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Wein halt!

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Der letzte große Schmerz kam bei mir wegen eines Jeansgeschäfts. Schon zu Schulzeiten bin ich daran immer mit der Tram vorbeigefahren. Und schon damals kam es mir ganz schön, nun ja, „kultig“ vor. Reingegangen bin ich nie. Trotzdem war die Trauer groß, als ich erfuhr, dass „Tamara’s Jeans“ in der Müllerstraße schließen muss. Eher aus Prinzip: Stattdessen sollte schließlich irgendein durchdesignter, überteuerter Klamottenladen reinkommen. Klar, dass ein lebenslanger Kauf-Boykott sogleich beschlossene Sache war, noch ehe „Tamara’s“ Apostroph-lastiger Schriftzug entfernt war. Das ist inzwischen etwas her. Aber auch Ende des Jahres wird der Klagegesang auf die Gentrifizierung wieder laut erklingen. Zu Recht. Da macht schließlich das Atomic Café zu. Und was auch immer stattdessen kommt: Es wird es schwer haben.




Reaktionäre Barbesucherin - Abbildung ähnlich.
 
Im Boykottieren von Nachfolge-Läden und -Kneipen hat München schließlich Übung. Verständlich: Als einst der Club 2 zumachen musste, weil sich ein Anwohner über den Lärm der Livekonzerte beklagt hatte, wurde er durch einen Thailänder ersetzt. Mit angeschlossenem Massagestudio. Als die Rakete Bar am Johannisplatz schließen musste, weil das Haus renoviert werden sollte, kam eine farblich passende Weinbar namens Goldloch. Da sind einem auf den ersten Blick ja selbst Wortspiele zuwider.
 
Wenn der Kneipier des Vertrauens aufgibt (oder aufgeben muss), gibt es einen Bruch in der Ausgehbiographie. Und es übertreibt nicht, wer einmal wieder deutlich herausruft, dass die in München noch immer besonders schmerzen.
 
Natürlich ist es ein Klischee, das noch nie ganz zutraf, dass es hier nichts gibt. Aber die Auswahl an guten, ehrlichen Läden ist immer noch beschränkt. Deprimierend beschränkt manchmal auch. Warum? Na weil diese Stadt – und auch das ist oft gesagt worden, aber das heißt ja nicht, dass es deshalb weniger wahr ist – verdammt noch mal für alles zu teuer ist. Nicht nur für die Kunden. Vor allem für die herrlich planlosen Experimente von Wirten. Kaum jemand kann es sich leisten, einfach mal loszuwerkeln und dann zu schauen, was dabei rauskommt. Stattdessen machen eben solche Kneipen auf, deren Betreiber in der Lage sind, 50-seitige Business-Pläne zu schreiben. Eine durchaus ehrenwerte und lebenspraktische Fähigkeit – die man Kneipen aber auch schnell ansieht. Wenn also wieder einer von den wirklich guten Läden der Stadt zumachen muss, wenn dann statt der gemütlich-verranzten „Dive-Bar“ die x-te Location mit retro-futuristischem Second-Hand-Scheißdreck aufmacht: Was dann?
 
Dann kommen die Phasen der Trauerarbeit. Phase 1: Ignorieren und einfach immer weiter hinlatschen. Kann doch sein, dass man sich beim letzten Mal nur in der Uhrzeit geirrt hat. Oder im Tag. Oder? Phase 2: Verzweiflung. Verbunden mit radikalem Rückzug ins Private – vor allem abends. Weil man damit aber auf einmal sehr viel Zeit und Energie übrig hat, wechselt man Schnurstracks in Phase 3: Wut, fehlgeleitetes politisches Engagement, entrüstete Boykottandrohungen und Online-Petitionen. Wenn die selbst die größten Konzerne in die Knie zwingen können, warum dann nicht auch Münchner Hausbesitzer? Also wird möglichst öffentlich – normalerweise also via Facebook – verkündet, dass man „NIEMALS nie nicht“ auch nur eine Zehenspitze in das Nachfolgelokal setzen wird. Man habe ja schließlich seinen Stolz und überhaupt – so ja nun nicht!
 
Irgendwo muss sie schließlich hin, die Wut. Und weil sie dem Hausbesitzer nun mal meist herzlich egal ist, bleibt für den Hass eben nur, genau: der Nachfolger. Also wird der aber so dermaßen boykottiert, dass ihm ganz schwindlig wird. Der wird sich noch umschauen, mit wem er sich da angelegt hat. Und wenn die Wut in den sozialen Netzwerken erst mal viral geht, dann aber gnade dem Nachfolger Gott! Richtig? Na ja. Vielleicht doch noch einmal Luft holen.
 
Denn diese durchaus ins Hysterische changierende Form des Protestes ist: ziemlich genau so münchnerisch wie die Gentrifizierung. Doch, doch!
 
Denn das selbstzufriedene Gepolter vernebelt schnell den Blick darauf, wie unglaublich reaktionär dieser Trotz eigentlich ist. Wie peinlich und konservativ. Wie alt im schlimmsten Fall sogar. Ist jeder neue Club, jede neue Bar denn nicht erst mal ein Versprechen? Etwas, das es zunächst zu bejubeln gilt? Wer erst trauert und bockt, und dann schaut, was da stattdessen gekommen ist, der möchte nur den Status quo bewahren. Der vergisst, dass Kneipen schon immer eine vorinstallierte Sollbruchstelle innewohnte. Mehr als 90 Prozent aller Gastronomie-Betriebe scheitern innerhalb der ersten zwei Jahre. So ist das in dem harten Geschäft. So war es schon immer. Wenn es die Lieblingskneipe trifft, ist das hart. Aber eben nicht außergewöhnlich.
 
Und wer das erkannt hat, kann endlich in die sehr viel entspanntere Phase 4 übergehen: Lethargie, Serienmarathons, Sofakissen vor dem Bauch. Wer braucht schon eine Lieblingsbar, wenn er seine Abende auch mit Jesse Pinkman verbringen kann? Und wer dann nach zwei Wochen merkt, dass alleine doch doof ist, der kommt endlich in die letzte, die Phase 5: Akzeptanz. Merken, dass das Goldloch nichts dafür kann, dass es die Rakete mal gab. Anerkennen, dass „Tamara’s Jeans“ einfach nicht davon leben konnte, nur als ach so kultige Kulisse für romantische Szeneschnösel zu dienen. Wissen, dass es irgendwann einen Ersatz selbst für das Atomic geben wird. Und dann? Raus und eine neue Lieblingskneipe suchen. Oder aufmachen. Nicht leicht, aber machbar. Ganz sicher! Nur Mut, du schaffst das!

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