Als Bill Clinton im Weißen Haus regierte, nannten Washingtons Journalisten die Zeitschrift The New Republic das „In-Flight Magazine of Air Force One“, das Bordmagazin also, das der Präsident im Flugzeug liest. Das war Angeberei – aber nicht nur: Das 100 Jahre alte liberale Magazin hat viel mehr Einfluss, als die bescheidene Auflage von schätzungsweise 50.000 Exemplaren vermuten ließe (offizielle Zahlen gibt es seit 2005 nicht mehr). Die New Republic ist oft schwere Kost, die Hochglanzzeitschrift kann aber bis heute die Meinungsführerschaft unter gemäßigt linken Intellektuellen in den USA für sich beanspruchen.
In diesem Herbst engagierte The New Republic-Eigentümer Hughes mit Gabriel Snyder einen neuen Chefredakteur. Das gedruckte Heft soll nur noch zehnmal im Jahr erscheinen, die Redaktion wird verkleinert und von Washington nach New York verlegt.
Möglicherweise nicht mehr lange. Vorige Woche verließ ungefähr ein Drittel der Redaktion Knall auf Fall die New Republic, 28 Journalisten, darunter die komplette Redaktionsspitze und der angesehene Literaturkritiker des Blattes, Leon Wieseltier. Die nächste Ausgabe musste gestrichen werden. Mit dem in der jüngeren Mediengeschichte einmaligen Exodus protestierten sie gegen den neuen Eigentümer Chris Hughes und dessen Digitalstrategie.
Es ist ein wenig wie beim deutschen Spiegel: Ein Magazin mit stolzer Geschichte leidet am Übergang ins Digitalzeitalter. Nur ist der Konflikt bei der New Republic radikaler, und alle Beteiligten sind konsequenter als die Kollegen in Hamburg. In Washington steht das Silicon Valley gegen die Tradition des gedruckten Meinungsjournalismus. Wichtigster Akteur ist Facebook-Mitgründer Chris Hughes, 31, der das kränkelnde Magazin 2012 gekauft hat. 2007 hatte er das aufstrebende Unternehmen Facebook mit schätzungsweise 700 Millionen Dollar in der Tasche verlassen. Hughes half Barack Obama im Wahlkampf und organisierte dessen Webauftritt.
Die andere Jungstars aus der digitalen Welt ließ sich Hughes von einem der großen Namen der gedruckten Welt faszinieren – Jeff Bezos von Amazon kaufte die Washington Post, Chris Hughes die New Republic. Zunächst sah es in der Redaktion nach einer echten Freundschaft zwischen Neuem und Altem aus. Hughes ließ die Website reformieren und verbesserte die interne Organisation. Vor allem aber zeigte er Ehrfurcht vor der Tradition. „Gewinn als solcher ist nicht mein Motiv“, sagte er der New York Times. „Der Grund, weshalb ich mich hier engagiere, ist die Tatsache, dass ich an die Art von energischem, kontextuellem Journalismus glaube, den wir als Gesellschaft brauchen.“ Ein Veteran des Magazins, Franklin Foer, wurde „Editor“, also de facto Chefredakteur unter dem nominellen Chef Chris Hughes.
Von Gewinnen konnte bei der New Republic tatsächlich keine Rede sein. Das Heft war seit Jahren defizitär, und unter Hughes stiegen die Verluste weiter, bis auf fünf Millionen Dollar, schätzt die New York Times. In diesem Herbst scheint Hughes die Geduld verloren zu haben. Als erstes engagierte er einen neuen Geschäftsführer: Guy Vidra, der von Yahoo kommt. Vidra beendete die Zeit der netten Worte. Chefredakteur Franklin Foer wurde gefeuert und durch Gabriel Snyder ersetzt, einem Nachrichtenredakteur von Bloomberg News, der auch schon für das Klatschportal Gawker gearbeitet hatte. Vidra und Snyder begannen aufzuräumen. Das gedruckte Heft soll statt zweimal im Monat nur noch zehnmal im Jahr erscheinen, die Redaktion wird verkleinert und von Washington nach New York verlegt. Aus dem Magazin soll ein „vertikal integriertes digitales Medienunternehmen“ werden. Entlassungen immerhin werden dank des Massenexodus nicht mehr nötig sein. Hughes muss sich eher überlegen, wie er Stellen neu besetzt, damit nicht noch ein weiteres Heft ausfällt.
Der Konflikt ist mit Emotionen überladen. Die New Republic sei „eine der großen Lieben meines Lebens“, schrieb der geschasste Foer in einem Memo an die Kollegen. Kein Wunder bei dieser Geschichte: Die erste Ausgabe erschien vor fast genau 100 Jahren, am 7. November 1914. Zu den Gründern gehörten die großen liberalen Publizisten Walter Lippmann und Herbert Croley. Die neue Zeitschrift setzte sich für weitreichende Sozialreformen ein, später für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg. Hinterher entdeckte Lippmann zu seinem Entsetzen, wie sehr politisch motivierte Journalisten im Krieg die öffentliche Meinung manipuliert hatten. Als Konsequenz schrieb er 1920 den bis heute lesenswerten Aufsatz „Liberty and the News“ über den Ethos des unbestechlichen Journalisten. Die New Republic trug wesentlich dazu bei, dass der Begriff „Liberalismus“ in Amerika seine Bedeutung änderte. Ein „Liberaler“ im modernen amerikanischen Sinne kämpft nicht nur für die persönliche Freiheit, er versucht dieses Ziel mittels starker Staatseingriffe zu erreichen. Später fochten die Linken in der New Republic ihre Debatten aus, über die Haltung zur Sowjetunion, den Antikommunismus, den Vietnamkrieg und die Unterstützung Israels.
Und jetzt das Internet-Zeitalter. Ein Problem scheint gewesen zu sein, dass sich die Journalisten und die neuen Macher aus dem Silicon Valley auf sehr fundamentale Weise nicht verstanden. „Es gab einen kulturellen Bruch, der eigentlich nicht nötig gewesen wäre“, sagte Julia Ioffe, eine junge Ex-Redakteurin, dem Wall Street Journal. Niemand habe etwas dagegen gehabt, mehr im Internet zu tun. Sie selbst und Ex-Chef Franklin Foer sind eifrige Blogger. Der neue Chef Guy Vidra schien indes mit der Redaktion nicht kommunizieren zu können. „Es war wie Kaffeesatzlesen. Guy redet in Silicon-Valley-Phrasen. Wenn wir ihn nach Details gefragt haben, schien er nie eine Antwort zu wissen.“ Vidra seinerseits sagte dem Magazin Politico, der Verdacht, er strebe eine klick-getriebene Aggregatorseite an wie BuzzFeed, sei absurd.
Es bleibt die Frage, ob durchs Internet reich gewordene Unternehmer wirklich in der Lage sind, Journalismus und nicht nur Software zu denken. Jeff Bezos will die Washington Post als App aufs Tablet bringen. Das macht immerhin neugierig. Vergleichbare Ideen fehlen bei der New Republic. Das pompöse Wort vom „vertikal integrierten digitalen Medienunternehmen“ ist bis auf Weiteres eine Leerformel. Niemand hat bisher gesagt, was das bedeutet, außer weniger Druckausgaben. Kein Wunder, dass die Redakteure weglaufen.
In diesem Herbst engagierte The New Republic-Eigentümer Hughes mit Gabriel Snyder einen neuen Chefredakteur. Das gedruckte Heft soll nur noch zehnmal im Jahr erscheinen, die Redaktion wird verkleinert und von Washington nach New York verlegt.
Möglicherweise nicht mehr lange. Vorige Woche verließ ungefähr ein Drittel der Redaktion Knall auf Fall die New Republic, 28 Journalisten, darunter die komplette Redaktionsspitze und der angesehene Literaturkritiker des Blattes, Leon Wieseltier. Die nächste Ausgabe musste gestrichen werden. Mit dem in der jüngeren Mediengeschichte einmaligen Exodus protestierten sie gegen den neuen Eigentümer Chris Hughes und dessen Digitalstrategie.
Es ist ein wenig wie beim deutschen Spiegel: Ein Magazin mit stolzer Geschichte leidet am Übergang ins Digitalzeitalter. Nur ist der Konflikt bei der New Republic radikaler, und alle Beteiligten sind konsequenter als die Kollegen in Hamburg. In Washington steht das Silicon Valley gegen die Tradition des gedruckten Meinungsjournalismus. Wichtigster Akteur ist Facebook-Mitgründer Chris Hughes, 31, der das kränkelnde Magazin 2012 gekauft hat. 2007 hatte er das aufstrebende Unternehmen Facebook mit schätzungsweise 700 Millionen Dollar in der Tasche verlassen. Hughes half Barack Obama im Wahlkampf und organisierte dessen Webauftritt.
Die andere Jungstars aus der digitalen Welt ließ sich Hughes von einem der großen Namen der gedruckten Welt faszinieren – Jeff Bezos von Amazon kaufte die Washington Post, Chris Hughes die New Republic. Zunächst sah es in der Redaktion nach einer echten Freundschaft zwischen Neuem und Altem aus. Hughes ließ die Website reformieren und verbesserte die interne Organisation. Vor allem aber zeigte er Ehrfurcht vor der Tradition. „Gewinn als solcher ist nicht mein Motiv“, sagte er der New York Times. „Der Grund, weshalb ich mich hier engagiere, ist die Tatsache, dass ich an die Art von energischem, kontextuellem Journalismus glaube, den wir als Gesellschaft brauchen.“ Ein Veteran des Magazins, Franklin Foer, wurde „Editor“, also de facto Chefredakteur unter dem nominellen Chef Chris Hughes.
Von Gewinnen konnte bei der New Republic tatsächlich keine Rede sein. Das Heft war seit Jahren defizitär, und unter Hughes stiegen die Verluste weiter, bis auf fünf Millionen Dollar, schätzt die New York Times. In diesem Herbst scheint Hughes die Geduld verloren zu haben. Als erstes engagierte er einen neuen Geschäftsführer: Guy Vidra, der von Yahoo kommt. Vidra beendete die Zeit der netten Worte. Chefredakteur Franklin Foer wurde gefeuert und durch Gabriel Snyder ersetzt, einem Nachrichtenredakteur von Bloomberg News, der auch schon für das Klatschportal Gawker gearbeitet hatte. Vidra und Snyder begannen aufzuräumen. Das gedruckte Heft soll statt zweimal im Monat nur noch zehnmal im Jahr erscheinen, die Redaktion wird verkleinert und von Washington nach New York verlegt. Aus dem Magazin soll ein „vertikal integriertes digitales Medienunternehmen“ werden. Entlassungen immerhin werden dank des Massenexodus nicht mehr nötig sein. Hughes muss sich eher überlegen, wie er Stellen neu besetzt, damit nicht noch ein weiteres Heft ausfällt.
Der Konflikt ist mit Emotionen überladen. Die New Republic sei „eine der großen Lieben meines Lebens“, schrieb der geschasste Foer in einem Memo an die Kollegen. Kein Wunder bei dieser Geschichte: Die erste Ausgabe erschien vor fast genau 100 Jahren, am 7. November 1914. Zu den Gründern gehörten die großen liberalen Publizisten Walter Lippmann und Herbert Croley. Die neue Zeitschrift setzte sich für weitreichende Sozialreformen ein, später für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg. Hinterher entdeckte Lippmann zu seinem Entsetzen, wie sehr politisch motivierte Journalisten im Krieg die öffentliche Meinung manipuliert hatten. Als Konsequenz schrieb er 1920 den bis heute lesenswerten Aufsatz „Liberty and the News“ über den Ethos des unbestechlichen Journalisten. Die New Republic trug wesentlich dazu bei, dass der Begriff „Liberalismus“ in Amerika seine Bedeutung änderte. Ein „Liberaler“ im modernen amerikanischen Sinne kämpft nicht nur für die persönliche Freiheit, er versucht dieses Ziel mittels starker Staatseingriffe zu erreichen. Später fochten die Linken in der New Republic ihre Debatten aus, über die Haltung zur Sowjetunion, den Antikommunismus, den Vietnamkrieg und die Unterstützung Israels.
Und jetzt das Internet-Zeitalter. Ein Problem scheint gewesen zu sein, dass sich die Journalisten und die neuen Macher aus dem Silicon Valley auf sehr fundamentale Weise nicht verstanden. „Es gab einen kulturellen Bruch, der eigentlich nicht nötig gewesen wäre“, sagte Julia Ioffe, eine junge Ex-Redakteurin, dem Wall Street Journal. Niemand habe etwas dagegen gehabt, mehr im Internet zu tun. Sie selbst und Ex-Chef Franklin Foer sind eifrige Blogger. Der neue Chef Guy Vidra schien indes mit der Redaktion nicht kommunizieren zu können. „Es war wie Kaffeesatzlesen. Guy redet in Silicon-Valley-Phrasen. Wenn wir ihn nach Details gefragt haben, schien er nie eine Antwort zu wissen.“ Vidra seinerseits sagte dem Magazin Politico, der Verdacht, er strebe eine klick-getriebene Aggregatorseite an wie BuzzFeed, sei absurd.
Es bleibt die Frage, ob durchs Internet reich gewordene Unternehmer wirklich in der Lage sind, Journalismus und nicht nur Software zu denken. Jeff Bezos will die Washington Post als App aufs Tablet bringen. Das macht immerhin neugierig. Vergleichbare Ideen fehlen bei der New Republic. Das pompöse Wort vom „vertikal integrierten digitalen Medienunternehmen“ ist bis auf Weiteres eine Leerformel. Niemand hat bisher gesagt, was das bedeutet, außer weniger Druckausgaben. Kein Wunder, dass die Redakteure weglaufen.