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Jenseits der Meinungsfreiheit

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Es gab Zeiten, da haben die Menschen persönlich gestritten. Da sagte der eine dem anderen direkt ins Gesicht, wie widerwärtig er ihn findet. Der technische Fortschritt hat vieles vereinfacht, so auch Drohen und Beleidigen. Hasstiraden lassen sich über die Tastatur eingeben und verschicken – gerne auch anonym.



284 Millionen Menschen nutzen Twitter mittlerweile, viele wünschten sich einen stärkeren Schutz vor Beleidigungen und Drohungen.

Es gibt die Applikation Yik Yak, auf der sich vor allem Schüler und Studenten ohne Namensnennung derart wüst beschimpfen und bedrohen, dass allein in der vergangenen Woche zwei US-Schulen geschlossen werden mussten. Die Anonymität ist das Alleinstellungsmerkmal der Plattform. Wegen Facebook ging ein Mann bis zum Obersten Gerichtshof, weil er nicht wahrhaben wollte, dass sich seine Ex-Frau tatsächlich bedroht gefühlt haben könnte von diesem Eintrag: „Es gibt 1000 Möglichkeiten, Dich zu töten – und ich werde nicht aufhören, bis Dein Körper eine Sauerei ist, in Blut getränkt und am Sterben durch all die kleinen Schnitte.“ Am Montag entschied das Gericht: Das ist eine Drohung.

Und natürlich gibt es Twitter. Der Kurznachrichtendienst rühmt sich gerne damit, dass seine Nutzer alles in die Welt hinausposaunen dürfen, was immer sie möchten. Gerade deshalb erreichte das Unternehmen diesen immensen Bekanntheitsgrad und diese Bewertung an der Börse: Die Proteste in Ägypten, Tunesien und Iran werden auch Twitter Revolutions genannt. „Freedom of Speech“ nennen sie das in den USA. Und weil es sogar im ersten Zusatzartikel der Verfassung vermerkt ist, betrachten es nicht wenige als so heilig wie einen Satz in der Bibel. Nur gab es in den vergangenen Monaten einige schlimme Skandale wie etwa „Gamergate“, als Computerspieler Todesdrohungen gegen Kritikerinnen und Entwicklerinnen aussprachen. Spätestens da war klar: Es geht hier nicht mehr um freie Meinungsäußerung, sondern um handfeste Drohungen. Es muss sich was ändern. Dringend.

Das Unternehmen hat nun etwas geändert, muss das aber so verkünden, dass sowohl Nutzer als auch Investoren zufrieden sind. Aus dem Mund von Del Harvey, Vizepräsidentin im Bereich „Vertrauen und Sicherheit“ bei Twitter, klingt das so: „Einer der Kernaspekte von Twitter ist es, dass die Nutzer die Kontrolle über ihre Erfahrungen behalten. Wir wollen auf keinen Fall eine Position übernehmen, in der wir sagen: Das ist die Erfahrung, die ihr haben solltet.“ Heißt übersetzt: Schreibt doch weiter, was ihr wollt – aber es könnte nun sein, dass sich jemand darüber aufregt.

Die Nutzer sollen anstößige Tweeds einfacher melden und andere Nutzer blockieren können – und sie sollen auf das Fehlverhalten anderer aufmerksam machen, auch wenn sie nicht direkt involviert sind. Twitter behält sich vor, unanständige Nutzer auszuschließen. Die Veränderungen sind notwendig, auch für das Unternehmen, schließlich hat Geschäftsführer Dick Costolo das ambitionierte Ziel, „weltweit das größte tägliche Publikum zu erreichen“. Das kann ihm freilich nur gelingen, wenn die Menschen die Plattform weiter mit freier Meinungsäußerung und Revolutionen assoziieren und nicht mit Androhungen von Vergewaltigungen und explodierenden Bomben in Klassenzimmern.

Viele der mittlerweile 284 Millionen Nutzer, hatten sich stärkere Veränderungen gewünscht. Ein gesperrter Kunde etwa kann recht einfach einen neuen Zugang anlegen. Es gibt auch noch keine Möglichkeit, mehrere Accounts zu melden. Es ist jedoch ein Schritt in die richtige Richtung, Harvey sagt: „Es ist der erste Schritt einer langen Reise.“ Mehr als 500 Millionen Tweets werden pro Tag abgesetzt, es ist gewiss nicht einfach, die gefährlichen Einträge herauszufiltern.

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