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Bier, Blues und Bratwurst für die muslimischen Nachbarn

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Eine Hüpfburg zwischen dreigeschossigen Backsteinhäusern, auf der Verkehrsfläche ein paar Bierbänke, ein Grill, ein Kastenwagen mit einer Bluesrockband drauf – ist das die Zukunft des deutschen Stadttheaters? „Welcome’s Höft“ hieß diese Minimalausstattung für ein Nachbarschaftsfest, mit dem das Deutsche Schauspielhaus Hamburg kürzlich sein dreiwöchiges Festival „New Hamburg“ im Stadtteil Veddel eröffnete. Ortsfremde Besucher, die den handgemalten Schildern vom S-Bahnhof durch vollgesprühte Unterführungen folgten, um hinter dem Bahndamm auf die kleine Nachkriegssiedlung zu stoßen, reagierten irritiert. Hilflos das Besondere suchend streiften sie um die schäbigen Wohnblöcke, fanden aber außer einem Pappschild, das eine „Hip-Hop Academy“ ankündigte, nur triste Unterkünfte und freundliche Würstchenesser aus aller Welt.



Veranstalter des Festivals "New Hamburg": Das Schauspielhaus Hamburg. 

Das sollte das groß angekündigte Festivalprojekt sein, mit dem Deutschlands größte Schauspielbühne sich der Stadt öffnen wollte? Ist dem Kunstbetrieb ein Sozial-Experiment wirklich nicht mehr wert als Bier, Blues und Bratwurst?   Wenn Theater in so genannte Problemviertel ziehen, dann gewinnt das normalerweise den Anschein von prächtiger Kultur-Mission. Die Veddel im Hafen liefert eigentlich die klassischen Voraussetzungen für Konzept-Kuratoren, die an die Völker verbindende Segnung von teurer Kunst glauben. Anfang des letzten Jahrhunderts ein Auswandererviertel, von dem aus die Europamüden nach New York aufbrachen, ist die Veddel heute ein primäres Einwandererquartier. Eingeschnürt von Autobahn, ICE-Strecke, Industrie und versandeten Hafenbecken, bewohnen knapp 5000 Menschen aus rund 45 Nationen die Enklave.

Auch Björn Bicker hat hier die letzten zwei Jahre verbracht. Er ist der vielleicht erfahrendste Kultur-Diakon des deutschen Theaters, der unter anderem an den Münchner Kammerspielen die viel besprochenen Stadtteilprojekte „Bunnyhill 1+2“ konzipierte. Und wie man das als seriöser Dramaturg eben so macht, hat Bicker auch auf der Veddel zunächst versucht, Interviews mit den Bewohnern zu führen. Leider hat hier einmal Mounir al-Motassadeq gelebt, der Komplize des 9/11-Attentäters Mohammed Atta. Danach rollte ein paar Jahre lang die Internationale Bauausstellung (IBA) über die Wilhelmsburger Flussinsel, auf der auch die Veddel liegt. Und als Resultat dieser beiden Ereignisse haben die Bewohner die Nase gestrichen voll von Leuten, die freundlich Fragen stellen und dann doch nur wieder Artikel schreiben, in denen die Veddel erscheint wie die Bronx an der Elbe.

Doch das konnte Bicker nicht erschüttern. Er nistete sich in den typisch roten Hamburger Backsteinblöcken ein und trank literweise Tee mit den Leuten, bis sich die Unterhaltungen mit ihm nicht mehr wie Interviews anfühlten. So erfuhr Bicker auch, dass die Siedlung hinter dem Bahndamm eine Flüchtlingsunterkunft ist, die von den restlichen Veddlern komplett ignoriert wird. Als die Flüchtlinge ihre Nachbarn einmal zu einem Kennenlernfest einluden, kam genau: niemand.

Erfahrungen wie diese mögen dem Theater-Missionar Bicker bewusst gemacht haben, dass die Invasion eines Stadttheaters bei Menschen, die noch nie etwas von Kleist und Jelinek gehört haben, nur funktioniert, wenn diese selbst bestimmen, was gemacht wird. Das Ergebnis dieses Prozesses hat allerdings wenig mit Inszenierungen zu tun, die der gewöhnliche Theaterbesucher für große Kunst hält.

Da konnte man sich auf einem motorisierten Wassertank einmal um die Insel tuckern lassen, begleitet von knurrigen älteren Herren aus dem Veddler Erzähl-Café, die Bilder von ganz früher zeigten. Als Lehrer verkleidete Kinder genossen es in der „School of Normal“, Erwachsene mal so richtig nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen, was durchaus Züge von Terror annahm. Und das von Bicker aus seinen Gesprächen verdichtete Stück „Die Insel“, das mit Veddel-Bewohnern und Schauspielern aufgeführt wurde, war im Wesentlichen gut gemeinte Verständigungsprosa, die auf Zuschauer zielt, denen große deutsche Bühnenkultur eher Angst macht.

Tatsächlich bedeutet das dreiwöchige Vorhaben von „New Hamburg“, das vom Schauspielhaus finanziert wurde, einen ziemlichen Kulturbruch zu den gewohnten „Interventionen“ mit Festivalcharakter. Ein ausgesprochen anspruchsloses Programm traf auf ausgesprochen euphorisierte Beteiligte und Besucher. Normalerweise ist das genau umgekehrt. Auch auf der Elbinsel, wo im Rahmen der IBA zahlreiche kreative Kulturralleys durchgeführt wurden, die bei der Bevölkerung resonanzlos verpufften. Diesmal herrschte beim klassischen Kulturkonsumenten anlässlich des Gebotenen große Ratlosigkeit, im Stadtteil selbst aber wuchs tatsächlich Interesse für die Kultur-Exoten, es wurde mitgemacht und zugeschaut.

Bickers Low-Level-Ansatz operiert fern von Irritiationsspektakeln à la Christoph Schlingensief, von Privatwohnungstouren, Stadtraumprojekten oder Kulturschnitzeljagden, wie sie von den europäischen Festivals ständig veranstaltet werden, aber auch von kulturellen Besserungsprogrammen, die sozialdemokratische Stadtregierungen immer mal wieder aushecken. Herzlich naiv, freundlich und einladend wirkte das Programm mit Konzerten, Gottesdiensten, Kirchenhofkino und Wunschmaschine-Basteln. Die Botschaft der rund 70 Veranstaltungen lautete stets: „Allgemeine Teilhabe“.

Dazu bot die Stadtteilkirche als Zentrum ein stimmiges Symbol. Denn grassierende Identitätskrisen, aus denen man neue Wirklichkeiten gewinnen muss, sind genau das Thema der Kirche – als evangelisches Gotteshaus braucht die Immanuelkirche nämlich niemand mehr. Das gibt selbst der von „New Hamburg“ begeisterte Pfarrer Ulfert Sterz zu, der das Backstein-Ensemble jetzt verlassen muss, weil es keine Protestanten auf der Veddel mehr gibt.

Bereits in der Vergangenheit war Sterz dazu übergegangen, „Gottesdienste“ ohne Christen mit Besinnung, Yoga und Tischtennis zu veranstalten, weil er keine Lust mehr auf Predigten für „drei Leute mit schlechter Laune“ hatte. Als Björn Bicker ihm vorschlug, das Zentrum von „New Hamburg“ in seiner Kirche aufzuschlagen, da sah Sterz zu Recht die ganz unkonfessionelle Chance, die meist leer stehende Immobilie mit Hilfe des Schauspielhauses in ein Quartierszentrum zu verwandeln.

Ergün Yagbasan, ein stadtbekannter Gastronom und türkischer Buddhist mit Wurzeln auf der Veddel, installierte im Gemeindesaal ein Café, um den vielen National-Treffs der Insel, die meist nur für Männer sind, einen Schnittmengen-Ort hinzuzufügen, der vorher nur beim Geldversender „Western Union“ zu finden war. Die Frauen und Mädchen der Veddel ergriffen nach anfänglichem Zögern die Gelegenheit beim Schopf. Obwohl sich auch hier die Tische mit den rot-weiß-karierten Tischdecken zunächst nach Nation und Religion sortierten, erkannte Yagbasan jeden Tag stärker das „Aufblühen einer Gemeinschaft“. Dafür genügten Formate wie „gemeinsam einen Cappuccino kochen“.

Aber kann diese Form kultureller Sozialarbeit von Dauer sein, wenn die Initiatoren die Insel wieder verlassen? Bicker und sein Team ziehen weiter zum nächsten Projekt, der offenherzige Pastor kommt nur noch zu Besuch, nur Ergün Yagbasan will bleiben und etwas aufbauen. Er hat seinen alten Laden verkauft, um auf der Veddel vorsichtig neuen Geist zu stiften. Das bisher so schwierige Nebeneinander in diesem multireligiösen Vielvölker-Dorf, wo jeder nur seine eigenen Feste feiert, hält er für kein Hindernis. „Religion“, sagt er, „ist nur so etwas wie Musikgeschmack.“ Aber Bier, Blues und Bratwurst als Festival-Angebot für Muslime? Da dürften die Konflikte schon geschürt sein.

Bei gewöhnlichen Theaterfestivals werden solche Konflikte nur dargestellt. Das Besondere am Modell „New Hamburg“ ist, dass die Konflikte ausgetragen werden müssen. Um am Ende vielleicht neue Nachbarschaften zu stiften. Und das ist auch eine Kunst. Seit Joseph Beuys nennt man sie „soziale Plastik“.

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