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Tod eines Häftlings

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Im „Tatort“ kam am Sonntagabend mal wieder die Rede auf „Bruchsal“. Selbstverständlich ging es, als die Stuttgarter Fernsehfahnder von der Stadt am Rand des Kraichgaus sprachen, um Schwerkriminelle mit Drogenproblemen. In Bruchsal, das weiß man, sitzen die ganz harten Jungs ein. Wie es hinter den Mauern der Justizvollzugsanstalt Bruchsal wirklich zugeht, beschäftigt nun die Politik in Baden-Württemberg. Denn am 9. August ist dort ein hochaggressiver, möglicherweise an Wahnvorstellungen leidender Gefangener an Unterernährung gestorben. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ermittelt gegen den Anstaltsleiter und eine Ärztin wegen fahrlässiger Tötung. Aber kann das die einzige Konsequenz bleiben? Der 33-jährige Häftling Rasmane K., verhungert unter den Augen von Wärtern, Medizinern, Anstaltsleitung: Das ist eine Schande für das ganze Land und wirft die Frage auf, ob in allen Gefängnissen Baden-Württembergs die Sitten derart verroht sind.



Mittlerweile ist bekannt geworden, dass in Bruchsal mindestens ein weiterer Häftling ohne Genehmigung in Einzelhaft saß.

Die Opposition aus CDU und FDP hat sich auf Justizminister Rainer Stickelberger eingeschossen. Am Montag musste der Minister im Ständigen Ausschuss des Landtags Rede und Antwort stehen, fast sechs Stunden lang. Hinterher ließ Bernhard Lasotta im Namen der CDU erkennen, seine Fraktion werde den Rücktritt von Stickelberger fordern.

Rainer Stickelberger, 63, ein Jurist, gilt über die Parteigrenzen hinweg als honoriger Mann. Er ist erst seit dem Machtwechsel 2011 im Amt und trägt bestimmt nicht die Verantwortung für alle Missstände, von denen nun täglich neu berichtet wird. Aber der Minister hat es sich wohl zu leicht gemacht, als er den Anstaltsleiter suspendierte – er hatte die Einzelhaft für Rasmane K. nicht genehmigen lassen – und ansonsten jede Verantwortung von sich wies. Der Minister hat es versäumt, sich an die Spitze der Aufklärer zu setzen. Und so fällt jetzt jede Enthüllung auf ihn selbst zurück.

Rasmane K., so viel steht fest, war als Problemfall im Justizministerium aktenkundig, ehe man ihn tot in seiner Zelle fand, bei einer Größe von 1,85 nur noch 57 Kilo schwer. Der Mann aus Burkina Faso, als Asylbewerber im Jahr 2003 nach Deutschland gekommen, saß wegen Totschlags in Haft, weil er seine Lebensgefährtin erstochen hatte. Im Frühjahr 2012 verletzte RasmaneK. im Gefängnis in Offenburg einen Justizvollzugsbeamten mit einem Kopfstoß lebensgefährlich, er wurde nach Freiburg verlegt. Weil er im Sommer 2013 erneut einen Beamten angriff, kam K. dann von Freiburg nach Bruchsal.

Rasmane K. saß in Einzelhaft, in Freiburg wie in Bruchsal. Die „unausgesetzte Absonderung“, wie das im Beamtendeutsch heißt, muss vom Justizministerium genehmigt werden, wenn sie länger als drei Monate dauert. Der Anstaltsleiter in Bruchsal beantragte sie für Rasmane K. letztmals im Dezember 2013, die Genehmigung galt für ein Vierteljahr. Darauf beruft sich Stickelberger: Seit Anfang April galt Rasmane K. laut Akten nicht mehr als Einzelhäftling. Auch habe die JVA entgegen den Vorschriften nicht berichtet, dass der Häftling nichts mehr aß. Doch Stickelbergers Kritiker halten dagegen: Das Ministerium hätte nachfragen müssen.

Bei Nachfrage hätte das Ministerium in Erfahrung bringen können, wie es um Rasmane K. stand. Wie er immer unzugänglicher wurde. Kein Duschen, kein Hofgang, kein Essen. Alles, was man ihm durch die Klappe reichte, lehnte er ab, offenbar aus Angst, vergiftet zu werden. Er ernährte sich von selbst gekauftem Müsli. Im Januar 2014 stellte ein Psychiater fest, „dass bei dem Gefangenen eine Behandlungsbedürftigkeit, aber keine Behandlungsbereitschaft“ bestehe. Man unternahm: nichts. Wirklich nur ein tragischer Einzelfall?

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass in Bruchsal mindestens ein weiterer Häftling ohne Genehmigung in Einzelhaft saß. Bekannt wurde auch, dass sich Mitarbeiter der JVA Bruchsal makabre Scherze erlaubten. Sie steckten Kollegen in gestreifte Häftlingskostüme, ketteten sie „einvernehmlich“ an eine Heizung, verklebten ihnen den Mund, beschmierten sie mit schwarzer Schuhcreme. Mehrmals rügten Gerichte in den vergangenen Jahren, dass der Anstaltsleiter generell Nackt-Untersuchungen bei Gefangenen anordnete, die die Anstalt verließen oder in die Anstalt zurückkehrten. Nacktuntersuchung samt Anus-Inspektion – das ist ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, er muss maßvoll eingesetzt werden. Die neueste Enthüllung: Zwei Sozialarbeiter machten sich über Häftlinge Notizen, die das Justizministerium nun als „nicht hinnehmbare Entgleisungen“ wertet. Offenbar hatten sie auch mit Rasmane K. zu tun.

Minister Stickelberger hat als Reaktion auf den Tod von Rasmane K. angekündigt, in den Gefängnissen mehr externe Psychiater zu Rate ziehen zu lassen. Auch muss das Justizministerium künftig über jede Einzelhaft abschließend unterrichtet werden. Am Montag wurde zudem bekannt, dass der Leiter der Abteilung Justizvollzug im Justizministerium seinen Posten vorzeitig räumen muss. Angeblich hatte er dem Minister Informationen vorenthalten. Das wirkte wieder, als wälze Rainer Stickelberger Verantwortung ab.

Unabhängig von der Person des Justizministers wäre es wohl an der Zeit, die Zustände in den Gefängnissen von Baden-Württemberg grundsätzlich zu untersuchen. Denn seit dem Tod von Rasmane K. gerät jede Meldung zum Skandal: Selbstmordversuche in der JVA Heimsheim, Kellerverliese in der JVA Ravensburg, Schlägereien im Jugendgefängnis Adelsheim. Das Vertrauen in den Justizvollzug hat schwer gelitten.

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