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Wie wir uns erinnern

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"Stell dir vor, der Mauerfall würde sich heute ereignen. Wie sähe das wohl aus? Wie würden wir die Umstürze festhalten? Und hätten die Bilder andere Inhalte oder einen anderen Zugang als damals?" Das haben wir uns vor ein paar Wochen hier gefragt - und deshalb mit Flickr ein Fotoalbum gestartet. Auftrag dort: Zeigt uns euer Bild der Wiedervereinigung seit 1989.

Knapp 700 Fotos sind zusammengekommen. Von der Mauer, von Grenzposten. Vom Alltag und von Kunst. Einige davon sind historisch, viele zeigen die Gedenkfeiern anlässlich des 25-jährigen Jubiläums. Wie sich die Darstellung im Vergleich zu früher verändert hat, und wie wir uns entsprechend heutzutage an historische und aktuelle Ereignisse erinnern, das haben wir noch mal Christine Lohmeier gefragt. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LMU München und Vertretungsprofessorin an der Universität Bremen.





jetzt.de: Frau Lohmeier, eines fällt schon beim ersten Durchschauen der Bilder auf: Es gibt quasi keine Selfies.
Christine Lohmeier:  Es geht sogar noch weiter. Es sind insgesamt sehr wenig Leute auf den Fotos zu sehen. Die einfachen Snapshots fehlen quasi komplett.

Können Sie sich das erklären?
Es fiele mir schwer, daraus ein generalisiertes Statement zu ziehen. Ich vermute eher, dass diese Art der Fotocommunity eine bestimmte Klientel anzieht: Menschen, die ein Faible für Fotografie haben und deshalb einen gewissen Anspruch an ihre Bilder.

Das würde auch erklären, warum viele der Bilder sehr professionell wirken.
Ich würde sogar sagen: Ein großer Teil geht in Richtung Kunst. Und zwar im doppelten Sinne: Es ist sehr viel Kunst als Objekt auf den Bildern zu sehen. Viele der Bilder haben aber auch selbst einen künstlerischen Anspruch.




Foto: Hagens World
 
Man bemerkt außerdem einen Bruch: Am Anfang finden sich noch viele verschiedene Themen auf den Fotos. Dann kam die Gedenkfeier zum Jubiläum. Ab da dominieren Bilder, auf denen die Feierlichkeiten und die Kunstinstallation mit den weißen Ballons zu sehen sind.
Stimmt. Man kann daran erkennen, welche Bedeutung Kunst für das kollektive Erinnern spielen kann. Bei aussagekräftigen Bildern ist eben nicht nur entscheidend, was man auf ihnen sieht. Es geht um mehr als das Objekt, das man fotografiert hat.




Foto: Andreas Jeckstadt

Nämlich?
Um Emotionen oder Erinnerung, die mitschwingen. Und um die Verquickung von Zeit und Ort. Es scheint in vielen Bildern eine bestimmte Stimmung durch: Die Lichterkette hat eine gewisse Feierlichkeit. Gleichzeitig hat sie aber auch eine sehr bedächtige Atmosphäre. Da geht es weniger darum, explizit die Lichtinstallation abzubilden – sondern eben die Stimmung des Tages. Und des Ortes zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Geht es auch darum festzuhalten, wo wir waren? Wer sehr viel fotografiert, dokumentiert damit ja auch, was er wo wann gemacht hat. Verorten wir uns damit stärker als früher selbst?
Das kann sehr gut sein, ja. Erinnerungen sind ein Teil unserer Identität. Fotos auch. Inzwischen vermutlich noch mehr als früher. Weil sie oft sagen: Ich war da, ich interessiere mich für solche Dinge. Vielleicht auch: Das ist ein Teil meiner Geschichte. Es gibt zum Beispiel ein Bild, da hat jemand eine Pioniersuniform fotografiert – das sticht sehr raus. Keine Ahnung, ob das seine eigene war oder ob er sie nur irgendwo gesehen hat. Aber in beiden Fällen ist es Teil einer Identität. Entweder, weil man es selbst mitgemacht hat, oder weil man sich davon abgrenzt. Die Auseinandersetzung, die durch die Fotos stattfindet, prägt sehr, wie wir uns selber sehen und verstehen.

Offenbar brauchen wir Jubiläen und Gedenkfeiern dafür aber auch noch.
Solche offiziellen Veranstaltungen regen immer noch zum Erinnern an, klar. Und auch zum Überdenken der eigenen Geschichte. Wenn ein 20-Jähriger auf einem solchen Event steht, erlebt er ein vielleicht ein rauschendes Fest. Oder eine schöne Kunstinstallation. Es schwingt aber trotzdem das Gefühl der Geschichte und der historischen Ereignisse mit. Das ergibt eine Überlappung von verschiedenen Erinnerungen – zum Teil aus dem biografischen Erleben, zum Teil aus dem Geschichtsunterreicht, aus Büchern oder den Medien. Das kommt dann in der eigenen Erinnerungswelt zusammen.

Und welchen Einfluss hat es, wenn er das dann in sozialen Netzwerken teilt?  Erinnern wir uns durch die Art, wie wir unser Leben dokumentieren, inzwischen anders? Detaillierter? Oder lagern wir es nur auf Festplatten aus?
(lacht) Wir tragen unsere Erinnerungen schon noch mit uns. Aber es gibt Studien, die sagen, dass Menschen, die viel fotografieren, sich erst mal weniger erinnern können.




Foto: Iavor Naydenov

Dafür können sie sich Details immer wieder in Erinnerung rufen.
Ja, aber die tatsächliche Erinnerungsarbeit entsteht erst darüber, dass wir die Bilder verwerten. Indem wir sie zum Beispiel irgendwo hochladen und mit anderen teilen. Es bringt mir nichts, wenn die Fotos nur auf einer Festplatte liegen, auf der sie niemand mehr anschaut.

Ist denn das Nachbearbeiten auch schon eine Form der Auseinandersetzung und des Erinnerns?
Der künstlerische Anspruch spielt da schon eine größere Rolle. Aber klar: Ich mache mir damit Gedanken darüber, was ich der Nachwelt wie hinterlassen möchte beziehungsweise, was ich einer Community wie präsentieren möchte. Der Aspekt, der für mich auf den Bildern vielleicht am besten herauskam, ist aber, dass Erinnern nicht chronologisch passiert.
 
Wir erinnern uns ungeordnet?
Na ja. Wir erinnern uns nicht chronologisch. Es gibt eher Assoziationen, zwischen denen wir gedanklich hin und her springen. Die Lichterketten in den Gedenkfeiern können Erinnerungen auslösen zur Vergangenheit. Das Nicht-Chronologische des Erinnerns, und auch das Überlappen von verschiedenen Zeiten, die sich durchmischen in unserer Erinnerung, das bildet die Sammlung sehr gut ab.

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