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Im Schlund der Schlange

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Der Bergsteiger George Lowe reagierte einst recht trocken auf die Frage, warum er unbedingt den Mount Everest besteigen wolle: „Weil es ihn gibt.“ Der Mensch unternimmt bisweilen recht verrückte Dinge, nur weil sie möglich sind; und er informiert den Rest der Menschheit auch gern darüber in Dokumentationen und Reality Shows: Er verbringt ein ganzes Jahr an einem abgelegenen Ort (Utopia), er heiratet jemanden und lernt ihn erst danach kennen (Married at First Sight), er will bei einer Reise zum Mars ohne Rückflug teilnehmen (Mars One) – und er lässt sich von einer riesigen Schlange verspeisen.



Eine Boa Constrictor frisst eine Maus.Paul Rosolie ließ sich von einer Anakonda fressen.

Genau das sorgt nun in den USA für eine hitzige Debatte. Am Sonntagabend soll auf dem Discovery Channel die Dokumentation Eaten Alive ausgestrahlt werden. Sie ist Teil einer Woche voller skurriler Sendungen, die der Sender recht unbescheiden unter dem Titel „Mega Week“ vermarktet: Die Schauspieler James Franco und Seth Rogen wollen 21 Tage lang nackt in der Wildnis überleben, ein Ingenieur baut KITT aus der Serie Knight Rider nach, ein Mann wird irgendwo in Nicaragua ausgesetzt und hat 100 Stunden Zeit, in die Zivilisation zurückzufinden.

Ach ja, nochmal zur Erinnerung: Es gibt auch eine Sendung über jemanden, der sich von einer Schlange verschlingen ließ.

Paul Rosolie heißt der 27-Jährige, der sich selbst als Umweltschützer und Tierfreund bezeichnet. Seit beinahe zehn Jahren unternimmt er Expeditionen, vor allem in den westlichen Amazonas. Er wurde bereits von einer Schlange gebissen und derart gewürgt, dass er sich eine Rippe brach und das Schlüsselbein anknackste. Nun warf er sich offenbar einer acht Meter langen Anakonda zum Fraß vor, sein lapidarer Kommentar war zunächst: „Man muss mit dem Kopf zuerst reingehen.“

Es sorgt natürlich für Aufregung, wenn sich ein Mensch freiwillig von einer riesigen Schlange fressen lässt und ganz offensichtlich überlebt, schließlich bewirbt er sein Experiment gerade offensiv. Auch die Anakonda sei wohlauf, versichert der Sender in einer Erklärung – den Rest erfahre man dann am Sonntag um 21 Uhr. In Deutschland läuft Eaten Alive am 13. Dezember um 20.15 Uhr auf DMAX. Gefährlich für Rosolie sind derzeit weniger Würgeschlangen als vielmehr aufgebrachte Tierschützer, die seine Aktion für Tierquälerei halten mit dem einzigen Ziel, Einschaltquoten zu generieren – er habe sogar Todesdrohungen erhalten. Die Sendung soll dennoch ausgestrahlt werden.

Es gibt immer wieder Proteste gegen das Programm des Discovery Channel, zuletzt vor der „Shark Week“ im Juli – die Aufregung hatte grandiose Einschaltquoten für die Hai-Sendungen zur Folge. Wenn sich jemand auf eine selbstgebastelte Hai-Atrappe legt, um den Fünf-Meter-Hai Colossus anzulocken, ist das eben spannender als wenn ein Mann in einer Doku einem faulen Bären das Lachsfangen beibringen möchte.

Im vorigen Jahr sendete der Kanal eine Fake-Dokumentation über den ausgestorbenen Riesenhai Megalodon: Schauspieler verkörperten Wissenschaftler und taten so, als könne der Raubfisch auch heute noch leben. Produzent Michael Sorensen verteidigte den Film nach Protesten über die Glaubwürdigkeit wie folgt: „Es ist eine der kontroversesten Hai-Diskussionen aller Zeiten: Könnte Megalodon heute existieren?“ In den USA sahen 4,8 Millionen Menschen zu – Shark-Week-Rekord.

Wahrscheinlich haben sich die Verantwortlichen auch bei den aktuellen Protesten die Hände gerieben: Bessere Werbung gibt es kaum, zudem entpuppt sich Rosolie als wunderbarer Selbstvermarkter. Mit ruhiger und freundlicher Stimme erklärt er seine noblen Absichten: „Verzweifelte Zeiten, verzweifelte Maßnahmen. Ich wollte etwas machen, das die Menschen schockiert – um die Aufmerksamkeit auf den Notstand zu lenken. Ich bin der Typ, der wirklich da unten im Dschungel war und versucht, diese Dinge zu schützen.“

Rosolie stilisiert sich zum Opfer einer Kampagne der Uninformierten, die eine Hetzjagd starten, ohne den Film gesehen zu haben. Bislang wurden lediglich Trailer veröffentlicht, in denen effekthascherisch – wie mittlerweile charakteristisch für den Discovery Channel – die Gefahren des Dschungels gezeigt werden, das Einfangen einer großen Schlange und Rosolie mit diesem Anzug, in dem er aussieht, als würde er bei Ritterspielen mitmachen wollen. „Heutzutage leben die kultigsten und wichtigsten Spezies wie Tiger, Elefanten, Nashörner und Wale nur noch deshalb, weil sich Menschen für sie einsetzen“, sagt Rosolie: „Sie werden aussterben, wenn sich niemand darum kümmert.“ Wie eine Sendung, in der ein Mensch seinen Anzug mit Schweineblut beschmiert und sich verschlingen lässt, zum Überleben von Riesenschlangen beitragen kann, verrät er nicht.

Die wahre Dokumentation, das verdeutlicht das Beispiel dieses Tierquäler-Stunts, findet auf einer anderen Ebene statt. Es geht dem Discovery Channel längst nicht mehr darum, die Menschen zu informieren oder zu faszinieren. Es geht darum, sie vor den Bildschirm zu locken mit der Ankündigung, dass da einer von einer Schlange gefressen wird oder mit verbundenen Augen zwischen zwei Wolkenkratzern („Skyscraper live“) balanciert und dabei beinahe live sterben könnte - der Sender übertrug mit nur zehn Sekunden Puffer. Paul Rosolie mag hehre Ziele verfolgen und sich tatsächlich für den Erhalt dieser Spezies und des Regenwaldes einsetzen. Sich verschlingen lassen hat er jedoch offensichtlich nur aus einem Grund: Weil es geht.


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