mechanismus gelten: „Wir Verlage haben einfach die Möglichkeit! Wir sprechen ständig mit unseren Autoren, und ständig entstehen bei so vielen Autoren wie im Nebenbei interessante Dinge. Dieses literarische Gespräch wollen wir nach außen tragen.“
Und dennoch: Zwar sind die Publikumsverlage nach wie vor ökonomisch erfolgreich; aller Schwarzmalerei zum Trotz steht das Geschäftsmodell auch in Zeiten neuer digitaler Vertriebsformen keineswegs vor dem Aus. Aber durch die Zuspitzung im Buchhandel auf eine immer geringere Zahl besonders vielversprechender Titel und durch weniger Raum im Print-Feuilleton für Rezensionen stellt sich den Verlagen gleichwohl immer dringlicher die Frage, wie sie überhaupt noch ihr Gesamtprogramm öffentlich machen und ihren unverwechselbaren Fingerabdruck hinterlassen können. Es war immer schon eine Utopie, dass Bücher etwa von Suhrkamp einfach so ihre Leser finden. Beim Durchklicken des Suhrkamp-„Logbuchs“ aber wird sie ganz besonders lebendig, die berühmte „Suhrkamp-Kultur“. Ihr Funktionswandel führt die Verlage also paradoxerweise auf sich selbst zurück. Die Salonkultur der neuen Blogs ist öffentliche Bewusstmachung der Köpfe und Ideen der Verlagskultur.
Das Zelebrieren bürgerlicher Salonkultur war aber schon immer eine zerbrechliche Konstruktion, jenseits der Seidentapeten lauerte stets die ökonomische Wirklichkeit. Womit wir zum Funktionswandel der Autoren kommen, die ähnlichem Veränderungsdruck ausgesetzt sind wie die Verlage: Gemeinsam mit dem stationären Buchhandel wankt auch die deutsche Autorenfinanzierung durch Lesungen, und die Vielfalt der „Midlist“-Autoren, die von ihren Verlagen nicht als Top-Favoriten großgemacht werden können, verschwindet wesentlich stärker als früher vom Bildschirm.
„Es sind doch aber immer noch die Stimmen der Schriftsteller, die man hören will“, sagt Rabea Weihser, die Ressortleiterin Kultur bei Zeit online, wo Freitext angesiedelt ist. Aus ihrer Sicht ist die Erweiterung des Online-Kulturteils um Texte von Schriftstellern ein notwendiger Schritt im Medienwandel: „Es muss viel mehr Verschiedenes ausprobiert werden im OnlineJournalismus, gerade weil er immer wichtiger werden wird.“ Für die Zukunft erhofft sie sich Anstöße für gesellschaftliche Debatten, die von den Beiträgen von Schriftstellern ausgehen könnten, wie das bislang eben vor allem über das gedruckte Feuilleton geschehen sei.
Ihre Autorität beziehen die auf „Freitext“ und den Verlagsblogs veröffentlichenden Schriftsteller nach wie vor aus der angestammten Welt ihrer Print-Veröffentlichungen. Honorare auf Freie-Journalisten-Niveau beziehen sie aber bei den meisten Verlagsblogs jetzt auch für ihre Online-Texte, was angesichts ihrer Finanzierungsmöglichkeiten nicht zu unterschätzen ist. Und vor allem beziehen sie symbolisches Kapital: Sie zeigen sich als Angehörige der Welt der renommierten Verlage, sie gehören dazu. Ob sie dabei den intellektuellen Stichwortgeber geben wie einst zu Zeiten der Gruppe 47 oder aber dem interessierten Publikum einfach nur ihre Foto-Schnappschüsse präsentieren, ist letztlich einerlei: Auch der Funktionswandel der Autoren führt diese paradoxerweise auf sich selbst zurück. Sie dokumentieren im Rahmen der Salonkultur der neuen Blogs ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Liga der unverkennbaren Köpfe und Ideen.
Bleibt der Umstand, dass die intellektuelle Landschaft sich seit den Zeiten der Gruppe 47 und ihrer Nachfolgetrupps grundlegend gewandelt hat. Sie hat sich aber nicht einfach entleert, sondern horizontalisiert, wenn heute in vielen Medien und von vielen Plattformen aus viele verschiedene Personen miteinander diskutieren. Die Geste, noch einmal Schriftsteller als eine Art Instanz in Gated Communities aufs Podest zu heben, wirkt da äußerst selbstbewusst. Aber falsch und anachronistisch ist sie deshalb noch lange nicht. Wie in einer Aufmerksamkeitsübung wird den Lesern vorgeführt, warum sie eigentlich nach wie vor guten Verlagen und ihren Autoren symbolischen Wert zumessen – und warum sie das wahrscheinlich noch lange tun werden, bei derart diskursiv angeregten, freigiebigen, so viele Qualitäten des fortwährenden Verlagszeitalters bündelnden Blogs.
Bücher schreiben ist nicht mehr die einzige Aufgabe eines Autors. Die öffentliche Repräsentation wird immer wichtiger. Einige Verlagshäuser starten deswegen eigene Blogs.
Den Schriftstellern der neuen Verlagsblogs und Plattformen werden eigene Orte geschaffen, um sich zu Wort zu melden. Es wird einiger Aufwand darauf verwendet, sie in einem bestimmten Rahmen zu präsentieren. Dieser Aufwand erzählt zwei Geschichten über die Gegenwartsliteratur: eine vom Funktionswandel der Verlage und eine vom Funktionswandel der Autoren.
Zuerst die Verlage. Der Blog des S. Fischer Verlags heißt „Hundertvierzehn“, nach der Frankfurter Verlagsadresse in der Hedderichstraße 114. Auf einer schlicht und schön gestalteten Webseite werden wildwuchernd die unterschiedlichsten Ideen von den unterschiedlichsten Intellektuellen verhandelt. Der junge Autor Franz Friedrich präsentiert eine Landkarte der Topografien seines Romandebüts „Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr“. Die Fischer-Sachbuchlektorin Tanja Hommen hat Thesen zur Zukunft des historischen Sachbuchs formuliert, auf die ihr drei Historiker klug antworten. Der 88-jährige Franz Mon, lebenslang ein großer Widerständler der Konkreten Poesie, sitzt in einem Videointerview im Blaukittel vor seiner Olympia-Schreibmaschine und beantwortet poetische Fragen wie die nach seinem Lieblingstier (die Stubenfliege) oder nach der Bedeutung von Freiheit. „Am besten gelingt sie am Rand“, ruft Mon vergnügt in die Kamera.
Wen ein solcher Blog nicht so wie eine gutgemachten Zeitschrift in Bann schlägt, der ist eigentlich schon verloren. Auf einer Höhe mit „Hundervierzehn“ ist sonst nur noch der Suhrkamp-Blog, das „Logbuch“ –inzwischen kooperieren Fischer und Suhrkamp auch gelegentlich und ließen kürzlich etwa Kathrin Röggla und Friedrich von Borries blogübergreifend aufeinander reagieren. Ansonsten gibt es im „Logbuch“ beispielsweise regelmäßig: eindringliche Erklärungen vom Theaterlektor Frank Kroll zum Gegenwartstheater, neugierige Notizen vom freundlichsten aller Berlin-Chronisten, Detlev Kuhlbrodt, und die vielen anderswo ausgeführten Reden und Essays der Verlagsautoren in guter Mischung. Neu gestartet und mit Elan unterwegs ist auch der „Resonanzboden“-Blog des Ullstein Verlags. Deutlich marketingorientierter wirken die Blog-Einträge von Kiepenheuer & Witsch, wo abfotografierte Seiten aus dem Notizbuch des Verlagschefs Helge Malchow meist direkt in Werbehinweise auf ein aktuelles Buch übergehen.
Geht es aber nicht bei allen diesen neuen Verlagsaktivitäten um Marketing – darum, durch Content und Klicks potenzielle Käufer auf die Saisonware aufmerksam zu machen? „Nein“, sagt dazu der S. Fischer-Programmleiter Oliver Vogel am Telefon, für die neuen Verlagsblogs würde ein ganz anderer Mechanismus gelten: „Wir Verlage haben einfach die Möglichkeit! Wir sprechen ständig mit unseren Autoren, und ständig entstehen bei so vielen Autoren wie im Nebenbei interessante Dinge. Dieses literarische Gespräch wollen wir nach außen tragen.“
Und dennoch: Zwar sind die Publikumsverlage nach wie vor ökonomisch erfolgreich; aller Schwarzmalerei zum Trotz steht das Geschäftsmodell auch in Zeiten neuer digitaler Vertriebsformen keineswegs vor dem Aus. Aber durch die Zuspitzung im Buchhandel auf eine immer geringere Zahl besonders vielversprechender Titel und durch weniger Raum im Print-Feuilleton für Rezensionen stellt sich den Verlagen gleichwohl immer dringlicher die Frage, wie sie überhaupt noch ihr Gesamtprogramm öffentlich machen und ihren unverwechselbaren Fingerabdruck hinterlassen können. Es war immer schon eine Utopie, dass Bücher etwa von Suhrkamp einfach so ihre Leser finden. Beim Durchklicken des Suhrkamp-„Logbuchs“ aber wird sie ganz besonders lebendig, die berühmte „Suhrkamp-Kultur“. Ihr Funktionswandel führt die Verlage also paradoxerweise auf sich selbst zurück. Die Salonkultur der neuen Blogs ist öffentliche Bewusstmachung der Köpfe und Ideen der Verlagskultur.
Das Zelebrieren bürgerlicher Salonkultur war aber schon immer eine zerbrechliche Konstruktion, jenseits der Seidentapeten lauerte stets die ökonomische Wirklichkeit. Womit wir zum Funktionswandel der Autoren kommen, die ähnlichem Veränderungsdruck ausgesetzt sind wie die Verlage: Gemeinsam mit dem stationären Buchhandel wankt auch die deutsche Autorenfinanzierung durch Lesungen, und die Vielfalt der „Midlist“-Autoren, die von ihren Verlagen nicht als Top-Favoriten großgemacht werden können, verschwindet wesentlich stärker als früher vom Bildschirm.
„Es sind doch aber immer noch die Stimmen der Schriftsteller, die man hören will“, sagt Rabea Weihser, die Ressortleiterin Kultur bei Zeit online, wo Freitext angesiedelt ist. Aus ihrer Sicht ist die Erweiterung des Online-Kulturteils um Texte von Schriftstellern ein notwendiger Schritt im Medienwandel: „Es muss viel mehr Verschiedenes ausprobiert werden im OnlineJournalismus, gerade weil er immer wichtiger werden wird.“ Für die Zukunft erhofft sie sich Anstöße für gesellschaftliche Debatten, die von den Beiträgen von Schriftstellern ausgehen könnten, wie das bislang eben vor allem über das gedruckte Feuilleton geschehen sei.
Ihre Autorität beziehen die auf „Freitext“ und den Verlagsblogs veröffentlichenden Schriftsteller nach wie vor aus der angestammten Welt ihrer Print-Veröffentlichungen. Honorare auf Freie-Journalisten-Niveau beziehen sie aber bei den meisten Verlagsblogs jetzt auch für ihre Online-Texte, was angesichts ihrer Finanzierungsmöglichkeiten nicht zu unterschätzen ist. Und vor allem beziehen sie symbolisches Kapital: Sie zeigen sich als Angehörige der Welt der renommierten Verlage, sie gehören dazu. Ob sie dabei den intellektuellen Stichwortgeber geben wie einst zu Zeiten der Gruppe 47 oder aber dem interessierten Publikum einfach nur ihre Foto-Schnappschüsse präsentieren, ist letztlich einerlei: Auch der Funktionswandel der Autoren führt diese paradoxerweise auf sich selbst zurück. Sie dokumentieren im Rahmen der Salonkultur der neuen Blogs ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Liga der unverkennbaren Köpfe und Ideen.
Bleibt der Umstand, dass die intellektuelle Landschaft sich seit den Zeiten der Gruppe 47 und ihrer Nachfolgetrupps grundlegend gewandelt hat. Sie hat sich aber nicht einfach entleert, sondern horizontalisiert, wenn heute in vielen Medien und von vielen Plattformen aus viele verschiedene Personen miteinander diskutieren. Die Geste, noch einmal Schriftsteller als eine Art Instanz in Gated Communities aufs Podest zu heben, wirkt da äußerst selbstbewusst. Aber falsch und anachronistisch ist sie deshalb noch lange nicht. Wie in einer Aufmerksamkeitsübung wird den Lesern vorgeführt, warum sie eigentlich nach wie vor guten Verlagen und ihren Autoren symbolischen Wert zumessen – und warum sie das wahrscheinlich noch lange tun werden, bei derart diskursiv angeregten, freigiebigen, so viele Qualitäten des fortwährenden Verlagszeitalters bündelnden Blogs.