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Brüsseler Eiertanz

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Glückwünsche nach friedlichen und freien Wahlen gehören zur Brüsseler Routine. Die Beamten von Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso besprechen in solchen Fällen für gewöhnlich rasch die Formulierung, dann geht die gemeinsame Pressemitteilung an den üblichen Verteiler. So war es auch am Montag nach der Abstimmung über das neue ukrainische Parlament. Nur gedauert hat es diesmal vielleicht ein wenig länger als sonst. Man möge sich noch ein bisschen gedulden, bat Barrosos Sprecherin bei der mittäglichen Pressekonferenz. Es seien noch die Einschätzungen von EU-Wahlbeobachtern abzuwarten. Tatsächlich hat die EU sich angewöhnt, in Sachen Ukraine jedes Wort zu wägen.

So klingt dann auch die Erklärung, die am Nachmittag schließlich verschickt wurde. „Dies war ein Sieg der Menschen in der Ukraine und der Demokratie“, ist der einzige Satz, der nach Begeisterung klingt. Ansonsten transportieren die drei Absätze vor allem Sorge, Mahnung und Rat. Auf der Grundlage des Wahlergebnisses müsse nun ein „breiter nationaler Konsens“ gesucht werden angesichts dringend nötiger wirtschaftlicher und politischer Reformen. Ein landesweiter Dialog sei nötig, um die Integration mit der EU voranzutreiben. Worte sind das, die seltsam nüchtern klingen angesichts einer Wahl, in der nach den Schrecken der vergangenen Monate eine große Mehrheit der Ukrainer auf die proeuropäische Karte gesetzt haben.



Der ukrainische Premierminister Jazenjuk

Die vorsichtigen Worte sind auch Ausdruck der sehr unterschiedlichen Erwartungen, mit denen es die EU im Falle der Ukraine zu tun hat. Die Ukraine selbst hat klargemacht, dass sie im kürzlich in Kraft getretenen Assoziierungsabkommen einen Schritt in Richtung EU-Mitgliedschaft sieht. Das aber wird von vielen Mitgliedsländern, vor allem im Westen und Süden, mit größter Skepsis gesehen. Dahinter stehen zum einen Zweifel an der Modernisierungsfähigkeit der Ukraine, zum anderen aber auch die Angst, das könne den russischen Präsidenten Wladimir Putin weiter reizen. Mit starken Worten, militärischer Gewalt und der Unterstützung der Separatisten im Donbass hat der Kremlchef deutlich gemacht, dass er die Zukunft der Ukraine eben nicht in der EU sieht.

Mit überwältigender Mehrheit hätten die Ukrainer Parteien gewählt, die „für eine Annäherung an die EU und deren Werte stehen und die die Unabhängigkeit ihres Landes gegen Moskau verteidigen wollen“, lobte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU). „Russlandfreundliche, kommunistische und rechtsradikale Parteien“ hätten eine Abfuhr erhalten.

„Proukrainisch, prodemokratisch und proeuropäisch“, nannte Rebecca Harms, Fraktionschefin der europäischen Grünen, den Wahlausgang. Sie hatte sich als Wahlbeobachterin in Arbeitervierteln von Kiew ein Bild von der Abstimmung gemacht. Ruhig und „total gut organisiert“ sei die Wahl dort verlaufen. Die Ukraine habe mittlerweile erkennbar Routine im Abhalten von Wahlen. Von der Organisation könne „mancher in der EU noch etwas lernen“.

Auf die Frage, welche Verpflichtungen sich aus der proeuropäischen Wahl für die EU ergeben, antwortete auch Harms vorsichtig. Von langfristigen „Versprechungen“ halte sie wenig. „Wir müssen jetzt viel enger zusammenarbeiten, damit die Ukraine die Reformen durchführen kann, die eine Mitgliedschaft überhaupt erst möglich machen“, forderte sie stattdessen. Außerdem erwarteten die Menschen in der Ukraine von der EU Druck auf Putin. Denn nur wenn der Kreml-Chef Einfluss nehme auf die prorussischen Separatisten, gebe es eine Chance auf Frieden.

Die Menschen in der Ukraine hätten sich für einen Neustart ohne Regierungsbeteiligung von „Extremisten und Populisten“ ausgesprochen, würdigte in Berlin Regierungssprecher Steffen Seibert die Wahl. Die Bundesregierung begrüße das starke Abschneiden der proeuropäischen Kräfte. Die Wahl sei ein „wichtiger Schritt“ auf dem Weg zur weiteren Stabilisierung der Ukraine, fügte der Regierungssprecher an. Zu bedauern sei, dass einige Teile im Osten der Ukraine nicht „wie erhofft“ in die Wahl einbezogen werden konnten, weil sie von prorussischen Separatisten kontrolliert werden. Damit hätten die dortigen Bürger „ihr demokratisches Recht nicht wahrnehmen“ können.

Die russische Regierung reagierte erwartungsgemäß verhalten. „Ich denke, dass wir diese Wahl anerkennen werden“, sagte Außenminister Sergej Lawrow dem Fernsehsender Life News. Russland liege daran, dass die neue Führung „effektiv“ die innenpolitischen Probleme angehe. Die ukrainischen Politiker müssten „ darüber nachdenken, wie die Einheit des Landes gewährleistet werden kann“.

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