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Mit Schirm, Scham und Banane

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1. Die Matratze


[plugin imagelink link="https://pbs.twimg.com/media/ByGV9NzIAAEYui5.jpg:large" imagesrc="https://pbs.twimg.com/media/ByGV9NzIAAEYui5.jpg:large"] (Quelle)

Die amerikanische Kunststudentin Emma Sulkowicz, 21, wurde in ihrem eigenen Bett im Studentenheim der Columbia University vergewaltigt. Lange schwieg sie aus Scham, bevor sie zur Universitätsleitung ging und die Tat bei der Polizei anzeigte. Die Columbia-Universität entschied, diesem Vorwurf nicht nachzugehen. Seitdem trägt Emma die dunkelblaue Matratze, die sie ihr Leben lang an den Vergewaltiger erinnern wird, mit sich herum: in den Hörsaal, zum Einkaufen, ins Café. Sie tut das, um auf sexuelle Übergriffe an Unis aufmerksam zu machen – und zwar solange der Vergewaltiger denselben Campus besucht wie sie. 


Bereits im Mai 2014 reichte Emma mit weiteren Studentinnen eine Beschwerde bei der US-Regierung über den Umgang der Columbia-Universität mit sexuellen Übergriffen ein. Amerikanische Universitäten hatten in der Vergangenheit zum Teil betroffene Frauen dazu gedrängt, außerhalb des Verfahrens über die Vorfälle zu schweigen. Die ungeschriebene Regel: "Was auf dem Campus geschieht, bleibt auf dem Campus." Dabei geht unter, dass Studien zufolge jede fünfte Studentin in den USA Opfer eines sexuellen Übergriffs wird und weniger als ein Drittel dieser Täter von der Uni ausgeschlossen werden. Erst Emmas Aktion brachte das Thema an die Öffentlichkeit. Ein neues, umstrittenes Gesetz in Kalifornien fordert an Hochschulen die ausdrückliche Zustimmung des Partners vor dem Sex durch "ein Nicken oder ein Ja". 2014 wurde in den USA so viel über sexuelle Übergriffe in der akademischen Welt gesprochen wie nie.


http://www.youtube.com/watch?v=l9hHZbuYVnU


2. Die Banane








#somostodosmacacos #weareallmonkeys #somostodosmonos #totssommonos


Ein von Nj (@neymarjr) gepostetes Foto am Apr 4, 2014 at 3:27 PDT





Bei Fußballspielen werfen Zuschauer immer wieder Bananen aufs Spielfeld, um Spieler rassistisch zu beleidigen. Als der FC Barcelona im April gegen den FC Villarreal spielte, schmiss ein Zuschauer eine Banane nach Dani Alves: Seine Reaktion ging in die Fußballgeschichte ein: Alves bückte sich nach der Banane, schälte und aß sie. Sein Mannschaftskollege Neymar postete daraufhin auf Instagram ein Foto von sich und seinem Sohn mit einer echten und einer Stofftier-Banane sowie den Hashtags #SomosTodosMacacos und #WeAreAllMonkeys (Wir sind alle Affen). Mehr als 100.000 Tweets mit Solidaritäts-Selfies folgten in den sozialen Netzwerken. Bald stellte sich heraus, dass Alves und Neymar die scheinbar spontane Aktion lange geplant hatten. Was nichts daran ändert, dass sie – zusammen mit Twitter-, Instagram- und Facebook-Nutzern aus der ganzen Welt – es  geschafft haben, die rassistische Geste in ein Symbol gegen Rassismus umzudeuten. Wenigstens im Netz. Im Stadion bleiben Reaktionen nach wie vor meistens aus. "Die Werfer fühlen sich dadurch bestärkt. Denen ist es völlig egal, wie cool oder uncool der Spieler reagiert", sagte Professor Zick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld im Interview mit jetzt.de.

3. Der Regenschirm




(Foto:dpa)

Im September besetzten zehntausende Studenten, Schüler und Vertreter der Bürgerbewegung "Occupy Central with Love and Peace" den Hongkonger Finanzbezirk. Die Demonstranten forderten freie Wahlen in Hongkong und den Rücktritt des Regierungschefs Leun Chun-ying. Peking hatte zuvor für 2017 zwar direkte Wahlen angekündigt, jedoch keine freie Nominierung der Kandidaten für das Amt des Regierungschefs. Somit ist es faktisch unmöglich, dass ein Regierungskritiker kandidieren kann.) Die Proteste verliefen friedlich, die Polizei trieb die Demonstranten jedoch gewaltsam auseinander: mit Pfefferspray, Tränengas und Wasserwerfern. Mit Regenschirmen schützten sich die Demonstranten davor. Eigentlich war als Symbol für die Proteste eine gelbe Schleife vorgesehen – das Meer von aufgespannten Regenschirmen auf den Fotos in den Medien war stärker. Der Schirm wurde aus der Not heraus zum Symbol: für die Gewalt gegen Unbewaffnete – und damit zu einem Mahnmal, das die Forderungen der Demonstrationen unterstreicht.   

4. Die Klobürste




 (Foto: dpa)

Das banalste Protestsymbol des Jahres entstand aus dem Zufall heraus: Im Januar richtete die Polizei Gefahrengebiete in mehreren Stadtteilen Hamburgs ein. Anlass waren Ausschreitungen bei einer Demonstration zum Erhalt des linksautonomen Kulturzentrums "Rote Flora" im Dezember 2013 sowie Angriffe auf Polizeiwachen. Symbol und Hashtag der Bewegung gegen die Gefahrengebiete wurde die Klobürste. Auslöser war wohl ein Mann, der durchsucht wurde, weil Polizisten einen Knüppel in seiner Hosentasche vermuteten – dieser entpuppte sich als Klobürste. Fortan führten Demonstranten Klobürsten und (schmutzige) Unterwäsche als Bombenattrappen bei sich, um ein Zeichen gegen willkürliche Polizeikontrollen zu setzen.


5. Der aufgemalte Bart



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Nach dem Hipstertrend zum Holzfällerbart wurde der Vollbart in diesem Jahr zum politischen Statement: Schon vor dem Eurovision Songcontest in Kopenhagen wurde die Travestiekünstlerin Conchita Wurst– mit langer Mähne, viel Schminke und Vollbart – aus Österreich massiv angefeindet. In ihrem Heimatland sammelte eine Facebook-Gruppe gegen Conchitas Teilnahme am ESC innerhalb weniger Wochen mehr als 40.000 Fans. In Weißrussland wurde eine Petition gegen ihre Teilnahme eingereicht. Mit aufgemalten oder gehäkelten Vollbärten zeigten Fans und Moderatoren Solidarität und setzten ein Zeichen gegen Diskriminierung. Als Conchita Wurst mit ihrem Song "Rise like a Phoenix" den ESC gewann, sahen das viele als "länderübergreifendes Statement gegen Diskriminierung und Homophobie", als "Ohrfeige für alle Homophoben in Europa", wie eine norwegische Zeitung titelte. Die Sängerin brach unsere Sehgewohnheiten und brachte das ESC-Publikum zum Weinen. Und vor allem ein bisschen zum Nachdenken.

 


Bis Jahresende veröffentlichen wir unter dem Label 5aus2014 mehr, was uns aus diesem Jahr in Erinnerung bleibt.


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