Die Mädchenfrage:
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Liebe Jungs,
ihr weint, ihr kocht, ihr bügelt, ihr chillt gern auf dem Spielplatz, ihr nehmt euch gegenseitig in den Arm und singt traurige Lieder auf der Gitarre. Ihr bewundert Frauen für ihre Führungsstärke, findet aber auch diese Frauen-gehen-durch-die-Stadt-Videos noch total wichtig für das soziale Miteinander, weil: Die Gleichberechtigung ist erst durch, wenn sich keine Frau mehr doof anmachen lassen muss. Und so weiter. Ist ja 2014 und wir sind alle total modern.
Jetzt gibt’s aber so Moves von euch, die überhaupt nicht dazu passen. Zum Beispiel: Manchmal, wenn ihr über irgendwas redet, das ihr peinlich und versagermäßig von euch selbst fandet, lacht ihr ganz traurig, macht mit den Finger so ein bestimmtes Symbol und das Geräusch "SchnippSchnapp" – ihr habt euch grad die Eier abgeschnitten, soll das heißen. Währenddessen sucht ihr nach den Blicken der anderen Jungs im Raum und wenn ihr sie habt, lacht ihr laut und dreckig mit ihnen über das Eier-verlieren, das offenbar unter Jungs auch 2014 noch ein total codierte Sache ist.
Wir checkens nicht. Verknüpft ihr euer Selbstbewusstsein tatsächlich noch über eine gewisse Idealform der Männlichkeit, so dass die "Eier" als Symbolbild total gut passen? Was genau sollen diese Eier sein, für was stehen die und wer hat euch das beigebracht und wie kommt es, dass ihr, die ihr doch so wahnsinnig reflektiert immer tut, da total tumb zurückfallt in so einen 50er Jahre-Kleine-Jungs-Humor?
Noch dazu kommt, dass wir den Reiz des Witzes nicht mal nachvollziehen können, weil wir so was einfach nicht haben, diese vollständige Identifikation über unsere Geschlechtsteile. Korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber mir fiele nichts als Pendant zu eurem Eiersymbolbild ein – wir würden uns ja nie in gemischter Runde zu den Frauen drehen, wenn wir von einer Peinlichkeit erzählen, und laut rausgackern: Oh oh, Schnipp schnapp, Titten abgeschnitten!
Und ich wüsste auch gar nicht, was das genau für ein speziell "weibliches" Selbstbild sein sollte, dem ich "als Frau" nicht untreu werden dürfte. Ich denk mir halt: Ich bin ich, ganz normal, und wenn ich was Blödes mache, das peinlich ist und mich vermeintlich als Loser oder Nichtchecker dastehen lässt, sag ich halt: "Oh Gott, peinlich ey" oder "ich Loser" oder "Ich Nichtchecker!". Aber ich sag doch nicht: Oh no, jetzt hab ich keine Weiblichkeit mehr!
Also, bitte Aufklärung: was genau hat das mit dieser Eierverlustangst zu bedeuten? Wer hat euch die beigebracht und wieso scheint sie euch trotz aller Geschlechterdiskurse noch so wahnsinnig selbstverständlich?
PS: Und jetzt bitte kein zuckersüßes Rechtfertigungsgerede hier, wir wollen schon gern tief reinschauen in die Abgründe eurer unterdrückten Machoträume!
Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort von Jakob Biazza.
[seitenumbruch]Die Jungsantwort:
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Liebe Mädchen,
Mal geschwind reinschauen:
https://www.youtube.com/watch?v=z47DJEjVQbs
Das nicht.
Wobei ich in dem Ganzen aus einem sehr privaten Spleen heraus und begünstigt durch eine leichte Persönlichkeitsstörung viel Schönheit erblicke. Das nur zur "zuckersüßen Rechtfertigungsrede". Diese Leidenschaft ist aber nicht sehr repräsentativ.
Ich komme auf Kid Rock, weil ich vor vielen Jahren in einer Konzertkritik (für eine Zeitung, bei der man "Rezension" dazu sagt) die Phrase "hat der dicke Eier" benutzt habe. Und der zuständige Feuilleton-Redakteur – Theater-Kenner, Mozart-Experte und auf intelligent-sensible Art sehr vorsichtig bei Themen der political correctness – hat sie durchgewinkt. Weil: Es gibt sprachliche Codes, die die Welt derart auf den Punkt bringen, dass man ihnen ihre vordergründige Hässlichkeit verzeiht. Oder wenigstens verzeihen sollte. "Kack dir mal nicht die Waden voll!" – zum Beispiel. Glaube, die meisten von denen spielen irgendwo unterhalb der Gürtellinie.
Der Punkt ist nämlich, dass mindestens ein grundlegendes Missverständnis vorliegt: Bei uns geht es, wenn überhaupt, ums Eierhaben. Nicht ums Eierverlieren. Eierverlieren, das ist tatsächlich dieses Fünfzigerjahre "Der hat jetzt die Dings geheiratet und die hat ihm die Eier abgeschnitten"-Gefühl. Leute, die sowas sagen, sagen auch "Fotzenknecht". So meinen wir’s nicht. Bei uns geht es nicht um Entmannung. Wir meinen mit Eiern eine bestimmte Art, der Welt zu begegnen.
Auch bei der verstehe ich aber eure Irritation: Eierhaben und das zum Qualitätsmerkmal machen, das ist was für Oli Kahn auf dem Fußballplatz. Oder Oli Kahn im P1. Oder Oli Kahn als Fußballexperte. Gell? Falsch! Tatsächlich könnte es aber ziemlich genau Oli Kahn gewesen sein, der der Welt dieses – da will ich jetzt auch nicht herumdrucksen – ganz gewaltig gute Bild zurückgebracht hat, als er nach einem verlorenen Bayernspiel eben das Fehlen von "Eiern!" konstatierte.
https://www.youtube.com/watch?v=GMnBOQAxe4c
Wissen wir!
Damit hat der Torwart nämlich die Rehabilitation über den Umweg der Ironie ermöglicht. Wir haben Kahns Eier-Metapher erst eine zeitlang scherzhaft benutzt. Mit "Hi hi wir machen auf Prolet"-Gestus. Dann nur noch halbscherzhaft. Und irgendwann ist uns aufgefallen, dass sie funktioniert. Weil sie ein Gefühl verdichtet, für das es sonst viele Nebensätze gebraucht hat.
Also haben wir sie reanimiert und zwar mit einer für unsere Zwecke und die Zeit angemessenen Bedeutung. Etwas "mit Eiern" zu tun, ergo Eier zu haben, meint ungefähr, es konkret zu tun. Ein bisschen auch mit dem Habitus, den man früher, als wir alle noch naiver waren, cool genannt hätte, und zu dem wir heute vielleicht authentisch sagen, geradlinig oder souverän. Es können auch Spuren von Mut enthalten sein. Man nimmt sich was vor und setzt es auch genauso um. Bäm: Eier! Man steht für etwas ein, das gesellschaftlich möglicherweise etwas unbequem ist. Tschaka-Bumm: Eier!
Was das Pendant bei euch sein KÖNNTE, ist deshalb auch wahnsinnig egal. Ich wage nämlich eine Prognose: Gebt dieser herrlichen unter guten Phrasen noch ein bisschen Zeit, dann benutzt ihr sie auch. Eierhaben – wie wir es meinen – ist an sich nämlich unisex. Quasi Emanzipation durch die Hintertür. Die Gleichberechtigung ist nämlich nicht "erst durch, wenn sich keine Frau mehr doof anmachen lassen muss". Sie ist erst dann wirklich durch, wenn ihr auch mal sagt: "Krass langweilige Künstlerin – null Eier!"
PS: Was die Schnipp-Schnapp-Geste betrifft, auf die du anspielst: Da ging es um eine Situation, in der der Kollege ewas ganz besonders Konkretes tun wollte - und dann zurückgezogen hat. Das war im Eifer des Gefechts schlampig benutzt. Sprachlich und inhaltlich: Erstens, weil es eigentlich heißen sollte, dass er keine Eier gehabt hat. Und zweitens, weil das wiederum gar nicht stimmte. Zu sagen, "Ich wollte etwas unbedingt tun, habe aber gemerkt, dass das falsch wäre, also habe ich's gelassen", dafür braucht es ja nun mal wirklich: Eier!
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Liebe Jungs,
ihr weint, ihr kocht, ihr bügelt, ihr chillt gern auf dem Spielplatz, ihr nehmt euch gegenseitig in den Arm und singt traurige Lieder auf der Gitarre. Ihr bewundert Frauen für ihre Führungsstärke, findet aber auch diese Frauen-gehen-durch-die-Stadt-Videos noch total wichtig für das soziale Miteinander, weil: Die Gleichberechtigung ist erst durch, wenn sich keine Frau mehr doof anmachen lassen muss. Und so weiter. Ist ja 2014 und wir sind alle total modern.
Jetzt gibt’s aber so Moves von euch, die überhaupt nicht dazu passen. Zum Beispiel: Manchmal, wenn ihr über irgendwas redet, das ihr peinlich und versagermäßig von euch selbst fandet, lacht ihr ganz traurig, macht mit den Finger so ein bestimmtes Symbol und das Geräusch "SchnippSchnapp" – ihr habt euch grad die Eier abgeschnitten, soll das heißen. Währenddessen sucht ihr nach den Blicken der anderen Jungs im Raum und wenn ihr sie habt, lacht ihr laut und dreckig mit ihnen über das Eier-verlieren, das offenbar unter Jungs auch 2014 noch ein total codierte Sache ist.
Wir checkens nicht. Verknüpft ihr euer Selbstbewusstsein tatsächlich noch über eine gewisse Idealform der Männlichkeit, so dass die "Eier" als Symbolbild total gut passen? Was genau sollen diese Eier sein, für was stehen die und wer hat euch das beigebracht und wie kommt es, dass ihr, die ihr doch so wahnsinnig reflektiert immer tut, da total tumb zurückfallt in so einen 50er Jahre-Kleine-Jungs-Humor?
Noch dazu kommt, dass wir den Reiz des Witzes nicht mal nachvollziehen können, weil wir so was einfach nicht haben, diese vollständige Identifikation über unsere Geschlechtsteile. Korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber mir fiele nichts als Pendant zu eurem Eiersymbolbild ein – wir würden uns ja nie in gemischter Runde zu den Frauen drehen, wenn wir von einer Peinlichkeit erzählen, und laut rausgackern: Oh oh, Schnipp schnapp, Titten abgeschnitten!
Und ich wüsste auch gar nicht, was das genau für ein speziell "weibliches" Selbstbild sein sollte, dem ich "als Frau" nicht untreu werden dürfte. Ich denk mir halt: Ich bin ich, ganz normal, und wenn ich was Blödes mache, das peinlich ist und mich vermeintlich als Loser oder Nichtchecker dastehen lässt, sag ich halt: "Oh Gott, peinlich ey" oder "ich Loser" oder "Ich Nichtchecker!". Aber ich sag doch nicht: Oh no, jetzt hab ich keine Weiblichkeit mehr!
Also, bitte Aufklärung: was genau hat das mit dieser Eierverlustangst zu bedeuten? Wer hat euch die beigebracht und wieso scheint sie euch trotz aller Geschlechterdiskurse noch so wahnsinnig selbstverständlich?
PS: Und jetzt bitte kein zuckersüßes Rechtfertigungsgerede hier, wir wollen schon gern tief reinschauen in die Abgründe eurer unterdrückten Machoträume!
Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort von Jakob Biazza.
[seitenumbruch]Die Jungsantwort:
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Liebe Mädchen,
Mal geschwind reinschauen:
https://www.youtube.com/watch?v=z47DJEjVQbs
Das nicht.
Wobei ich in dem Ganzen aus einem sehr privaten Spleen heraus und begünstigt durch eine leichte Persönlichkeitsstörung viel Schönheit erblicke. Das nur zur "zuckersüßen Rechtfertigungsrede". Diese Leidenschaft ist aber nicht sehr repräsentativ.
Ich komme auf Kid Rock, weil ich vor vielen Jahren in einer Konzertkritik (für eine Zeitung, bei der man "Rezension" dazu sagt) die Phrase "hat der dicke Eier" benutzt habe. Und der zuständige Feuilleton-Redakteur – Theater-Kenner, Mozart-Experte und auf intelligent-sensible Art sehr vorsichtig bei Themen der political correctness – hat sie durchgewinkt. Weil: Es gibt sprachliche Codes, die die Welt derart auf den Punkt bringen, dass man ihnen ihre vordergründige Hässlichkeit verzeiht. Oder wenigstens verzeihen sollte. "Kack dir mal nicht die Waden voll!" – zum Beispiel. Glaube, die meisten von denen spielen irgendwo unterhalb der Gürtellinie.
Der Punkt ist nämlich, dass mindestens ein grundlegendes Missverständnis vorliegt: Bei uns geht es, wenn überhaupt, ums Eierhaben. Nicht ums Eierverlieren. Eierverlieren, das ist tatsächlich dieses Fünfzigerjahre "Der hat jetzt die Dings geheiratet und die hat ihm die Eier abgeschnitten"-Gefühl. Leute, die sowas sagen, sagen auch "Fotzenknecht". So meinen wir’s nicht. Bei uns geht es nicht um Entmannung. Wir meinen mit Eiern eine bestimmte Art, der Welt zu begegnen.
Auch bei der verstehe ich aber eure Irritation: Eierhaben und das zum Qualitätsmerkmal machen, das ist was für Oli Kahn auf dem Fußballplatz. Oder Oli Kahn im P1. Oder Oli Kahn als Fußballexperte. Gell? Falsch! Tatsächlich könnte es aber ziemlich genau Oli Kahn gewesen sein, der der Welt dieses – da will ich jetzt auch nicht herumdrucksen – ganz gewaltig gute Bild zurückgebracht hat, als er nach einem verlorenen Bayernspiel eben das Fehlen von "Eiern!" konstatierte.
https://www.youtube.com/watch?v=GMnBOQAxe4c
Wissen wir!
Damit hat der Torwart nämlich die Rehabilitation über den Umweg der Ironie ermöglicht. Wir haben Kahns Eier-Metapher erst eine zeitlang scherzhaft benutzt. Mit "Hi hi wir machen auf Prolet"-Gestus. Dann nur noch halbscherzhaft. Und irgendwann ist uns aufgefallen, dass sie funktioniert. Weil sie ein Gefühl verdichtet, für das es sonst viele Nebensätze gebraucht hat.
Also haben wir sie reanimiert und zwar mit einer für unsere Zwecke und die Zeit angemessenen Bedeutung. Etwas "mit Eiern" zu tun, ergo Eier zu haben, meint ungefähr, es konkret zu tun. Ein bisschen auch mit dem Habitus, den man früher, als wir alle noch naiver waren, cool genannt hätte, und zu dem wir heute vielleicht authentisch sagen, geradlinig oder souverän. Es können auch Spuren von Mut enthalten sein. Man nimmt sich was vor und setzt es auch genauso um. Bäm: Eier! Man steht für etwas ein, das gesellschaftlich möglicherweise etwas unbequem ist. Tschaka-Bumm: Eier!
Was das Pendant bei euch sein KÖNNTE, ist deshalb auch wahnsinnig egal. Ich wage nämlich eine Prognose: Gebt dieser herrlichen unter guten Phrasen noch ein bisschen Zeit, dann benutzt ihr sie auch. Eierhaben – wie wir es meinen – ist an sich nämlich unisex. Quasi Emanzipation durch die Hintertür. Die Gleichberechtigung ist nämlich nicht "erst durch, wenn sich keine Frau mehr doof anmachen lassen muss". Sie ist erst dann wirklich durch, wenn ihr auch mal sagt: "Krass langweilige Künstlerin – null Eier!"
PS: Was die Schnipp-Schnapp-Geste betrifft, auf die du anspielst: Da ging es um eine Situation, in der der Kollege ewas ganz besonders Konkretes tun wollte - und dann zurückgezogen hat. Das war im Eifer des Gefechts schlampig benutzt. Sprachlich und inhaltlich: Erstens, weil es eigentlich heißen sollte, dass er keine Eier gehabt hat. Und zweitens, weil das wiederum gar nicht stimmte. Zu sagen, "Ich wollte etwas unbedingt tun, habe aber gemerkt, dass das falsch wäre, also habe ich's gelassen", dafür braucht es ja nun mal wirklich: Eier!