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Die beiden Gründer sind die besten Freunde. Ins Büro kommen sie oft im Partnerlook, beide lieben knallenge Jeans und Sakkos. Sie haben die gleiche dunkelbraune Kurzhaarfrisur, die gleichen braunen Augen. Sie kennen sich, seitdem sie 14 sind, beide sind in Beverly Hills aufgewachsen. An der Uni waren sie ständig zusammen. Sie gründen ein Start-up zusammen, der eine wird Vorstandschef, der andere Marketingvorstand. Sie laden sich gegenseitig zum Abendessen zu den Eltern ein. Und als der eine von beiden sein Auto zu Schrott fährt, leiht er sich einfach das Auto des anderen. Schließlich fahren beide den exakt gleichen schwarzen 115000 Dollar teuren G-Klasse-Mercedes. Auch heute noch, nachdem alles den Bach runter gegangen ist, reden sie vier Mal am Tag miteinander.



Gebrochene Herzen bei denen, die sie eigentlich zusammenbringen sollten: Beziehungschaos bei den Gründern von "Tinder". 

Sean Rad und Justin Mateen, beide 28 Jahre alt, haben Tinder gemeinsam gegründet. Das ist diese unglaublich erfolgreiche Dating-App. Hinter den Kulissen tobt ein Streit um Sex, Liebe, Freundschaft, Penisbildchen und verletzte Egos. Marketingchef Mateen musste vor ein paar Wochen gehen. Nun hat der Skandal auch Rad seinen Job gekostet. Er dreht sich um Whitney Wolfe, die bei Tinder im Marketing anheuerte und Mateens Freundin wurde. Als die Beziehung in die Brüche ging, wurde es hässlich. Wolfe hat Tinder und den Hauptinvestor IAC wegen sexueller Belästigung verklagt. Mateen habe Wolfe fiese SMS geschickt und soll sie im Büro mehrfach „Nutte“ genannt haben – und Schlimmeres. Rad war dabei und ist nicht eingeschritten.

Tinder ist ein Start-up-Phänomen mit Wachstumsraten, von denen andere nur träumen. Das Programm funktioniert nur auf dem Smartphone und ist denkbar einfach: Nur ein paar Klicks und schon kann man in der Tinder-App ein Profil erstellen, das aus einer Handvoll Fotos besteht. Wer mag, kann noch drei Sätze über sich sagen, sonst gibt es außer dem Alter keine Informationen. Die App weist per Ortungssystem Männer und Frauen einander zu, die in der Nähe voneinander sind – oder Männer und Männer und Frauen und Frauen, je nach Vorlieben. Wer das Profil auf dem Smartphone-Display nach links zieht, lehnt das Profil ab, wer nach rechts wischt, signalisiert Interesse. Wenn zwei Nutzer das Profil des jeweils anderen nach rechts gewischt haben, ist es ein Match. Jetzt können die beiden miteinander chatten.

Tinder verlangt keine Zusatzinformationen. Das Einzige, was zählt, sind die Fotos. „Wann war das letzte Mal, dass du in eine Bar gekommen bist und jemand zu dir gesagt hat: ,Entschuldigung, kannst du dieses Formular ausfüllen und wir verbinden dich mit Leuten hier?‘“, fragt Tinder-Gründer Rad. Tinder, so der Standard-Vorwurf, ist die oberflächlichste Onlineplattform für Dating der Welt. Aber Rad hat sie erfunden, um Flirten im Offline-Leben zu simulieren. Wer die Frau im Supermarkt nach der Telefonnummer fragt oder dem Typ am anderen Ende des Tresens zuzwinkert, hat diese Entscheidung schließlich auch allein aufgrund von Äußerlichkeiten getroffen. Das Ganze macht süchtig: Im Schnitt beschäftigt sich ein Nutzer elf Mal am Tag mit Tinder. Frauen verbringen pro Session 8,5 Minuten mit dem Links- und Rechtswischen (sie wischen übrigens deutlich seltener nach rechts), Männer 7,2 Minuten. Macht pro Tag gut eineinhalb Stunden.

Es geht bei der App längst nicht nur um One-Night-Stands, Tinder jagt etablierteren Partnerbörsen die Kunden ab. Inzwischen sind auch Menschen bei Tinder, die auf der Suche nach einer ernsthaften Beziehung sind. Bestes Beispiel ist Co-Gründer Rad selbst. Er hat seine Freundin auf Tinder kennengelernt: Alexa Dell, die 20-jährige Tochter des Computer-Milliardärs Michael Dell. Die beiden Partygänger räumen auch gleich mit einem anderen Vorurteil auf: dass Tinder nur etwas für Leute ist, die zu schüchtern sind für Kontakte im richtigen Leben.

Rad und Dell und Mateen und Wolfe waren bis zur Trennung des Marketingchefs von der Marketingmitarbeiterin beste Freunde. Rad hat es nicht geschafft, Beruf und Privates voneinander zu trennen. „Mit seinen besten Freunden in einem Start-up zu arbeiten, ist toll, weil man dadurch Energie für harte Zeiten bekommt“, sagte er dem Magazin Forbes. „Aber die Grenzen sind verschwommen.” Es ist eine schwierige Aufgabe für junge Gründer: eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, die locker und freundschaftlich ist, aber noch immer eine Arbeitsatmosphäre. Im September haben sich IAC und Tinder mit Wolfe geeinigt und ihr eine Million Dollar gezahlt.

Trotz der Kriegerei im Hintergrund ist Tinder ein riesiger Erfolg. In Metropolen wie New York hat die App das Flirten komplett verändert. Es gibt kaum noch junge Leute, die nicht bei Tinder sind – und auch Menschen um die 50 suchen dort Partner oder One-Night-Stands. Wer nicht mitmacht bei dem Trend, beschwert sich, dass sich kaum noch einer die Mühe macht, in einer Bar oder Disko jemanden anzusprechen – Tinder ist unkomplizierter und eine Zurückweisung tut weniger weh.

Tinder veröffentlicht keine offiziellen Nutzerzahlen. Rad gab aber kürzlich in einem Interview Fakten preis: Seit dem Start im Jahr 2012 haben 40 Millionen Menschen weltweit die App heruntergeladen und 30 Millionen sich vollständig registriert – auch in Deutschland ist sie erfolgreich. In den vergangenen zwölf Monaten sind die Nutzerzahlen um 600 Prozent gewachsen. Die Nutzer sehen sich pro Tag 1,2 Milliarden potenzielle Partner an, 14000 pro Sekunde. Und jeden Tag kommt es zu 14 Millionen Matchs. Riesigen Zuwachs gab es im Winter, als die Medien der Welt berichteten, dass die Athleten im Olympischen Dorf bei der Winterolympiade in Sotschi allerlei Techtelmechtel per Tinder eingeleitet haben.

Trotz des beispiellosen Erfolgs konnte Rad das Ende seines Vorstandspostens nicht verhindern. Er hatte Tinder nicht allein entwickelt, sondern in einem Inkubator der New Yorker Internetfirma Inter Active Corp (IAC), zu der rund 40 Unternehmen gehören, auch die gewinnträchtigen Partnerbörsen Match.com und OKCupid.

Wer genau an der Start-up-Gründung beteiligt war und wer wann welche Idee hatte, ist umstritten. Auch Wolfe behauptet, sie müsse zu den Mitgründern gezählt werden – es sei purer Sexismus, dass Mateen und Rad keine Frau als Co-Gründerin wollen. Die beiden bestreiten das. Fest steht: Rad und Mateen hatten beide andere Start-ups gegründet und sind auf der Suche nach einer neuen Aufgabe bei IAC gelandet, wo die Dating-App-Idee Formen annahm. Weil Rad Tinder als eine Art Angestellter gegründet hat, hat ihm IAC nur zehn Prozent der Anteile am Unternehmen überlassen, IAC gehören 60 Prozent. Der wahre Chef bei Tinder ist daher Sam Yagan, der bei IAC für Datingfirmen zuständig ist. Und natürlich der Medienmogul Barry Diller, der IAC-Chairman. Es dürfte Rad nicht geholfen haben, dass inzwischen allgemein bekannt ist, dass er Diller „Dick“, also Penis, genannt hat, und ein Penisbildchen von ihm gekritzelt hat beziehungsweise eine Peniszeichnung, die mit den Initialen BD spielt.

Rad habe es zugelassen, dass die Atmosphäre bei Tinder mehr einer College-Studentenverbindung ähnelt als einem Unternehmen, sagte Chris Gulczynski dem Boulevard-Blatt New York Post. Er verantwortete nach der Firmengründung das Design der App. Rads Managementstil sei unberechenbar, so Gulczynski. „Da gehört ein Erwachsener mit ins Zimmer.“ Noch ist Rad Chef, bis ein neuer gefunden ist, danach soll er im Aufsichtsrat bleiben. Er selbst sagte Forbes, dass Tinder und IAC „jemanden wie Eric Schmidt“ suchen. Google hat Schmidt 2001 den beiden Gründern Larry Page und Sergey Brin als Vorstandschef vor die Nase gesetzt, Page und Brin nannten das „elterliche Aufsicht“.

Der neue Chef muss Tinders Nutzerzahlen zu Geld machen. Bis heute ist die App kostenlos und werbefrei, sie bringt kaum Umsätze für IAC. Rads Unterstützer unken, dass es IAC gar nicht um die Führungsqualitäten des Gründers ging, sondern dass sie unzufrieden waren, weil Tinder nichts einbringt. Rad hatte am Tag seiner Kündigung Ideen für eine Premium-Version der App verkündet, für die die Nutzer bezahlen sollen. Analysten schätzen den Wert von Tinder zwischen einer und 1,5 Milliarden Dollar. Wagniskapitalgeber könnten noch viel mehr ausgeben. Aber dafür muss Tinder einen Plan für Gewinne vorweisen - und eine Führungskultur ohne Skandale um Sex, Liebe, Freundschaft, Penisbildchen und verletzte Egos.

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